Anlagenbau & Prozesstechnik

Neue Reinraum-Lösungen für Krankenhausapotheken

25.10.2017 -

Bei der Realisierung von Reinräumen in Apotheken bestehen hohe qualitative Anforderungen. Krankenhaus­apotheken unterstehen in der Regel
genau wie Hersteller pharmzeutischer Produkte zahlreichen Vorschriften und Richtlinien. Wie etwa das SWAN Isotopen Produktionslabor, das derzeit am Inselspital projektiert ist. Oder das für 2018 als Private-Public-Partnership am Insel­spital projektierte Institut sitem in Bern, das Erkenntnisse aus der medizinischen Forschung und industriellen Entwicklung zur klinischen Anwendung bringen soll.


Moderne Krankenhausapotheken sind in der Regel für die Herstellung von individuell zubereiteten Arzneimitteln ihrer Patienten zuständig. Insbesondere an die Produktion von Zytostatika und Radiopharmazeutika für die Krebstherapie, für die Neonatologie und für radioaktive Therapien werden dabei höchste Sicherheitsanforderungen gestellt.

Warum eine eigene Apotheke?
Eine Krankenhausapotheke stellt spezielle Produkte selbst her und ist federführend bei der Verteilung von Medikamenten innerhalb des Krankenhausbereichs bis hin zur Krankenstation und zu dem Patienten. Sie bedient ausschließlich Ärzte und PflegerInnen und wird nicht als Publikumsapotheke betrieben. Zu den Produkten gehören z. B. Salben, aber auch sterile Infusionen, Kapseln und Tabletten, Zytostatika oder Radiosubstanzen nach eigens kreierter Rezeptur. Wenn über Jahre verfügbare Produkte plötzlich nicht mehr auf dem Markt sind, leiden auch gute Therapiekonzepte darunter. Ein Import aus dem Ausland scheidet häufig aufgrund gesetzlicher Vorgaben aus, oder das Produkt ist gar nicht mehr verfügbar. Um Therapeuten dennoch den Einsatz dieser Produkte zu ermöglichen, stellen die Krankenhausapotheken diese Präparate gemäß den Vorstellungen der Therapeuten nach eigenen Rezepturen her. Wie in einem Baukastensystem werden verschiedene Wirkstoffe für den Patienten ausgewählt und in der Apotheke zu einem homogenen Therapeutikum verarbeitet. Außerdem können auf diese Weise bewährte Standard-Dosierungen von Wirkstoffen perfekt für den Patienten angepasst werden. Durch die  persönliche Betreuung des Patienten mit regelmäßiger Kontrolle des Therapiefortschrittes sowie einer individuellen Anpassung der folgenden Therapie erhöht sich die Compliance und eine vertrauensvolle Partnerschaft zwischen Arzt und Patienten wird befördert.

SWAN Isotopen Produktionslabor für radioaktive Medikamente in Diagnostik und Therapie
Neue gesetzliche Anforderungen, z. B. an Steril­räume für die Durchführung innovativer Therapiekonzepte, erfordern oft einen Aus- und Umbau bestehender Apothekenbereiche. Radio­aktive Medikamente z. B. werden in der Diagnose, bei der Ortung von Metastasen und der Krebstherapie eingesetzt.
Die Firma SWAN Isotopen, die an das Inselspital Bern angegliedert ist, stellt seit 2012 in den Untergeschossen des Neubaus Medikamente für die nuklearmedizinische Diagnostik in der Schweiz her. Darüber liegen eine Ebene mit Büros und Forschungsstationen mit Labors für pharmazeutische und physikalische Untersuchungen sowie weitere Geschosse mit Bettenstationen für die Nuklearmedizin. Die Produktions- und Forschungsinfrastruktur bilden das technische Kernstück des Gebäudes. Das SWAN Isotopenproduktionslabor ist mit einem Zyklo­tron ausgestattet, die europaweit modernste pharmazeutische Anlage für radioaktive Medikamente. Es wird durch den Konzern SWAN Isotopen zur Isotopenproduktion für das Inselspital  und zwecks Forschung betrieben.

