Anlagenbau & Prozesstechnik

Individualisierung und Globalisierung – unumkehrbare Trends

Wago stellt DIMA-Technologie zur freien Verfügung

09.06.2015 -

Die Globalisierung erlaubt es heutzutage, an jedem Ort der Welt Güter von überall auf der Welt zu beziehen. Ein Klick im Internet und das Produkt aus Übersee liegt schon morgen in unserem Briefkasten. Die Individualisierung von Konsumgütern unterschiedlichster Art erleben wir derzeit in der Lebensmittelindustrie ebenso wie in der Modebranche oder der Medizin.

Über 5 Billionen-Varianten von Müsli stehen in England, Frankreich und Deutschland zur Verfügung. In der Pharmabranche ist der Trend eng verknüpft mit dem Begriff der personifizierten Medizin. Und in der Automobilindustrie erleben wir einen enormen Variantenreichtum was unterschiedliche Fahrzeuglackierungen betrifft.

Für die Player der Prozessindustrie gilt es, diese Trends zu beachten, weil sie die Prozessindustrie und damit auch ihre Automatisierung mittelbar oder unmittelbar beeinflussen werden: Individuelle Produkte lassen sich nicht so einfach planen wie Massenprodukte. Kürzere Produktlebenszyklen erschweren die Planung zusätzlich und verkürzen die Zeit bis zur Marktreife. Produkte mit einem Lebenszyklus von einem Jahr müssen binnen vier Wochen marktreif sein.

Globalisierung und Individualisierung erfordern eine flexible Produktion. Und eine flexible Produktion bedingt den modularen Anlagenbau. Dieser modulare Anlagenbau darf seine Vorteile nicht durch zentralistische Automatisierungssysteme verlieren. Ein modularer Anlagenbau bedingt darum in der Konsequenz auch eine modulare Automation. Dieser Gedanke ist nicht neu.

Anforderungen an die Automatisierung

Bereits 2002 hat man über die 50%-Idee nachgedacht: Die Zeit zwischen Produktfreigabe und Marktverfügbarkeit sollte um die Hälfte verkürzt werden. Das Ergebnis: Anlagen müssen modular aufgebaut werden, weil das Herstellern die Flexibilität gibt, schneller zu agieren und zu reagieren. Diese Gedanken, die in der Verfahrenstechnik ihre Ursprünge hatten, haben sich in der Automatisierungstechnik fortgesetzt und mündeten 2013 in der Namur Empfehlung NE 148. Sie beschreibt die Anforderungen, die für die Automatisierung modularer verfahrenstechnischer Anlagen existieren. Die NE 148 war darum die Grundlage, auf die Hersteller von Automatisierungslösungen reagieren müssen. Wago hat das mit der Methodik DIMA getan.

DIMA – dezentrale Intelligenz für modulare Anlagen

Zur Namur-Hauptsitzung 2014 hat Wago die neue Methodik für die modulare Automation erstmalig präsentiert. Sechs Anforderungen waren bei ihrer Entwicklung die wesentlichen Grundpfeiler:

1. Das intelligente Modul

Um die Vorteile der modularen Automation vollständig nutzen zu können, müssen Module eingesetzt werden, die eine eigene Integrität und eine eigene Automation besitzen. Zum einen, damit sie sich selbst vor Bedienverweisen schützen können. Zum zweiten, damit sie schnell in Betrieb genommen werden können und zum dritten, damit sie so unabhängig sind wie eben möglich.

2. Schnittstelle

Um keine Abhängigkeiten von Anbietern oder Herstellern zu schaffen, ist die DIMA-Methodik herstellerunabhängig und nutzt bestehende Standards.

3. Know-how-Schutz

In einer modularen Anlagen liefert der Modulhersteller das Modul, das in die übergeordnete Intelligenz des Anlagenbetreibers integriert werden muss. Damit der Modulhersteller das Know-how seines Modules schützen kann und der Anlagenbetreiber sein Wissen um sein Steuerungsrezept oder seine Prozedursteuerung, gibt es zwischen beiden Ebenen eine neutrale Schnittstelle.

4. Prozedursteuerung

Vorbild für die modulare, dezentrale Automation von verfahrenstechnischen Anlagen mittels DIMA ist die IT-Welt, in der Komponenten einfach integriert werden. Ein Drucker kann beispielsweise angeschlossen und genutzt werden, ohne dass sein Bediensystem programmiert werden muss. Ebenso einfach lassen sich Anlagenmodule mittels DIMA in die Anlagenarchitektur integrieren und in Betrieb nehmen.

