Anlagenbau & Prozesstechnik

Die Mühen der Ebenen lindern - Mobile Krankenhäuser und reinraumtechnische Anlagen

19.01.2017 -

Von einer Utopie hin zur Praxis:Wie mobile und modulare Krankenhäuser die Versorgung in weiten ­Teilen der Welt verbessern können.

Die Chance auf ein gesundes und langes Leben ist weltweit ungleich verteilt: Während die durchschnittliche Lebenserwartung derzeit in Deutschland 81 Jahre und in der Schweiz 83,4 Jahre beträgt, werden Menschen in Laos im Schnitt 65,7, in Afghanistan 60,5 und in Nigeria nur 54,5 Jahre alt. Eine der Ursachen dafür lautet: Wo man lebt, ist mitbestimmend dafür, welche medizinische Versorgung man bekommt.
Von der Geburt bis zum Tod zeigt sich diese Kluft in den Statistiken der Weltgesundheitsorganisation WHO. Zwischen armen und reichen Ländern gibt es drastische Unterschiede bei der Kindersterblichkeit, der Sterblichkeitsrate von Müttern und der Gefahr, an behandelbaren Infektionskrankheiten oder Epidemien zu sterben. Selbst nach dem Tod wird deutlich, wie ungleich die Wertschätzung fürs menschliche Leben weltweit verteilt ist: Nicht mal jeder zweite Todesfall des Jahres 2015 taucht in den Statistiken der WHO auf. Denn keine staatliche Institution hat vom Ableben dieser Menschen je Notiz genommen.

Die Diagnose: In vielen Ländern fehlt die Klinik auf dem Land
Das Gesundheitsgefälle zwischen Nord und Süd sowie zwischen West und Ost beruht zu einem großen Teil auf einem Mangel an Kliniken, Ambulanzen, Ärzten und Medikamenten in weiten Teilen der Welt. Während in europäischen Ländern praktisch jede Geburt von ausgebildetem Personal begleitet wird, fanden im Jahr 2013 in Afrika und Südostasien über 40 % aller Geburten ohne ärztliche Begleitung statt. Einem Europäer stehen über 13-mal mehr Ärzte und viermal mehr Krankenpfleger zur Verfügung als einem Menschen, der in Afrika lebt. Vor allem in den ländlichen Regionen Afrikas, Lateinamerikas und Südostasiens klaffen laut WHO riesige Lücken in der Gesundheitsversorgung (Tabelle 1). Es gibt zu wenige Krankenhäuser / Behandlungszentren, und die, die es gibt, erfüllen oft nicht die einfachsten gesundheitlichen und hygienischen Standards.
Zwar erhalten Menschen in den Städten der Dritten Welt meist wenigstens eine Basisversorgung. Doch die Menschen in den Dörfern bleiben oft sich selbst überlassen. Die regionalen Ungleichheiten der medizinischen Versorgung zu verringern, ist ein wichtiges Ziel der WHO und zählt zu deren Sustainable Development Goals, die bis zum Jahr 2030 erreicht sein sollen.

Das Ziel: Gesundheitsdienstleistungen in unterversorgten Gebieten ausbauen
Eine flächendeckende Gesundheitsversorgung auch auf dem Land zu gewährleisten – also in eher dünn besiedelten Gebieten – ist eine Herausforderung. Sind noch dazu keine Straßen vorhanden oder in schlechtem Zustand, werden die Wege zum nächsten Arzt oder zur nächsten Apotheke für viele Landbewohner viel zu lang – erst recht wenn sie durch Krankheit geschwächt sind. Scheitern Länder bereits an der Aufgabe, für ihre Landbevölkerung eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen, sind sie erst recht überfordert, wenn es aufgrund von Naturkata­strophen oder Kriegen auf einmal viele Opfer und Flüchtlinge medizinisch zu versorgen gilt. Der akute Anstieg des Versorgungsbedarfs vor Ort ist dann nicht oder nur notdürftig zu stemmen.

