Märkte & Unternehmen

Deutschland verliert in Schlüsselsektoren gegenüber China an Boden

Allianz Trade-Studie zeigt: Kritische Abhängigkeit Deutschlands von chinesischen Importen steigt auch in Schlüsselindustrien

15.05.2024 - Die deutsche Industrie gerät in immer mehr Schlüsselsektoren ins Hintertreffen – auch im Chemiesektor, so eine Studie von Allianz Trade. Investitionen in grüne Energiegewinnung und in Forschung & Entwicklung könnten zum Wiedererstarken von ‚Made in Germany‘ beitragen.

Der deutsche Kanzler forderte bei seinem Staatsbesuch in China fairen Marktzugang für deutsche Unternehmen und einen fairen Handel. Nicht ohne Grund, denn der Handel ist seit Jahren im Wandel und der deutsche Exportweltmeistertitel ist längst passé: China hat Deutschland bei den Ausfuhren schon vor mehr als einer Dekade den Rang abgelaufen und baut diese Vormachtstellung immer weiter aus. Nun aber könnten die historischen Handelsbeziehungen zunehmend auf der Kippe stehen, denn die deutsche Industrie gerät in immer mehr Schlüsselsektoren im Vergleich mit China ins Hintertreffen – auch im Chemiesektor.

China punktet längst nicht mehr nur mit billiger Massenware oder Vorprodukten, sondern hat die heimischen Industrien im Laufe der Jahre sukzessive hin zu einer wesentlich höheren Wertschöpfung verschoben. Die deutschen Unternehmen verlieren im Vergleich deutlich an Boden – zunehmend auch in den deutschen Schlüsselindustrien, die jahrelang als Hochburg für ‘Made in Germany‘ galten. Das bedeutet auch: Die Handelsbeziehungen sind nicht mehr komplementär. Im Gegenteil: In vielen Branchen ersetzen chinesische Produkte die deutschen – und gleichzeitig steigt die kritische Abhängigkeit Deutschlands von chinesischen Importen.

„Chinas globaler Exportanteil hat den deutschen in drei der vier wichtigsten Exportsektoren, einschließlich Chemikalien, überholt.“


China gewinnt auch in Europa deutlich Marktanteile
Chinas globale Exportanteile in Schlüsselsektoren wie Maschinen, Chemikalien und Elektrogeräte haben Deutschland überholt, während die kritische Abhängigkeit Deutschlands von chinesischen Importen von 6 % im Jahr 2004 auf 22 % im Jahr 2022 erheblich gestiegen ist.
Diese Abhängigkeit betrifft 212 Produktarten, von denen 74 dem Sektor Computer & Telekommunikation, Elektronik und Haushaltsgeräte zuzurechnen sind, während 44 Produkte auf Textilien und 33 auf Chemikalien entfallen. Die sektorale Aufteilung hat sich im Laufe der Jahre hin zu Industrien und Segmenten mit höherer Wertschöpfung verschoben.
Gleichzeitig hat Chinas globaler Exportanteil den deutschen in drei der vier wichtigsten Exportsektoren überholt: Bei Maschinen & Anlagen, bei Chemikalien sowie im Segment Computer & Telekommunikation, Elektronik und Haushaltsgeräte. Hochspezialisierte deutsche Maschinenbauer, Hersteller von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren und Produzenten von Spezialchemikalien sind einem intensiven Wettbewerb mit chinesischen Konkurrenten ausgesetzt, die sich auf ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit und die politische Unterstützung Pekings stützen. Deutschland hat nach wie vor einen Vorsprung bei den Automobilherstellern und -zulieferern sowie bei der Transportausrüstung, der sich jedoch in den letzten Jahren leicht verringert hat.
Der chinesische Exportanteil am Weltmarkt in der Chemiebranche liegt inzwischen bei 14 %. Die deutschen Chemieunternehmen halten lediglich noch 8 % der weltweiten Exportmarktanteile. Aber: Bei den globalen wertschöpfungskettenbezogenen Exporten, bei denen Waren verschiedener Stufen in der Lieferkette beteiligt sind, also auch viele Vorleistungsprodukte, sind die deutschen Chemieunternehmen noch führend. Ihr Exportanteil am Weltmarkt in diesem Segment liegt bei 11 %, der Anteil Chinas bei 8 %. Diesen Vorsprung gilt es jetzt zu halten, denn er ist in den vergangenen Jahren schon deutlich geschrumpft: 2017 lag er noch bei 9 Prozentpunkten, 2022 nur noch bei 3 Prozentpunkten. Neben den Rahmenbedingungen sind hier, um kompetitiv zu bleiben, vor allem Investitionen in Forschung & Entwicklung gefragt sowie in die Erzeugung von grüner Energie.
Doch nicht nur im Weltmarkt müssen sich Unternehmen strecken. Sie spüren auch innerhalb der Europäischen Union (EU) vielerorts den Atem der Konkurrenz im Nacken.
Der zunehmende Wettbewerb spielt sich nicht nur in Schwellenländern ab. Auch in Europa, dem klassischen ‚Hometurf‘ der deutschen Firmen, gewinnen die chinesischen Unternehmen zunehmend Marktanteile: Innerhalb der EU haben in den letzten zehn Jahren zehn von elf Sektoren des deutschen verarbeitenden Gewerbes einen Rückgang des Exportmarktanteils verzeichnet.
Gerade die Chemiebranche ist hier besonders betroffen. Der deutsche Anteil an Einfuhren in diesem Sektor im Jahr 2023 ist im Vergleich zu 2013 um - 2,7 % gesunken, im Vergleich zu - 1,6 % im Jahr 2018. Zeitgleich haben chinesische Chemieunternehmen ihren Anteil um + 3,7 % in den vergangenen zehn Jahren und um + 2,7 % in den vergangenen fünf Jahren ausgebaut.

