Anlagenbau & Prozesstechnik

Anlagenbau: Intelligentes Wissensmanagement im Trend

13.11.2011 -

Anlagenbau: Intelligentes Wissensmanagement im Trend

Der deutsche Anlagenbau befindet sich im Wandel. Wo früher große Anbieter weitestgehend das Sagen hatten, bestimmen heute verstärkt die Kunden, welche Projektteile mit welchen Geschäftspartnern realisiert werden. Wie aber lässt sich das Wissen zwischen gleichwertigen Partnern verteilen, jederzeit abrufen oder für spätere Projekte sichern? Ein intelligentes Wissensmanagement ist deshalb unumgänglich.

Der Kunde ist König. Dieser, in den meisten Dienstleistungsbereichen längst allgegenwärtige Grundgedanke, galt lange Zeit kaum beim deutschen Großanlagenbau. Hier bestimmte mehr oder weniger eine Hand voll großer Unternehmen mit ihrem Wissen und mit ihrer Technologie den Markt. Konkurrenz durch internationales Know-how spielte in Deutschland fast keine Rolle - ebenso wie die dringende Notwendigkeit, dieses Wissen effizient zu managen. Diese Zeiten sind nun aber vorbei.

Heute ist die Branche deutlich kundenorientierter und internationaler geprägt. So haben sich beispielsweise die Lieferzeiten in den letzten 15 Jahren halbiert und Einsparpotenziale werden maximal ausgereizt. Der Trend geht klar in Richtung Mehrprodukt- und Individualanlagen sowie zur Verlagerung von Arbeiten in Niedriglohnländer. Nur Tätigkeiten, die umfangreiches Fach-Knowhow erfordern, sind vor diesen Abwanderungstendenzen (noch) weitgehend sicher.

Gleichzeitig gehen die Entwicklungszeiten für Produkte, die Bauzeiten der Anlagen und die Rücklaufzeiten für Investitionen immer mehr zurück. Gerade im Anlagenbau mit seinen komplexen Dienstleistungen ist es für ein Unternehmen daher heute von besonderer Bedeutung, Wissen nicht nur zu erlangen, sondern es auch zu erhalten und zu dokumentieren.

Nur die Hälfte des Know-hows wird genutzt

Bereits vor sechs Jahren sahen 63 % der Befragten in einer Studie über das Wissensmanagement im deutschen Großanlagenbau eine starke, zunehmende Wissensintensität in ihrem Bereich. Gleichzeitig schätzten rund 50 %, dass nur etwa die Hälfte des Wissens derzeit tatsächlich genutzt wird.

Auf den von vielen Unternehmen ins Leben gerufenen Foren, Informationsplattformen oder Datenbanken wird zwar immer wieder ausdrücklich der Wunsch bezeugt, Wissen zu sichern, der Nachteil dabei ist jedoch, dass sich der Nutzer zunächst durch eine Flut von Informationen kämpfen muss, um die von ihm gesuchten Daten auch zu finden. Eine zeitaufwändige und vor allem nicht immer erfolgreiche Angelegenheit.

In der Konsequenz ist auch die Akzeptanz solcher Datenpools häufig recht gering. Wie lange Unternehmen für die Suche, den Erwerb und die Dokumentation von Wissen benötigen, wird daher zukünftig immer mehr zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Hinzu kommt, dass immer mehr Aufträge in Netzwerken gleich mit mehreren Dienstleistern abgewickelt werden, die nicht mehr der Generalplaner, sondern der Kunde selbst unter zumeist rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten auswählt.

Entscheidend für die Akzeptanz eines unternehmensweiten Wissensmanagements ist daher die Gewährleistung, alle benötigten Informationen schnell und umfassend bereitzustellen, und zwar genau dann, wenn sie der Mitarbeiter bei seiner Arbeit braucht.

Schlüsselfaktor prozessorientiertes Wissensmanagement

Eigens dafür wurde das Projekt „Wissensmanagement in virtuellen Unternehmen“ (WivU) entwickelt. Die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie geförderte und von mehreren Forschungsinstituten und Unternehmen (siehe Kasten) durchgeführte Studie, entwickelte dabei ein ganz neues Konzept. „Im Gegensatz zu vielen anderen Ansätzen zur Einführung eines Wissensmanagements, gehen die Mitglieder des WivU-Projekts davon aus, dass Mitarbeiter ihre Aufgaben normalerweise innerhalb definierter Geschäftsprozesse ausführen“, erklärt Werner Kohnert, Projektträger im DLR während seiner Eröffnungsrede an der WivU-Abschlussveranstaltung in Hürth.

