Anlagenbau & Prozesstechnik

Sicherheit im Fokus

NAMUR Hauptversammlung setzt Schwerpunkt auf „Safety“

22.10.2010 -

Die Sicherheit von Anlagen muss bei Planung und Betrieb immer an erster Stelle stehen. Einen großen Beitrag leistet dabei die Automatisierung. Grund genug für die NAMUR, „Funktionale Sicherheit" als Schwerpunktthema der diesjährigen Hauptsitzung zu wählen, die am 11. und 12.11.2010 in Bad Neuenahr stattfinden wird. Dr. Volker Oestreich befragte den Vorstandsvorsitzenden der NAMUR, Dr. Norbert Kuschnerus, zu aktuellen Themen der Automatisierungstechnik.

CHEManager: Die NAMUR ist vor über 60 Jahren als „Normenarbeitsgemeinschaft für Mess- und Regeltechnik der Chemischen Industrie" gegründet worden. Was waren die Meilensteine auf dem Weg zur heutigen NAMUR als Interessengemeinschaft Automatisierungstechnik der Prozessindustrie?

Dr. N. Kuschnerus: Es gab viele herausragende Ereignisse in den über 60 Jahren, in denen die NAMUR für Interessen der Anwender von Automatisierungstechnik in der Prozessindustrie gearbeitet hat. Lassen Sie mich einige wenige herausgreifen. Im Jahr 1967 wurde mit dem NAMUR Arbeitsblatt „NA 1" zu kontaktlosen Initiatoren die erste Spezifikation aus der NAMUR veröffentlicht. Auch wenn dies unspektakulär klingt: Damit wurde die NAMUR von einer Plattform für den Erfahrungsaustausch unter Mitgliedern zu einem Verband, der aktiv die technische Entwicklung mitgestaltet.
Ein weiterer wichtiger Meilenstein war die Öffnung zu Dienstleistern der Automatisierungstechnik. War die Mitgliedschaft ursprünglich beschränkt auf die Fachbereiche der Anwenderunternehmen, so erzwang die Umstrukturierung vieler Chemieunternehmen in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, dass die NAMUR bereit war, auch solche Dienstleister aufzunehmen, was zusätzlich zu den ausgegliederten Firmen einen spürbaren Zustrom von neuen Mitgliedern mit automatisierungstechnischer Expertise zur Folge hatte.
Ein dritter Meilenstein ist die in den letzten Jahren vollzogene Internationalisierung und Öffnung für alle Branchen der Prozessindustrie. Die Wahrnehmung der Positionen der NAMUR in internationalen Gremien und der damit verbundenen Einfluss auf Entwicklungen ist deutlich gestiegen.

Mit ihrer jährlichen Hauptsitzung steht die NAMUR besonders im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Was sind die besonderen Themen der diesjährigen Versammlung, die am 11. und 12. November 2010 in Bad Neuenahr stattfinden wird?

Dr. N. Kuschnerus: Für dieses Jahr haben wir uns mit „Funktionaler Sicherheit" ein Thema vorgenommen, das von essentieller Bedeutung für unsere Mitgliedsfirmen ist. Wir beleuchten intensiv den Beitrag der Automatisierungstechnik zur Sicherheit der verfahrentechnischen Anlagen.
Ein weiteres Thema, das uns sehr wichtig ist, ist die Förderung unseres Nachwuchses. Erstmals ermöglichen wir in diesem Jahr Studenten die Teilnahme an der Hauptsitzung. Zusätzlich vergeben wir wie in jedem Jahr Preise für die besten Abschlussarbeiten auf dem Gebiet der Prozessführung.

Durch die zunehmende Vernetzung in der Automatisierungstechnik eröffnen sich neue Möglichkeiten für die Optimierung der Prozesse, es ergeben sich aber auch neue Risiken durch Bedrohungen aus dem Netz. Lange hat man die Themen Safety, also Funktionale Sicherheit, und Cyber Security getrennt betrachtet. Heute weiß man, dass Safety ohne Security nicht funktioniert. Was ist der Beitrag der NAMUR zu diesem Themenkomplex?

Dr. N. Kuschnerus: Es macht durchaus Sinn, Safety und Security zunächst einmal gedanklich voneinander zu trennen. Es sind zwei unterschiedliche Themen, die zu Recht mit unterschiedlichen Begriffen belegt sind. Sie haben aber Recht, in der Praxis gibt es Safety ohne Security nicht. Wenn man in der Sicherheitstechnik programmierbare Systeme einsetzt - und das tun wir - dann muss man sich auch mit den Risiken beschäftigen, denen solche Systeme ausgesetzt sind. Die NAMUR engagiert sich schon mehrere Jahre auf dem Gebiet der IT-Sicherheit für Systeme der Automatisierungstechnik. Bereits 2006 haben wir ein Arbeitsblatt veröffentlicht, in dem die Anforderungen an Lösungen zur IT-Sicherheit für Automatisierungstechnik klar beschrieben sind. Der zuständige Arbeitskreis der NAMUR hat maßgeblich an der Erarbeitung der kürzlich erschienenen VDI Richtlinie 2182 mitgearbeitet, die einen ganzheitlichen Lösungsansatz für dieses Problem beschreibt.

