Anlagenbau & Prozesstechnik

Emissionen reinraumtauglicher Materialien

Industrieangepasste Methode zur vergleichenden Materialklassifizierung

29.09.2010 -

Das Ausgasungsverhalten reinraumtauglicher Materialien spielt neben der Partikelgenerierung bei mechanischer Belastung eine immer bedeutendere Rolle. Zum Einen müssen durch die Verwendung geeigneter Materialien die gesetzlichen Grenzwerte für die Arbeitsplatzbelastung (MAK-Werte) eingehalten werden, zum anderen bedürfen sensible Produktionsumgebungen eine kontrolliert niedriges Niveau an molekularen organischen Verunreinigungen der Umgebungsluft.

Ausgasende organische Komponenten von Materialien (Weichmacher, Lösemittel, andere flüchtigen Bestandteile des Materials) spielen dabei eine entscheidende Rolle bei der Belastung der Raum- oder Prozessluft durch luftgetragene organische Verunreinigungen.
Verschiedene Schadensszenarien sind denkbar: Luftgetragene organische Verunreinigungen (volatile organic compounds, VOC; siehe DIN ISO 16000-6) können sich auf Linsen von Lithographieeinheiten niederschlagen und deren Leistungsfähigkeit empfindlich stören. Kondensieren Organophosphate oder Dotierstoffe auf Wafern in der Halbleiterfertigung, können diese durch falsche Dotierung schwer beschädigt werden. Siloxane können zum Totalausfall von elektrischen Kontaktierungen führen, wie sie bei der Kontrolle von Wafern eingesetzt werden. Deshalb gibt es besonders kritische Verbindungsklassen, welche in der Reinraumatmosphäre in der Halbleiterproduktion nicht vorhanden sein dürfen. Dies sind unter anderem Siloxane, Phthalate, Amine, Organophosphate, Dotierstoffe und andere prozessspezifisch gefährliche Substanzen, welche es bei der Betrachtung des Ausgasungsverhaltens reinraumtauglicher Werkstoffe besonders zu beachten sind. Die hier vorgestellte Materialklassifzierung ermöglicht eine gezielte Auswahl von Werkstoffen für deren Einsatz in reinen Fertigungsumgebungen.

Bestimmung der materialspezifischen Emissionsrate
Das hier beschriebene Verfahren hat zum Ziel, Prüfkriterien zu definieren, anhand derer Materialien hinsichtlich Ihrer Ausgasungseigenschaften bewertet und klassifiziert werden können. Dieses Verfahren ermöglicht eine Vergleichbarkeit verschiedener Materialien hinsichtlich ihrer Emission flüchtiger organischer Verbindungen und daraus abgeleitet die Erstellung einer Rangliste zur Auswahl und Klassifizierung von Werkstoffen.
Die Menge an ausgasenden organischen Verbindungen aus Materialien ist abhängig von deren Oberfläche, der Ausgasungszeit, deren Alter und der Prüftemperatur. Die spezifische Emissionsrate SER bezieht sich auf diese Parameter und wird angegeben als Masse pro Fläche x Zeit [g/m2s] bei der entsprechenden Raumtemperatur. Als standardisiertes vergleichbares Prüfverfahren werden Messungen mit Hilfe einer Mikrokammer vorgenommen. Die Bestimmung der Ausgasung erfolgt durch Sammlung und Anreicherung flüchtiger Verbindungen und nachfolgender Analyse mittels Thermodesorption und gekoppelter Gaschromatographie mit einem Massenspektrometer (TD-GC/MS).

Probenvorbereitung
Die Probe muss hinsichtlich der Geometrie und Oberflächenausführung repräsentativ sein sowie der späteren Anwendung des Werkstoffs im Reinraum entsprechen. Der Schichtaufbau bei Mehrschichtanwendungen muss der geplanten Anwendung entsprechen. Schnittkanten von festen Proben, die nicht zur aktiven Oberfläche zählen sollen, müssen entsprechend abgedeckt werden (z. B. mit einem Alu-Schneidring). Für fließfähige Proben sind VOC-freie Trägermaterialien (Glasschalen, Edelstahl) zu verwenden. Die Ausbringung dieser fließfähiger Proben ist so vorzubereiten, dass die aktive Oberfläche quantifizierbar ist. Die Vorkonditionierung reaktiv aushärtender Proben erfolgt über 30 Tage unter kontrollierten klimatischen Bedingungen (Raumtemperatur 22+/-1 °C, relative Luftfeuchte von 45 % (siehe auch VDI 2083 Blatt 9.1 und DIN EN ISO 16000-11). Eine Kontamination der Proben während der Lagerung muss vermieden werden. Dies wird durch eine VOC-reduzierte Lagerungsumgebung (z.B. Minienvironment mit VOC-Filtration) realisiert. Die VOC-reduzierte Umgebungsqualität muss mindestens um eine Klasse besser sein, als die erwartete VOC-Bewertung des Prüflings.