„Was liegt daher näher, als Wissen zielgerichtet jeweils im Laufe des Geschäftsprozesses anzubieten beziehungsweise die Möglichkeit zu schaffen, Wissen in eine Datenbank einzugeben und es damit anderen zur Verfügung zu stellen“, so Kohnert weiter. Als Mitglieder des Projektteams entwickelten die Systemhäuser Procom und Ebcot eine Wissensplattform, mit der jeder Mitarbeiter seine Informationen während der Bearbeitung seiner Aufgaben an jedem beliebigen Arbeitsschritt hinterlegen kann.

Der fach- bzw. prozessbezogene Zusammenhang ergibt sich damit automatisch, Schlagworte oder Kategorien werden gleichzeitig überflüssig. Außerdem stehen diese Informationen sofort allen Mitarbeitern zur Verfügung, die diesen Arbeitsschritt später einmal erledigen.

Herausforderung des modernen Anlagenbaus meistern

Vor der Programmierung der notwendigen Software zum prozessorientierten Wissensmanagement (Pro-Wim) waren jedoch umfangreiche Vorarbeiten zu leisten. So musste eine einheitliche Wissenssprache und Systematik geschaffen werden. Das übernahm das Forschungsinstitut für Rationalisierung an der RWTH Aachen. Während der dreijährigen Projektdauer betrachteten die beteiligten Unternehmen zunächst die für die Planung und den Bau einer verfahrenstechnischen Anlage notwendigen Prozesse beim Chemieparkbetreiber und Anlagenbauer InfraServ Knapsack.

Da heute fast keine Serienanlagen mehr gebaut werden, ändern sich mit jedem Auftrag auch die Rahmenbedingungen, wie Technik, Standards, Projektpartner oder die Standortbedingungen. Außerdem ist aufgrund der hohen Komplexität im Anlagenbau das Wissen in den einzelnen Unternehmen breit verteilt und in einer Vielzahl von Varianten abrufbar.

Nicht wenige Anlagenbauer bilden dynamische Netzwerke mit wechselnden Geschäftspartnern, oft ungleicher technischer Ausstattung und unterschiedlicher Offenheit beim Umgang mit ihrem Wissen. Denn in Deutschland ist es immer noch Teil des Selbstverständnisses, von Mitarbeitern und Unternehmen so wenig Wissen wie möglich mit anderen zu teilen. Innerhalb des WivUProjektes wurde jedoch die Erfahrung gemacht, dass sich auch hier eine konstruktive Zusammenarbeit durchaus lohnt.

Über zahlreiche Interviews haben die Projektmitglieder schließlich eine Vielzahl von Daten ermittelt und konnten so genau beschreiben, welche Aufgaben von welchem Mitarbeiter zu einem bestimmten Zeitpunkt im Prozess und mit welchen Hilfsmitteln erledigt werden sollen. Diese unterschiedlichen Informationen übersetzt Pro-Wim in ausführbare Workflows, die den Mitarbeiter bei der Erledigung seiner Aufgaben Schritt für Schritt unterstützen. Nutzer des Systems erhalten aber nicht nur Informationen zur Ausführung der jeweiligen Arbeit.

Information sammeln und Lösungswege aufzeigen

In jeder Phase des Planungsprozesses bietet das System weiterhin Spezifikationen, Links oder Fachansprechpartner an sowie die Möglichkeit, selbst Wissen einzustellen. Arbeitet ein Mitarbeiter beispielsweise an der Auslegung einer Pumpe, so stehen ihm verschiedene Pumpenspezifikationen zur Verfügung. Zusätzlich erhalten die Nutzer Informationen über den Stand der Arbeiten aller am Projekt beteiligten Partner. Nach einer internen Testphase wurde Pro- Wim im Rahmen eines realen Planungsprojekts bei Infraserv Knapsack praxisnah geprüft.

Im Rahmen des Projektes entstanden so drei öffentlich verfügbare Spezifikationen (DIN-PAS), die den Ausgangspunkt für weitere Normungsaktivitäten bilden werden. Im PAS 1059 ist die Planung einer verfahrenstechnischen Anlage beschrieben, PAS 1062 und 1063 beschäftigen sich mit der Einführung von Wissensmanagement in kleinen und mittleren Unternehmen sowie ihren Netzwerken.

In weiteren Praxistests muss sich jetzt allerdings noch zeigen, bis zu welchem Detaillierungsgrad ein Workflow-Management im Tagesgeschäft praktikabel ist. Dennoch, die Zeit für die Einführung eines solchen Wissensmanagements scheint derzeit mehr als ideal. Die Geschäfte in der Branche laufen gut, und die Unternehmen sollten diese Phase jetzt nutzen, um sich für die ungewisse Zukunft gut zu rüsten.

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