Radioaktivität und GMP bestimmen die Anforderungen
In einem Zyklotron werden hinter meterdicken Betonmauern Fluor-Isotope hergestellt, indem mit hochenergetischen Protonen Wasser H218O bombardiert, das mit dem Sauerstoffisotop 18O angereichert ist. Dieser wandelt sich dabei in einer Kernreaktion in das radioaktive Fluorisotop 18F um. Über einen Ionenaustauscher wird das gebildete Fluorid vom Wasser abgetrennt. Dieses instabile Isotop mit einer kurzen Halbwertszeit bildet die Basis für die Diagnose und die anschliessende Behandlung von Krebs am Inselspital.
Eine Hot-Cell ist eine Produktionseinheit, welche die Radioaktivität durch Unterdruck und Bleiummantelung von der Laborumgebung abschirmt. Um im Reinraumlabor 18F durch chemische Synthese an ein Zuckermolekül zu koppeln, bedarf es zweier Kammern, die von Bleiwänden und einem dicken Bleiglasfenster umgeben sind. Das entstehende radioaktive Medikament, 18F-Fluordesoxyglucose, das im Körper umgesetzt werden kann, ermöglicht die frühe Diagnostik von Tumoren.
Wichtige Regularien für Krankenhausapotheken zur aseptischen Herstellung von Medikamenten nach Arzneimittelgesetz (AMG) sind die Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung (AMWHV) und der EG-Leitfaden der Guten Herstellungspraxis (GMP-Leitfaden). Die gesetzliche Richtlinie zur Qualitätssicherung, die GMP (Good Manufacturing Practice) zur Qualitätssicherung der Herstellungsabläufe für Medikamente und Wirkstoffe, gibt vor, nach welchen Anforderungen die Produktionsumgebung zu gestalten ist. Dabei spielt die Dokumentation und die Rückverfolgbarkeit eine essentielle Rolle. Alle Abläufe werden mit den Standard Operation Procedures, den SOPs, dokumentiert. Der Qualifizierungsnachweis umfasst eine Designqualifizierung, eine Funktionsqualifizierung, bei der geprüft wird, ob die Anlage auch funktioniert und eine Produktqualifikation mit einem Testbetrieb der Anlage. Die Schutzziele sind der Personenschutz zur Vorbeugung eines Kontaktes mit der toxischen Substanz sowie deren Freisetzung in die Umgebung, sowie der Produktschutz zur Vermeidung von Verunreinigung des Wirkstoffs mit fremden Wirksubstanzen aus der Umgebung.
Dabei kommen auch die Reinraumplaner und Ingenieure ins Spiel. Sie bestimmen nutzerspezifische Anforderungen für den Reinraum, die in einem Lastenheft beschrieben werden. Insbesondere Lüftung und Klimatisierung müssen nach den Besonderheiten im Umgang mit radioaktiven Stoffen ausgerichtet sein.

Druckstufenkonzept als Basis für Hotlabs
Die Reinräume des SWAN Isotopenlabors erfordern die Reinheitsklasse C. Für die zuverlässige Prüfung hochradioaktiver Substanzen in den Reinraumlabors, bzw. den Hotlabs (Aufmacher), ist eine Sicherheitsinfrastruktur erforderlich, die Belüftungssystem-Filterbänke, eine unterbrechungsfreie Stromversorgung, ein komplexes Lüftungssystem mit Unterdruckniveaus, Abluft- und Wasserreinigungsanlagen, Vorrichtungen für flüssige und feste Abfälle, Radioaktivitätsüberwachungsgeräte, Sicherheitseinrichtungen und einen Kontrollraum zur Überwachung und Betätigung des Labors vorsieht. Die Probenhandhabung und -vorbereitung der radioaktiven Substanzen erfordert eine Fernsteuerung der komplexen Operationen, und die Analyseinstrumente müssen zum Schutz des Personals abgeschirmt werden.
Da in den Hot Labs mit radioaktiven Materia­lien gearbeitet wird, muss zudem umgekehrt verhindert werden, dass Radioaktivität nach aussen austritt. Als Basis des Betriebs dient ein Druckstufenkonzept, das ausgehend von einem Überdruckraum eine Drucksenke für die Hotlabs bis hin zu den Verpackungsräumen vorsieht. Die in der Skizze angegebenen Drücke beziehen sich auf einen neutralen Raum. Sensoren messen die Raumdrücke in Relation zum neutralen Raum und geben die Information zur Steuerung der Volumenstromregler weiter. Den höchsten Raumdruck, mit +5 Pa, weist der Umkleideraum auf. Den niedrigsten Druck hat die Verpackungseinheit mit –30 Pa, denn aus diesem Raum dürfen keine radioaktiven Partikel in die benachbarten Räume und die Umgebung entweichen.
Für die Hot Labs ist ein mindestens 40-facher Luftwechsel massgeblich. Mithilfe variabler Abluftvolumenstromregler wird der Raumdruck gesteuert. Die Abluft wird laufend auf radioaktive Partikel überwacht. Neben Sonden im zentralen Abluftkanal messen weitere Sensoren die Radioaktivität an spezifischen Gefahrenpunkten, so zum klotron. Bei Gefahr einer radioaktiven Kontamination der Luft werden automatisch Maßnahmen ausgelöst, die  bis zur Abschaltung der gesamten Anlage reichen.

