Strategie & Management

Digitale Revolution im Labor

Forschung und Entwicklung von morgen ist Zentrum eines agilen Netzwerks

19.01.2016 -

Innovation war schon immer ein Schlüssel zum Erfolg für Chemiefirmen. Allerdings haben sich Kundenanforderungen und Innovationsmöglichkeiten durch digitale Technologien grundlegend geändert. Die Forschung und Entwicklung (F&E) ist dem bisher nicht gefolgt, was ihre Effektivität erheblich einschränkt.

Während die chemische Industrie wie früher auch nach neuen Molekülen und Materialien sucht, wird zunehmend in zwei weiteren Innovationsgebieten geforscht. Das erste Gebiet ist die Entwicklung neuer Anwendungen für existierende Moleküle und neue Materialien. Das zweite sind neue Produkte und Geschäftsmodelle, die immer mehr zum Wachstumsmotor für die Industrie werden.

In beiden Gebieten können und sollten digitale Technologien zum Einsatz kommen, um die F&E-Funktion effektiver und effizienter zu machen – nicht zuletzt deswegen, weil viele Firmen in ähnlichen Feldern auf der Jagd nach Innovationen sind.

Warum sich die F&E ändern muss

Die chemische Industrie hat ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen in den letzten Jahrzehnten weiter entwickelt, aber einige herkömmliche Praktiken haben sich in den vergangenen 40 Jahren kaum verändert. So sind die Labore mit einem Doktor der Chemie und zwei bis drei Laboranten, die aus dem Team heraus neue Produktideen entwickeln und mit Papieraufzeichnungen und Excel-Auswertungen arbeiten, nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Digitale Technologien können der F&E helfen, sich aus der oben beschriebenen Aufstellung hin zum zentralen Teil eines Innovations-Ökosystems zu entwickeln – eines, das Ideen und Fähigkeiten aus einem erweiterten Netzwerk interner und externer Partner zusammenbringt und der Forschung erlaubt, näher am Kunden, Zulieferern und weiteren Partnern zu sein. In einem zunehmend wettbewerbsintensiven Umfeld ermöglicht der Zugang zu zusätzlichen Fähigkeiten, Ideen und Ressourcen bei transparenten und schlanken Strukturen den F&E-Führungskräften, einen höheren Geschäftsnutzen bei niedrigeren Kosten zu realisieren.

Die Elemente des Innovations-Ökosystems

Um eine vernetzte F&E-Funktion aufzubauen, müssen sechs Kernfelder bearbeitet werden:

  • Ideenfindung. Ideen werden nicht nur im eigenen Labor, sondern in einem breiten Ökosystem unter Einbindung von Kunden, Lieferanten und Partnern generiert. Die Grenzen zwischen Labor, Organisation, Partnern und Kollaborationen auf Adhoc-Basis verschwimmen dabei und ermöglichen einen intensiveren Austausch. Procter & Gamble (P&G) hatte schon vor zehn Jahren Erfolg mit diesem Ansatz und ist ein viel zitiertes Vorbild. Das Unternehmen hat eine Innovationsplattform im Netz eingerichtet, auf der externe Innovatoren ihre Ideen in einem einfachen Prozess einreichen können. Damit hat P&G seine Produktivität in der F&E um 60 % erhöht und die Erfolgsrate verdoppelt (HBR, March 2006).
  • Organisation. F&E fungiert als Drehkreuz für ein gemeinsames Ressourcen-Netzwerk und integriert die Beiträge der unterschiedlichen Partner. Digitale Technologien halten dabei die Netzwerkknoten zusammen und ermöglichen eine enge Zusammenarbeit zwischen den Partnern. Routine und repetitive Arbeiten werden ausgegliedert, gebündelt und ausgelagert, was die Effizienz deutlich steigert und dem Kernteam einen stärkeren Fokus auf strategische und kreative Tätigkeiten ermöglicht. Dieses Vorgehen wird in der Pharmabranche in integrierten Outsourcing-Modellen schon angewandt, wodurch Kostenersparnisse von rund 30 % möglich sind (Accenture, 2013).
  • Prozesse. Für einen besonders wirksamen Einsatz des Ökosystems sind flexible und effiziente Prozesse notwendig. Ein Schlüssel dazu ist die Automatisierung: Telematik, Roboter und autonome Systeme können experimentbezogene Prozeduren wie das Pipettieren, Verdünnen oder Mischen nach Rezept durchführen. DuPont hat durch die Vernetzung und Geräte-Automatisierung ein schnelles Formulierungs-Forschungs-System entwickelt, das eine Vielzahl unterschiedlicher Teststücke direkt aus einem Extruder-Durchlauf hervorgebracht hat. Mit dieser Methode konnte DuPont einen Additiv-Testprozess von ehemals 18 bis 24 Monate auf drei Monate reduzieren (AZOMaterials, 2010).
  • Vernetzung. Papier basierte Arbeiten werden ersetzt durch virtuelle Plattformen, die das Sammeln und Teilen von digitalen Informationen deutlich beschleunigen und ausweiten. Mit dem „Internet der Dinge“, das Sensoren, Anlagen, Computer und andere Objekte verbindet, werden Laborgeräte autonom Daten austauschen und analysieren und in die statistische Experimentplanung einspeisen. Mit der resultierenden Transparenz des kompletten F&E-Portfolios werden mit einer viel höheren Sicherheit die „richtigen“ Projekte priorisiert.
  • Analytics. In der F&E von morgen wird die menschliche Sichtweise ergänzt durch ein Set an digitalen Werkzeugen wie die automatische Trend- und Mustererkennung. Die Verschiebung von physischen zu virtuellen Experimenten wird sich beschleunigen, bspw. beim digitalen Moleküldesign, der chemischen Charakterisierung und der Anwendungssimulationen, was zu einer drastischen Kürzung der Experimentierzeit führt. Virtuelle Experimente gibt es bereits in der Pharmaforschung: Johnson & Johnson hat in einer Dosierungs-Testreihe 40 % der Versuchszeit eingespart und die Anzahl der Probanden um 60 % reduzieren können (The Economist, 2005).
  • Fähigkeiten. In der F&E werden die benötigten Fähigkeiten aus einem flexiblen und erweiterten Netzwerk durch soziale Medien, mobilen Technologien und optimierte Schnittstellen zur Verfügung gestellt. Zusätzlich zum Chemiefachwissen werden deshalb weitere Fähigkeiten im Team benötigt wie Netzwerkmanager, Motivatoren, digitale Experten, Analytics Experten, Unternehmer und andere. Führungskräfte werden nicht mehr nur ein kleines Team im Labor führen, sondern werden ein Netzwerk von Kollegen, Externen und anderen Interessengruppen mit unterschiedlichen kulturellen, technischen und unternehmerischen Hintergründen managen.

Das Potenzial verstehen und realisieren

Firmen, die ihre F&E neu strukturieren und die Vorteile digitaler Technologien ausschöpfen, können ihre Effizienz und Effektivität signifikant verbessern. Unsere Erfahrung zeigt, dass die wichtigsten Kennzahlen wie Zahl der Projekte, die Erfolgsrate, der durchschnittliche Nutzen, die Kosten pro Projekt und die Time-to-Market um 20 - 40 % verbessert werden können (vgl. Grafik) und die Gesamtproduktivität der F&E-Funktion insgesamt verdoppelt werden kann.

Der entstehende Nutzen einer transformierten F&E-Funktion sollte ein überzeugendes Argument für den Aufbau eines digital getriebenen Innovations-Ökosystem sein. Die Frage ist, wie sich ein solches System schnell und unkompliziert aufbauen lässt.

Die gute Nachricht ist, dass die Chemieindustrie das Rad nicht neu erfinden muss. Viele der erforderlichen Technologien und Prozesse sind verfügbar und in anderen Branchen wie der Pharmaindustrie teilweise schon etabliert. Folglich können die Unternehmen in allen sechs F&E-Kernfeldern schnell Fortschritte erzielen. Mit einem klaren Verständnis für den gewünschten Zielzustand können die Unternehmen zudem die richtigen Prioritäten setzen.

Welchen Weg auch immer ein Unternehmen beschreitet, es ist besser, früher als später zu starten. Denn eins ist sicher: der Wettbewerbsdruck im Bereich Innovation wird zunehmen und der Markt wird seine Erwartungen entsprechend anpassen.

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