Aktuell ist das Thema Cyber-Security durch den Computer-Wurm Stuxnet, der speziell für Attacken auf Automatisierungseinrichtungen entwickelt wurde, in der Öffentlichkeit besonders präsent. Halten Sie es für möglich, dass auch Chemieanlagen durch gezielte terroristische Aktivitäten bedroht werden können?

Dr. N. Kuschnerus:
Es ist verständlich, dass in der Öffentlichkeit solche Fragen gestellt werden. Um eine belastbare Antwort darauf geben zu können, muss man sich etwas eingehender mit dem Aufbau unserer Systeme der Automatisierungstechnik beschäftigen. Zwei Komponenten der Automatisierungslösung spielen hier eine Rolle: Das Leitsystem, das für den Betrieb der Anlage zuständig ist, in dem die Regelungen laufen, das die Abläufe in der Anlage steuert und die Bedienoberfläche der Anlage bereitstellt. Die zweite Komponente ist das Sicherheitssystem, das potentiell gefahrbringende Zustände der Anlagen beherrschen soll. Dieses Sicherheitssystem ist so ausgelegt, dass es unter anderem auf jede denkbare Fehlfunktion des Leitsystems geeignet reagieren kann.
Und jetzt kommt der wichtige Punkt: Leitsystem und Sicherheitssystem sind grundsätzlich getrennt voneinander aufgebaut. Ein vollständiger Ausfall eines Systems führt noch nicht zu einem gefährlichen Zustand der Anlage. Zudem erschweren viele der Mechanismen, die in Sicherheitssystemen zur Sicherstellung der sicherheitsbezogenen Verfügbarkeit implementiert wurden, die „feindliche Übernahme" und Manipulation außerordentlich.
Wir halten die Maßnahmen, die in der Chemischen Industrie gegen Cyber-Attacken getroffen wurden, für sehr wirkungsvoll und ausreichend.

Die Förderung qualifizierten Nachwuchses für die Automatisierung in der Verfahrenstechnik ist der NAMUR und besonders auch Ihnen offensichtlich persönlich ein besonderes Anliegen. Wie lässt sich der Ingenieurbedarf der nächsten Jahre und Jahrzehnte decken?

Dr. N. Kuschnerus:
Die Förderung unseres Nachwuchses liegt mir sehr am Herzen. Wir versuchen durch verschiedene Maßnahmen, teilweise auch gemeinsam mit anderen Verbänden, die Jugend für Automatisierung von Industrieanlagen speziell der Prozessindustrie zu begeistern.
Deutschland ist ein attraktives Land für Arbeitnehmer, deswegen können wir zumindest zurzeit noch darauf setzen, dass Bewerber aus dem Ausland uns über einen Fachkräftemangel hinweghelfen.

Sehen Sie Themen wie „Green Production" und „Green Logistics" eher als Bedrohung oder als Chance für die Mitgliedsfirmen der NAMUR an?

Dr. N. Kuschnerus: Das ist selbstverständlich keine Bedrohung für die Mitgliedsfirmen der NAMUR, sondern eine große Chance, die Produktions- und Logistikprozesse systematisch zu analysieren und hinsichtlich ihres „Climate Footprints" deutlich zu verbessern. Die Chemische Industrie in Deutschland bemüht sich seit Jahrzehnten um eine nachhaltige und damit Umwelt und Ressourcen schonende Produktion. Da ein CO2-Ausstoß im Wesentlichen mit Energie- und Rohstoffeinsatz zusammenhängt, führt eine Reduzierung fast immer auch zur niedrigeren Herstellkosten. Alleine deswegen kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Mitgliedsunternehmen der NAMUR sich diese Chance entgehen lässt.

Sie haben das Thema „Internationalisierung" schon angesprochen: Im vergangenen Jahr fand die erste NAMUR-Konferenz in China statt. Was erwarten Sie von der zweiten Konferenz am 18. und 19. November 2010 in Shanghai?

Dr. N. Kuschnerus: Unsere Aktivitäten in China entwickeln sich außerordentlich erfreulich. In der Zeit seit der letzten Konferenz in Shanghai, mit der wir im Jahr 2009 unser Engagement gestartet haben, wurden bereits sieben Arbeitskreise in China gegründet, in denen der Erfahrungsaustausch unter den Mitgliedern gepflegt wird. Ich erwarte, dass die zweite NAMUR-Konferenz in China nicht nur wie die letzte eine interessante Veranstaltung wird, sondern zusätzlich einen wichtigen Beitrag leistet, dass die Mitarbeiter unserer Mitgliedsfirmen in China Entwicklungen in der Automatisierungstechnik nicht verpassen.

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