Anlagenbau & Prozesstechnik

Scientific Automation

Integration ingenieurwissenschaftlicher Erkenntnisse in die Automatisierungssoftware

22.02.2013 -

Mit Scientific Automation zu mehr Erfolg: Was für Anwender in der Prozessautomatisierung in Zukunft in verstärktem Maße gelten soll, trifft für das Unternehmen Beckhoff Automation heute schon zu. Dynamisch wie kaum eine andere Firma hat sich der Hersteller offener Automatisierungssysteme auf der Grundlage PC-basierter Steuerungstechnik in den letzten Jahren entwickelt. Mit seiner „Scientific Automation" will Beckhoff die Integration ingenieurwissenschaftlicher Erkenntnisse in die Automatisierungssoftware forcieren. CHEManager sprach mit Hans Beckhoff, dem geschäftsführenden Gesellschafter von Beckhoff Automation, über Trends in der Automatisierungstechnik sowie Perspektiven und Zukunftspläne des Unternehmens. Das Gespräch führte Dr. Volker Oestreich.

CHEManager: Der Club of Rome hat vor 40 Jahren die Grenzen des Wachstums postuliert. Für Ihr Unternehmen scheint es diese Grenzen nicht zu geben: Beckhoff Automation hat in den letzten zehn Jahren den Umsatz von 80 Millionen Euro auf 465 Millionen Euro im Jahr 2011 gesteigert. Was ist das Geheimnis Ihres Erfolgs?

Hans Beckhoff: Der Kern unseres Erfolgs sind unsere technologischen Entwicklungen, mit denen wir mehrfach Meilensteine in der Automatisierungstechnik gesetzt haben: 1986 haben wir die PC-Control-Idee, also die softwarebasierte Steuerungstechnik, auf der Grundlage von IT-Hardware und IT-Betriebssystem auf den Markt gebracht. 1990 haben wir unsere ersten eigenen All-in-One-PC-Motherboards entwickelt.

1995 folgte die Einführung der Busklemme; das war damals eine Revolution, die praktisch vom kompletten Wettbewerb „nachempfunden" worden ist. 1996 kam mit TwinCAT unsere erste Echtzeit-Softwarelösung unter Windows und 2003 haben wir EtherCAT, das Echtzeit-Ethernet-System, in den Markt eingeführt. Alle unsere Meilensteine fügen sich harmonisch zu einem Ganzen: Die PC-Control-Architektur, also softwarebasierte Steuerungstechnik, die die Konvergenz zwischen IT-Technologie und Automatisierungstechnologie aufnimmt. Das ist das, was unsere Kunden wollen und warum wir in aller Welt - und für sehr unterschiedliche Anwendungszwecke - fast immer vom Kunden ausgesucht werden und nicht umgekehrt.

Der zweite Punkt ist, dass wir im Investitionsgütergeschäft arbeiten, das sich durch Langfristigkeit auszeichnet. Hier spielen, neben der Technologie, auch Vertrauen und die gute Kunden-Lieferanten-Beziehung eine große Rolle. Darauf sind wir ganz stolz, dass wir faktisch keine Kunden verlieren. Die Kunden, die wir vor zwanzig oder dreißig Jahren gewonnen haben, sind fast ausnahmslos immer noch unsere Kunden, und das mag darauf hindeuten, dass die Performance von Beckhoff, bestehend aus Technologie, Preiswürdigkeit, Service am Kunden und Problemlösungskapazitäten, so gut ist, um Kunden über Generationen von Ingenieuren und Generationen von Projekten an uns zu binden. Das ist für mich ganz wesentlich: Neben aller Technologie geht es in der Automatisierungstechnik immer auch um das Vertrauen in den technologischen Partner.

Der dritte, wesentliche Punkt ist sicherlich der Vertrieb. Wir sind als Technologieunternehmen gestartet, haben aber relativ früh gemerkt, dass man genauso viel in den Vertrieb investieren muss, wie man in neue Produkte investiert. Und so haben wir einen weltweiten Vertrieb aufgebaut. Das ist eigentlich typisch für den deutschen Mittelstand: Man hat eine starke, lokale Basis, wir z. B. sind hier in Westfalen gut aufgestellt, aber jeder vierte Mitarbeiter arbeitet bereits außerhalb Deutschlands für Beckhoff. Es ist diese Kombination aus Technologie, Vertrauensverhältnis zu unseren Kunden und Internationalität, die uns erfolgreich hat werden lassen.

