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Beteiligung statt Kredit

24.11.2012 -

Beteiligung statt Kredit – Deutschland vollzieht Wandel zum Kapitalmarkt-orientierten Finanzsystem. Eine Analyse der zahlreichen Fusionen und Übernahmen in den vergangenen Jahren belegt:

Der Einfluss von Finanzinvestoren auf die Chemie- und Pharmabranche wächst.

Welche Auswirkungen der Wandel des Bank-basierten Finanzsystems zu einem stärker Kapitalmarkt-orientierten System auf den deutschen Unternehmenssektor hat, erläutert Dr. Dirk Schumacher, Chefvolkswirt Deutschland und Volkswirt für Euroland bei Goldman Sachs, am 3. Mai 2007 auf der Handelsblatt-Jahrestagung Chemie 2007.

Dr. Andrea Gruß befragte ihn im Vorfeld der Konferenz.

 


CHEManager: Herr Dr. Schumacher, wie hat sich das deutsche Finanzsystem in den vergangenen Jahren verändert?

Dr. D. Schumacher: Die Änderungen sind im Wesentlichen entlang zweier Dimensionen erfolgt: Zum einen hat sich die Kreditvergabepraxis der Banken verändert. In der Vergangenheit hatten deutsche Unternehmen Zugang zu relativ günstigen Krediten im Vergleich zu ihren Wettbewerbern im Ausland.

Dank des starken öffentlichen Bankensystems standen Rentabilitätsgesichtspunkte nicht an erster Stelle, wenn es um die Kreditvergabe ging. Heute stellen die Banken höhere Anforderungen und wollen höhere Zinsen. Die Kreditkosten sind auf ein europäisches Niveau angestiegen.

 


Und die zweite Dimension ...

Dr. D. Schumacher: Das ist die Frage der Corporate Governance, das heißt: Wer kontrolliert den Unternehmenssektor und wer bestimmt, wie sich der Unternehmenssektor insgesamt verhält? In der Vergangenheit gab es mit der Deutschland AG dichte Verflechtungen zwischen den großen deutschen Unternehmen, den Banken und den Versicherungen.

Dieses Netz hat die Agenda gesetzt und entschieden, wie letztlich der Unternehmenssektor als Ganzes fährt. Eine Bank, die gleichzeitig Kreditgeber ist, kontrolliert ein Unternehmen unter anderen Gesichtspunkten als der Kapitalmarkt. Sie ist nicht bereit, ein großes Risiko einzugehen, denn sie will ihren Kredit zurück. Zudem legt sie einen geringeren Wert auf Profitabilitätssteigerung des Unternehmens, weil sie davon keinen direkten Nutzen hat.

Der Kapitalmarkt - z. B. ein Hedgefond oder Private-Equity- Investor - ist dagegen gewillt, ein höheres Risiko zu tragen. Denn im Gegensatz zum Fremdkapitalgeber hat er ein höheres „upside" und partizipiert stärker am Erfolg des Unternehmens.

 


Welche Konsequenzen hat dies für die Unternehmen?

Dr. D. Schumacher: Mit der stärkeren Kapitalmarktorientierung hat sich die Ausrichtung des gesamten deutschen Unternehmenssektors deutlichen verändert: hin zu mehr Profitabilität und hin zu einer höheren Risikotoleranz.

Das ist neben den gestiegenen Kosten für Fremdkapital die zweite wesentliche Veränderung im deutschen Finanzsystem, die über die vergangenen fünf Jahre stattgefunden hat.

 

 

Was waren die Auslöser für diesen Wandel?

Dr. D. Schumacher: Dazu trugen Basel II, der Einstieg in den Euro und der Wegfall der Staatsgarantien für den öffentlichen Sektor bei. In Bezug auf die Entflechtung der Deutschland AG war sicherlich die Steuerreform im Jahr 2000 ein wesentlicher Punkt.

Sie ermöglichte Banken und Versicherungen einen steuerfreien Beteiligungsverkauf.

 


Inwieweit ist der deutsche Mittelstand von dieser Entflechtung betroffen?

Dr. D. Schumacher: Auch bei mittelständischen und kleineren Unternehmen ist der Einfluss der Kapitalmärkte sehr viel größer geworden. Über Private-Equity-Beteiligungen und -Finanzierungen in verschiedensten Formen sind auch Unternehmen, die scheinbar keinen Bezug zum Kapitalmarkt haben, indirekt doch dessen Wünschen und Vorstellungen ausgesetzt.

Insgesamt hat sich damit der Einfluss des Kapitalmarkts in allen Ebenen auf die Unternehmensentscheidungen in Deutschland deutlich ausgeweitet.

 

 

Was ändert sich für ein Unternehmen mit dem Engagement eines Finanzinvestors?

Dr. D. Schumacher: Eine wesentliche Änderung ist, dass er eine höhere Rendite auf das eingesetzte Kapital fordert. Diese lässt sich auf mehrere Art und Weisen erzielen. Ein Weg - und das haben wir in Deutschland in den letzten Jahren gespürt - ist der Druck auf die Lohnkosten.

