Anlagenbau & Prozesstechnik

Die pharmazeutischen Herausforderungen von morgen

Neue Randbedingungen erfordern hochwertige und zuverlässige Prozesse

16.04.2014 -

Neue Gesetzgebungen, auslaufende Patente und steigende Gesundheitsausgaben erfordern gravierende Veränderungen in der globalen pharmazeutischen Industrie. Die Märkte für Spezialmedikamente, Biopharmazeutika und Biosimilars bieten zusätzliche Wachstumschancen. In den kommenden Jahren werden weltweit neue Verfahren und Herstellungskonzepte implementiert, die alle eines gemein haben: die Anforderung nach sicheren, hochwertigen und zuverlässigen Prozessen.

Laut eines im November 2013 veröffentlichten Berichts des IMS Institute of Healthcare Informatics  werden die jährlichen Ausgaben für Medikamente im Jahr 2014 die Eine-Billion-Dollar-Marke überschreiten und sich bis 2017 auf 1,2 Billionen US-Dollar erhöhen. Nach einer turbulenten Phase aufgrund abgelaufener Patente und Sparmaßnahmen in Folge der Wirtschaftskrise erholen sich die entwickelten Märkte nun allmählich. In den Vereinigten Staaten sind höhere Ausgaben im Zuge des „Affordable Care Act" vorgesehen. In Japan drängte die Gefahr des rasant steigenden Medikamentenbedarfs der alternden Bevölkerung die Regierung zu einer noch nie dagewesenen Entscheidung: Bis 2018 werden im Land der aufgehenden Sonne 60 Prozent aller patentfreien verschreibungspflichtigen Medikamente in Form von Generika ausgegeben. Insgesamt werden günstigere generische Alternativen weiterhin die größten Auswirkungen auf das Wachstum haben. Produzenten von Generika und Lohnhersteller benötigen daher besonders robuste und flexible Maschinen mit hoher Ausbringung. Komplexe Medikamente für zielgerichtete Behandlungen hingegen erfordern flexible Anlagen und kleinere Chargen.

Aufgrund steigender Bevölkerungszahlen und höherer Einkommen werden die so genannten „pharmerging" Märkte weiter jährlich um zehn bis 13 Prozent wachsen und die Medikamentennutzung drastisch steigen. Wirtschaftlicher Aufschwung, signifikante demografische und epidemiologische Veränderungen und eine große Bandbreite an gesundheitspolitischen Maßnahmen fördern zudem einen leichteren Zugang zu Arzneimitteln. In China allerdings - bisher der bedeutendste Wachstumsmotor in Asien und über den Kontinent hinaus - steht eine Phase moderaten Rückgangs im Vergleich zu den vergangenen Jahren bevor. Die Auswirkungen werden nicht nur für lokale Hersteller, sondern auch für pharmazeutische Unternehmen der entwickelten Länder spürbar sein, die ein großes Produktions- und Vertriebsnetzwerk in China aufgebaut haben und bis heute mit hohen Gewinnen belohnt wurden. Das indische Gesundheitswesen hingegen scheint unaufhörlich zu wachsen. Pharmazeutische Exporte aus Indien werden laut Expertenschätzungen in den kommenden vier Jahren um mehr als das Zweifache  steigen, sofern es dem Land gelingt, sämtliche behördlichen Herausforderungen zu erfüllen.

Flexible und sichere Prozesse

In den Wachstumsmärkten sind robuste und leistungsstarke Anlagen nach wie vor die erste Wahl für Hersteller. Vor allem Produzenten von Generika streben eine höchstmögliche Produktivität bei geringen Kosten an. Viele Medikamentenhersteller haben ihren Fokus auf die Entwicklung neuer Formulierungen verlagert und ihre Füll- und Verschließprozesse sowie die Sekundärverpackung an Lohnhersteller ausgegliedert. Deren Hauptanliegen sind sowohl Flexibilität als auch Produktivität. Dafür müssen sie ihre Anlagen zur Primär- und Sekundärverpackung an unterschiedliche Produkte, Verpackungsformate und -geschwindigkeiten bei gleichbleibend hoher Ausbringung anpassen können.