Stellen Sie aktuell eine Zurückhaltung Ihrer Kunden bei Investitionen fest oder läuft Ihr Geschäft unbeeinflusst von Stagnations-Befürchtungen weiter?

Hans Beckhoff: Wir sind recht zufrieden mit der derzeitigen Entwicklung. Wir hatten ja nach der Krise von 2009 einen absoluten Boom in den Jahren 2010 und 2011, der dann eine kleine Korrektur durch Lieferengpässe von elektronischen Bauelementen am Weltmarkt erfahren hat. Die Entwicklung der letzten Monate lässt mich, sowohl in Bezug auf den Auftragseingang als auch auf den Umsatz, ganz vertrauensvoll in die Zukunft schauen.

Wenn man es noch weiter aufschlüsseln will, kann man sagen, dass der US-amerikanische Markt gut läuft. Das gleiche gilt für Deutschland und Italien; Spanien hat sich ein bisschen gefangen, und die Lage in den nordeuropäischen Ländern ist akzeptabel. Unsere Umsatzentwicklung in China ist prinzipiell positiv, allerdings gibt es einen Rückgang im Bereich der alternativen Energien, der bei Beckhoff ja ein sehr ausgeprägter Bereich ist. Aus diesem Grund werden wir für 2012 kein Wachstum vermelden können, aber wenn man diesen „Windeffekt" - also den Markt der alternativen Energien - rausrechnet, sind wir mit der Welt zufrieden.

Welchen Anteil Ihres Umsatzes erzielen Sie in der Prozessautomation und in welchen Branchen sind Sie dort besonders gut vertreten?

Hans Beckhoff: Die Prozentzahlen sind noch klein, da unser Unternehmen mit dem Schwerpunkt diskrete Automatisierung groß geworden ist. Zu unserer Freude haben wir zunehmend überall auf der Welt Prozessautomatisierungskunden, die unsere Systeme und Komponenten einsetzen. Die Applikationen sind sehr vielfältig und reichen von der Ausrüstung von Ölplattformen bis hin zur Automatisierung von Wasseraufbereitungsanlagen. Es gibt eine Vielzahl weiterer prozessnaher Projekte, so dass wir ungefähr zwischen fünf und zehn Prozent unseres Umsatzes in diesem Bereich generieren.

Wenn wir über den Zeitraum der letzten 20 Jahre - seit dieser Zeit gibt es auch den CHEManager - die Trends in der Automatisierung verfolgen: Was prägte die Automation vor 20 Jahren, was sind die Highlights der heutigen Zeit, und was wird in 20 Jahren sein?

Hans Beckhoff: Die Automatisierung mit Industrie-PCs hat sich in den letzten 20 Jahren drastisch gewandelt. Die Leistungsfähigkeit der Rechner ist mindestens um den Faktor 100 gewachsen, und auch die Softwaremöglichkeiten sind im Vergleich zu damals enorm gestiegen. Diese Entwicklung bei Hard- und Software wird weitergehen: CPUs mit einer Vielzahl von Kernen werden die 100fache Rechenleistung heutiger PCs ermöglichen. E/A-Systeme mit GBaud-Ethernet werden selbstverständlich, genauso wie sich der Einsatz von Industrie-PCs von einer sehr reservierten Beurteilung vor 20 Jahren heute zu einer Selbstverständlichkeit gewandelt hat.

All dies wird die Basis für die Realisierung neuer Technologien sein, die Phantasie und Entwicklergeist herausfordern werden. Ich kann mir z. B. vorstellen, dass Online-Modellrechnung zur Hydrodynamik in Ventilen und Rohrleitungen Standard in der Steuerungstechnik wird. PC-Control bringt die leistungsfähigsten Rechnerplattformen direkt ins Feld und ermöglicht so die Implementation auch sehr rechenintensiver wissenschaftlicher Algorithmen.

