Anlagenbau & Prozesstechnik

Automatisierungstechnik von morgen

Herausforderungen in Innovationen verwandeln

25.11.2010 -

Verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen, Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen, Steigerung von Performance und Flexibilität - die heutigen Herausforderungen für die Industrie sind vielfältig. Das gilt auch und besonders für die chemische und pharmazeutische Industrie: Hier geht der Trend überwiegend zu mehr Produktvarianten und immer kürzeren Innovationszyklen. Diese beiden Entwicklungen beeinflussen maßgeblich die Produktion und damit auch deren Automatisierung: Produktionsanlagen müssen ein Höchstmaß an Flexibilität und Wirtschaftlichkeit erreichen, und zwar über den gesamten Lebenszyklus, von der Planung über den Betrieb bis zur Wartung. Gleichzeitig erfordert die beschleunigte Produktentwicklung ein Zusammenrücken von Labor und Produktion.

Als einer der weltweit größten Automatisierungsanbieter hat Siemens den Anspruch, stets ein verlässlicher Partner für die Kunden in der Chemie- und Pharma-Industrie zu sein. Das spiegelt sich einerseits in der konsequenten Branchenorientierten Ausrichtung der Division Industry Automation wider, deren industriespezifischen Competence Center die Sprache ihrer Kunden sprechen und deren Herausforderungen erfassen. Andererseits bedeutet es, eine Vorreiterrolle in Hinblick auf Automatisierungs-Innovationen einzunehmen.

Produktionsanlagen von morgen

Die Planung einer Anlage ist in der chemischen Industrie eine äußerst komplexe Aufgabe: Erstens gleicht keine Anlage der anderen, zu verschieden sind die gewünschten Halb- oder Fertigwaren, die erforderlichen Kapazitäten oder die eingesetzten Verfahren. Zweitens tragen viele Experten unterschiedlicher Firmen oder Abteilungen mit ihrem speziellen Know-how zum Erfolg des Projektes bei. Bei Planung und Bau der Produktionsstätten müssen alle Beteiligten in immer kürzerer Zeit immer komplexere Aufgaben lösen. Dabei sollen die Lösungen funktional und zukunftssicher sein. Der Trend zu höherer Variantenvielfalt der Endprodukte macht hochflexible Produktionsanlagen erforderlich, bei minimalen Lifecycle Kosten. Um dies zu erreichen und Produktionslinien fit für künftige Entwicklungen zu halten, bedarf es schon bei der Planung einer ganzheitlichen Betrachtung des gesamten Anlagen-Lebenszyklus.

Schon heute nutzen Anlagenbauer und Planungs-Firmen für die bislang vorwiegend nacheinander behandelten Aufgaben von Verfahrens-, Maschinenbau-, Elektrotechnik-Ingenieuren und Automatisierungsspezialisten Software-Tools zur Steigerung der Planungsproduktivität: Das Anlagenlayout wird mit CAD-/CAE-Systemen erstellt, die mechanische Konstruktion wird mit Stücklisten und Ablaufplänen effizienter, die Elektrokonstruktion erstellt Strompläne, und Projekteure arbeiten an Software zur Automatisierung.

Dabei ist jedes Softwaretool für bestimmte Aufgaben optimiert und nutzt verschiedene Technologien und Standards zur Speicherung und Bereitstellung entsprechender Daten. Bei Betrachtung des Gesamtprozesses der Anlagenplanung bedeutet das eine mehrfache Eingabe, Verarbeitung und Speicherung von Daten für ein bestimmtes Betriebsmittel oder einen Prozessschritt. Jede Neueingabe von Daten kostet Zeit und birgt die Gefahr von Inkonsistenzen. Die Zukunft gehört dem durchgängigen digitalen Engineering, wie es mit dem Simatic Automation Designer möglich sein wird: Daten werden nur einmal eingegeben und stehen dann für alle Beteiligten und ihre jeweiligen Aufgaben projektweit zur Verfügung. Die bislang serielle Projektierung wird durch paralleles Arbeiten abgelöst.

Der damit erreichte Zeit- und Kostenvorteil ist immens und kann sogar noch weiter optimiert werden: durch die Integration der Automatisierung in die „Intelligente Fabrik". Schon heute entwickelt man Produktionsanlagen als virtuelles 3D-Abbild per Computer. Auf dem Bildschirm transportieren Tanklaster die ersten Produkte der intelligenten Fabrik bereits ab, noch bevor in der Realität der erste Spatenstich erfolgt ist. Gelingt es, die Automatisierung in diese virtuelle Fabrik zu integrieren, lassen sich Anlagenteile, Verfahrensschritte, Betriebsmittel und Abläufe optimieren, bevor in entsprechende Hardware investiert werden muss. Je detaillierter eine Anlage bereits in der Planungsphase abgebildet wird, desto frühzeitiger und besser lassen sich Fehler vermeiden. Das klappt nur, wenn die Planer die Prozesse einer Anlage genau verstehen und die herzustellenden Produkte und deren gesamten Lebenszyklus vom Design bis zur Fertigung kennen. Der Schlüssel dazu liegt im sog. Product Lifecycle Management (PLM). Die Strukturierung und Analyse der dabei anfallenden Daten bilden die Basis für das Layout der künftigen Fabrik. Bei der Simulation der „automatisierten Intelligenten Fabrik" besteht die Herausforderung in der Wahl des richtigen Abstraktionsgrades und einer effektiven Projektierung, wie sie durch digitales Engineering erreicht wird.

