Anlagenbau & Prozesstechnik

Compamed 2017

24.10.2017 -

Die Mikrotechnik spielt eine große Rolle im Rahmen der Compamed 2017, der international Fachmesse für den Zulieferermarkt der medizin­technischen Fertigung. Sie findet parallel zur weltführenden Medizinmesse Medica 2017 vom 13. bis zum 16. November in Düsseldorf statt.

Der Trend zu einer personalisierten medizinischen Versorgung, die demografische Entwicklung und die Digitalisierung sind wichtige Treiber für den Fortschritt in der Medizintechnik und im Gesundheitswesen. Weitere Faktoren sind Gesundheitspolitik und Kostendruck. Besonders gefragt sind Lösungen der Mikrotechnikbranche, die von der Medizintechnik so stark stimuliert wird wie keine andere.
Fast zwei Drittel der Mikrotechnikunternehmen in Europa bieten Produkte, Technologien oder Dienstleistungen für Medizintechnik und
Gesundheit an, für nahezu 20 % ist es der wichtigste Absatzmarkt. In den kommenden drei Jahren wird der Anteil der Unternehmen, die vorrangig den Medizintechnikmarkt beliefern, nochmals um fünf Prozent steigen. Diese Erkenntnisse hat der IVAM Fachverband für Mikrotechnik im Zuge seiner jährlichen Wirtschaftsdatenerhebung bei europäischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen der Mikrotechnik ermittelt.
„Neben der digitalen Transformation, die keine Branche mehr außer Acht lässt, ist auch die Miniaturisierung von Bauteilen zur Schaffung immer handlicherer und leichterer Produktanwendungen ein übergeordneter Technologietrend“, bestätigt Joachim Schäfer, Geschäftsführer der Messe Düsseldorf. Seit ihrem Start vor 25 Jahren hat sich die Compamed zur Branchenplattform Nr. 1 für die Zulieferer der Medizintechnik-Industrie entwickelt und zählt auch in diesem Jahr erneut fast 800 Aussteller in den Hallen 8a und 8b (Medica: ca. 5.000 Aussteller) des Düsseldorfer Messegeländes.
Der Produktmarkt „Hightech for Medical Devices“ mit rund 700 m2 sowie über 50 Firmen und Institutionen (Halle 8a) ist einmal mehr komplett ausgebucht und wird wie jedes Jahr vom IVAM Fachverband für Mikrotechnik als spezielle Leistungsschau der Mikrosysteme für die Medizintechnik ausgerichtet.

Blutdruck messen ohne Manschette
Ein wichtiges Anwendungsfeld dafür sind so genannten Wearables, mobile und kaum sichtbare Systeme, die mit hohem Komfort und unter ­Alltagsbedingungen Vitalparameter aufnehmen, analysieren und Medizinern zur Bewertung zur Verfügung stellen können. Die kontinuierliche Aufzeichnung von sogenannten peripheren Photoplethysmogrammen soll in Zukunft weitere wertvolle Aussagen zur Gesundheit des Menschen liefern. Dazu zählen neben dem Puls und der arteriellen Sauerstoffsättigung, die Herzratenvariabilität, die Atemfrequenz sowie Informationen zur Gefäßsteifigkeit und Anzeichen von steigenden oder fallenden Blutdruck. Ein erhöhter Blutdruck ist heute wichtigster Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, an denen laut Deutscher Hochdruckliga allein in Deutschland etwa 35 Mio. Menschen leiden. Oft ohne Beschwerden wird die Erkrankung zu spät bemerkt. Die Folgen sind vor allem Schlaganfall, Herzerkrankungen, Nierenversagen und Demenz.
Vor diesem Hintergrund zählt ein manschettenloses Messverfahren zur kontinuierlichen Verfolgung des Blutdrucks zu den wichtigsten Innovationen der diesjährigen Compamed. Den dafür erforderlichen Sensor haben Wissenschaftler um Projektleiter Dr. Hans-Georg Ortlepp vom CiS Forschungsinstitut für Mikrosensorik entwickelt, der auch das ausgeklügelte Auswerteverfahren kreierte. „Die notwendigen Rohdaten werden aus der Form der Pulswelle und deren zeitlichen Verhalten entnommen. Eine hohe Qualität der Sensorsignale und geeignete mathematische Algorithmen in der Datenanalyse sind für medizinisch-relevante Anwendungen zwingend“, erklärt Ortlepp. Das CiS arbeitet bereits seit gut einem Jahrzehnt an miniaturisierten, in Silizium integrierten, multispektralen Photoplethysmographie-Sensoren. Die winzigen Sensoren werden im äußeren Gehörgang platziert und sind individuell auf den Patienten abgestimmt. Ein angenehmer Tragekomfort ist für die Hightech-Kompontenen enorm wichtig, entscheidet dieser doch über die Akzeptanz beim Nutzer. Der Sensor kann technisch mit bis zu vier LEDs verschiedener Wellenlängen ausgestattet werden, um neben dem Blutdruck weitere Vitalparameter und zusätzliche Messwerte aus verschiedenen Gewebetiefen aufnehmen zu können und um Bewegungsartefakte in den Signalen zu eliminieren.

