Anlagenbau & Prozesstechnik

Gewinner und Verlierer bei Reach

25.11.2012 -

Gewinner und Verlierer bei Reach – Nur wer Reach kennt, kann die Vorteile nutzen. Glaubt man aktuellen Veröffentlichungen, dann dürfte es bei der EU-Chemikalienverordnung Reach keine Gewinner geben.

Denn die hiesige Chemieindustrie wird in den kommenden Jahren damit beschäftigt sein, Daten zur Sicherheit ihrer Substanzen zu ermitteln und in umfangreichen Dossiers darzustellen.

Das bedeutet einiges an Expertenarbeit und verursacht erhebliche Kosten. Während sich die EU-Industrie also mit Bürokratie beschäftigt, machen die Nicht-Europäer das Geschäft.

Mögliche Folge: Noch Ausland abwandern. Die Gewinner bei Reach dürften sich also nur außerhalb der EU befinden, in Unternehmen, die sich auf ihre Produkte anstatt auf Papierarbeit und toxikologische Tests konzentrieren.

Eine solche gar euphorische Stimmung scheint sich allerdings in diesen Ländern nicht so recht einstellen zu wollen: Regierungsvertreter in den USA wie in China weisen darauf hin, welche Nachteile ihre Industrien durch Reach haben werden und dass es besonderer Anstrengungen bedürfe, um auch in Zukunft den europäischen Markt bedienen zu können.

Gibt es dann womöglich nur Verlierer, oder ist Reach einfach nur nicht richtig verstanden worden?

Unbestritten ist, dass Reach erheblichen Aufwand für die Industrie bedeutet. Sie muss noch besser herausfinden, wie sicher die Chemikalien sind, ob man sie universell einsetzen kann oder nur für bestimmte Verwendungen oder ob man auf bestimmte Substanzen besser ganz verzichtet.

Hier wurde bereits von der Industrie in Zusammenarbeit mit den Behörden einiges zur Klärung getan, aber das European Chemicals Bureau als Untereinheit der EU-Kommission hat in einer Studie im Jahre 1999 noch viele Wissenslücken festgestellt.

 


Kosten nicht allein entscheidend

Reach ist mit 850 Seiten ein umfangreiches und komplexes Gesetzeswerk, das einen zwingenden Rahmen vorgibt, aber den Unternehmen auch Spielraum lässt für eine mehr proaktive oder reaktive Umsetzung. Eine einheitlich richtige Strategie gibt es deshalb nicht.

Sie hängt von der anwendungstechnischen Leistung des jeweiligen chemischen Stoffes, seinen Herstellkosten und von seiner Bedenklichkeit ab. Beispielsweise ob man die Chemikalie nur in geschlossenen Anlagen verarbeiten darf oder ob sie auch in Kinderhand gelangen kann.

Eine geeignete Strategie hängt von den Stärken und Schwächen des Unternehmens hinsichtlich Technologie und seiner Marktposition sowie den Bedürfnissen seiner Kunden ab. Diese waren in den vergangen Jahren stark auf Kostensenkung ausgerichtet.

Niedrige Preise der Vorprodukte waren dabei eine Hauptforderung. Grundsätzlich wird sich das unter Reach nicht ändern. Aber die Chemikalien werden stärker unter die Lupe genommen und auf ihre Sicherheit untersucht als bisher. Auch auf die Einkäufer kommen somit neue Herausforderungen zu, nämlich neben Preisen und Verfügbarkeit auch die „regulatorische Qualität" eines Rohstoffes zu berücksichtigen.

Das bedeutet inwieweit das einzukaufende Material die Gesetze erfüllt und wie universell oder limitiert es eingesetzt werden kann. In diesem Zusammenhang werden auch die Verunreinigungen intensiver betrachtet werden müssen, die häufig Ursache einer schädlichen Wirkung sind. Reinheit und Qualität werden deshalb stark an Bedeutung gewinnen, wenn die Chemikalienverordnung so umgesetzt wird, wie es der Gesetzgeber fordert.

