Anlagenbau & Prozesstechnik

Prozessintensivierung in Spezialchemie und Pharmazie

Chancen und Herausforderungen für Mikrotechnik und Modularität

14.11.2016 -

Die Veränderung der Produktportfolios weg von Commodities hin zu kundenspezifischen Spezialitäten stellt die Prozessindustrie vor große Herausforderungen. Modularisierung und Mikroreaktionstechnik können hierfür den Weg in die Zukunft ebnen. CHEManager sprach mit Dr. Joachim Heck, Geschäftsführer von Ehrfeld Mikrotechnik, die seit 2004 zum Bayer Konzern gehört, über den aktuellen Stand der Prozessintensivierung durch Mikro- und Millireaktoren. Das Gespräch führte Dr. Volker Oestreich.

CHEManager: Herr Dr. Heck, was sind die wichtigsten wirtschaftlichen Gründe, weshalb sich Unternehmen z.B. der Feinchemie oder der Pharmaindustrie mit Modularisierung und Mikroreaktionstechnik beschäftigen sollten?

Dr. J. Heck: Spezialitäten sind an spezifische Anforderungen einiger weniger Kunden oder lokaler Märkte angepasst und die Produktionskapazitäten sind mit wenigen hundert bis einigen tausend Tonnen pro Jahr vergleichsweise klein. Hinzu kommt, dass die Produktlebenszyklen der Dynamik der jeweiligen Märkte folgen müssen, die oft nur wenige Jahre betragen. Deshalb spielen hohe Flexibilität, einfache Anpassbarkeit der Produktionskapazitäten sowie wettbewerbsfähige Investitionskosten eine außerordentliche Rolle. Um diesen Herausforderungen entgegenzutreten, wird seit einiger Zeit die Modularisierung von kontinuierlichen Produktionsprozessen als Lösungsansatz diskutiert wobei der Bereitstellung modularer Apparatekonzepte eine entscheidende Rolle zukommt.

CHEManager: Sie waren bei der Entwicklung der Mikroreaktionstechnik von Anfang an dabei. Können Sie einen kurzen persönlichen Abriss der Entwicklung dieser Technologie geben?

Dr. J. Heck: Mein beruflicher Weg mit der Technologieplattform Mikroreaktionstechnik begann 1995, als Prof. Wolfgang Ehrfeld, damals Leiter des Instituts für Mikrotechnik in Mainz, die Frage umtrieb: Wenn das Thema „Mikro“ in der Mikroelektronik zu enormen Leistungssteigerungen und Innovationen geführt hat, warum soll dies nicht auch im Bereich der Prozesstechnologien möglich sein? Er lud Vertreter der chemischen, pharmazeutischen und Automobilindustrie zu einem Industriekonsortium ein, um das Potential der Mikroreaktionstechnik für die Prozesstechnologie zu prüfen. Für die ausgewählte Beispielreaktion, die Andrussow Reaktion zur Blausäureherstellung in der Gasphase, konnten bei Verwendung von Mischern mit Mikrokanälen für die Rohstoffe signifikant größere Ausbeuten als mit etablierter Technik erzielt werden. Von diesem Tage an übernahm Ehrfeld den Staffelstab als Pionier für diese Technologieplattform. 

CHEManager: Welchen Weg hat die Mikroreaktionstechnik seit den ersten Anfängen genommen und wo liegen die Herausforderungen auf dem Weg zur Etablierung in den Prozesstechnologien?

Dr. J. Heck: 1997 fand die erste IMRET, die International Conference on Microreaction Technology Konferenz, in Frankfurt statt – die diesjährige Konferenz übrigens in Peking. Etwa zeitgleich begann in der Community Chemieingenieurwesen und Technische Chemie eine Welle zum Thema Prozessintensivierung mit der Mikroreaktionstechnologie als wichtigem Teilaspekt. Viele Firmen und Forschungsinstitute erkannten die enormen Chancen durch die Mikroreaktionstechnologie und die damit verbundene Prozessintensivierung.

CHEManager: Welche Verbesserungen und Optimierungspotenziale sind dies konkret?

Dr. J. Heck:  Mikroreaktionstechnik führt bei der Prozessführung zu einem Paradigmenwechsel von der Batchsynthese zu kontinuierlichen Prozessen und beim Design von Mikro- und Millireaktoren zu Kanaldimensionen mit signifikant verbesserten Oberflächen-Volumen-Verhältnissen und kürzeren Mischzeiten. Damit eröffnen sich neue Wege der Prozess- und Reaktionsführung. Für schnelle, stark exotherme Reaktionen ergeben sich z.B. interessante Verbesserungspotentiale für Produktqualität, Produktausbeute, Rohstoff- und Energiebedarf, Prozesssicherheit und damit für Herstellkosten und EBIT, und zwar mit attraktiven Kapitalrückflusszeiten.

