Anlagenbau & Prozesstechnik

Das Kochrezept füllt 25 dicke Ordner

03.02.2013 -

Das Kochrezept füllt 25 dicke Ordner – Hinter der gläsernen Fassade des Biotechnologie-Produktionszentrums Bau 95 bei Roche in Basel herrscht ein reges Innenleben.

Die Teams von Dr. Erich Hochuli, Leiter der Biotech-Produktion Roche Basel, haben damit begonnen, die außerordentlich komplexe Anlage, in der zunächst das Tumorpräparat Avastin hergestellt werden soll, etappenweise in Betrieb zu nehmen. In einem Interview von Marcus Tschudin im Roche Magazin erläuterte Hochuli Details kürzlich zu diesem Projekt. CHEManager veröffentlicht davon Auszüge.

 


Im Bau 95 sollen in näherer Zukunft die Wirkstoffe zweier verschiedener Biotech-Produkte hergestellt werden: Beim einen handelt es sich wie gesagt um den Wirkstoff von Avastin. Welches ist der andere?

Dr. E. Hochuli: Lassen Sie mich etwas präzisieren. Avastin ist bekanntlich bei unserem Partnerunternehmen Genentech in South San Francisco entwickelt worden und wird heute auch dort produziert.

Die Verkäufe des Krebsmedikaments haben sich aber derart beschleunigt, dass die Produktionskapazität bei Genentech bald nicht mehr genügen wird.

Deshalb ist entschieden worden, Avastin auch in Basel herzustellen und von hier aus den europäischen Markt zu versorgen, während Genentech weiterhin den amerikanischen Markt beliefern wird.

Unsere Anlage ist aber so konstruiert, dass wir parallel zwei Wirkstoffe produzieren können. Beim zweiten Präparat, das wir im Bau 95 herstellen wollen, handelt es sich voraussichtlich um einen weiteren monoklonalen Antikörper.

Roche hat zurzeit einige dieser Proteinmoleküle in der präklinischen und der klinischen Entwicklung; eines oder mehrere von ihnen könnten im Lauf der nächsten Jahre auf den Markt kommen.

Dabei wollen wir uns bereits dafür engagieren, die Produktion des betreffenden Wirkstoffs, der für die klinischen Prüfungen der Phase III benötigt wird, in den Griff zu bekommen. Denn zwischen dem Produkt für diese Phase und dem endgültigen Marktprodukt gibt es keinen Unterschied.

Sobald die Herstellung von Avastin voll läuft, werden wir uns dem zweiten Präparat zuwenden. Das wird aber natürlich nicht genügen, um die langfristige Zukunft der Biotech-Produktion hier in Basel sicher zu stellen. Unser Ziel muss es vielmehr sein, für einen ständigen Fluss neuer Produkte in diese Anlage zu sorgen.

 


Auf welchen therapeutischen Gebieten sollen denn diese künftigen Präparate eingesetzt werden?

Dr. E. Hochuli: Bis jetzt sind monoklonale Antikörper sehr erfolgreich bei der Behandlung von Krebskrankheiten eingesetzt worden. Inzwischen gibt es aber auch weitere Indikationen.

Beispielsweise ist Roche an der Entwicklung eines sehr interessanten Präparats beteiligt, das unter dem wissenschaftlichen Namen Abeta geführt wird und von dem man sich im Hinblick auf die Therapie der Alzheimerschen Krankheit einiges verspricht.

 


Der Wirkstoff von Avastin wurde bisher beim kalifornischen Partnerunternehmen Genentech produziert, wo er auch kreiert worden ist. Wie wurde oder wird das Herstellverfahren von Genentech nach Basel transferiert? Welche Stationen und Phasen werden durchlaufen?

Dr. E. Hochuli: Von den Fachleuten bei Genentech haben wir alle Unterlagen erhalten. Also sozusagen alle Kochrezepte, um den Antikörper herzustellen.

Diese Rezepte füllen fünfundzwanzig dicke Ordner. Ferner haben wir von Genentech Muster der Zellen bekommen, die den Wirkstoff synthetisieren. Anschließend haben wir begonnen, diese Rezepte im Zehntelsmaßstab und Schritt für Schritt nachzukochen.

Im Zehntelsmaßstab deshalb, weil wir zunächst mal Erfahrungen sammeln wollten, denn eine Produktion im großtechnischen Maßstab ist extrem teuer.

Schon die Nährstoffe für die Zellen sind ausgesprochen kostspielig. Dieses Kochen im Kleinmaßstab in der Pilotanlage Bau 66 ist so erfolgreich verlaufen, dass wir jetzt die Kochrezepte bereits im Großmaßstab anwenden können:

Wir beherrschen inzwischen den Herstellprozess so gut, dass wir es riskieren können, technische Ansätze zurzeit wie erwähnt im Zwanziglitermengen durchzuführen.

 


Können Sie kurz erläutern, welche Stufen oder Phasen die Produktion im Bau 95 zwischen 2007 und 2011 durchlaufen wird?

Dr. E. Hochuli: Die erwähnten technischen Ansätze werden uns bis ins zweite Quartal dieses Jahres beschäftigen.

In der zweiten Hälfte 2007 werden wir dann mit den so genannten GMP-Ansätzen beginnen, die den strikten Vorschriften der guten Herstellpraxis genügen müssen.

