Anlagenbau & Prozesstechnik

Der molekulare Fingerabdruck

Raman-Spektroskopie und ihre Potenziale vom Labor bis in den Produktionsprozess

06.12.2022 - Endress+Hauser hat seine Kompetenzen auf dem Gebiet der laserbasierten Messtechnik neu formiert und stärkt damit seinen strategischen Fokus auf Labor- und Prozessanalytik

Die Laboranalyse entwickelt sich sukzessive in Richtung Prozessanalyse weiter und liefert mit Hilfe verschiedener physikalischer und chemischer Messprinzipien Informationen über Stoffeigenschaften direkt aus verfahrenstechnischen Prozessen heraus. Besonders im Aufwind sind dabei optische Methoden wie die Absorptionsspektroskopie mit abstimmbaren Laserdioden und vor allem die noch relativ junge Raman-Spektroskopie. Mit ihr lassen sich chemische Zusammensetzungen und damit Materialeigenschaften unterschiedlichster Medien berührungslos bestimmen.

Endress+Hauser hat seine Kompetenzen auf dem Gebiet der laserbasierten Messtechnik neu formiert und stärkt damit seinen strategischen Fokus auf Labor- und Prozessanalytik, um Kunden künftig noch besser bei analytischen Aufgabenstellungen zu unterstützen. Bereits vor rund zehn Jahren wurden die beiden US-Unternehmen SpectraSensors sowie Kaiser Optical Systems akquiriert, die sich auf die Absorptionsspek­troskopie mittels abstimmbarer Laserdioden (TDLAS) bzw. die Raman-Spek­troskopie spezialisiert haben. Zum Jahresbeginn 2022 wurden die Kompetenzen auf dem Gebiet der laserbasierten Analysetechnik im neu formierten Unternehmen Endress+Hauser Optical Analysis mit ca. 200 Mitarbeitenden gebündelt. Der Sitz des Kompetenzzentrums befindet sich in Michigan/USA. Dort werden auch die Raman-spektros­kopischen Instrumente entwickelt und hergestellt. Die Produktion der TDLAS-Analysatoren erfolgt weiterhin in Kalifornien. Gemeinsam mit Endress+Hauser Liquid Analysis und dem Tochterunternehmen Analytik Jena forciert Optical Analysis die Analysestrategie der Firmengruppe, die mittlerweile fast ein Viertel ihres Umsatzes mit Analysetechnik erzielt.
Mit den laserbasierten Messtechnologien komplettiert Endress+Hauser nun das Portfolio um weitere moderne Analyseverfahren. Kunden in der Prozessindustrie können damit in Produkt- und Prozessentwicklung, in der Qualitätskontrolle und im Produktionsprozess auf die Technologien zurückgreifen.

Prozessanalyse-Lösungen in Echtzeit

Laserbasierte Messtechnologien wie die Raman-Spektroskopie und TDLAS gewinnen gegenüber alternativen Methoden wie der Gaschromatographie oder der Massenspektrometrie immer mehr an Bedeutung. Ohne bewegende Teile und mit einer deutlich geringeren Zahl an erforderlichen Probenahmen sind die verwendeten Prozessanalysatoren einfacher zu handhaben und sie liefern innerhalb von Sekunden hochgenaue Ergebnisse. Die automatisierte Messung kritischer Parameter ermöglicht eine intelligentere Steuerung sich schnell ändernder Prozesse in Echtzeit, ohne dass das Bedienpersonal etwa gefährlichen Chemikalien ausgesetzt ist. Raman-Analysatoren untersuchen Flüssigkeiten, Gase und Feststoffe auf ihre Zusammensetzung und Materialeigenschaften und ermöglichen eine Messung der Produkteigenschaften in Echtzeit; sie kommen in der Chemie, in der Life-Sciences-Industrie, der Lebensmittel- und Getränkeindustrie und in der Öl- und Gasindustrie zum Einsatz. Die Geräte können dabei kundenspezifisch konfiguriert werden und bieten eine zuverlässige chemische Analyse in Labor- und Prozessumgebungen.

