Personal & Karriere

Personal auf Zeit

Neue Regeln bei Zeitarbeit und Werkverträgen

05.12.2016 -

Chemie- und Pharmaunternehmen müssen im globalen Wettbewerb flexibel agieren können – Zeitarbeit sowie Werk- und Dienstverträge bieten die benötigte Anpassungsfähigkeit an die Dynamik der Märkte. Jedoch wird der Gesetzgeber den Fremdpersonaleinsatz im Frühjahr 2017 stärker regulieren. Die Nichteinhaltung der neuen Spielregeln ist mit empfindlichen Konsequenzen verknüpft, die bis zur Verhängung einer Freiheitsstrafe reichen.

Der Bundesrat hat am 25. November 2016 die vom Bundestag am 21. Oktober 2016 verabschiedete Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) gebilligt. Das neue Gesetz wird am 1. April 2017 in Kraft treten. Damit geht eine mehrjährige, kontrovers geführte Diskussion zur Reduzierung der Leiharbeit auf ihre Kernfunktion sowie zur Verhinderung des Missbrauchs von Werkverträgen zu Ende.

Ist unser Unternehmen betroffen?

Die neuen Spielregeln betreffen den Einsatz von Fremdpersonal in Form von Zeitarbeit sowie auf der Grundlage von Werk- und Dienstverträgen. Von Fremdpersonaleinsatz spricht man, wenn Unternehmen Aufgaben nicht von ihren eigenen Arbeitnehmern (Stammbeschäftigten) ausführen lassen, sondern von Externen. Während im Falle von Zeitarbeit das Unternehmen den Externen anweisen und in seine Arbeitsorganisation eingliedern darf (siehe Grafik 1), ist dies im Falle einer Dienst- oder Werkvertragsgestaltung nicht zulässig (siehe Grafik 2).

Anhaltspunkte für eine Eingliederung sind bspw. die Zuteilung einer regulären E-Mail-Adresse, die Überlassung von Arbeitsgeräten, die Urlaubsvertretung, die Zuweisung eines Büros sowie die Teilnahme an der Zeiterfassung. Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein und sollte nur unter Einholung rechtlichen Rats vorgenommen werden. Ein besonderes Augenmerk ist auf Matrixorganisationen sowie Mitarbeiterentsendungen zu legen, die in der Praxis häufig nicht mit einem Fremdpersonaleinsatz in Verbindung gebracht werden.

In der Chemie- und Pharmaindustrie ist der Einsatz von Fremdpersonal weit verbreitet. Nach einer von der IG BCE im Jahre 2015 durchgeführten Betriebsrätebefragung setzen 68 % der in ihrem Organisationsbereich befindlichen Betriebe Fremdbeschäftigte ein. Typische Einsatzfelder sind Instandhaltung, Logistik, IT und Produktion.

Was müssen wir beachten?

Ab dem 1. April 2017 können Arbeitnehmer nur noch für einen Zeitraum von 18 Monaten überlassen werden. Eine längere Überlassung ist möglich, wenn ein Tarifvertrag der Chemie- und Pharmabranche dies vorsieht. Auch tarifungebundene Arbeitgeber können von der Abweichung profitieren. Jedoch kann bei diesen die Überlassungshöchstdauer auf 24 Monate begrenzt sein. Ob diese Schlechterstellung mit dem Grundgesetz vereinbar ist, erscheint fraglich.

Zukünftig kann ein Zeitarbeitstarifvertrag nur noch für einen Zeitraum von 9 Monaten vom Grundsatz des Equal Pay abweichen. Hierunter versteht man die Pflicht, einem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen wie einem vergleichbaren Arbeitnehmer im Einsatzbetrieb. Eine längere Abweichung ist möglich, wenn spätestens nach 15 Monaten ein Arbeitsentgelt erreicht wird, das im Zeitarbeitstarifvertrag als gleichwertig mit dem tarifvertraglichen Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer in der Chemie- und Pharmabranche festgelegt ist. Zudem bedarf es einer stufenweisen Heranführung an das Arbeitsentgelt. Die Regelung erinnert an den Branchenzuschlagstarifvertrag der chemischen Industrie.