5. Visualisierung

Wird eine Anlage aus dezentralen Modulen unterschiedlicher Hersteller aufgebaut, dann bringen die Module eine jeweils eigene Visualisierung mit. Der Anlagenbetreiber möchte allerdings keine kunterbunte Darstellung in der Leitebene, sondern ein einheitliches Look and Feel der Module. DIMA löst das mittels einer Datenbank, auf die während des Anlagenengineerings referenziert wird.

6. Sicherheit

Bei aller Herstellerunabhängigkeit und Offenheit ist die DIMA-Methodik maximal sicher gegenüber Zugriffen von Extern.

Auswirkungen auf die Anlagenstruktur

Klassische verfahrenstechnische Anlagen werden von einem Prozessleitsystem gesteuert, das Prozedursteuerung, HMI und Engineering integriert. Diese Architektur ist bekannt und wird auch in Zukunft ihre Berechtigung haben, beispielsweise in der Petrochemie. Im Gegensatz zu klassischen verfahrenstechnischen Anlagen bestehen teilmodularisierte verfahrenstechnische Anlagen häufig aus einer Restanlage und zusätzlichen, einzelnen Modulen. Remote-I/O-Systeme ersetzen in diesem Fall dicke Kabelstränge durch dünne Feldbusleitung. Während die verfahrenstechnische Architektur der Anlage bereits modularisiert ist, sind Kommunikations- und Automatisierungsarchitektur dieses Anlagenkonzepts noch zentral gelöst, sodass weiter von einer zentralen Intelligenz gesprochen werden muss. Beispiele für teilmodularisierte Anlagenarchitekturen finden wir bei Zentrifugen, Rührwerken, Abfüllanlagen, Temperierern oder Fermentern. Modulfunktionalität und Komplexität sind auf Basis dieser Struktur nicht gekapselt. Das bedeutet, dass sich der Anlagenprojektierer mit jedem einzelnen Ventil auseinandersetzen muss und durch diese Teilmodularisierung keine Erleichterung beim Engineering erfährt – allenfalls eine räumliche Optimierung.

Von einem echten Modul oder einer Package Unit, die ein eigenes Leben hat, kann dann gesprochen werden, wenn in das Anlagenmodul ein Steuermodul eingesetzt wird, das als dezentrale Intelligenz mit der Prozedursteuerung und dem HMI-System der Anlage kommuniziert. Hier liegt in der Regel bereits eine diensteorientierte Architektur vor: Im Modul werden Dienste hinterlegt, die von der Anlage aufgerufen werden. In diesem Fall ist die Herausforderung für den Anlagenprojektierer, gegen die proprietären Modulspezifikationen programmieren zu müssen. Das kann aufwendig und fehleranfällig sein.

Bei vollständig modularisierten Anlagenarchitekturen verfügt das Anlagenmodul hingegen über eine eigene Steuerung, Bedienung und ein eigenes Engineering, sodass sich die Aufgabe des Engineerings auf Anlagenhersteller und Modulhersteller verteilt und voneinander getrennt erfolgt. Das heißt, das Engineering erfolgt im Allgemeinen innerhalb unterschiedlicher Entwicklungsumgebungen, zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten. Das hat zur Konsequenz, dass die Integration des Moduls in die Anlage nicht mit Unterstützung des Modulherstellers erfolgen kann, sondern ohne Support möglich sein muss. In der Vergangenheit hat der Anlagenprojektierer eine extrem umfangreiche Modulspezifikation benötigt, um die Integration des Moduls in die Anlagen bewerkstelligen zu können. Häufig musste gegen die Spezifikation des Moduls programmiert werden, wenn die Kommunikation zum Modul fehlersicher aufgebaut, die Dienste des Moduls in das Anlagenengineering integriert und das Modul-HMI eingebettet wurden, damit der Betreiber aus der Anlage heraus sehen konnte, was im Modul passiert.

Modulintegration ohne Programmieraufwand

Diese Komplexität, Aufwendungen und vor allem die Fehleranfälligkeit im Rahmen des Engineerings deutlich zu reduzieren, ist die Idee, der DIMA folgt: DIMA kapselt die Komplexität und Funktionalität des Moduls und erspart dem Anlagenhersteller, sich mit diesen Themen auseinandersetzen zu müssen. Dazu wird das Modul durch ein Module Type Package (MTP) beschrieben – eine elektronische Beschreibung seiner sämtlichen Eigenschaften. In diesem MTP liegen bestimmte Informationen vor: Kommunikationsparameter, damit das Modul einfach angebunden werden kann, die Dienste, also die Beschreibung dessen, was das Modul verfahrenstechnisch leisten kann, die Informationen zum Bedienen und Beobachten, das heißt grafische Informationen und darüber hinaus: Statusinformationen, Diagnoseinformationen, Historieninformationen und Archivierungsinformationen. Alles, was benötigt wird, um das Modul zu beschreiben ist im MTP hinterlegt. Zum Engineering der Anlage wird dann lediglich das MTP in das Engineeringsystem geladen. Dort werden die Dienste ausgewählt, die das Modul zur Verfügung stellt und, die in die Schrittketten des Produktionsprozesses eingebaut werden sollen. Anschließend erfolgt die verfahrenstechnische Anbindung des Moduls, sodass Prozedursteuerung, HMI und Modul miteinander kommunizieren können.

