Anlagenbau & Prozesstechnik

Herausforderungen für die Schüttguttechnik

Der Umgang mit Pulvern und Granulaten will gelernt sein

08.12.2015 -

Schüttgüter kommen in allen Branchen vor - von der Chemie- und der Kosmetikindustrie über die Biomasseverarbeitung bis zur Abfallwirtschaft. Häufig sind Partikel mit speziellen Eigenschaftsprofilen der Schlüssel für neue Produkte, wenn man an die Entwicklung von Kompositmaterialien, Brennstoffzellen oder Katalysatoren denkt. Zudem lassen sich mit der Modifikation von speziellen Oberflächeneigenschaften, Größe und Partikelverteilungen besondere Wirkstoffe für die Kosmetik- und Pharmaindustrie entwickeln.

Die Grundprinzipien vieler Verfahren für den Umgang mit Schüttgütern, wie das Sieben, Mischen oder Zerkleinern, haben sich über die vergangenen hundert Jahre nicht verändert. Das heißt aber nicht, dass es bei diesen Verfahren keine Innovationen mehr geben könnte. Die mechanische Verfahrenstechnik erlebt derzeit eine Renaissance: So werden immer komplexere Produkteigenschaften bei gleichzeitig steigenden Qualitätsansprüchen gefordert. Dazu gehört etwa, dass die Partikelgrößen immer feiner werden. Noch vor 20 Jahren hat man sich eher im Mikrometer-Bereich bewegt, inzwischen ist die Nanotechnologie in der Praxis angekommen. Dementsprechend werden auch immer feinere Verteilungen gefordert.

Schüttgut – das anspruchsvolle Objekt

Während das Verhalten von Flüssigkeiten inzwischen gut erforscht ist, hält der Umgang mit Pulvern, Stäuben und Granulaten manchmal Überraschungen für die Anwender bereit: Während sich das eine Produkt leicht abfüllen lässt, neigt das nächste dazu, Brücken zu bilden und wiederum ein anderes schießt wie eine Flüssigkeit durch die Leitungen. Auch gibt es Produkte, die sich bei identischen Abfüllversuchen immer unterschiedlich verhalten.

Hintergrund ist, dass es in den wenigsten Fällen das ideale Partikel gibt. In den meisten Fällen unterscheiden sie sich minimal in der Größe und an der Oberfläche, so dass beispielsweise Abfüll- und Dosiervorgänge schlecht vorhersehbar sind. Abhilfe schafft nur die Kenntnis der Eigenschaften von Schüttgütern, wie die Schüttgutdichte, Partikelgröße, Partikelform, Feuchte und andere Parameter. Dazu gehört zudem die genaue Charakteristik der Fließeigenschaften. Eine Fehleinschätzung kann zu Störungen im Prozessablauf führen. Daher verfügen die meisten Apparatebauer über ein Technikum, in dem Versuchsreihen und Untersuchungen möglich sind. Dort lassen sich auch die branchenspezifischen Besonderheiten abklären.

Seit geraumer Zeit stellen Nanopartikel Anlagenbauer und Schüttgutexperten vor besondere Herausforderungen. Neue optische Verfahren bzw. Kombinationen verschiedener Messmethoden gestatten es, schon bei der Herstellung online die Größe und Morphologie der Partikel zu vermessen und so ihre Handhabbarkeit zu gewährleisten.

Simulieren und analysieren

Die Simulation von Feststoffprozessen ist heute dank gestiegener Rechnerleistungen ein probates Mittel um ein Verfahren zu optimieren. Der Vorteil solcher Methoden ist, dass sich mit einem guten Modell viele Details und Parameter eines Prozesses gefahrlos untersuchen lassen. Die Simulation liefert wichtige Informationen über die lokalen Verhältnisse innerhalb der unterschiedlichsten Anlagenteile. So lassen sich die Befüllvorgänge in einem Silo mit niedrigen und hohen Beladungen darstellen oder Strömungsverhältnisse in einem Mischer, um diesen zu optimieren. Weitere Untersuchungsparameter können die Position der Befüllstelle, Filtergröße, das Schüttgut selbst, aber auch die Schüttguttemperatur betreffen. Auch für komplizierte Geometrien und Einbausituationen lassen sich mit Hilfe von Simulationen gute Lösungen erarbeiten. Damit können Technikums- und Entwicklungskosten reduziert werden.

Auch die Partikelanalyse bietet einen detailliierten Blick in den Prozess. Die Fortschritte bei den bildgebenden Verfahren sind enorm. Inzwischen kennt man die Vorgänge an den Grenzflächen und weiß, wie sich dies auf den Prozess auswirkt. Dadurch lassen sich Materialeigenschaften von Partikeln gezielter steuern, etwa die Größe, die Kristallmorphologie oder die Form. Dies ist z.B. bedeutend für die Entwicklung von individualisierten Medikamenten.