Die bisher mögliche Praxis, im Falle der Aufdeckung eines Scheinwerk- bzw. Scheindienstvertrages auf eine vorsorglich eingeholte Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis (sog. Vorratserlaubnis) zu verweisen, entfällt. Auftraggeber und Auftragnehmer können die Rechtsfolgen einer unzulässigen Arbeitnehmerüberlassung nicht mehr mit diesem Schachzug umgehen.

Zukünftig sind Leiharbeitnehmer bei den betriebsverfassungs- und mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwerten zu berücksichtigen. Der Entleiher kann die Rechte des Betriebsrats bzw. die Zusammensetzung des Aufsichtsrats somit nicht mehr durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern auf Stammarbeitsplätzen unterwandern. Flankiert wird diese Maßnahme durch eine Stärkung der Betriebsratsrechte, beispielsweise bei der Personalplanung.

Positiv ist festzustellen, dass Zeiträume vor dem 1. April 2017 für die Berechnung der Überlassungshöchstdauer sowie für die Einsatzzeit bei Equal Pay nicht zu berücksichtigen sind. Zudem tastet die AÜG-Reform die privilegierte zeitliche Überlassung von Arbeitnehmern innerhalb des Konzerns nicht an. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass diese Art der Konzernüberlassung in der juristischen Literatur überwiegend als europarechtswidrig erachtet wird. Sie sollte daher nur mit Bedacht gewählt werden.

Welche Konsequenzen drohen?

Im Falle des rechtswidrigen Fremdpersonaleinsatzes drohen ernste Konsequenzen. Diese reichen von der gesamtschuldnerischen Haftung für bislang nicht abgeführte Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge über die Verhängung von Säumniszuschlägen für die verspätete Entrichtung dieser Beträge bis hin zu Bußgeldverfahren sowie strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ggü. den gesetzlichen Vertretern, Betriebsleitern und Beauftragten des Betriebsinhabers. Sie umfassen den Entzug bzw. die Nichterteilung der Überlassungserlaubnis, die Geltendmachung von Regressansprüchen, den Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren und das Erleiden eines Reputationsschadens für das Unternehmen.

Die AÜG-Reform lässt die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher im Falle einer unzulässigen Arbeitnehmerüberlassung unberührt. Zusätzlich gestattet sie dem Leiharbeitnehmer, an seinem bisherigen Arbeitsverhältnis mit dem Verleiher festzuhalten. Der Leiharbeitnehmer kann somit zwischen zwei Arbeitgebern wählen. Allerdings hat der Gesetzgeber das Verfahren der sog. Festhaltenserklärung so kompliziert ausgestaltet, dass es in der Praxis kaum eingehalten werden kann. Voraussichtlich wird es daher nur wenigen Leiharbeitnehmern gelingen, an ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis mit dem Verleiher festzuhalten.

Und jetzt?

Chemie- und Pharmaunternehmen sind gut beraten, sich vor Inkrafttreten der AÜG-Novelle folgende Fragen zu stellen:

  • Ist Fremdpersonal für mein Unternehmen ein Thema?
  • Welche tariflichen Abweichungen von den Vorgaben des AÜG beabsichtigen die Sozialpartner der Zeitarbeitsbranche bzw. der Chemie- und Pharmabranche abzuschließen?
  • Wie bereitet sich die Organisation auf die AÜG-Novelle vor?
  • Wie arbeiten die mit dem Fremdpersonaleinsatz betrauten Abteilungen, insbesondere Bedarfsträger, Einkauf, Personalabteilung und Rechtsabteilung, zusammen?
  • Verfügt das Unternehmen über ein rechtssicheres, wirksames und zeitgemäßes Compliance-Management-System im Fremdpersonalbereich?
  • Sind die Mitarbeiter hinreichend auf die Risiken des Fremdpersonaleinsatzes sensibilisiert und hinsichtlich der AÜG-Novelle geschult?

Unter dem Strich erhöht die AÜG-Reform das unternehmerische Risiko, Fremdpersonal in unzulässiger Weise einzusetzen. Demgegenüber ist fraglich, ob sie ihr Ziel, Missbrauchsgestaltungen umfassend zu verhindern, erreicht. So unterbindet sie nicht den Karussell- bzw. Ping-Pong-Einsatz von Arbeitnehmern, mit dem sowohl die Überlassungshöchstdauer als auch die Abweichungshöchstdauer in Entgeltfragen unterlaufen werden kann.

Literaturangaben können beim Autor angefordert werden.

 

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