Die Kombination aus Kapitalmärkten und Globalisierung hat dazu geführt, dass die Arbeitnehmerseite verstärkt zurückstecken musste. Diese schmerzhafte Phase der Anpassung klingt gerade aus. Nicht zuletzt, weil die Profitabilität derzeit sehr hoch ist, die Investitionen steigen und es sich wieder lohnt, Mitarbeiter
einzustellen.

 


Die höhere Profitabilität spiegelt sich auch in höheren Dividendenzahlungen der Unternehmen wider. Sie stiegen im Vergleich zu den Investitionen in den vergangenen Jahren überproportional an. Warum schütten die Unternehmen die Gelder an ihre Aktionäre aus statt zu investieren?

Dr. D. Schumacher: Hier überlagern sich mehrere Entwicklungen. Das etwas schwächere Investitionswachstum lässt sich unter anderem mit dem Platzen der New-Economy-Blase erklären. Während dieser Zeit wurden viele Investitionen getätigt, die sich im Nachhinein nicht auszahlten.

Gemäß dem Motto ‚Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach' wurden 2002, 2003 und auch 2004 vergleichsweise hohe Dividenden gezahlt. Diesen Trend sehen wir derzeit abklingen. Der Aktienmarkt belohnt heute wieder Unternehmen, die verstärkt investieren. Gleichzeitig beobachten wir aber ein dauerhaftes Element, das auch nach dem Zyklus im Schnitt höhere Dividendenausschüttungen erwarten lässt.

 


Geht das nicht zu Lasten der Innovationsförderung?

Dr. D. Schumacher: Nicht notwendigerweise. Man wirft Kapitalmärkten schon sehr lange vor, dass sie kurzfristig seien, die Zukunft der Unternehmen verspielten und nicht in Innovationen investierten. Hierzu gibt es viele empirische Studien.

Doch - soweit ich weiß - hat keine ergeben, dass das Kapitalmarkt-basierte Systeme strukturell kurzsichtig ist. Schauen Sie sich die USA an - ein Paradebeispiel eines Kapitalmarkt-basierten Systems - hier würde zumindest im Moment niemand behaupten, das Land hinke technologisch hinterher und habe seine Zukunft verschlafen.

Der Kapitalmarkt bietet im Übrigen auch viele Vorteile bei der Finanzierung von Innovationen, denn er kann die damit verbundenen Risiken im Vergleich zu einer Bank viel besser verdauen. Bankenfinanzierungen eignen sich dagegen für fortgeschrittene Industrien mit überschaubaren Risiken, aber eben nicht für Investitionen in Hightech oder Innovationen.

 


Welches Finanzsystem ist Ihrer Meinung nach stärker konjunkturabhängig - das Kapitalmarkt- oder das Banken-finanzierte?

Dr. D. Schumacher: Hierfür gibt es weder theoretisch noch empirisch eine eindeutige Antwort. Sicherlich gibt es bei Kapitalmärkten Phasen der Übertreibung, der Spekulation. Die treten aber auch im Bankenmarkt auf. Schauen Sie sich die Asien-Krise an! Zu ihr kam es nicht zuletzt, weil viele Banken Kredite im großen Maßstab für unsichere Projekte vergaben.

Ein anders Beispiel hierfür ist der Immobilienboom in Deutschland in der ersten Hälfte der 90er Jahre. Wenn die Finanzsysteme gut gemanagt sind, sprich wenn die Regularien, die Aufsichten stimmen, haben beide Systeme die Fähigkeit Konjunkturschocks gut abzufangen. Und beide können Konjunktur verstärkend wirken.

 


Die deutsche Wirtschaft erfuhr im vergangenen Jahr einen deutlichen Aufschwung. Wird dieser Trend anhalten?

Dr. D. Schumacher: Wir hatten in der Tat im letzten Jahr ein sehr starkes Wachstum und waren Hauptwachstumstreiber im Euroland. Der Beitrag Deutschlands zum Wachstum im Euroland war im Jahr 2006 so groß wie der von Italien und Frankreich zusammen.

Wir sind im Moment der Motor in Europa und werden auch in diesem Jahr stärkster Wachstumstreiber bleiben. Aber das Wachstum wird ausgeglichener sein. Nicht zuletzt wegen der Mehrwertsteuererhöhung, die im ersten Quartal dämpfte.

Aber die Investitionen und vor allem der Arbeitsmarkt laufen sehr stark weiter. Wir erwarten daher für das zweite Quartal wieder eine deutliche Beschleunigung. „Der Aktienmarkt belohnt heute wieder Unternehmen, die verstärkt investieren."

 


Wie ist es um die Konjunktur international bestellt?

Dr. D. Schumacher: Wir erwarten ein schwaches Wachstum von 2% in den USA, ausgelöst durch den Rückgang am amerikanischen Immobilienmarkt. Global gesehen ist unsere Überschrift „Happy Slowdown". Die USA wachsen ein bisschen langsamer, aber der Rest der Welt steht bereit das auszugleichen. Speziell Asien und Europa entwickeln sich gut. Und durch das schwächere Wachstum in den USA werden die Ungleichgewichte in der Handelsbilanz in einer geordneten Art und Weise abgebaut. Insofern ist der mittelfristige Ausblick für die weltweite Konjunktur unserer Meinung nach sehr gut.