Chemie & Life Sciences

Clariant investiert in globales Forschungszentrum in Frankfurt

26.02.2013 -

Der Schweizer Spezialchemiekonzern Clariant hat sein Portfolio weiter fokussiert. Nach der Übernahme und Integration des Münchner Süd-Chemie-Konzerns folgte im Dezember 2012 die Unterzeichnung der Verkaufsvereinbarung der Geschäftseinheiten Textile Chemicals, Paper Specialties sowie Emulsions. Zwei weitere Deinvestitionen sind geplant. Nach der Neuausrichtung des Geschäftsportfolios will der Konzern den überwiegenden Teil seines Umsatzes von zuletzt 6 Mrd. CHF mit nichtzyklischen, wachstumsstarken Geschäften erzielen.

Dabei sollen insbesondere Innovationen zu einem profitablen Wachstum beitragen. Koordiniert wird die weltweite Clariant-Forschung künftig ausgehend vom neuen Clariant Innovation Center, das noch dieses Jahr im Industriepark Höchst in Betrieb gehen wird.

Dr. Michael Reubold sprach darüber mit Dr. Martin Vollmer, Chief Technology Officer bei Clariant.

CHEManager: Herr Dr. Vollmer, im Oktober 2010 kündigte Clariant Investitionen von 50 Mio. € in ein globales Innovationszentrum im Industriepark Höchst an. Heute wird eine Investitionssumme von 100 Mio. € genannt. Liegen Sie bei diesem Projekt im Plan?

Dr. Martin Vollmer: Ja, die genannten 100 Mio. € beinhalten eine Erweiterung der Dimension des Gebäudes von ursprünglich 23.000 m2 auf 30.000 m2 und alle Funktionalitäten für den Betrieb inkl. der Außenanlagen, deren Konzept erst nach dem Architektenwettbewerb im Jahr 2010 entwickelt wurde. Die Bauarbeiten sind „on time": Wir rechnen mit der Fertigstellung im dritten Quartal 2013. Die Einweihung des Gebäudes ist noch für dieses Jahr geplant.

Wer wird in das Gebäude einziehen?

Dr. Martin Vollmer: Das Clariant Innovation Center bietet Raum für rund 500 Arbeitsplätze. Es vereint in einem offenen architektonischen Büro- und Laborkonzept u.a. die zu dem Bereich Group Technology Services gehörende chemische Forschung und Entwicklung sowie anwendungstechnische Labors und technische Marketingfunktionen mehrerer Geschäftsbereiche. Neben der Analytik werden auch die Bereiche New Business Development und Intellectual Property Management zusammen mit der Patentabteilung in das neue Gebäude einziehen.

Durch die Zusammenführung der unterschiedlichen Disziplinen wird die F&E-Pipeline von Clariant weiter ausgebaut und die Innovationskraft gestärkt. Das Clariant Innovation Center wird das globale F&E-Zentrum des Konzerns werden. Von hier aus wird die weltweite Steuerung unserer Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten erfolgen, das schließt auch die Koordination unserer Forschungs- und Entwicklungssatelliten in den Regionen ein.

In welchen Regionen betreibt Clariant weitere Forschungszentren?

Dr. Martin Vollmer: Weltweit zählen wir derzeit zwölf Standorte für Forschung und Entwicklung in Europa, Nordamerika, Brasilien und Japan. Zwei weitere F&E-Zentren errichten wir derzeit in Indien und China. Hinzu kommt eine große Anzahl von weltweit rund 65 technischen Anwendungszentren, in denen wir kundennah Anwendungsentwicklung betreiben und technischen Service zur Verfügung stellen.

Inwiefern wirken sich die jüngsten Akquisitionen und Devestitionen auf die Standortplanung der Forschungs- und Entwicklungszentren aus?

Dr. Martin Vollmer: Wir hatten angekündigt, einen Forschungsstandort mit Schwerpunkt Textil und Papier in der Schweiz zu schließen und die Aktivitäten nach Frankfurt zu verlagern. Die Entscheidung über das Standortkonzept wird nun der Käufer der Business Units Textile Chemicals und Paper Specialties, der US-Investor SK Capital, treffen. Darüber hinaus haben die aktuellen Portfoliomaßnahmen keinen Einfluss auf die Standortentscheidungen für Forschung und Entwicklung bei Clariant.

Welche Rolle spielt Europa als Forschungsstandort für Clariant?