„Deutsche Unternehmen verzeichnen auf ihre Direktinvestitionen in China Umsatzrückgänge und geringe Investitionsrenditen.“


Direktinvestitionen in China erzielen nur geringe Rendite
Schrumpfende Umsätze und Marktanteile drücken auf die Gewinne der in China tätigen deutschen Unternehmen. Auch wenn gerade kleinen und mittelständischen deutschen Unternehmen der chinesische Markt sauer aufgestoßen ist, bleibt er weiterhin ein attraktives Ziel für Investitionen großer Unternehmen. Aber: Trotz einer Verfünffachung der deutschen Direktinvestitionen in China von 2010 bis 2022 haben die Unternehmen einen Umsatzrückgang von - 6,2 Mrd. EUR und eine geringere Investitionsrendite von - 24,8 Mrd. EUR im Jahr 2022 zu verzeichnen.
Auch in China ist nicht alles Gold, was glänzt. Deutsche Unternehmen verzeichnen auf ihre Direktinvestitionen Umsatzrückgänge und geringe Investitionsrenditen. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, reinvestieren die Unternehmen ihre Gewinne in China. Gleichzeitig müssen sie sich aber auch den Herausforderungen im Heimatmarkt stellen, die teilweise zu einem Abbau von Arbeitsplätzen führen.
Seitens der Unternehmen sind Forderungen nach Schutzmaßnahmen auf EU-Ebene eine Folge dieser Entwicklung. In diesem Zusammenhang würden politische Maßnahmen zur Verringerung der Regulierungs- und Steuerlast im Inland und zur Beseitigung von Innovationshemmnissen viel dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit auf der globalen Bühne wiederzuerlangen.

Sowohl Rahmenbedingungen als auch Investitionen notwendig
„Der Wind bläst den deutschen Unternehmen gerade kräftig ins Gesicht“, sagt Milo Bogaerts, CEO von Allianz Trade in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Unbestritten hat die hiesige Wirtschaft schon rosigere Zeiten gesehen. Es gibt viele Hausaufgaben. Dazu gehören verlässliche, planbare und wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen. Aber: It takes two to tango. Unternehmen sollten gerade jetzt aktiv die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft stellen.“ Insbesondere Investitionen in grüne Energiegewinnung und in Forschung und Entwicklung hält Bogaerts jetzt für das A und O für das Wiedererstarken von ‚Made in Germany‘ und gibt sich zuversichtlich, dass die deutschen Unternehmen mit ihrer Robustheit, Finanzstärke und ihrem Unternehmergeist genau dies schaffen und dann der internationalen Konkurrenz die Stirn bieten werden – auch den chinesischen Firmen.

Jasmin Gröschl, Senior Economist, Allianz SE, München

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Zur Person

Jasmin Gröschl ist seit 2023 als Senior Economist für Europa bei der Allianz tätig. Vor Ihrer Zeit bei der Allianz arbeitete sie als Ökonomin und stellvertretende Abteilungsleiterin im Bereich Internationale Wirtschaft am Ifo Institut. Gröschl ist Expertin für Themen der makroökonomischen Entwicklung, dem internationalen Handel und den wirtschaftlichen Folgen von Klimawandel und Naturkatastrophen. Zuvor war sie als Unternehmensberaterin und Assistentin des Vorstands der Allianz Deutschland sowie als Beraterin für die Welthandelsorganisation in Genf tätig. Gröschl hat an der Ludwig-Maximilians-Universität in München in Volkswirtschaftslehre promoviert und ist Absolventin der Eberhand-Karls-Universität Tübingen und der Universiteit van Stellenbosch in Südafrika in den Fächern Internationale Wirtschaft, Politikwissenschaft und Anglistik/Amerikanistik.

 

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