Wirkstoffe in statt unter die Haut ­applizieren
Auch die Hahn-Schickard-Gesell­schaft für angewandte Forschung widmet sich intensiv der Forschung, Entwicklung und Fertigung in der Mikrosystemtechnik. Gemeinsam mit der Ausgründung Verapido Medical entwickeln und produziert sie Geräte, Systeme und Technologien, mit denen Wirkstoffe in statt unter die Haut verabreicht werden können. In Studien konnte gezeigt werden, dass intradermal verabreichte Wirkstoffe wesentlich schneller verfügbar sind verglichen mit subkutaner Verabreichung und eine effizientere Wirkung entfa­chen können. Zudem ist belegt, dass Biotech-Moleküle wie Insulin, Antikörper, Proteine oder Hormone wesentlich schneller vom Körper aufgenommen werden, wenn sie intradermal verabreicht werden.
Wirkstoffe, die in die Haut appliziert werden, können auch gezielter und effizienter auf das Immunsystem einwirken. „Klinische Studien haben gezeigt, dass bei intradermaler Gabe bis zu 90 % der Impfdosis eingespart werden kann, um den gleichen oder sogar einen besseren Effekt zu erzielen als beim Spritzen in den Muskel“, betont Dr. Markus Clemenz, Geschäftsführer der Verapido Medical. Das Unternehmen setzt auf Mikronadeltechnologien und Mikrokanülen, die exakt in die Dermis eingestochen werden – eine Hautschicht knapp unter der Hautoberfläche. Dabei wird nur die oberste Hautschicht penetriert, somit ist es ein mini­malinvasives Verfahren. „Unser Entwicklungsangebot reicht von pflasterbasierten Mikronadelarrays über intradermale Verabreichungsgeräte mit fester oder variabler Tiefeneinstellung zur Injektion oder Infusion bis hin zu Medikamentendosiersystemen zur (zeitverzögerten) Chronotherapie ohne jegliche Elektronik“, so Clemenz. Verapido erwartet, dass die intraderme Verabreichung in der Klinik künftig „state oft the art“ wird.
Zum zweiten Mal bei der Compamed vertreten ist CorTec. Das junge Medizintechnik-Unternehmen arbeitet an der nächsten Generation von aktiven Implantaten. So entwickelt und produziert es implantierbare Elektroden für Ableitung und Stimulation im zentralen und peripheren Nervensystem. CorTec stellt zudem hermetische Kapselungen her, die hoch-kanalige Anwendungen unterstützen. Elektroden und Kapselungen verfügen dabei mit 32 bis über 200 Kanälen über deutlich mehr Ableitungen als vergleichbare Produkte. „Die Technologie von CorTec verbindet innovative Lösungen für Design, Aufbau und Verarbeitung mit den bewährten Materialien der Medizintechnik – insbesondere auf hohen Kanal-Zahlen. Damit ermöglichen wir Anwendungen und Therapien, die so bisher nicht adressiert werden konnten“, erklärt Dr. Martin Schüttler, CTO und CEO von CorTec.
Mit der patentierten AirRay-Elektroden-Technologie überwindet CorTec die bisherigen Einschränkungen im Elektroden-Bereich durch innovative und höchst präzise Herstellungsbedingungen. Dies erlaubt besonders kleine Größenordnungen an Kontaktdurchmessern von bis zu 25 μm, wodurch sich die Packungsdichte im Elektroden-Arrangement deutlich erhöhen lässt. Die Daten-Akquise kann damit ein Vielfaches an Qualität gewinnen. Die Elektroden verfügen über exzellente elektrochemische Eigenschaften. Platinum-Iridium oder MP35N (Legierung auf Nickel-Kobalt-Basis) stehen als Elektrodenmaterial zur Wahl, optional mit hochleistungsfähigen Beschichtungen, welche die Abgabe von Stimulationsimpulsen an das biologische Gewebe weiter verbessern. Auch die mechanischen ­Eigenschaften der Elektrode lassen sich an in­dividuelle Bedürfnisse anpassen.