Dr. Martin Vollmer: Clariant will sich als Innovationsführer im Bereich Spezialchemie etablieren. Für Forschung und Entwicklung bietet Europa viele Standortvorteile. So sind hier beispielsweise alle unsere Abnehmerbranchen präsent und es lassen sich sehr einfach Entwicklungspartnerschaften entlang der Wertschöpfungskette bilden. Auch in Bezug auf Trends, wie Ressourcen- und Energieeffizienz und Nachhaltigkeit nimmt Europa eine führende Rolle ein. Deshalb sehen wir langfristig unseren Forschungsschwerpunkt innerhalb Europas. Gleichzeitig werden wir unsere Forschung weltweit ausbauen, um auch lokale Kundenbedürfnisse - gerade in den Emerging Markets - bedienen zu können.

Welche Rolle spielt die Ausrichtung der Konzernstrategie nach Megatrends, welche Rolle neue Technologien für die Innovationskraft des Chemiekonzerns?

Dr. Martin Vollmer: Beides ist wichtig. Auf der einen Seite muss die Spezialitätenchemie die Kundenbedürfnisse verstehen. Nur so kann sie Probleme, die sich im Markt ergeben, in Produktlösungen übersetzen. Insofern macht es Sinn, dass Unternehmen sich bei ihrer Strategie von Megatrends bzw. den langfristigen Bedürfnissen des Marktes leiten lassen. Auf der anderen Seite benötigt jedes Chemieunternehmen nach wie vor eine starke Technologiebasis. Die Kunst ist es, die Technologie-Plattformen entsprechend den Marktbedürfnissen weiterzuentwickeln.

In diesem Zusammenhang wird häufig diskutiert, ob Innovationen eher durch „Technology Push" oder „Market Pull" induziert werden. Ich denke, wie ein Unternehmen seine Technologie-Plattformen aufstellt, um den Marktbedürfnissen gerecht zu werden, ist ein wesentliches Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb der Branche.

Auf welche Technologie-Plattformen setzt Clariant?

Dr. Martin Vollmer: Die Basis unserer Innovationsstrategie sind vier große Technologie-Plattformen: zum einen Chemie und Materialien, dann die beiden Plattformen Biotechnologie und Katalyse, - die mit der Süd-Chemie-Akquisition zu Clariant gekommen sind - und, traditionell sehr stark, unsere Prozesstechnologie-Plattform. Essentiell für eine erfolgreiche Entwicklung in der Zukunft ist die Verzahnung dieser vier Plattformen.

Denn das schafft große Synergien, um ganz spezifisch ein Kundenbedürfnis aufzugreifen und ein entsprechend attraktives Produktkonzept für eine bestimmte Fragestellung zu entwickeln. Ein Thema sind hierbei nachwachsende Rohstoffe. Bei der Produktion von Biokraftstoffen der zweiten Generation verknüpfen wir beispielsweise unser Know-how in der Biotechnologie, der Chemie und in der Katalyse, um Bioethanol aus Zellulose herzustellen. Dabei stellen wir mit unserer Sunliquid-Technologie nicht nur Bioethanol aus Agrarreststoffen her, und vermeiden so die Diskussion „Teller oder Tank?", sondern nutzen Zellulosezucker auch, um neben Bioethanol eine Reihe weiterer interessanter Zwischenprodukte zu entwickeln.

Wie fördert das neue Clariant Innovation Center die Verzahnung der Technologien?

Dr. Martin Vollmer: Zum einen durch die räumliche Nähe. Wir werden hier am Standort Frankfurt-Höchst die anwendungstechnischen Plattformen der Business Units im neuen Center zusammenführen. Dazu kommen die zentralen Technologie-Plattformen mit dem Schwerpunkt Chemie und Materialien und Prozesstechnologie und - wie bereits eingangs erwähnt - wichtige Servicefunktionen wie Analytik und IP-Management, die den Innovationsprozess unterstützen. All diese werden im Innovation Center vereint. Die offene und transparente Gestaltung des Gebäudes mit Kommunikationsinseln ist sicher ein weiterer Impuls, der zur neuen Innovationskultur von Clariant beitragen wird.

Reicht diese Offenheit auch über die Grenzen des Unternehmens hinaus? Welche Rolle spielt Open Innovation bei der Innovationsstrategie von Clariant?

Dr. Martin Vollmer: Nachdem wir unsere Technologie-Plattformen festgelegt haben, arbeiten wir nun an dem Ausbau unseres externen Partnernetzwerkes. Hierfür haben wir z.B. die Veranstaltungsserie „ScienceTalks@Clariant" ins Leben gerufen, zu der wir renommierte Wissenschaftlicher aus der ganzen Welt zu Vortragsveranstaltungen nach Frankfurt einladen. Auch dies wird künftig im Innovation Center stattfinden. Unser Ziel sind nicht nur bilaterale Kooperationen, sondern auch eine Vernetzung der Partner über den Standort hinweg. Sie soll die Basis schaffen für „Innovationen made in Frankfurt".