Der Hauptanteil des produzierenden Pharmamarktes in den Schwellenländern entfällt weiterhin auf die Herstellung von Blockbuster-Medikamenten und Generika in großem Maßstab. Allerdings beobachten Länder wie Indien ebenfalls eine Verschiebung hin zu komplexeren Formulierungen, die einen steigenden Bedarf an fortschrittlichen Technologien bedingt. Der Trend zur Produktion kleinerer Mengen zielgerichteter Medikamente - vor allem für die Behandlung von Krebs - erfordert flexible Plattformen, die kleine Chargen verarbeiten und gleichzeitig größtmögliche Sicherheit für Hersteller und Produkt gewährleisten können. Denn die Herstellung und Verpackung von Biopharmazeutika, Impfstoffen und antiviralen Substanzen setzt höchste Vorsicht und präzise Prozesse voraus.

Die drohende Biopharma-Patentklippe

Nachdem die pharmazeutische Industrie den größten Teil der Generika-Patentklippe überwunden hat, steht sie nun neuen Herausforderungen gegenüber: Die Patente einiger großer biotechnischer Moleküle werden bald ablaufen und damit die Produktion von Biosimilars beginnen. Im Jahr 2002 entfielen elf Prozent aller Medikamentenverkäufe auf biologische Präparate. IMS schätzt, dass diese Produkte bis ins Jahr 2017 fast 20 Prozent des gesamten Marktes ausmachen werden. Monoklonale Antikörper und Humaninsulin werden diesen Wachstumsprozess weiter vorantreiben. Biosimilars liegen derzeit bei weniger als 0,5 Prozent aller biologischen Aufwendungen in den entwickelten Märkten. In Wachstumsmärkten machen nicht-originale biologische Präparate mehr als zehn Prozent dieser Ausgaben aus, Tendenz steigend.

Biopharmazeutika und deren Nachfolger erfordern neben intensiver Forschungs- und Entwicklungsarbeit hochwertiges Equipment und kontaminationsfreie Rohmaterialien, wie beispielsweise Rein- und Reinstwasser sowie Wasser für Injektionszwecke, die durch modernste Erzeugeranlagen gewonnen werden. Um Patienten mit der bestmöglichen Qualität zu versorgen, setzen Medikamentenhersteller auf sichere Herstellungsprozesse und Verpackungslösungen, während Patienten auf ihre bevorzugten Verabreichungssysteme vertrauen. Die pharmazeutische Industrie hat sich erfolgreich auf die Entwicklung noch sichererer und einfacherer Systeme konzentriert. Obwohl orale Dosierungsformen komfortabler sind, haben parenterale Verabreichungssysteme - also unter Umgehung des Darmtraktes - den Platz als effektivste und sicherste Behandlungsmethode eingenommen. Für viele biologische Produkte gibt es zur parenteralen Gabe keine Alternative. Die Entwicklung neuer Drug Delivery Devices richtet sich dabei zunehmend nach den individuellen Bedürfnissen der Patienten. So wurden Insulin-Pens etwa hinsichtlich ihrer Benutzerfreundlichkeit optimiert; im Allgemeinen werden die Devices immer kleiner und sicherer zu handhaben.

Das Produkt vom Bediener isolieren

Der Einsatz hochwirksamer Pharmazeutika hat stark zugenommen und erfordert ein Höchstmaß an Sicherheitsvorkehrungen während der gesamten Verarbeitungskette. Medikamente und Mitarbeiter vor gegenseitigem Kontakt zu schützen, hat dabei höchste Priorität. Neueste Anlagenlösungen verwenden Roboter- und Automatisierungstechnologie, um menschlichen Kontakt mit den Substanzen in der Herstellung zu reduzieren. Aufgrund der immer strengeren Richtlinien der Aufsichtsbehörden greifen Hersteller vermehrt auf Isolatoren zurück. Verglichen mit der konventionellen Reinraumproduktion ermöglichen diese eine höhere Produktqualität, geringere Betriebskosten und bedeutende Energieeinsparungen sowie die sichere Durchführung längerer Produktionszyklen.

