Anlagenbau & Prozesstechnik

Alternativen Katalysatorenlösungen für die Zeit nach dem Erdöl gesucht

11.11.2010 -

Erdöl wird auf mittlere Sicht seine dominierende Stellung als Basisressource der Chemieindustrie verlieren. Die Industrie entwickelt deshalb zunehmend alternative Verfahren, um Treibstoffe und chemische Produkte nicht wie bisher nur auf Basis von Erdöl, sondern zunehmend aus Erdgas und Kohle und sogar aus nachwachsenden Rohstoffen gewinnen zu können.

Derzeit erlebt die chemische Industrie einen Paradigmenwechsel. Denn Erdöl, bis heute die unumstrittene Basisressource der Chemie- und Petrochemieindustrie, wird auf mittlere Sicht seine dominierende Stellung verlieren. Die Ressource wird knapper, die Kosten ihrer Förderung und damit ihr Preis immer höher. Je nach zugrunde gelegten Untersuchungen werden die heutigen Erdölvorräte in 35 bis 45 Jahren erschöpft sein. Eine bisweilen als Alternative ins Feld geführte Gewinnung von Erdöl aus Ölschiefern und Ölsänden ist kostenintensiv und geht mit vergleichsweise hohen Umweltbelastungen einher. Wichtiger noch: Auch durch Fokussierung auf Ölschiefer und Ölsande würde sich die Verfügbarkeit der Ressource Öl nur um wenige Jahre verlängern lassen.

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Vor diesem Hintergrund hat die chemische Industrie zunehmend alternative, nicht-ölbasierte Verfahren entwickelt, um Treibstoffe wie Benzin und Diesel sowie chemische Produkte wie Kunststoffe oder Düngemittel zunehmend aus den fossilen Energieträgern Erdgas und Kohle und sogar aus nachwachsenden Rohstoffen gewinnen zu können.

Bei den sog. Gas-to-Liquid (GTL) bzw. Gas-to-Chemicals (GTC) und Coal-to-Liquid (CTL) bzw. Coal-to-Chemicals (CTC) Verfahren werden Gas bzw. Kohle zu Treibstoffen und Basischemikalien verarbeitet. So produziert Südafrika seit dem Handelsboykott aus Zeiten der Apartheid, Treibstoffe mit CTL-Technologien aus seiner Steinkohle. Heute stehen diese Technologien vor dem weltweiten Durchbruch. Die Gründe liegen einmal in den gestiegenen Ölpreisen, wodurch die aufwändige Veredelung von Gas und Kohle wirtschaftlich darstellbar wird. Zum anderen haben technologieorientierte Spezialchemieunternehmen in den letzten Jahren immer leistungsfähigere Katalysatoren entwickelt, die eine effizientere und zielgenauere Umwandlung von Gas und Kohle in die gewünschten Produkte ermöglichen. Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Ressourcenknappheit sind Katalysatoren heute wichtiger denn je: rund 80% aller Chemieprodukte entstehen mit Hilfe von Katalysatoren, die in der Regel maßgeschneidert entwickelt werden.

In den GTL- und CTL-Prozessen wird Erdgas bzw. Kohlegas zunächst im Dampfreformier-Prozess bzw. durch die sog. Vergasung bei hohen Temperaturen zusammen mit Wasserdampf bzw. Sauerstoff meist unter Verwendung von Katalysatoren in Synthesegas (Syngas), eine hoch energiereiche Mischung aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid, umgewandelt. Aus Syngas entsteht schrittweise in weiteren katalytischen Prozessen mithilfe von Fischer-Tropsch Katalysatoren ein breites Spektrum von Kraftstoffen. Neue Technologien erlauben es zudem, Syngas direkt in schwefel- und stickstofffreie - d.h. saubere - Treibstoffe oder in Basisbausteine der Chemie (wie z.B. Propylen oder Ethylen) zu überführen.

Die großtechnische Umsetzung erfordert hohen Aufwand. Derzeit entsteht im Golfstaat Katar, dem Land mit den drittgrößten Erdgasvorkommen der Welt, der größte auf Erdgas basierende chemische Industrieverbund. In den nächsten Jahren investieren Unternehmen dort rund 20 Mrd. US-$. Seit Anfang 2007 läuft die erste große GTL-Anlage Katars mit einer Tagesproduktion von 35.000 Barrel Dieselkraftstoff, die bis 2010 auf 100.000 Barrel pro Tag ausgebaut werden soll. Parallel dazu wird im Jahr 2010 die weltgrößte GTL-Anlage mit einer Tageskapazität von 140.000 Barrel in Betrieb genommen - das Projekt PEARL von Shell und Qatar Petroleum. Süd-Chemie hat als einziger westlicher Katalysatorenhersteller in einen Produktionsstandort für Katalysatoren in Katar investiert. Aus diesem Werk, an dem das deutsche Unternehmen die Mehrheit hält, werden ab 2008 Katalysatoren für die Prozesse vor Ort geliefert werden. Die Investitionen in Katar sind wichtige erste Schritte. Es werden jedoch noch viele Jahre vergehen, bis die Rolle des Erdöls als derzeit wichtigster Energieträger deutlich an Bedeutung verliert. So lag der Weltverbrauch von Erdöl 2006 bei etwa 84 Mio. Barrel pro Tag.