Die bisherige Lösung: Operieren in Zelten
Was wäre, wenn die Menschen nicht mehr zu den wenigen Krankenhäusern kommen müssten – sondern die Krankenhäuser zu ihnen? Die Idee ist nicht neu. Hilfsorganisationen betreiben bereits Krankenstationen auf Lkws, Armeen nutzen transportfähige Feldlazarette. Ein großer Teil dieser mobilen „Krankenhäuser“ bis hin zum Operationssaal befindet sich jedoch in Zelten, die in puncto Keim- und Partikelschutz nur einfachste Anforderungen an die Hygiene erfüllen, von einer Beherrschung der klimatischen Verhältnisse einmal ganz abgesehen.
Bei den Qualitätsstandards klafft somit eine große Lücke zwischen stationären Krankenhäusern und ihren mobilen Versionen. Aus technischer Sicht muss das nicht so sein. Hier für eine praktikable Abhilfe zu sorgen, ist Ziel eines 2014 gegründeten Unternehmens im italienischen Ancona. Das Adriatic Institute of Technology (AIT) entwickelt ein hoch mobiles Krankenhaus, das aus transportfähigen Modulen besteht, sich leicht auf- und abbauen und je nach Bedarf um beliebig viele Module erweitern lässt.

Eine neue Lösung: Der modulare ­transportfähige Reinraum
Das Herzstück des Konzepts ist ein Basismodul von 6 mal 6 m Kantenlänge und 3,4 m Höhe. Das Modul in Schalenbauweise ist nicht größer als ein Buswartehäuschen. Das „Shelter“ für Schutzraum ist darum zusammen mit „Shell“ für Hülle der englische Namenspate des Moduls: Dessen Prototyp erblickt derzeit in einer Werkhalle in Ancona (Italien) als „Shellbe“ das Licht der Welt.
Das Basismodul setzt sich aus wenigen Elementen zusammen. Zusammensteckbare Aluminiumrohre sowie die Boden- und Deckplatte bilden einen tragenden Rahmen. Daran werden Schalen als Seitenwände befestigt. Sie enthalten die Öffnungen für Tür und Fenster. In einer der Seitenwände sind zudem alle technischen Vorrichtungen untergebracht, die etwa für die Energieversorgung, Klimatisierung und Luftreinhaltung nötig sind. Das Modul soll nämlich – so das Ziel der Entwickler – sehr hohen Ansprüchen an die autarke Versorgung genügen, sodass sein Einsatz gerade in nicht erschlossenen Gebieten der Welt möglich wird. Fotovoltaische Module, Solarzellen und Windräder könnten ebenso wie Dieselgeneratoren die Stromversorgung für medizinische Geräte, Leuchten und Klimaanlage sicherstellen. Regenwasserkollektor und Wasseraufbereitungsanlage sind ebenfalls inklusive.
Einmal irgendwo abgestellt, sollen im Inneren gleichmäßige und kontrollierte Temperaturen herrschen – ob in der der Wüste oder im Dschungel. Zunächst ist eine sichere Funktionsfähigkeit geplant von minus 30 bis plus 50 °C Außentemperatur. Im nächsten Schritt fassen die Entwickler eine Spanne von minus 50 bis plus 80 °C ins Auge, wofür sie ein spezielles Isolationsmaterial sowie einen speziellen Verbundkunststoff mit Carbonfaser testen.
Teil der technischen Ausstattung des Moduls ist ein neu entwickeltes System der Luftreinhaltung (HVAC). Es filtert Partikel und Keime aus der Luft und sorgt dafür, dass innerhalb der Station hochreine Arbeits- und Lebensbedingungen herrschen. Dank dieser – im mobilen Einsatz außergewöhnlich hohen – Standards kann „Shellbe“ für sehr viele Zwecke eingesetzt werden. Je nach Variante und Innenausstattung ist es Reinraum, OP-Saal, Ambulanz, Apotheke, Pflegeraum, Biolabor oder Forschungsstation. Das Modul entspricht den Maßstäben an Keimfreiheit, Klima- und Partikelkontrolle, die sonst nur in (besseren) stationären Krankenhäusern, sowie in technischen und aseptischen reinraumtechnischen Anlagen eingehalten werden können. Das System bietet hierfür eine integrative und gesamtübergreifende Anlagen- und Überwachungstechnologie und stellt somit alle Anforderungen an einen Betrieb nach DIN EN ISO-14644 sowie den GMP Anforderungen (Klasse A-B-C-D) sicher.