Kommunikation mit Implantat per Hochfrequenz-Technik oder Infrarot
Neben der AirRay-Elektroden-Technologie bietet CorTec in seinem Portfolio weitere Produkte zum Herstellen aktiver Implantate an, wie z. B. eine hermetische Kapselung auf Keramik-Basis. Dickfilm-Technologie ermöglicht hier Hunderte von elektrischen Durchführungen, ganz anders als bei herkömmlichen Kapselungen. Die keramik-basierte Kapselung von CorTec ist darüber hinaus durchlässig für elektromagnetische Wellen, was wiederum eine Kommunikation mit dem Implantat per Hochfrequenz-Technik oder Infrarot sowie eine drahtlose Energieübertragung ermöglicht. Die Keramik-Kapselungen sind dahingehend optimiert, dass sie mechanischen Belastungen wie beispielsweise für Cochlea-Implantate vorgeschrieben standhalten. CorTec Brain Interchange führt all diese Komponenten in einem System zusammen, das die neuronale Aktivität messen, analysieren und auf dieser Grundlage mit bedarfsgerechter Stimulation auf das Nervensystem einwirken kann. Diese sogenannte Closed-Loop Funktionalität eröffnet vielfältige Anwendungsmöglichkeiten für individuelle und bedarfsgerechte Neurotherapien. Die Anwendungen des Systems reichen von der Steuerung von Assistenzsystemen bei Gelähmten über die bedarfsgerechte Tiefenhirnstimulation bis hin zu Schlaganfallrehabilitation oder Epilepsieintervention. Die ersten Prototypen des Systems befinden sich in der präklinischen Testung. Erste klinische Pilotstudien sind in Vorbereitung.

Additive Verfahren für personalisierte Implantate
Ein anderes Thema, das seit Jahren bei der Compamed an Wichtigkeit gewinnt, sind additive Verfahren. Den „Knochen aus dem Drucker“ hat das Fraunhofer Institut IKTS entwickelt. Er soll bei entstellenden Defekten im Gesichtsbereich oder bei in Knochen metastasierenden Tumoren zum Einsatz kommen. Unter solchen Bedingungen ist die Lebensqualität der Patienten auch deshalb deutlich eingeschränkt, weil betroffene Knochen plötzlich ohne eine äußere Einwirkung brechen können. Keramische Knochenimplantate, millimetergenau der Anatomie des Patienten angepasst, könnten perspektivisch das Leiden der Betroffenen mildern. Der keramische Ersatz des IKTS wird in zwei Schritten hergestellt: Die Keramikhülle wird im 3D-Druck gefertigt, die Füllung – ein Keramikschaum – danach eingeschäumt. Die additive Fertigung der Hülle ermöglicht die personalisierte Anpassung an die Skelettstruktur, die poröse Schaumfüllung hingegen die patientenspezifische Anpassungen der Porosität. Der Schaum unterstützt das Zellwachstum, ist zudem druckfest und bioaktiv. Gerade diese Verfahrens- und Materialkombination ist der große Vorteil der neuen Lösung. „Wir arbeiten mit kommerziell erhältlichen Materialien wie Hydroxylapatit oder Tricalciumphosphat und starten jetzt mit den biologischen Tests unserer Substanzen“, erklärt Dr. Matthias Ahlhelm, Projektleiter am IKTS.

