Strategie & Management

Akquisition von Chemieunternehmen in China

In den nächsten drei bis fünf Jahren sind die Bedingungen für Firmenkäufe in China günstig

11.03.2019 -

Trotz der derzeitigen Abschwächung des Wirtschaftswachstums in China und den Auswirkungen der verschärften Umweltgesetzgebung wird ­China weiterhin als der wichtigste Wachstumsmotor für die globale Chemieindustrie angesehen. Exporte nach China sind für europäische Chemie­unternehmen ein Weg, um von diesem Wachstum zu profitieren. Der erfolgversprechendste Weg ist aber eine lokale Produktion in China selbst. Wenn diese innerhalb kurzer Zeit erfolgen soll, ist der Kauf eines chinesischen Unternehmens geeigneter als der zeitraubendere Weg über den Aufbau einer eigenen Produktion.

Allerdings hat solch ein Kauf eines lokalen Unternehmens in China seine Besonderheiten. Zum einen hat die Chemieindustrie in China ihre eigenen Charakteristika, wie bspw. der größere Einfluss des Staates, die derzeitige Verschärfung der Umweltgesetzgebung, die Koexistenz verschiedener Besitzertypen (Existenz von Staatsbetrieben), rapide steigende Löhne, Überkapazitäten bei vielen Chemikalien, eine hohe Fragmentierung vieler Chemiesegmente, die Nutzung alternativer Rohstoffe wie Kohle und die großen Unterschiede zwischen den einzelnen Provinzen (der Pro-Kopf-Verbrauch von Polypropylen beträgt  z. B. in der Gansu-Provinz nur ein Viertel des Verbrauchs in Shanghai oder Peking). Vor dem Kauf eines Chemieunternehmens in China sollte zumindest ein generelles Verständnis dieser Eigenheiten vorliegen.
„Die Bewertung von Chemieunternehmen liegt in China generell deutlich höher als in Europa.“

„Die Bewertung von Chemieunternehmen
liegt in China generell deutlich
höher als in Europa.“

Darüber hinaus liegt die Bewertung von Chemieunternehmen in China generell deutlich höher als in Europa, wie die Tabelle zeigt, die auf der Bewertung einer großen Zahl von börsennotierten Unternehmen basiert.
Diese hohen Bewertungen sind für westliche Käufer häufig zunächst ein Schock, reflektieren aber die höheren Wachstumserwartungen chinesischer Unternehmen und müssen mehr oder weniger akzeptiert werden, wenn ein Unternehmenskauf erfolgreich durchgeführt werden soll.

Auswahlkriterien und Risiken
Auch die Auswahlkriterien und Risiken einer Akquisition in China unterscheiden sich von denen ähnlicher Transaktionen in der westlichen Welt.
So muss die Planung für die zukünftige Geschäftsentwicklung aggressiver sein, um den im Vergleich zum Gewinn höheren Kaufpreis zu rechtfertigen. Typischerweise bedeutet dies, nicht nur das Wachstum des chinesischen Unternehmens in den letzten Jahren weiter als gegeben anzunehmen, sondern zudem von einem zusätzlichen Wachstum auszugehen, das  z. B. durch Synergien oder neu in China eingeführte westliche Produkte und Technolo­gien gerechtfertigt werden kann. Dies stellt natürlich ein Risiko dar.

Ein Aspekt, der deutlich mehr Aufmerksamkeit erfordert als beim Kauf eines westlichen Unternehmens, ist der Produktionsstandort. Liegt dieser in einem Chemiepark oder nicht? Im letzteren Fall ist sehr wahrscheinlich in den nächsten Jahren eine Standortverlegung erforderlich. Auch innerhalb der Chemieparks gibt es Unterschiede – kleinere (also lokale und nicht Parks auf nationaler oder Provinzebene) unterliegen einer höheren Wahrscheinlichkeit der Schließung.

Ein bekanntes Risiko des Erwerbs eines chinesischen Privatunternehmens ist die Konkurrenz durch den Vorbesitzer, der nach dem Verkauf seines Unternehmens ein neues eröffnet und Konkurrenzvorteile anhand seines lokalen Netzwerks und seiner Marktkenntnis besitzt. Dieses Risiko kann durch eine geeignete Struktur des Verkaufs abgemildert werden. Brenntag erwarb zum Beispiel zunächst nur 51 % des lokalen Chemiedistributors Zhong Yung. Die übrigen 49 % verblieben beim Gründer, der Brenntag in den folgenden fünf Jahren bei der Weiterentwicklung des Geschäfts half. Durch eine Vereinbarung, nach diesen fünf Jahren die verbliebenen 49 % vom Gründer in Abhängigkeit von bestimmten Zielparametern zu kaufen, wurde der Gründer motiviert, Brenntag zu unterstützen und von der Gründung eines Konkurrenz­unternehmens abzusehen.

Westliche Firmen kaufen in der Regel Privatunternehmen – der Verkauf eines Staatsunternehmens an einen westlichen Investor ist eher unwahrscheinlich. Bei der Erstellung einer Liste von Akquisitionszielen sollte also der Schwerpunkt auf börsennotierten oder Privatunternehmen liegen.