Beispiel China: Propylen aus Kohle

Die Kohle-basierten CTL- bzw. CTC-Verfahren sind gerade für Länder mit großen Kohlevorkommen wie China, USA oder Indien interessant - neben der Entlastung der Staatshaushalte durch verringerte Einfuhren von Erdöl spielt hier das politisch bedeutsame Element der Rohstoffunabhängigkeit eine gewichtige Rolle.
Ein Beispiel: Derzeit entstehen in China erstmals zwei großtechnische, Kohle basierende Anlagen zur Herstellung von Propylen, der Basischemikalie für den weltweit boomenden Kunststoff Polypropylen. Zentrale Elemente dieser Prozesskette sind zwei von Lurgi entwickelte Verfahren, an denen die Süd-Chemie jeweils als Katalysatorenpartner beteiligt ist: das MegaMethanol- und das MTP-Verfahren. Zunächst wird in dem von Lurgi entwickelten MegaMethanol-Verfahren Methanol aus Kohle gewonnen. Im zweiten Verfahren wird dieses Methanol mit Hilfe des zeolithbasierten MTPROP-Katalysators in Propylen umgewandelt. Diese neuartige Katalysatorentechnologie der Süd-Chemie ermöglicht eine auf Kohle oder auf Erdgas basierende Herstellung von Propylen.

Die Prozesskette Kohle - Syngas - Methanol - Propylen zeichnet sich durch zwei hochinnovative Entwicklungen aus: Zum einen ist es Lurgi gelungen, die Kapazität der etablierten Methanolverfahren ohne signifikante Erhöhung der Investitionskosten auf 5.000 t/d zu erhöhen. Diese Erhöhung der sog. „Single Train"-Kapazität ermöglicht die Methanolerzeugung zu Kosten, die die Veredelung zu Propylen attraktiv machen. Zum anderen haben Weiterentwicklungen der Zeolithkatalysatoren zu Produkten geführt, die eine höhere Stabilität bei den Prozessbedingungen des MTP-Verfahrens besitzen. Durch die verbesserte Katalysatorstabilität können die kommerziell notwendigen Standzeiten erreicht werden.

Klimafreundliche Biokraftstoffe

Trotz der Fortschritte bleibt bei den Gas und Kohle basierten Verfahren das Problem der klimawirksamen CO2-Emissionen ungelöst. Deshalb entwickelt die Industrie bereits Verfahren, die den CO2-Ausstoß nachhaltig verringern, etwa durch die Verwendung nachwachsender Rohstoffe als Energieträger. Hier sind vor allem die sog. Biokraftstoffe der zweiten Generation viel versprechend. Bei deren Herstellung wird versucht, die gesamte Pflanze, also auch die Zellulosebestandteile, zu verwerten. Die energetische wie die stoffliche Ausbeute liegt gegenüber Verfahren wie dem „Biodiesel" - hier werden nur die öl- oder stärkehaltigen Bestandteile der Pflanze genutzt - deutlich höher. So können auch Abfallprodukte aus der Agrar- und Holzindustrie genutzt werden.

Zudem entfällt der Konflikt mit der Nutzung von Pflanzen zur Nahrungsgewinnung, weil etwa beim Mais die stärkehaltigen Bestandteile für die Nahrungsmittelindustrie genutzt werden, der Rest für die Kraftstoffgewinnung. Bei der Herstellung der Biokraftstoffe der zweiten Generation gibt es zwei Ansätze.
In Biomass-to-Liquid- (BTL-) Prozessen wird, analog zu GTL und CTL, die gesamte Pflanze in Synthesegas umgewandelt, welches dann mit Hilfe von Katalysatoren zur Herstellung von Treibstoffen und Chemikalien verwendet wird. Die technologische Machbarkeit des BTL-Verfahrens wurde nachgewiesen, erste kleinere Mengen an Diesel konnten in Pilotanlagen - z.B. bei Choren - produziert werden. Erste kommerzielle Anlagen sollen in den nächsten Jahren in Betrieb gehen.
Als ein weiteres Wachstumsfeld zeichnet sich die Biokatalyse ab. Hier verwendet man biotechnologisch hergestellte Enzyme, um zellulosehaltige Pflanzenbestandteile in Zucker umzuwandeln, der dann wieder zu Bioethanol oder Chemiegrundstoffen weiterverarbeitet werden kann.

Ob auf Basis der fossilen Energieträger Kohle und Erdgas oder auf Grundlage nachwachsender Rohstoffe: der Strukturwandel weg vom Öl - in kleinen Schritten und folglich mit möglichst geringen Anpassungskosten - ist eingeleitet. Chemie-, Katalysatorenindustrie und Anlagenbauer arbeiten gemeinsam Tag für Tag an Lösungen für den Treibstoff der Gesellschaft von morgen.