Modulare Konzepte

Neben integriertem und digitalem Engineering liegt ein weiterer Ansatz für verkürzte Time-to-Market in der Strukturierung der Gesamtanlage in einzelne fertigungs- bzw. verfahrenstechnisch sinnvolle Teilaufgaben, die jeweils durch ein Funktionsmodul gelöst werden. Jedes Modul stellt den gesamten, für diesen Prozessschritt notwendigen Funktionsumfang zur Verfügung und kann als weitgehend autarke Unit betrachtet werden. Automatisierungstechnisch betrachtet bedeutet das für diese Komponente, dass sie, neben spezifischen mechanischen Eigenschaften, auch die gesamte erforderliche Sensorik und Aktorik sowie entsprechende Automatisierungsfunktionen wie Steuerung, Regelung, Anzeige und Bedienung, Alarmierung etc. beinhalten muss. Ein solches Modul aus Mechanik, Automatisierungsgeräten und Anwendersoftware ist außerdem als digitales Modell mit sämtlichen automatisierungs- und verfahrenstechnischen Eigenschaften beschrieben und kann beim Anlagenentwurf, bei Modernisierungen, Erweiterungen etc. ins virtuelle Gesamtmodell der Intelligenten Fabrik eingebunden werden. Die Integration verschiedener Module erlaubt die weitgehende Simulation zukünftiger Produktionsabläufe.

Solche Units - in einer pharmazeutischen oder chemischen Anlage könnte dies z.B. ein Reaktor sein - bilden jeweils intelligente Einheiten, die ihren Funktionsumfang in Form von einzeln aufrufbaren Operationen zur Verfügung stellt. Betreiber von Batch-Anlagen wird dieser Ansatz bekannt vorkommen, da er dort sei Jahren, als ISA S88 standardisiert, weit verbreitet ist. In Zukunft wird dieser Komponenten-Ansatz aber über die logische Einheit hinausgehen. Ein intelligentes Modul ist nicht nur logisch, sondern auch physisch autark und verfügt über einen definierten Funktionsumfang und standardisierte Schnittstellen. In Zukunft ist also auch ein Anlagenaufbau aus einzelnen herstellerunabhängigen Standardmodulen mit definiertem Leistungsumfang und eigener Intelligenz denkbar; Fabriken bestehen aus Netzen mit selbst-überwachenden, selbst-konfigurierenden Modulen. Jede Komponente erledigt die ihr zugewiesene Aufgabe weitestgehend selbstständig und stellt die dabei gewonnenen Informationen allen anderen zur Verfügung. Wichtigste Voraussetzung ist hier eine Standardisierung der Schnittstellen.

Veränderungen im Feld

Die konsequente Umsetzung von Enhanced EDDL (Electronic Device Description Language) sowie de Harmonisierung von Diagnoseschnittstellen auf Basis der von der Namur empfohlenen NE 107 „Selbstüberwachung und Diagnose von Feldgeräten" bedeuten, entsprechend dem modularen Konzept, mehr verteilte Intelligenz auf der Feldebene. Mit den EDDL-Erweiterungen ist die nahtlose Integration von ständig verbesserten Fähigkeiten intelligenter Feldgeräte schon heute Realität. Der Anwender profitiert von noch einfacherer Bedienung der Geräte bei Inbetriebnahme und Maintenance sowie verbesserter grafischer Darstellung von Gerätedaten und -zuständen. Mit der konsequenten Umsetzung der NE 107 wird in Zukunft eine geräteunabhängige Implementierung der Diagnoseschnittstelle zwischen Gerät und Leitsystem möglich. Die festgelegten Diagnosezustände schaffen Klarheit und vermeiden Fehlinterpretationen.

Zu den zentralen Themen der Zukunft gehört auch der Einzug von „Wireless"-Technologien in die Feldebene. Der Einsatz von drahtloser Kommunikation bei Feldgeräten wird die Verdrahtungskosten nicht nur erheblich reduzieren, Anwender profitieren vor allem von erhöhter Flexibilität. Der Umbau von Anlagen wird stark vereinfacht, da der Aufwand für Montage, Installation und Inbetriebnahme auf ein Minimum reduziert wird, falsch rangierte Sensorkabel gehören dann der Vergangenheit an. Große Vorteile ergeben sich nicht nur bei weitläufigen Anlagen, auch der Anschluss bewegter Automatisierungskomponenten oder schwer zugänglicher Messstellen ist per Funk effektiver. Entscheidend für den Erfolg dieser Technologie ist auch hier die Standardisierung. Der Namur-Arbeitskreis 4.15 „Wireless Automation" leistet hier wichtige Arbeit. Mit herstellerunabhängigen Standards können zukünftig bislang ungenutzte Diagnose- und Kalibrierfunktionen auf komfortable Weise in ein Asset Management System eingebunden werden. Für Feldgerätehersteller wird die Herausforderung in der Implementierung von autarker Stromversorgung bestehen, da in vollkommen drahtlosen Installationen die klassische 2- oder 4-Leiter-Gerätespeisung entfällt. Die Energie für neuartige Low-Power-Feldgeräte muss daher aus langlebigen Batterien oder anderen Quellen in der Anlagenumgebung (Licht, Wärme, Vibrationen etc.) bezogen werden.