Der Kostenvorteil: Erweiter- und ver­lagerbar je nach Bedarf
Je nach Einsatzgebiet wird mobile Gesundheitsversorgung in verschiedenen Kapazitäten benötigt. Während die flächendeckende Versorgung mit grundlegender ärztlicher Betreuung über viele verstreute, kleine Stationen gesichert werden könnte, müsste ein Gesundheitskomplex für viele Menschen, etwa in einem Flüchtlingslager, mehrere 100 Betten samt Infrastruktur umfassen. „Shellbe“ kann beides sein: eine kleine, eigenständige Station auf dem Land oder Teil eines großen Komplexes. Denn die Module lassen sich koppeln. Nach dem Zugang durch Schleusen erreichen Mitarbeiter und Patienten die einzelnen Module durch Korridore, die Ähnlichkeit haben mit den Fluggastbrücken, die Terminals und Flugzeuge miteinander verbinden. Diese Korridorsysteme können auch genutzt werden um die Vielfalt der Systeme an eine bestehende Infrastruktur anzubinden.
Diese Skalierbarkeit hat viele Vorteile. Damit ist es zum einen möglich, ein komplett ausgestattetes Krankenhaus mit all seinen verschiedenen Abteilungen für Behandlung und Pflege aufzubauen – mitten im infrastrukturellen Niemandsland. In einem Modul wären der Operationssaal untergebracht, in einem anderen Betten für bis zu sechs Patienten, im nächsten wiederum ein Sprechzimmer – und so weiter. Anlagen mit bis zu 1.000 Betten haben die Entwickler am Computer bereits designt und durchgeplant.
Zum anderen können die Betreiber dank Skalierbarkeit bedarfsgerecht planen und damit die Kosten im Auge behalten. Die Gesundheitsstation muss nur so groß sein, wie sie aktuell gebraucht wird. Sollte sich der Bedarf ändern, ist eine Erweiterung ebenso machbar wie eine Verlagerung der Module an einen anderen Ort.
Um diese Mobilität zu gewährleisten, legen die Entwickler besonderes Augenmerk auf die Transportfähigkeit von „Shellbe“. Zerlegt lässt sich ein einzelnes Basismodul per Autoanhänger überall hin transportieren. Drei Stück passen in einen 40 ft-Standardcontainer. Die können weltweit verschifft und per geländegängigem Lkw / Pkw auch in unwegsame Gebiete verfrachtet werden. Dort angekommen, werden die Modulteile entpackt und montiert. Das schwerste Einzelteil wiegt 50 kg, weshalb der Aufbau in Handarbeit, also ohne Kräne oder Ähnliches, möglich ist. Bodenunebenheiten gleicht die erdbebensichere Rahmenkonstruktion bis zur einer Höhe 1,6 m aus. So kann „Shellbe“ auch auf Geröllfeldern und sogar in Hanglagen aufgestellt werden – und das nach nur wenigen Monaten Vorlaufzeit. Ein stationäres Krankenhaus in konventioneller Bauweise dauert hingegen mehrere Jahre der Planung und Errichtung.
„Shellbe“ würde die Chancen auf medizinische Behandlung und deren Qualität in vielen Ländern deutlich vergrößern. Das ist aufgrund der steigenden Zahl an Krisen in immer mehr Regionen von Bedeutung: Naturkatastrophen oder Kriege führen oft zu einem sprunghaften Anstieg des medizinischen Versorgungsbedarfs in unterversorgten Regionen.

Das Adriatic Institute of Technology (AIT) mit Sitz in Ancona hat mittlerweile 35 Mitarbeiter. Das deutsch-italienische Unternehmen wurde im Jahr 2014 gegründet von den Ingenieuren Gernod Dittel und Matteo Filippi. Dittel ist Geschäftsführer des Reinraumplanungsbüros Dittel Engineering in Kochel am See / Bayern und fungiert im AIT als Präsident sowie als Chief Technical Officer (CTO), der in Sonderbauten erfahrene Bauingenieur Filippi ist Geschäftsführer von CTSA in Ancona und fungiert im AIT als Chief Execution Officer (CEO). Ziel des Unternehmens und seiner Zulieferer ist die Entwicklung modularer, mobiler und multifunktionaler Sheltersysteme, die die hohen Qualitätsansprüche reinraumtechnischer Anlagen und stationärer Krankenhäuser erfüllen.

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Von-Velsen-Str. 8
82431 Kochel
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