Anlagenbau & Prozesstechnik

Sicherheit im Reinraum - Nachlese zur SwissCCS Generalversammlung und Fachtagung 2019

23.05.2019 - Die jährliche Generalversammlung mit anschliessender Fachtagung, die am 10. April 2019 in Wangen a. Aare stattfand hatte den Titel: Sicherheit im Reinraum – Lösung und Problem.

Die SwissCCS, die Schweizerische Gesellschaft für Reinraumtechnik, wurde 1971 gegründet. Sie stellt eine Non-Profit-Vereinigung mit zur Zeit ca. 185 Kollektiv- und 120 Einzelmitgliedern dar und organisiert regelmässig Tagungen, Seminare und Firmenbesuche zu Themen der Reinraumtechnik. In diesem Jahr lag der Themenfokus des Frühjahrsseminars auf Sicherheitslösungen zu den Themen Personenschutz, Vernetzungen, Biosicherheit, Havarie-Dispositiv, Regulierung, Monitoring, Ex-Schutz, Arbeiten mit Gasen, Brandschutz, Fluchtwege, Elementarschäden, Strom, Abwasser, Isolationstechnik und Nanopartikel.

Fokus auf Sicherheit im Reinraum
Wie der Präsident, Hans Zingre in seinem Eröffnungsreferat betonte, muss jeder, der einen Reinraum benötigt oder plant, die Thematik Sicherheit hoch ansetzen. Potentiell gefährliche Substanzen und Prozesse in Kombination mit höchsten Qualitätsstandards machen Reinräume zu anspruchsvollen Umgebungen, wenn es um den Schutz von Menschen, Produkten und der Umwelt geht. Dabei ist gerade die Gebäudeinfrastruktur für diese herausfordernden Umgebungen entscheidend. Allgemeine- und spezifische Risikobetrachtungen geben Aufschluss über die Gefahren für den Menschen im Reinraum, aber auch über mögliche Risiken für die Fertigung von reinen Produkten. Nebst eigenen Sicherheitsbetrachtungen sind auch die Behörden mit ihren allgemeingültigen Sicherheitsvorgaben in eine Gesamtbetrachtung für die reine Produktion einzubeziehen. In verschiedenen Regularien werden die Sicherheit für den Menschen und die Produkte aufgeführt. Diese sind mit adäquaten Lösungen umzusetzen und behördlich genehmigen zu lassen. Besonders im Herstellungsprozess pharmazeutischer Produkte vom Rohstoff bis zum Endprodukt spielt die Vermeidung von Kreuzkontaminationen durch Menschen, Prozesse, Sachwerten und Hilfsmitteln in Reinräumen eine wesentliche Rolle. Die Sicherheit des Prozesses hängt davon ab, die Konzentration von Partikeln innerhalb eng spezifizierten Grenzen zu halten.