Vorbereitungen und Best Practice-Beispiele
Ausländische Chemieunternehmen äußern gelegentlich die Befürchtung, die Kunden in China würden Preissenkungen fordern, sobald die Produktion lokalisiert worden ist. Dies ist in der Tat der Fall, die Auswirkungen können aber mit geeigneten Maßnahmen abgeschwächt werden. Eine Möglichkeit ist, nach einer Akquisition den lokalen Markennamen zu erhalten, wie es ­AkzoNobel im Lackbereich und DSM bei UHMWPE getan haben. Dies erlaubte den Unternehmen, niedrigere Marktsegmente anzusprechen, ohne die Preise ihrer Premiummarken zu senken.
Der Schutz von geistigem Eigentum ist häufig ein Grund zur Besorgnis für ausländische Firmen, die lokal produzieren wollen, da dies in der Regel bedeutet, bestimmtes Know-how nach China zu transferieren. Allerdings zeigen Beispiele aus der chemischen Industrie in den letzten Jahren auch, dass Probleme vor allem dann auftreten, wenn einzelne Firmenangestellte – unabhängig von ihrer Nationalität oder ihres Standorts – auf illegale Weise ihr Wissen an Wettbewerber verkaufen. Darüber hinaus hat China in den letzten Jahren Schritte unternommen, geistiges Eigentum besser zu schützen, wie die Einrichtung eines entsprechenden Revisionsgerichts zeigt. Der Grund ist sicherlich, dass chinesische Unternehmen zunehmend selbst daran interessiert sind, ihr geistiges Eigentum zu schützen.

Besonders wichtig ist es, potenzielle Akquisitionsziele sehr genau auf Gesetzeskonformität zu prüfen, was zeitaufwändig und nicht einfach ist. Dies bezieht sich  z. B. auf Sicherheits- und Umweltaspekte, Steuerzahlung, Arbeitsgesetzgebung, Schmiergelder, usw. Ein möglicher Ansatz ist hier, mit relevanten Unternehmen zunächst nur zu kooperieren und den Kauf erst vorzunehmen, wenn ein gewisses Wissen aufgebaut worden ist. BASF kaufte bspw. den lokalen Lackhersteller Guangdong Yinfang nicht direkt, sondern nutzte die chinesische Firma zunächst als Lohnhersteller und erwarb sie erst einige Zeit später.

„Firmenkäufe in China
dauern oft länger und erfordern mehr
Ressourcen auf Seiten des Käufers.“


All diese Aspekte müssen schon berücksichtigt werden, wenn ein Akquisitionsziel ausgewählt wird. Darüber hinaus treten zusätzliche Aspekte in das Blickfeld, sobald der Kaufprozess für ein bestimmtes Unternehmen beginnt. Hier gibt es verschiedene Eigenheiten, die mit dazu führen, dass die Erfolgschancen von Akquisitionen in China niedriger liegen als in anderen Regionen. Beim Kauf eines Privatunternehmens stellt sich der Besitzer gelegentlich als relativ unwissend heraus und muss dann vom Käufer erst in Bezug auf einige Aspekte des Kaufs unterrichtet werden. Häufig gibt es im Hintergrund solcher Unternehmen verschiedene Einflusspersonen und Freunde, deren genauer Einfluss auf den Besitzer nicht immer klar ist.
Darüber hinaus zögern private Firmenbesitzer häufig, auch relativ unwichtige Aufgaben im Verkaufsprozess zu delegieren, was zu Verzögerungen führen kann. Westliche Käufer sollten daher den notwendigen Aufwand für die Sammlung und Verifizierung von Firmendaten nicht unterschätzen. Privatunternehmen verfügen häufig nicht über ein konsistentes und zentralisiertes System der Datenspeicherung, und die Chance falscher Firmendaten ist hoch. In der Konsequenz dauern Firmenkäufe in China daher oft länger und erfordern mehr Ressourcen auf der Seite des Käufers.
 

„In den nächsten drei bis fünf Jahren
sind die Bedingungen für
Firmenkäufe in China besonders günstig.“

Günstiges Marktumfeld für M&A
Die Aufzählung all dieser möglichen Schwierigkeiten lässt einen Firmenkauf in China als ein sehr komplexes Unterfangen erscheinen. Auf der anderen Seite stellen gerade die nächsten drei bis fünf Jahre einen Zeitraum mit besonders günstigen Bedingungen für Firmenkäufe dar. Kleinere lokale Unternehmen stehen derzeit unter starkem Druck, ihre Produktionsanlagen zu verbessern oder den Produktionsstandort zu verlagern, was hohe Investitionen erfordert. Einige dieser Unternehmen verfügen schlicht nicht über die Mittel für solche Investitionen – dies ist ein Anreiz, das Unternehmen zu verkaufen. Gleichzeitig haben die verschärften Umweltgesetze bereits zur Schließung vieler kleinerer Wettbewerber geführt, wodurch die Margen verbessert worden sind.
In diesem Umfeld sollten west­liche Chemieunternehmen mit umweltfreundlichen Produkten und Produktionsprozessen deutliche Wettbewerbsvorteile besitzen. Chemieparks ziehen darüber hinaus oft westliche Chemieunternehmen für Ansiedlungen vor, so dass der Verkauf an ein solches Unternehmen die Suche nach einem neuen Produktionsstandort erleichtern kann. Die Kombination all dieser Faktoren führt dazu, dass ein Firmenkauf in China trotz der erwähnten Risiken und Schwierigkeiten durchaus in Erwägung gezogen werden sollte.