Denn, damit die neue Produktionsanlage von den Behörden zugelassen wird, müssen wir beweisen, dass der Avastin-Wirkstoff aus Basel hundertprozentig demjenigen entspricht, der von Genentech hergestellt und vermarktet wird.

Im Zusammenhang mit den damit verbundenen wissenschaftlichen Arbeiten gilt es auch Stabilitätsdaten zu gewinnen. Zu diesem Zweck wird das Produkt gelagert und regelmäßig analysiert, um nachweisen zu können, dass es sich im Lauf der Zeit nicht verändert.

Bis zum dritten Quartal 2008 sollten wir genügend Daten gesammelt haben, die zeigen, dass unser Produkt demjenigen von Genentech ebenbürtig ist. Und die es erlauben, bei den Behörden grünes Licht für den Betrieb der Anlage zu bekommen. Bleibt anzufügen, dass wir in Bezug auf die im zweiten Semester dieses Jahres beginnenden GMP-Produktionsansätze sehr behutsam vorgehen und pro Monat möglicherweise nur einen Ansatz fahren werden, bis wir den ganzen Prozess einwandfrei unter Kontrolle haben.

Im Jahre 2008 werden wir die Produktionsmengen sukzessive steigern und die Anlage langsam hochfahren; bis 2010 oder 2011 wollen wir die maximale Kapazität ausnützen können. Wir gehen davon aus, dass der in Basel produzierte Wirkstoff von Avastin zu Beginn des Jahres 2009 für den europäischen Markt zugelassen wird, vorausgesetzt es kommt zu keinen behördlich bedingten Verzögerungen.

 


Bei der Produktionsplanung im Zusammenhang mit dem Wirkstoff von Avastin wird offenbar nicht mit Kilogramm gerechnet, sondern mit so genannten ‘runs'. Was versteht man unter diesem Fachausdruck?

Dr. E. Hochuli: Die ‘runs' sind eine Eigenheit der Fachleute von Genentech, die ihre ganze Produktionsplanung nach diesem Kriterium ausrichten. Mit dem Ausdruck werden die Ansätze bezeichnet, die pro Zeiteinheit in der Anlage produziert werden können. ‘Wir können jetzt 100 runs machen pro Jahr' heißt also nichts anderes als ‘wir können jährlich 100 Ansätze fahren'.

Die Überlegung dahinter ist die folgende: Die Ausbeute eines einzigen Ansatzes kann um plus minus 10 bis 15 Prozent schwanken. Deshalb lassen sich die produzierten Mengen kaum aufs Gramm genau planen. Die Anzahl der Ansätze, die wir in einer Anlage fahren können, können wir hingegen sehr genau festlegen.

Deshalb bedient man sich bei Genentech dieser Planungsmethode. Wir haben sie übernommen, weil wir eng mit Genentech zusammenarbeiten und es wichtig ist, eins zu eins vergleichen zu können.

 


Wie viele Leute werden zu Beginn der Vollproduktion und darüber hinaus im Bau 95 beschäftigt sein?

Dr. E. Hochuli: Wir werden dieses Jahr bereits 186 Mitarbeitende im Einsatz haben, in der Phase der Vollauslastung werden es rund 200 sein, und sollten dann weitere Produkte ins Programm kommen, rechnen wir mit 250 Leuten.

Das wird aber erst nach 2011 der Fall sein und hängt davon ab, wie schnell neue Produkte eingeschleust werden und wie komplex ihre Herstellung ist. Allerdings werden nicht alle der erwähnten 186 Leute im Bau 95 tätig sein.

Einige von ihnen werden unsere Pilotanlage im Bau 66 betreiben; ferner sind wir daran, im gleichen Bau unsere eigene Qualitätsorganisation aufzuziehen. Kurz: Etwa ein Viertel unserer Belegschaft werden im Bau 66 und rund drei Viertel im Bau 95 einquartiert sein.

 


Gibt es eine regelmäßige Zusammenarbeit mit anderen Biotech-Standorten im Konzern, beispielsweise mit Roche Penzberg in Oberbayern? Falls ja, was bringt das und wie funktioniert dieses Teamwork?

Dr. E. Hochuli:
Wir pflegen eine sehr enge Zusammenarbeit mit den Kollegen in Penzberg. Diese haben speziell in Bezug auf die Produktion monoklonaler Antikörper, aber auch anderer Zellkulturprodukte wie Erythropoetin - ein Wachstumsfaktor, der die Bildung roter Blutkörperchen anregt - eine viel größere Erfahrung als wir in Basel.

Da können wir nur profitieren. Ferner gibt es seit Ende 2004 eine globale Biotech-Produktionsorganisation unter der Leitung von Albert Kuonen. Sie stellt sicher, dass das Teamwork zwischen den Standorten Nutley, Penzberg und Basel aufrecht erhalten und gefördert wird.

Wir treffen unsere Kollegen an regelmäßigen Meetings, die mindestens einmal pro Monat stattfinden, und haben mittlerweile sehr gute persönliche Kontakte geknüpft. Das heißt, wir können jederzeit Fragen klären, Erfahrungen austauschen, Ideen filtern und Probleme gemeinsam lösen. Das ist außerordentlich wertvoll.