Normenregelwerken in der Reinraumtechnik
SwissCCS-Vorstandsmitglied Werner Straub bot in Anlehnung an ein Referat von Vorstandsmitglied Arnold Brunner, der verletzungsbedingt ausfiel, eine Übersicht über den Stand der in der Reinraumtechnik relevanten Normen. Neben der weltweiten ISO Normenfamilie, der CEN auf europäischer Ebene und den Schweizer Normen, repräsentiert durch den SNV, gibt es auch privatrechtliche Firmen-Normen. Sie beruhen auf einer Standardisierung und dienen als Arbeitsgrundlage; die Produkte sind geprüft. Die allgemeinverbindlichen, anerkannten Normen dienen als Grundlage für das Funktionieren des Binnenmarktes. Mit Hilfe solcher Normenwerke wird der freie Warenverkehr im Binnenmarkt standardisiert und auf die Wettbewerbsfähigkeit unter den Unternehmen garantiert. Sie spiegeln den Stand der Technik wider, repräsentieren dabei aber immer auch einen gewissen „Back Lag“, da die Überarbeitung von Normen Zeit erfordert.
Normen, wie insbesondere auch Reinraumnormen, sind technische Anleitungen, Regeln und Beschreibungen und als solche keine Gesetze, sie können aber als Gesetze referenziert sein. Solche Normenwerke werden nicht einfach erlassen, sondern ergeben sich aus einer freiwilligen Normungstätigkeit der Interessierten auf weltweiter, europäischer und nationaler Ebene und enstehen auf der Grundlage der Selbstorganisation.
Ein Normenprojekt beginnt mit einem Projektvorschlag und durchläuft mehrere Abstimmungen. Dieser Prozess der Standardisierung dient der Entwicklung und Harmonisierung von Normenregelwerken. Um weltweit Einfluss nehmen zu können arbeiten Experten aus der Schweiz in im internationalen ISO Komitee, dem ISO Technical Management Board (TMB) mit. Mitglieder von nationalen Normenorganisationen, Permanente und Gewählte repräsentieren für eine Dreijahresperiode die Interessen der ISO Gemeinschaft an den drei jährlichen Sitzungen. Ihre Hauptaufgaben sind die Gesamtleitung der technischen Arbeit, die Festlegung der Regeln für Qualität und Effizienz, und Vorarbeiten über strategische Fragen. Die Generalversammlung stimmt über einige der Entscheidungen zum Normenprojekt ab. Die Normen werden normalerweise in den Working Groups, WG, entwickelt. Diese auf Konsens gründenden Normenentwürfe gelangen zur Abstimmung in den nationalen «Spiegelkomitees». Die nationalen technischen Komitees sind ihrerseits in Working Groups, geleitet durch einen Convenor, organisiert. Sie arbeiten den ISO-Komitees zu. Ihre Kommentare fließen in einen neuen, fortgeschrittenen Entwurf ein. Die Normungsarbeit ist in «Internal Regulations» von ISO wie CEN vorgegeben. Sie ist stark konsensorientiert. Die von den Komitees herausgegebenen Vorschläge, die Drafts, werden weltweit gestreut und die nationalen Gruppen können Änderungsvorschläge einreichen. Am Schluss werden die ISO-Normen publiziert und die Arbeitsgruppe wird inaktiv.
EN-Normen werden seit 2012 innert zwei bis drei Jahren entwickelt. Bereits nach acht Monaten muss ein Entwurf für eine öffentliche Umfrage, Enquiry genannt, eingereicht werden, daher muss die Arbeitsgruppe bereits beim Projektstart gut vorbereitet und straff organisiert sein.
Publizierte Normen werden alle 5 Jahre überprüft. Daraus resultiert ein Review und evtl. eine Überarbeitung der Norm. Die verschiedenen Normenvereinigungen wie ISO, CEN, etc. müssen auch aufeinander abgestimmt und harmonisiert werden. Die Wiener Vereinbarung regelt die technische Zusammenarbeit zwischen der Internationalen Normungsorganisation ISO und dem Europäischen Pendant CEN und dient der gegenseitigen Anerkennung.
Welche Normen gibt es im Reinraumbereich? Die Normen-Reihe „Reinräume und zugehörige Reinraumbereiche“ EN ISO 14644 und die und EN ISO 14698 bestehen je aus 16 Teilen. Der Referent stellte die Reinraum-relevanten ISO-Normen vor, die neu erarbeitet – sowie jene, die gerade überarbeitet werden.

Elektroinstallationen in explosionsgefährdeten Bereichen
Referent Peter Thurnherr, CEO der Fa. Thuba in Basel, ist in der Normenarbeit zur weltweiten Standardisierung elektrischer Betriebsmittel für explosionsgefährdete Bereiche unter der Federführung der International Electrotechnical Commission, IEC, tätig. Thuba bietet massgeschneiderte Lösungen im Bereich des Explosionsschutzes auf der Basis solcher internationalen Standards zum Explosionsschutz an. Denn Zweidrittel aller Unfälle im Betrieb passieren auf der Grundlage der Elektrostatik. Planungsfehler im Bereich des Explosionsschutzes können in der Umsetzung nicht mehr korrigiert werden. Bei der Mitarbeiterschulung wird auf eine intelligente Fehlerkultur geachtet, denn, wie Thurnheer betonte: „der Teufel steckt im Detail“.

Biosicherheitssysteme im BSL-4 Umfeld
Dr. phil. nat. Benjamin Weber, Chef der Gruppe Biosicherheit und Technik im B-Sicherheitslabor, Labor Spiez Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS), präsentierte das Sicherheits-Konzept des Bundesamts für ABC-Schutz in Spiez. In den B-Laboren, in denen mit biologischem Material hantiert wird, müssen umfangreiche Schutzmaßnahmen für den Hochsicherheitsbetrieb getroffen werden. Dementsprechend werden die Laboratorien in definierte Zonen eingeteilt. Dabei spielen vor allem die Raumdichtigkeit, die Abwassersterilisation und ein Notfallmanagement die entscheidende Rolle. Dr. Weber wird in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift ReinRaumTechnik selbst darüber berichten.