Mikrostrukturen aus dem 3D-Drucker
Ebenfalls im Bereich 3D-Druck ist die Multiphoton Optics unterwegs. Das Unternehmen ist Hersteller einer hochpräzisen 3D-Druckplattform (Litho Prof 3D) und Software (Litho Soft 3D) für die additive und subtraktive Fertigung willkürlich geformter Strukturen, hergestellt im Volumen oder auf der Oberfläche von Materialien. Die Technologie unterstützt die hochpräzise Herstellung von 3D optischen Interconnects, Asphären- oder Freiform-Mikrooptiken, biomedizinischen Produkten wie Scaffolds für Tissue Engineering, mikrofluidischen Zellen und Drug Delivery-Strukturen. Erst kürzlich hat Multiphoton Optics die Möglichkeiten der 3D-Druckplattform demonstriert, indem diese Stapel von Mikrostrukturen hergestellt hat. Die Stapel ähneln einer Endoskop­optik, bestehend aus fünf verschiedenen individuellen Freiformlinsen und anderen Strukturen, d.h. zehn unterschiedlich geformten Flächen insgesamt. „Mikrooptische Strukturen stellen zunehmend Kernkomponenten hochintegrierter, medizintechnischer Systeme dar. Hierzu werden wir bei der Compamed Exponate ausstellen, die auch für diesen Bereich die Leistungsfähigkeit unseres Verfahrens zeigen“, sagt Felix Kiesel, Director of Sales bei Multiphon Optics.
Ein weiteres Highlight der Compamed 2017 ist die Cobra-Produktlinie von Silicon Micro­structures (SMI) Inc., der erste kommerziell erhältliche Drucksensor mit einem angeschlossenen Kabel, das in Instrumente mit einem Charrière Durchmesser passt. Charrière ist in der Medizin ein Maß für den Außendurchmesser von Kanülen und Kathetern, wobei drei Charrière einem Millimeter entsprechen. Die Sensoren sind klein (220 μm breit), stabil und smart, so gibt es eine temperaturkompensierte, digitale oder verstärkte analoge Version. Auf der Messe zeigt SMI, wie diese Sensoranordnung Risiken bei der Urodynamik, Endourologie, Kardiologie, Notfallchirurgie, Hirndruck-Überwachung und weiteren Verfahren reduzieren kann.
Die Welt der kleinen und kleinsten Lösungen für die Medizintechnik bleibt also ein bedeutsamer Bestandteil der Compamed in Düsseldorf – sie wird wie in den zurückliegenden Jahren auch im Rahmen des Compamed Hightech Forum des IVAM in Halle 8a präsentiert und vertieft. Schwerpunkte sind in diesem Jahr neben der Mikrosystemtechnik Nanotechnologien, Produktionstechnik und Prozesssteuerung. Parallel referieren Spezialisten beim Compamed Suppliers Forum der Fachzeitschrift DeviceMed in Halle 8b über aktuelle Entwicklungen entlang der gesamten Prozesskette der Medizintechnik. Im Fokus dieses Jahr stehen hier die Themen Digitalisierung, Wearables, 3D-Druck und Regularien.

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