Swiss Institute for Trans­lational and Entrepreneurial Medicine, sitem
Das Swiss Institute for Translational and Entrepreneurial Medicine am Inselspital Bern, sitem, wurde vom Biotech-Netzwerk Bern ins Leben gerufen, um Erkenntnisse aus der medizinischen Forschung und der industriellen Entwicklung in die klinische Anwendung zu bringen. Das Kompetenzzentrum entsteht im Rahmen einer Private-Public-Partnership, mit der neue Wirkstoffe und Therapien in marktfähige Medikamente und damit in Arbeitsplätze umgewandelt werden sollen. Zu den geplanten Projekten gehören regulatorische und Pilotstudien bis hin zum Prototyp. Das Institut wird voraussichtlich Ende 2018 eröffnet und umfasst u. a. eine eigene Spitalpharmazie. Dazu gehören GMP-Labors inklusive Reinräumen und auch ein Biosicherheitslabor der Stufe 3, sowie Anlagen für die Translation zur gemeinsamen Nutzung durch Industrie und die Akademie. Eine so große Spitalapotheke in einem Kantonsspital funktioniert wie ein Pharmaunternehmen, das patientenspezifische Medikamente, z. B. Zytostatika, herstellt. Bei der Herstellung individueller Zytostatika-Zubereitungen zur Krebstherapie am Patienten muss neben nahezu perfekter Keimfreiheit auch ein lückenloser Arbeitsschutz gewährleistet werden. Da es sich bei diesen Substanzen um aggressive Wirkstoffe handelt, stellen sich für den Planer besondere Herausforderungen.  Für die Layout-Planung muss der Ingenieur sich bewusst machen, wie sich die Personenflüsse in der Reinraumanlage gestalten. Dem Eintritt des Angestellten und der Umkleideprozedur folgen diverse Zonenwechsel. Auch der Materialfluss des Produkts in und aus dem Reinraum ist massgeblich für die Planung.
Für Reinräume mit besonders giftigen Wirkstoffen ist eine Dekontaminationsdusche vorgesehen. In einer solchen Nebeldusche duschen sich die Fachleute regelmässig im Vollschutz ab, um zu gewährleisten, dass keine Produkte in die Umgebung gelangen. Es ist der Raum mit der tiefsten Druckstufe, womit der Umgebungsschutz vor dem Wirkstoff sichergestellt ist.
Kürzlich wurde bekannt, dass die Privatwirtschaft, u. a. Ypsomed, 50 Mio. Franken in den Bau eines zusätzlichen Diabetesforschungszentrums investiert, das in das Institut sitem integriert wird. Da Diabetes die häufigste Stoffwechselkrankheit darstellt, müssen neue Therapieformen zur Bekämpfung dieser Volkskrankheit gefunden werden. Das Diabetes Center Berne wird eng mit der Universitätsklinik für Diabetologie, UDEM, der Inselgruppe zusammenarbeiten und damit den Medtech-Standort Bern stärken.
Der Medikamenten-Herstellungsprozess stellt eine Herausforderung für die Kontrolle der Arbeitsabläufe und an die Reinheit der Räume dar. Das Kompentenzzentrum Spitalpharmazie sitem steht daher unter der Kontrolle der Swissmedic und ist nach ISO EN DIN 14644-1:1999 und GMP Annex-1:2009 zertifiziert.