Probenahme
Nach der Ablagerung wird eine definierte Materialprobe mit einer Oberfläche von 10 cm2 in einer Prüfkammer (µCTE, Markes International) mit den Abmessungen d = 45 mm und V = 40 ml unter atmosphärischem Druck bei einer standardisierten Temperatur von 22 °C +/-1 °C (Raumtemperatur) über eine Stunde temperiert. Der Volumenstrom des Spülgases durch die Kammer muss auf die Geometrie der Prüfkammer abgestimmt sein. Bei der hier vorgestellten Mikrokammermessung beträgt der Volumenstrom 100 ml/min. Die aus der Materialprobe ausgasenden flüchtigen organischen Verbindungen werden mit Hilfe eines Spülgases zu einem Sorptionsröhrchen mit einem geeigneten Adsorbens (Tenax GR) transportiert und dort adsorbiert. Die Dauer der Probenahme und der Volumenstrom sind Grundlage der anschließenden quantitativen Klassifizierung. Eine Vergleichbarkeit ist nur bei identischen Probenahmetemperaturen und -zeiten gegeben. Auf Basis der Messung bei Raumtemperatur wird der Werkstoff später klassifiziert. Die Analyse der Sorptionsröhrchen erfolgt mittels Thermodesorption und gekoppelter Gaschromatographie mit einem Massenspektrometer. Durch die Thermodesorption (TD) werden die VOC von den Sorptionsröhrchen desorbiert und der anschließenden Analyse in Anlehnung an VDA 278 zugänglich gemacht.

Bestimmung der spezifischen Emissionsrate
Die Emissionsmessung liefert zunächst nur die Masse an adsorbierten flüchtigen organischen Verbindungen, welche sich auf dem Sorptionsröhrchen befunden haben. Diese Masse wird auf die Probenoberfläche und die Dauer der Probennahme bezogen und ergibt somit die flächenspezifische Emissionsrate des Materials. 



Hierbei gilt:
SERm = flächenspezfische Emissionsrate des Materials m bei einer Raumtemperatur von
22 +/- 1 °C in g/(m2*s)
mTVOC = Masse der Gesamtausgasung des Werkstoffs m in g
Am = Fläche des Werkstoffs m in m2
t = Dauer der Probennahme in s

Überführung der materialspezifischen Emissionsrate in eine einheitliche Materialklassifizierung

Die Klassifizierung des Werkstoffs in ISO-AMC (or)-Klassen in Anlehnung an DIN EN ISO 14644-8 erfolgt anhand der Größe TVOCnorm :
 



Hierbei gilt:
Vnorm        = normiertes Kammervolumen von 1 m3
Anorm        = normierte Fläche des Werkstoffs von 1 m2
nnorm        = normierte Spülgasrate von 1/s
TVOCnorm = normierte Gesamtausgasung des Werkstoffs m in g/m3

Der Zahlenwert von TVOCnorm wird dekadisch logarithmiert und ergibt damit die werkstoffspezifische normierte ISO-AMCm-Klasse. Diese wird in folgendem Format angegeben: ISO-AMCm Klasse N (or). Die ISO-AMCm-Klasse N wird innerhalb eines Bereichs von „0" bis „-12"erhalten. Es dürfen Zwischenwerte der Klassifizierung angegeben werden. Dabei ist 0,1 die kleinste zulässige Schrittweite von N. Die Bezeichung „or" definiert die flüchtigen organischen Verbindungen als Kontaminantengruppe.
Umrechnung der werkstoffspezifischen ISO-AMCm Klasse auf die ISO-AMCCR Klasse
realer Reinraumumgebungen
Um für einen Reinraum (CR) mit bekannten Betriebsparametern die durch das Einbringen eines Werkstoffes zu erwartende ISO-AMC-Klasse zu berechnen, wird folgende Formel angewendet:

 

Hierbei gilt:
TVOCCR = berechnete Gesamtausgasung des Werkstoffs m im Reinraum in g/m3
ACR = Fläche des Werkstoffs im Reinraum in m2
VCR = Reinraumvolumen in m3
nCR = Frischluftrate des Reinraums in 1/s

Mit obiger Formel werden die Einflussfaktoren Frischluftrate, Fläche des Werkstoffs im Reinraum und das Volumen des Reinraums auf die VOC-Belastung eines Reinraums berücksichtigt. Die Frischluftrate berechnet sich folgendermaßen:

 

Hierbei gilt:
nCR       = Frischluftrate im Reinraum
LWRCR  = Luftwechselrate im Reinraum
FLACR   = Frischluftanteil im Reinraum

Bei der Frischluftrate ist zu beachten, dass hierbei die Zuführung von VOC-freier Reinstluft angenommen wird. Der dekadische Logarithmus von TVOCCR ergibt die ISO-AMC-Klasse des Reinraums. Diese wird in folgendem Format angegeben: ISO-AMCCR Klasse N (or). Die ISO-AMCCR-Klassifizierung erfolgt gemäß DIN EN ISO 14644-8 (s. Tab. 1).
Fazit
Durch eine geeignete Prüfkammermessung und entsprechender Analytik kann die spezifische Emissionsrate flüchtiger organischer Verbindungen einer Materialprobe bestimmt werden. Ausgehend von diesem Wert wird durch eine geeigente Normierung eine Materialklasse berechnet. Diese einheitliche Mateiralklassifizierung ermöglicht den direkten Vergleich des Ausgasungsverhaltens flüchtiger organischer Verbindungen der getesteten Materialien.
Die hier vorgestellte Vorgehensweise wird im Industrieverbund CSM (cleanroom suitable materials, www.ipa-csm.com) des Fraunhofer IPA angewandt. Die untersuchten und klassifizierten Materialien erhalten ein entsprechendes CSM-Siegel und werden in die Datenbank des Industrieverbunds eingestellt. Die Datenbank ermöglicht direkte Vergleiche der getesteten Materialien nicht nur hinsichtlich des Ausgasungsverhaltens, sondern auch anderer Parameter wie chemische Beständigkeit, Partikelabrieb und Bioresistenz und stellt somit ein geeignetes Werkzeug bei der Auswahl reinraumtauglicher Werkstoffe dar.

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