CHEManager:  Wo liegen die besonderen verfahrenstechnischen Vorteile der Mikroreaktionstechnik?

Dr. J. Heck: Schnelle, explosionsartige und hochexotherme Reaktionen mit giftigen Substanzen erfordern in Mikro- und Millireaktoren um Größenordnungen kleinere Reaktorvolumina als in Batch-Reaktoren, die für solche Reaktionen nicht oder nur mit großem sicherheitstechnischen Aufwand nutzbar sind. Die verfahrenstechnischen Vorteile der Mikroreaktionstechnik sind das schnelle und gute Vermischen und die exzellenten Wärmeübertragungsleistungen. Diese ermöglichen höhere Selektivitäten und Ausbeuten und damit einen geringeren Rohstoffbedarf. Somit reduzieren sich auch der Anfall an Nebenprodukten und der Energiebedarf zu deren Abtrennung.

CHEManager:  Gab es industrielle Partner, die das Thema aufgegriffen und nach attraktiven Prozessanwendungen für die Umsetzung in die Produktion gesucht haben?

Dr. J. Heck: Ja; bereits 1997 wurde von Siemens Axiva ein kontinuierlicher Prozess zur Herstellung von Polyacrylaten entwickelt. Bis dato konnten diese Prozesse nicht kontinuierlich geführt werden, da nach relativ kurzen Zeiträumen eine Belegung der Reaktorwände mit Nebenprodukten auftrat, die bei Rohrreaktoren nach kürzester Zeit zum verblocken der Reaktionsrohre führte. Die Beseitigung des Auftretens dieser Beläge konnte durch den Einsatz von Mikromischern zum Vorvermischen von Monomer und Initiator erreicht werden. Damit konnte sichergestellt werden, dass die Vermischungsgeschwindigkeit der Rohstoffe größer war als die Reaktionsgeschwindigkeit, so dass die davon abhängige Nebenproduktbildung nicht mehr auftrat.

CHEManager:  Was ist aus dieser Aktivität geworden?

Dr. J. Heck: Im Nachgang zur Prozessentwicklung für Polyacrylate entwickelte Siemens im Jahr 2004 ein automatisiertes modulares Mikroprozesssystem für den Einsatz im Laborbereich mit Modulen für Dosierung, Vermischung, Wärmeübertragung, Verweilzeit u.a. Obwohl auch dieses System  sehr leistungsfähig war, war die Technologieplattform für Mikroreaktoren zu diesem Zeitpunkt nicht als Prozesstechnologie etabliert, so dass nur relativ wenige Firmen einen Testballon starteten. In Konsequenz war die Stückzahl der verkauften Systeme relativ klein, so dass Siemens bereits nach relativ kurzer Zeit das System wieder vom Markt nahm.

CHEManager:  Was ist heute der aktuelle Stand der Technologieplattform für Mikro- und Millireaktoren und wie sieht der Scale-up Prozess vom Labor bis zur Produktion aus?

Dr. J. Heck: Kanaldimensionen im Mikrometermaßstab sind nicht tauglich für den Einsatz in der Produktion, da diese zu anfällig für Verstopfungen sind, den Anforderungen eines Produktionsbetriebes an die Robustheit von Apparaten nicht genügen und nur relativ kleine Durchsätze ermöglichen. Für die Maßstabsübertragung in die Produktion ist deshalb ein Scale-up in den Millimetermaßstab notwendig, bei dem die Vorteile der Mikrotechnik hinsichtlich Wärmeübertragungsleistung und Vermischungsgeschwindigkeit erhalten bleiben. Ehrfeld Mikrotechnik hat dazu einen integrierten Scale-up Prozess eingeführt. Hierbei findet bereits im Labor der Übergang von Kanalgeometrien vom Mikrometer- auf den Millimetermassstab statt. Die  auf diese Weise im Labor ermittelten Umsätze, Ausbeuten, Prozessparameter und Produktqualitäten können unmittelbar auf die Verhältnisse in Produktionsreaktoren mit gleichen Kanalgeometrien übertragen werden. Der Scale-up Schritt im Pilotmaßstab entfällt, wenngleich natürlich nicht auf Pilotversuche mit realen Rohstoffqualitäten aus der Produktion zur Untersuchung von Fouling, Reinigungsverfahren und Standzeiten verzichtet werden kann. Das integrierte Scale-up Konzept führt damit sehr schnell zur Maßstabsübertragung in die Produktion.