Will die Gesellschaft als Gewinner bei Reach gelten, muss ein Umdenken nicht nur in der gesamten industriellen Wertschöpfungskette stattfinden, sondern es bedarf auch der Unterstützung der Konsumenten. Dann müssen die „schwarzen Schafe" auf den Pfad der Tugend geführt werden, egal ob sie ihren Sitz in der EU oder im fernen Ausland haben.

Da letztere aber nicht dem europäischen Recht unterliegen, sind es die Importeure, auf die unter Reach verstärkte Anstrengungen zukommen. Hier werden sicherlich viele Firmen, die bisher billige Überseeware beziehen, noch einige Überraschungen erleben, welche umfangreichen Verpflichtungen sie als Importeur haben. Insbesondere chemische Zubereitungen, aber auch Polymere auf Basis verschiedener Monomere, werden in Zukunft nur mit erheblichem Aufwand in die EU eingeführt werden können.

Und auch bei Erzeugnissen wie Fernsehgeräten oder Textilien wird der Importeur darauf achten müssen, ob seine Güter sehr gefährliche Chemikalien in einer Konzentration von mehr als 0,1% enthalten. Man vermutet, dass die zu beachtende Liste bis zu 1.500 Stoffe enthalten wird.

Die sich daraus ergebenden Handelsaspekte waren es, die zu heftigem Widerstand insbesondere der amerikanischen Industrie und Regierung gegen Reach geführt haben. Denn die neue EU-Chemikalienverordnung betrifft nicht nur die chemische Industrie, sondern alle Industrien und den Handel, wenn in den Produkten chemische Stoffe enthalten sind. Was praktisch überall der Fall ist.

 


Bei richtiger Umsetzung gewinnen alle

Gewinner bei Reach könnte somit durchaus die europäische Industrie werden, zumindest in ihrem eigenen Binnenmarkt mit knapp einer halben Milliarde Verbrauchern.

Dies erfordert aber, die Vorteile zu erkennen und herauszuarbeiten und die Umsetzung von Reach mit der Geschäftsstrategie in Einklang zu bringen. Dabei gibt es Erfolgsfaktoren für die Umsetzung: Kenntnis von Reach im Unternehmen - funktions- und hierarchieabhängig, ein frühzeitiges Anpacken mit einem entsprechenden Team sowie eine gute Zusammenarbeit innerhalb der Lieferkette.

Verlierer können nicht nur diejenigen Firmen sein, die bedenkliche und billige Rohstoffe einsetzen, sondern auch solche, die ihr Produktportfolio schlecht analysieren, zu spät mit der Umsetzung beginnen und letztendlich nicht termingerecht registrieren können.

Sie dürfen dann solche Stoffe nicht mehr herstellen oder importieren. Das führt nicht nur zu einem Nachteil für die Firma selbst einschließlich seiner Anteilseigner und Mitarbeiter.

Auch die Kunden werden die Leidtragenden sein. Reach zielt u.a. darauf ab, sehr bedenkliche Substanzen durch unbedenkliche Stoffe zu substituieren, sofern es geeignete Alternativen gibt. Hier kann es sogar zu Technologiesprüngen kommen und sicherere Chemikalien - die nicht immer teurer sein müssen - bekämen neue Chancen oder würden sogar gezielt entwickelt.

Welchen Umfang diese von der EU-Chemikalienverordnung gewünschten Innovationen aber tatsächlich haben werden, kann man erst in einigen Jahren resümieren. Fest steht dagegen schon heute: Reach wird für viele Industrien und auch für den Handel eine erhebliche Herausforderung darstellen.

Die Hauptarbeit wird aber zunächst bei der chemischen Industrie selbst liegen. Der regulatorische Aspekt wird neben der anwendungstechnischen Leistung und der kostengünstigen Verfügbarkeit wesentlich an Bedeutung gewinnen. Hier einen Einklang im Sinne eines guten Geschäftes zu erreichen, wird das Ziel unter Reach sein.

Es wird Unternehmen geben, die das im Gegensatz zu anderen gut schaffen werden. Sie werden es sein, die bei Reach die Gewinner sind.

 


Kontakt:

Dr. Hans-Peter Rieck
Prosacon GmbH, Hofheim am Taunus
Tel.: 06192/979917-1
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