Mit dem MTP befindet sich die Beschreibung aller Moduleigenschaften in einem definierten und offenen Format. Die Festlegung der Moduleigenschaften und der Dienste liegt in der Verantwortung des Modulherstellers. Dabei ist es nicht erforderlich, Modulherstellern einen standardisierten Dienstekatalog vorzugeben, weil das Modul dem Prozessleitsystem seine spezifischen Dienste anbietet. So unterschiedliche die Module und die Anforderungen an die Module sind, so sehr dürfen die Module unterschiedlicher Hersteller über unterschiedliche Dienste verfügen.

Integrationslevel, HMI-Engineering und Modultransparenz

Im Rahmen von DIMA sind Module und Dienste Oberbegriffe. Dienste können Prozeduren, Operationen oder Funktionen sein. Ob ein Dienst ein komplexes Zwischenprodukt in einem komplexen Modul erstellt oder ob ein Dienst zwei Ventile und eine Pumpe schaltet, liegt in der Verantwortung des Modulherstellers. Die Methodik macht keine Vorgaben über den Level der Integration oder über den sogenannten Modulschnitt, sondern unterstützt die Anlagenarchitekturen nach der IEC 61512 oder S88.

Jedes Modul, das es in eine Anlage zu integrieren gilt, bringt eine andere Darstellung seiner Dienste oder Parameter mit. Lädt man diese unterschiedlichen Darstellungen in das übergeordnete Leitsystem, resultiert daraus eine sehr uneinheitliche Darstellung. Das sieht unordentlich aus und wirkt sich kritisch auf die Bediensicherheit der Anlage aus, weil gleiche inhaltliche Informationen mit unterschiedlichen grafischen Informationen verbunden werden. Explizit in kritischen Situationen ist dadurch keine intuitive Bedienung mehr gegeben. Im Rahmen von DIMA erhalten die MTPs keinerlei grafischer Daten sondern lediglich die Information, dass etwas dargestellt werden muss – beispielsweise eine Temperatur. Diese Information wird in das Anlagen-Engineering geladen. Das Anlagen-Engineering wiederum verfügt über eine eigene Datenbank in der hinterlegt ist, wie Temperaturen dargestellt werden. Durch das Referenzieren auf Anlagendaten werden verschiedene Module einheitlich dargestellt und dadurch ein einheitliches Look and Feel erzeugt.

Durch die Wahl der gewünschten Diensteebene können alle Ansätze von Whitebox bis Blackbox realisiert werden: Beispielsweise könnte die Bedienung als Blackbox umgesetzt sein – also lediglich einen Start- und Stopp-Knopf – während die Visualisierung als Whitebox realisiert ist, sodass alle Daten und Parameter eingesehen werden können.

Individualisierung und Globalisierung – unumkehrbare Trends

DIMA ist eine Methodik, mit der die Wettbewerbsfähigkeit in der Prozessindustrie verbessert werden kann. Die Methodik erfüllt alle Anforderungen der modularen Automation auch jene, die in der NE 148 der Namur gefordert sind.

Zusammen mit der Helmut Schmidt Universität Hamburg und der Technischen Universität Dresden hat Wago die Methodik prototypisch umgesetzt und damit den Beweis angetreten, dass DIMA praktikabel ist. Und das, ohne einen weiteren proprietären Ansatz. DIMA nutzt bestehende Kommunikationsprotokolle, damit ist es nicht mehr zwingend erforderlich Normungs- oder Standardisierungsarbeit zu leisten. Es ist ausreichend, wenn sich die Hersteller der Automatisierungstechnik in einer sehr begrenzten Weise öffnen, ohne dabei eigenes Kern-Know-how zu verlieren. Das Thema dezentrale Intelligenz hat die NAMUR schon seit einigen Jahren beschäftigt. Um ihre Vorteile für die Anwender aber nutzbar zu machen, müssen die Anwender dieses Thema auch weiter vorantreiben. Um das möglich zu machen, hat Wago die DIMA-Technologie zur freien Verfügung gestellt.

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