Sicherheits- und Gefahrenmanagement unter Notfallbedingungen
Wie Thomas Keusch, Facility Manager bei ABB Semiconductors in Lenzburg betonte, gelten in den Reinräumen des Produzenten höchste Sicherheitsvorschriften. Halbleiterbauelemente werden hier unter hohen Reinheitsbedingungen hergestellt.  ABB Semiconductors produziert für vier Anwendungsbereiche: die Stromübertragung und Stromverteilung, in deren Umfeld Leistungshalbleiter als Schalter Energieströme im Megawatt-Bereich schalten. Des weiteren für Motoren in Antrieben von Schiffsmotoren, Pumpen, Lüftern oder Gaskompressoren sowie in Gleichrichtern großer Aluminiumschmelz-, Zement- oder Chlorwerke. Die Antriebe von Zügen sind ebenfalls mit Halbleiterelementen ausgerüstet. Eine zukunftsträchtige Sparte ist diejenige der erneuerbaren Energien, wo z. B. in der Netzanbindung des größten Offshore-Windparks der Welt, BorWin1, Leistungshalbleiter von ABB verbaut werden.
Bei der Planung, dem Aufbau und der Umsetzung der Sicherheitsmanagementsysteme müssen Schutzziele definiert sein und Gesamtrisikoanalysen erstellt werden, wie z. B. für Hochwasser, Sturm, etc.. Denn die Aufrechterhaltung des Systems auch unter Notfallbedingungen muss garantiert werden können. Die Besonderheit des Sicherheitsmanagementsystems beruht auf einer Notfallmatrix, die automatisch funktioniert. Die ABB Lenzburg gewann dafür und für die Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit durch eine digital vernetzte Produktion im letzten Jahr den Digitalisierungspreis: „Fabrik des Jahres“.

Anforderungen des Arbeitnehmerschutzes an die Reinräume
Vesna Šormaz, Arbeitshygienikerin SGAH, Eidg. Dept. für WBF vom Staatssekretariat für Wirtschaft SECO bei der Eidgenössischen Arbeitsinspektion in Bern befasste sich mit gesetzlichen Grundlagen des Personalschutzes und der Dualität der Gesetze. Dabei wurden die Themen Vermeiden von Unfällen, Tageslicht und Sicht ins Freie, auch im Reinraum, Ergonomie am Arbeitsplatz, die Erhöhung der Sicherheit durch ausgewiesene Fluchtwege und Brandschutzmassnahmen angesprochen.

Eine spezielle Herausforderung: Personal- und Investitionsschutz
Jens Feddern, Business Development Manager bei Siemens Schweiz, Zürich stellte organisatorische, technische und strukturelle Maßnahmen vor, die dazu beitragen, Risiken im Reinraum rechtzeitig zu detektieren, die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadensfalles zu reduzieren und dessen Auswirkungen zu begrenzen.
Pharmazeutische Substanzen werden in Zonen mit kontrollierter Atmos­phäre produziert, unter Einhaltung aller Normenanforderungen und mit sehr strengen Sicherheitsprotokollen. Die Konzentration der Partikel im Innern der Gebäude ist streng definiert und muss permanent kontrolliert werden. Spezifische Normen gelten auch für gewisse Parameter wie Temperatur, Feuchtigkeit oder relativen Druck, die auf genau definierten Leveln aufrechterhalten werden müssen. Die Sicherheits-Herausforderungen in der Life Science Industrie sind entsprechend umfangreich. Besonders dem Personenschutz und dem Schutz vor Querkontamination wird viel Aufmerksamkeit zuteil. Diese zielen darauf ab, Kontaminationen der Produkte und Berufskrankheiten des Personals zu vermeiden. Weitere Schutzziele sind, Auswirkungen des Reinraum-Betriebs auf die Umwelt und übermässige Energieemissionen zu vermeiden.
Für jeden Reinraum muss ein integrales Risiko- und Sicherheitsmanagement durch den Arbeitgeber eingerichtet und verantwortet werden, da die gesetzlichen Vorschriften nicht sehr umfangreich sind. Veddern warnte davor, einzig auf technische Lösungen zu setzen. Intelligente Interaktionen, die das Schadensrisiko senken sind aufgrund des menschlichen Faktors ebenso wichtig.
Er fokussierte darauf, Schutzziele mit strukturellen Massnahmen umzusetzen, wie z. B. bei der Gasdetektion oder bei der Brandlöschung. Brandschutzmaßnahmen beginnen bereits im Vorfeld mit Detektionsmassnahmen. Da der Reinraum bei permanentem Überdruck betrieben wird, sind Brände besonders heikel. Sprinkleranlagen sind weniger zu empfehlen als Löschgase, die das O2 in der Luft reduzieren. Ebenso wichtig sind effektive Evakuierungsmaßnahmen, wie z. B. ein voice-evacuation-System, das zusätzliche Informationen an die Mitarbeiter liefert. Besonders workflow-basierte Gefahrenleitsysteme, die untereinander kooperieren, senken in ihrer Kombination das Risiko und den Schaden bei gefährlichen Bränden.
Zum Abschluss der Fachtagung ergab sich eine Diskussionsrunde unter der Leitung von Werner Straub, bevor man zum Networking Apéro überging. Fachleute und Anwender erhielten mehr Klarheit über die laufenden Prozesse und über Ursachen von Fehlproduktionen. Die verschiedenen Fehlerquellen lassen sich gezielt ausschalten und damit die Sicherheit erhöhen. Die Teilnehmer konnten eine Fülle von neuen Ideen und Kontakten mit nach Hause nehmen.