Laut den im Jahr 2004 von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) herausgegebenen Aseptik-Richtlinien bieten Isolatoren im Vergleich zu traditionellen aseptischen Prozessen konkrete Vorteile, wie beispielsweise die geringere Wahrscheinlichkeit mikrobieller Kontamination während des Verarbeitungsprozesses.  Auch in den kommenden Jahren werden Hersteller weltweit vermehrt auf Isolatoren für Abfüllanlagen zurückgreifen.  Dabei bleiben Vials, also Injektionsfläschchen, die am häufigsten in Isolatoren verarbeiteten Behältnisse, während besonders in Europa die Nutzung vorgefüllter Spritzen schnell zunimmt. Die Entwicklung neuer füllfertiger steriler Primärpackmittel  in Kooperation mit führenden Anlagenbauern hat zur Verbesserung aseptischer Füllprozesse geführt und den Weg für die Entwicklung neuer Füll- und Verschließmaschinen geebnet. Diese sind für die flexible Verarbeitung von vorsterilisierten Spritzen, Vials und Karpulen im Nest geeignet.

Kontinuierliches Containment hochwirksamer Substanzen

Parallel zur aseptischen Abfüllung flüssiger Pharmazeutika haben auch Hersteller fester Darreichungsformen den Bedarf an Containment-Lösungen erkannt. Diese verhindern, dass biologische Wirkstoffe in die externe oder in die Arbeitsumgebung entweichen und schützen Maschinenbediener vor aktiven Wirkstoffen. Containment-Systeme erfordern geschlossene Kammern oder biologische Sicherheitswerkbänke, sowie Räume mit speziell entwickelten Lüftungsanlagen und sicheren Betriebsabläufen. Einige pharmazeutische Hersteller haben schon ganze Sicherheitsgebäude errichtet, in denen Gebäudeanforderungen und Anlagen optimal aufeinander abgestimmt sind.  Dabei ist es hilfreich, Anlagenhersteller bereits in einem frühen Planungsstadium einzubeziehen, um flexible, modulare und platzsparende Lösungen zu erarbeiten.

Ein Konzept, das diesen Ansatz begünstigt, nennt sich „Continuous Processing" (kontinuierliche Verarbeitung) und wird bereits seit vielen Jahren in der Lebensmittel- und chemischen Industrie eingesetzt. Die pharmazeutische Industrie hingegen ist erst kürzlich auf die Vorzüge dieses Ansatzes hinsichtlich Kosten-, Zeit-, Platz- und Materialeinsparung aufmerksam geworden. Im Gegensatz zur Chargenherstellung impliziert Continuous Processing die Herstellung und Verarbeitung der Materialien in einem durchgängigen Prozess ohne Unterbrechung. Dieses Konzept setzt allerdings ein fundiertes Verständnis der Prozessinteraktion zwischen den unterschiedlichen Verarbeitungseinheiten voraus.

Dr. Janet Woodcock, Leiterin des Amtes für Arzneimittelevaluation der FDA, wies beim jährlichen AAPS-Treffen im Jahr 2011 darauf hin, dass Produktionsexperten aus dem Jahr 1950 auch heute problemlos die aktuellen pharmazeutischen Herstellungsprozesse wiedererkennen würden. Und doch hat sich das Klima in der Pharmaindustrie in den vergangenen Jahren verändert: Führende Hersteller entwickeln derzeit neue Technologien, die vor allem reduzierte Kosten und eine höhere Effizienz mit sich bringen.

Qualität in den Produktionsprozess integrieren

Die FDA setzt sich stark für Continuous Processing ein und hat bereits häufiger betont, dass dieser Ansatz mit ihren eigenen „Quality by Design"-Bemühungen (QbD) übereinstimmt. QbD ist laut FDA ein wissenschaftlicher und risikobasierter Ansatz für die pharmazeutische Entwicklung und Herstellung, um eine hohe Produktqualität zu gewährleisten. Ziel ist eine Definition der Qualität und Effizienz eines Produkts noch vor seiner Herstellung. Auf Basis dieser Anforderungen kann die Produktqualität während des Produktionsprozesses in verschiedenen Phasen gemessen und kontrolliert werden. Die Auswirkungen von Prozesseigenschaften auf das Endprodukt werden ebenfalls in die Berechnungen mit einbezogen. Anhand einer umfassenden Kontrollstrategie für Material, Prozesse und Endprodukte führt QbD zu geringeren Produktverlusten, einer niedrigeren Fluktuation und einer schnelleren Markteinführung. Hersteller beginnen mittlerweile damit, den QbD-Ansatz auch bei biologischen Produkten, zum Beispiel bei Impfstoffen, einzusetzen. Allerdings lässt er sich nicht ohne weiteres von festen Darreichungsformen auf biologische Produkte übertragen. Weitere Erfahrungen und Praxisbeispiele sind vonnöten, um angemessene Bewertungen und Inspektionsparadigmen einführen zu können.