Know-how in der ganzen Anlage

Erste Hürde in der Schüttguttechnologie: Das Schüttgut muss in Schwung kommen. Die Wahl der richtigen Schleuse, ein Wechsel von der horizontalen in die senkrechte Förderrichtung oder eine detaillierte Siloauslegung sorgen dafür, dass Schüttgüter in Bewegung bleiben. Es lässt sich aber auch mit einer geänderten Verteilung der Teilchengrößen oder der Erzeugung von Agglomeraten oder Mikrogranulaten einiges bewirken. Dazu gehören das Entfernen von Feingutanteilen, die Veränderung des Zerkleinerungsprozesses und das Beschichten der Oberflächen mit sehr feinkörnigen Fließhilfsmitteln, wie Talkum. Das Produkt zu kennen, verhindert außerdem frühzeitige Verschleißeigenschaften in der Anlage. Verschleiß ist ohnehin meist eine Systemeigenschaft und nicht unbedingt eine Sache des Schüttguts. Mit der entsprechenden Auslegung lässt sich der Verschleiß zwar nicht unbedingt verhindern, aber durchaus aufhalten.

Seit einigen Jahren steht die staubarme Übergabe von einem Gebinde bspw. in einen Mischer im Fokus.

Neben dem Vermeiden von Kreuzkontaminationen ist der Mitarbeiterschutz immer stärker in den Vordergrund gerückt. Konstrukteure stehen außerdem vor der Herausforderung, dass es eine Vielzahl von unterschiedlichen Gebinden gibt, die für den Transport und das Handling dieser Roh-, Zwischen- und Fertigprodukte eingesetzt werden. Die Entwicklung geht zu Systemen, die sich flexibel einsetzen lassen.

Last but not least, ist die genaue und gleichmäßige Dosierung, die häufig in die Übergabestationen integriert ist, in vielen Prozessen die Voraussetzung für qualitativ hochwertige Produkte.

Explosionsschutzkonzept ist Pflicht

Ein Thema, mit dem sich die meisten Schüttguttechnologen auseinander setzen müssen, ist der Explosionsschutz. Ein tragfähiges Explosionsschutzkonzept ist bei vielen Anwendern Pflicht. Primäre vorbeugende Schutzmaßnahmen liegen darin, einen oder mehrere Teilnehmer aus dem so genannten Explosions-Dreieck (Zündenergie, Sauerstoffgehalt und Staub) zu minimieren oder zu entfernen. So lässt sich unter Umständen ein brennbarer durch einen unbrennbaren Stoff substituieren. Weiter lässt sich der Sauerstoffanteil durch eine Stickstoffinertisierung reduzieren. Wichtige Maßnahme ist auch die Vermeidung von Zündquellen, also Schweißarbeiten, heiße Oberflächen, elektromagnetische Wellen oder heiße Gase. Erst danach wird über die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen diskutiert, mit den sich die Auswirkungen einer Explosion reduzieren lassen.

Zu einem schlüssigen Explosionsschutzkonzept gehören auch organisatorische Maßnahmen sowie die Dokumentation all dieser Maßnahmen. Erst dann entsteht ein Explosionsschutzkonzept, welches nicht nur Behörden überzeugt, sondern im Betrieb gelebt wird.

Urban Mining

In der Pharma- und Kosmetikindustrie geht es um den Umgang mit kleinsten Stoffmengen. Das Recycling von metallischen Rohstoffen bewegt sich in ganz anderen Dimensionen. Die Disziplin Urban Mining befasst sich damit, wertvolle Rohstoffe aus Autos, Elektrogeräten oder sogar alten Deponien zurück zu gewinnen. Der Weg bis zum wiederverwertbaren Rohstoff ist jedoch aufwändig und mit hohem energetischem Einsatz verbunden.

Die mechanische Verfahrenstechnik mit ihren klassischen Disziplinen Zerkleinerung/Klassieren steht am Anfang dieser Prozesskette und beeinflusst maßgeblich die nachfolgenden Prozessschritte. Dafür sind noch zahlreiche Forschungs- und Entwicklungsprojekte nötig. Handlungsbedarf besteht u.a. in der Aufbereitung von feindispersen polymetallischen Partikelsystemen. Auch Sortierverfahren für feinste Partikelsysteme bei sehr feinem Aufschluss und die energieeffiziente Zerkleinerung müssen weiter entwickelt werden.

Doch selbst wenn wirtschaftliche Verfahrenswege gefunden werden, heißt das noch nicht, dass sich diese Suche nachhaltig lohnt. Zum einen schwanken die Erträge für die recycelten Rohstoffe durchaus im zweistelligen Bereich. Eine vormals ertragreiche Anlage könnte auf diese Weise schnell unwirtschaftlich werden. Zum anderen wird die Trennung aufgrund immer neuer Materialien und Stoffverbunde zunehmend schwieriger. In Zukunft werden Anlagen gebraucht, die flexibel mit Stoffströmen, die in ihrer Zusammensetzung schwanken, umgehen können. Es erfordert aber auch den Blick über den Tellerrand hinaus. Recycling besteht immer aus einer langen Prozesskette und die reicht vom Verbraucher über Abfall- und Recyclingunternehmen bis zu Unternehmen der Metallurgie. Die Wirtschaftlichkeit des Gesamtprozesses hängt von jedem einzelnen Teilnehmer ab. (cb)

Grundlage dieses Beitrags ist ein von der Dechema zur Achema 2015 in Auftrag gegebener und von internationalen Fachjournalisten erstellter Trendbericht.

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