Themen wie XFC, also eXtreme Fast Control, Scientifc Automation oder Ihr schnelles ethernetbasiertes Kommunikationssystem EtherCAT machen im Maschinenbau oder der Automobilindustrie Furore. Was hat der Markt der Prozessautomation davon?

Hans Beckhoff: Viel! Natürlich sind viele unserer Technologien für den Maschinenbau entwickelt worden, aber sie eignen sich eben auch hervorragend für andere Einsatzgebiete. Wir beobachten eine Konvergenz von Technologien. Das heißt, Bereiche, die früher getrennt entwickelt worden sind - die historisch auch getrennt entwickelt werden mussten, weil im Rahmen der hardwarebasierten Steuerungstechnik eben immer spezielle Ausprägung für die jeweiligen Anwendungsgebiete benötigt wurden - wachsen bei der softwarebasierten Steuerungstechnik zusammen. In unserem Fall ist TwinCAT die allgemeine Echtzeitplattform, um steuerungstechnische Aufgaben in Echtzeit zu erledigen.

Echtzeit kann im Maschinenbau im Submillisekundenbereich liegen. Echtzeit heißt aber auch zehn oder fünfzig Millisekunden oder auch eben eine Sekunde. Wichtig ist die deterministische Abarbeitung, und damit ist TwinCAT eine gute Lösung für Prozesssteuerungen. Darüber hinaus ist TwinCAT auch die Basis für Scientific Automation, wozu auch Messtechnik-Lösungen gehören mit den entsprechenden Softwarelibraries, die wir für die Messtechnik zur Verfügung stellen. All das kann auf allgemeinen IT-Plattformen zum Einsatz gebracht werden.

Bei XFC, der eXtreme Fast Control Technology, hatten wir natürlich zunächst den Maschinenbaukunden im Auge mit Echtzeitanforderungen im Submillisekundenbereich. Aber wir haben, im Zusammenhang mit EtherCAT, auch die Distributed-Clocks eingeführt, die es erlauben, einzelne Ereignisse mit hundert Nanosekunden Genauigkeit zu identifizieren und mit Zeitstempeln zu versehen. Das ist auch in der Prozesstechnologie spannend, beispielsweise beim Alarmmanagement, um den primären Alarm von Folgealarmen zu unterscheiden.

Mit EtherCAT haben wir ein superschnelles, deterministisches Kommunikationssystem, mit dem man aber auch eine große Anzahl dezentraler Datenpunkte, die geographisch im Feld verteilt - also physikalisch voneinander getrennt - sind, effektiv einsammeln kann. Damit eignet sich EtherCAT aus unserer Sicht hervorragend für die Prozessindustrie.

Sind die so genannten „hybriden" Anwendungen, insbesondere bei der Verpackungstechnik im Pharma- und Food-Bereich, von besonderem Interesse für Ihr Unternehmen?

Hans Beckhoff: Ja, natürlich. Für diese Anwendungsbereiche haben wir schon eine Reihe von Produkten entwickelt, wie zum Beispiel die Edelstahl-Industrie-PCs, Edelstahl-I/O-Box-Module und Edelstahl-Motoren für IP-67-Anwendungen, die in prozessnahen Bereichen oder direkt in der Prozessindustrie einsetzbar sind. Auch unser hochdynamisches, lineares eXtended Transport System XTS eignet sich hervorragend für Verpackungsanwendungen im Lebensmittel- und Pharmabereich.

Sie sagen, dass die offenen Automatisierungslösungen von Beckhoff alle gängigen Kommunikationsstandards zur Anbindung der Prozess- und Feldebene einschließen. Gilt das auch für Profibus PA und Foundation Fieldbus?

Hans Beckhoff: Beide Kommunikationssysteme stehen bei uns auf der Roadmap, aber wir haben bisher noch nicht die Marktnotwendigkeit gesehen, um die Entwicklung konkret voranzutreiben. Ich denke mal wieder positiv: In zwei Jahren werden wir diese Protokolle unterstützen und auch die zugehörigen Buskoppler in unserem Produktportfolio haben.