Im Rahmen von QbD kommt der „Process Analytical Technology" (PAT ) eine zentrale Bedeutung zu - einem System, mit dem Herstellungsprozesse durch zeitnahe Messungen kritischer Qualitäts- und Leistungsattribute von Rohstoffen, Prozessmaterialien und Verfahren gestaltet, analysiert und kontrolliert werden, um die finale Produktqualität sicherzustellen. Die Veröffentlichung der PAT-Richtlinien durch die FDA im Jahr 2004 führte zur Entwicklung gänzlich neuer Technologien für eine integrierte Beseitigung variierender Produktqualität. Neue Inspektionssysteme, beispielsweise für Kapseln, kontrollieren Qualitätsparameter wie Gewicht, Fremdpartikel und Kapsellänge gleichzeitig, in Echtzeit und bei hohem Durchsatz. Eine Online-Gewichtskontrolle ermöglicht die genaue Überprüfung während des Prozesses und übermittelt exakte Füllgewichte zur automatischen Parameteranpassung der Füllstation. Aufgrund neuer Software und Darstellungstechniken schreitet die technologische Entwicklung schnell voran.

Serialisierung, Aggregation und Authentifizierung

Nachdem alle Produkte sicher hergestellt, abgefüllt und inspiziert wurden, erfolgt vor der Markteinführung noch ein letzter Schritt. Denn Sekundärverpackung und End-of-Line Equipment spielen bei der pharmazeutischen Sicherheit eine besonders wichtige Rolle. Wachsender Internetvertrieb, die Auslagerung der Produktion und komplexere Lieferketten bieten leider eine Vielzahl an Möglichkeiten, gefälschte Pharmazeutika auf den Markt zu bringen. Viele Länder entwickeln und implementieren derzeit neue Richtlinien und Gesetzgebungen, um pharmazeutische Produkte entlang der Lieferkette zu schützen - wie beispielsweise China und Argentinien, sowie Brasilien, deren nationale Behörde für Gesundheitsüberwachung ANVISA  erst im Dezember 2013 eine neue Resolution verabschiedet hat.

Der „Drug Quality and Security Act"  befähigt die FDA dazu, ab 2015 schrittweise einen einheitlichen numerischen Identifikationscode (SNI) für die Verpackung aller verschreibungspflichtigen Medikamente einzuführen. Das türkische pharmazeutische Track & Trace-System  (ITS) ordnet sogar die Serialisierung aller frei verkäuflichen und verschreibungspflichtigen Medikamente auf Stückbasis von der Produktion bis hin zum Patienten an. Die Richtlinie 2011/62/EU  der Europäischen Union (Falsified Medicines Directive) schreibt die Einführung einmalig kodierter, serialisierter Verpackungen für nahezu alle verschreibungspflichtigen Medikamente vor. Gleichzeitig verlangt die EU nach einer zweiten Sicherheitsebene in Form von manipulationssicheren Verschlüssen, so genannten Unversehrtheitssiegeln. Sie zeigen auf, ob eine Verpackung schon einmal geöffnet oder anderweitig manipuliert wurde.

Bei der Umsetzung der entsprechenden Richtlinien innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens stehen pharmazeutische Hersteller großen Herausforderungen gegenüber. Sie müssen neue Abläufe für die Verwaltung und Speicherung der Seriennummern einführen. Diese erfordern im Umkehrschluss die Anpassung höchst anspruchsvoller Verpackungsprozesse im Rahmen der eigenen globalen Strategie. Dafür bedarf es einer ausgeklügelten Software-Architektur, die die Seriennummern einheitlich auf allen Ebenen integriert - von der Applikationsebene über den Linienprozess und die Linienverwaltung bis hin zur Produktions- und Unternehmensebene. Ein vielschichtiges und modulares Maschinen- und Softwarekonzept stellt dabei zweifellos den sichersten Ansatz dar. Dieser muss mit bestehenden Linienkonzepten kompatibel sein und die Entwicklung eines kompletten Systems ermögliche, das die Anforderungen der Industrie nach sicheren, qualitativ hochwertigen und durchgängigen Prozessen erfüllt.

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