CHEManager: Zögern die Anwender noch wegen des zu vollziehenden Paradigmenwechsels von etablierter Batchtechnologie zu einem Kontiprozess?

Dr. J. Heck: Ja, der Paradigmenwechsel ist spürbar, z.B. daran, dass in R&D Bereichen weiterhin überwiegend Batch Reaktoren für die Synthese neuer Moleküle zum Einsatz kommen oder die Infrastruktur und Logistik von Produktionsanlagen weiterhin überwiegend auf Batch-Prozesse ausgerichtet ist. Einige unserer Kunden testen die Technologieplattform bereits im Labor als Insellösung, wobei seit der Achema 2015 das Interesse von Entscheidern zur Implementierung der Technologieplattform für konkrete Reaktionen signifikant zugenommen hat. Relativ häufig stellen Kunden dabei die Frage nach Referenzbeispielen im Produktionsmaßstab. Davon gibt es heute leider nur wenige Beispiele von mittelständischen Unternehmen, die die Technologieplattform sehr erfolgreich nutzen.

CHEManager:  Was muss noch getan werden und wie weit ist Ehrfeld?

Dr. J. Heck: Um die Technologieplattform als Prozesstechnologie zu etablieren, ist Überzeugungsarbeit über sichtbare Referenzbeispiele im Produktionsmaßstab zu leisten. Ehrfeld versteht sich hier mit einem vollständigen Produktportfolio vom Labor bis zur Produktion aus metallischen Werkstoffen als Wegbereiter und Lotse für die Implementierung. Unser MMRS, ein modulares Mikroreaktionssystem ähnlich einem Lego Baukastensystem, ermöglicht den leichten Einstig im Labormaßstab.

Der  integrierte Scale-up Prozess  findet mit sogenannten Interface Modulen als Wegbereiter vom Labor- zum Produktionsreaktor statt. Diese verfügen über die gleichen Kanalgeometrien wie später der Produktionsapparat.

Die  Konzeption der Produktionsapparate ist an etablierte Apparatekonzepte angelehnt. Dazu gehören die Rohrbündelreaktoren Miprowa, deren Rohre durch Rechteckkanäle ersetzt sind und die besonders in Anwendungen der Spezialitätenchemie zum Einsatz kommen und die Plattenwärmeaustauscher mit den FlowPlate - und ART Reaktoren, die besonders für die Feinchemie und pharmazeutische Anwendungen geeignet sind. Auf Grundlage dieses Portfolios lotst Ehrfeld seine Kunden bei der Implementierung der Technologieplattform vom Labor bis zur Produktion, um die Erfahrungskurve möglichst schnell zu durchlaufen.

CHEManager:  Welche konkreten Anwendungen gibt es heute und was ist kurzfristig zu erwarten?

Dr. J. Heck: Im Jahre 2013 bekannte sich der CEO von GlaxoSmithKline, Andrew Wittey, in einer Pressemitteilung zur kontinuierlichen Prozessführung im Pharmabereich mit einer Kosteneinsparperspektive um ca. 50% und Einsatzmöglichkeiten bei bis zur Hälfte des Produktportfolios

Aus der Sicht von Ehrfeld  haben sich vier Segmente als besonders attraktiv  herauskristallisiert, erstens mehrstufige pharmazeutische Synthesen z.B. metallorganische Synthesen von Wirkstoffen, zweitens explosionsartige Reaktionen wie z. B. Peroxide, drittens sehr schnelle stark exotherme Reaktionen wie z.B. Alkoxylierungen/Ethoxylierungen oder Sulfonierungen und viertens Fällungsreaktionen sowie Emulgier- oder Mischaufgaben.

CHEManager:  Weshalb und bis wann wird sich nach Ihrer Meinung die neue Technologieplattform in großem Stil durchsetzen?

Dr. J. Heck: Das Interesse an der Technologieplattform Mikro- und Millireaktoren hat spürbar Fahrt aufgenommen, was sich an einer deutlichen Zunahme konkreter Implementierungsprojekte zeigt. Der Durchbruch der Technologieplattform erfordert sichtbare Referenzprojekte in der Produktion, die in Kürze vorhanden sein werden. Augenblicklich befindet sich die Technologieplattform in der Startphase auf der Runway kurz vor dem Abheben und der Etablierung als Prozesstechnologie.

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