Lassen Sie mich auf den Club of Rome zurückkommen: Was bedeutet Ihnen persönlich der Begriff „Nachhaltigkeit"?

Hans Beckhoff: Nachhaltigkeit ist kein Selbstzweck. Ich setze diesen Begriff immer in Verbindung mit den Begriffen Wohlstand und Frieden. Es geht ja um Menschen auf diesem Planeten und deren Bedürfnis, in Wohlstand und Frieden leben zu wollen. In diesem Bemühen stoßen wir an die Grenzen dessen, was dieser Planet an Ressourcen bereithält. Heute leben sieben Milliarden Menschen, im Jahre 2030 werden es, so die Voraussagen, 8,3 Milliarden sein. Von diesen heute sieben Milliarden Menschen leben ungefähr eine Milliarde auf westlichem Niveau - also einem hohen Einkommenslevel, eine Milliarde Menschen leiden Hunger; und die fünf Milliarden dazwischen kann man als „Mittelstand" mit mittlerem bis niedrigem Einkommen bezeichnen.

Meine Prognose lautet, dass sich im Jahre 2030 die Zahl der Menschen, die auf westlichem Niveau leben, mindestens verdoppelt haben wird. Die Menschen in den Emerging Countries streben nach Wohlstand - nicht nur für ihre Enkel, sondern für sich selber: Sie wollen Auto fahren, sie wollen sauberes Wasser, eine größere Wohnung, und sie wollen in den Urlaub fahren. Die mittelfristige Aufgabenstellung für die Menschheit besteht also darin, es zu ermöglichen, dass in zwanzig Jahren doppelt oder dreimal so viele Menschen auf westlichem Niveau leben können. Das ist - aus meiner Sicht - hoffentlich eine technisch lösbare Aufgabe. Nehmen wir einmal an, wir können noch 50 % mehr Rohstoffe gewinnen, dann bliebe immer noch eine Erhöhung um den Faktor zwei bei den Produkten und Herstellungsprinzipien. Hier spielt die Automatisierung eine wichtige Rolle, sowohl in der Fertigung von Produkten als auch im Prozessbereich und natürlich auch in der Herstellung von verschiedenen Vormaterialien.

Hier sind die Ingenieure aufgerufen, sich in den nächsten zwanzig Jahren Lösungen auszudenken. Wenn wir keine technischen Lösungen finden, dann müssen die Politiker den Wohlstand verteilen, oder den Mangel verwalten, je nachdem, wie man das sehen will. Das werden sie nicht schaffen. Das wird zu Auseinandersetzungen führen, und in der Folge wäre das sowohl das Ende unseres Wohlstandes als auch des Weltfriedens. Das ist für mich ein ganz zentraler Gedanke, den ich auch an meine Mitarbeiter weitergebe, dass wir eine gesellschaftliche Aufgabe haben. Wir sind Teil der technischen Intelligenz, die dafür sorgen muss, dass wir mit den begrenzten Ressourcen auskommen können - ohne Wohlstandsverlust. Und das ist nur möglich, wenn wir effektiver, ressourcenschonender, energieschonender - und zwar im großen Umfang - produzieren, so dass die Menschheit bzw. ein viel größerer Teil der Menschheit als heute, sich den Wohlstand leisten kann, den wir in der westlichen Welt gewohnt sind. Ich bin optimistisch, dass das möglich ist. Die Vergangenheit hat immer wieder gezeigt, dass man große Fortschritte machen kann, und da ist noch kein Ende in Sicht.

Zum Abschluss: Was ist der wichtigste Grund für einen Prozessautomatisierer, den Beckhoff-Stand auf der Hannover Messe zu besuchen?

Hans Beckhoff: Ich lade die Prozessautomatisierer ein, sich mit der Beckhoff-Steuerungsphilosophie vertraut zu machen, PC-Control kennen zu lernen und dann natürlich unsere speziellen Komponenten anzuschauen, die besonders für den Prozessmarkt entwickelt wurden. Aufgrund der Konvergenz der verschiedenen Technologien werden die Prozessautomatisierer auf dem Beckhoff-Messestand viele für sie verwendbare Produkte finden.