Forschung und Produktion rücken zusammen

Die Globalisierung des Marktes bedeutet für Unternehmen in der Chemie- und Pharmabranche einen erhöhten Innovationsdruck. Der mit neuen Produkten generierte Umsatz gewinnt in der Firmenbilanz mehr und mehr an Bedeutung. Kürzere Markteinführungszeiten sind der Schlüssel zum Wettbewerbsvorteil. Folglich müssen Forschung, Entwicklung und Produktion in Zukunft näher zusammenrücken. Die Entwicklung neuer Produkte ist mit sehr viel Laborarbeit verbunden. Verfahrenstechnische Labors führen zahlreiche Experimente und Versuchsreihen durch, um Reaktionsbedingen zu optimieren und bestmögliche Parameter zu finden. Dabei spielen hohe Qualität und Reproduzierbarkeit der Ergebnisse die wichtigste Rolle. Das speziell für Labors entwickelte Automatisierungssystem Simatic PCS 7 LAB vereinfacht die kontinuierliche Durchführung und Protokollierung von Versuchen und fügt sich durch seine einfache Bedienbarkeit, hohe Flexibilität und Skalierbarkeit in die bestehende Infrastruktur in Labors ein.

Für die Verkürzung von Prozess- und Produktentwicklungen im Labor spielt in Zukunft die Mikroprozesstechnik eine wichtige Rolle: Automatisierte Mikroprozesssysteme werden für die Durchführung von chemischen Synthesen und die Entwicklung und Optimierung von Verfahren eingesetzt. Systeme wie Siprocess von Siemens vereinen Mikrotechnik, Automation und Modularität und stellen eine Lösung für die Herstellung erster Mengen dar. Im Mikromaßstab kommt das beschriebene Konzept der Modularität von chemischen Anlagen schon heute zur Anwendung: Sämtliche für die Synthese benötigten Funktionen werden von einem bestimmten Modul übernommen, z.B. das Dosieren, Mischen, die Reaktion, die Probennahme etc. Jedes Modul enthält alle für seine Aufgaben erforderlichen Sensoren und entsprechende Elektronik mit vorkonfigurierten Funktionen, die die modulinterne Aktorik steuern. Die Module werden einzeln in ein Rack eingeschoben und zusammengesteckt. Verbunden sind sie über einen Datenbus, der an das Prozessleitsystem Simatic PCS 7 angebunden ist. Von hier aus werden die Funktionsmodule zentral gesteuert, bedient und beobachtet. Mikroprozesssysteme erlauben eine einfache automatisierungstechnische Konfiguration, die offene und modulare Bauweise ermöglicht dem Anwender die einfache Einbindung neuer Komponenten. Sie öffnen den Weg zur effizienten Herstellung kleinster Mengen.

Product Lifecycle Management, Digitales Engineering, 3D-Simulation, modular aufgebaute intelligente Fabriken, Mikroprozesstechnik sind nur ein paar Beispiele für Erfolg versprechende Antworten auf wichtige Trends in der Industrie - wie beispielsweise zunehmend individuellere Produkte, stärker dezentralisierte Wertschöpfungsketten oder kürzere Markteinführungszeiten. Siemens als Industrieausrüster spielt mit seinen Innovationsstrategien eine wichtige Rolle auf dem Weg in die Zukunft der Automatisierung und ebnet dabei auch seinen Kunden den Weg für deren Innovationen.

Product Lifecycle Management (PLM)
Product Lifecycle Management, die Verwaltung des Produktlebenszyklus', ist als Strategie zu verstehen. Mit Hilfe leistungsfähiger IT-Systeme werden alle Daten, die bei der Entwicklung, Produktion, Lagerhaltung und dem Vertrieb eines Produkts anfallen, einheitlich gespeichert, verwaltet und abgerufen. PLM unterstützt die Vernetzung von Innovationsprozessen und Mitarbeitern. Im Idealfall greifen alle Bereiche bzw. Systeme, die mit einem Produkt in Berührung kommen, auf eine gemeinsame Datenbasis zu: von der Planung, Konstruktion, Berechnung und Fertigung bis zum Controlling, Vertrieb und Service. Flankiert wird ein solches PLM- System z.B. durch die Daten des Supply Chain Managements (SCM), das den Überblick über die Budget- und Logistikdaten eines Produkts über die gesamte Zulieferkette bietet.

 Bei dieser Meldung handelt es sich um eine Archiv-Meldung, bei der die Abbildungen entfernt wurden.