 

Moleküle in Schwingung zeigen einzigartigen Fingerabdruck

Die Raman-Technologie misst chemische Zusammensetzungen durch Anregung einer Probe mit sichtbarem Licht oder Licht im nahen In­frarotbereich. Die angeregte Verbindung behält beim Übergang aus dem angeregten Zustand zurück in den Grundzustand eine kleine Menge der Energie des Photons zurück. Durch die Energieübertragung kommt es zu einer Verschiebung (Shift) einer geringen Menge des Lichts (Raman-Shift). Die rückgestreuten Lichtquanten werden mittels eines CCD-Detektors (Charge-Coupled Device) erfasst und durch Trennung des Raman-Lichts gefiltert. Die Darstellung dieser Übergänge in einem Spektraldiagramm macht es möglich, Änderungen in der Wellenlänge des gestreuten Lichts zu erkennen, die für die Molekülschwingungen der jeweiligen chemischen Verbindungen charakteristisch sind. Die Raman-Spektroskopie erzeugt also einen molekularen Fingerabdruck, mit dem sich einzelne chemische Substanzen nachweisen, quantifizieren und überwachen lassen. Die fortschrittliche Analysetechnik nutzt die Stärke der Raman-Spektroskopie zur Durchführung chemischer Echtzeitmessungen in jeder Umgebung, ohne dass die ursprüngliche Probe extrahiert, aufbereitet oder zerstört werden muss.

Komponenten eines Raman-Analysesystems

Ein Raman-System besteht aus vier Elementen: Analysegerät, Sonden, Software und Datenanalyse. Das Analysegerät ist das Herzstück des Systems und umfasst den Laser, das Spektrometer und eine integrierte Steuerung. Die Sonden sind die Fenster zum Prozess. Die Software steuert die Datenerzeugung – die Rohdaten werden von der Datenanalysekomponente in aussagekräftige Informationen übersetzt. Die Analysen erfolgen in-situ und in Echtzeit, wie es der Prozess benötigt. Außerdem sind die Lösungen hochgradig skalierbar und können an Produk­tionsumgebungen angepasst werden.

Anwendungsbeispiel Emulsionspolymerisationen

Die Emulsionspolymerisation ist ein wichtiges Verfahren für die Herstellung von polymeren Werkstoffen wie Farben, Klebstoffe und synthetische Kautschuke. Die Reaktion wird in einer wässrigen Umgebung durchgeführt, in der die Monomere mit einem geeigneten Tensid oder Emulgator in einer Phase gehalten werden. Die Polymerisation verläuft als klassische Doppelbindungs-Additionsreaktion, die über einen radikalischen Mechanismus ausgelöst wird. Werden mehrere Monomere eingesetzt, ist es wichtig, die Verbrauchsrate der einzelne Monomere oder die relativen Verbrauchsrate der Copolymere verfolgen zu können. Sind mehrere Monomere vorhanden, muss zudem gewährleistet werden, dass die relativen Reaktionsgeschwindigkeiten mit der Entstehung des gewünschten Produkts zusammenpassen. Eine weitere Anforderung betrifft den Nachweis von Restmonomer über nicht reagierte Doppelbindungen. Hier eignet sich die Raman-Spektroskopie ideal zur Überwachung der Reaktion, weil sie für die Messung spezifischer Doppelbindungen sensitiv ist und nicht durch die wässrige Phase beeinträchtigt wird. Bei Untersuchungen mit Reaktoren aus Glas kann die Reaktion außerdem von außen, d.h. durch die Reaktorwand hindurch, beobachtet werden.

Anwendungsbeispiel Semi-Batch-Polymerisation

Polymerisationen werden häufig im Semi-Batch-Verfahren durchgeführt, da dieses die Möglichkeit bietet, die Zusammensetzung des Produkts präzise zu steuern. Damit werden Hochleistungsmaterialien mit fein justierbaren, anwendungsspezifischen Eigenschaften hergestellt. Eine Schwierigkeit bei Semi-Batch-Verfahren liegt darin, dass sich die Konzentration der Reaktionspartner sowohl relativ als auch absolut ständig ändert. Ohne Kontrolle können diese Konzentrationsänderungen leicht zu unerwünschten Eigenschaften des Produkts führen. Daher erfordert diese Art der Reaktionsführung die kontinuierliche Echtzeit­überwachung der Konzentration der Reaktionspartner. Eine bloße Zugabe der Reaktionspartner im richtigen Verhältnis reicht nicht aus. In einem konkreten Anwendungsfall kommt ein Raman-Analysator von Endress+Hauser zum Einsatz, um eine Nahinfrarot­strahlung von 785 nm sowohl auszusenden als auch zu erfassen. Die Analyse erfolgt mit Hilfe einer berührungslosen Optik durch ein druck- und temperaturbeständiges Saphirfenster in der Reaktorwand. Jede Messung besteht aus einer 60-sekündigen Beleuchtung des Reaktorinneren mit einer Laserstrahlung von 125 mW, gefolgt von einer 20-sekündigen Pause. Fünf bis sieben Datenpunkte jedes Monomers werden verwendet, um quantitative Raman-Daten für die Echtzeit-Prozesssteuerung zu generieren.

Die Raman-Spektroskopie erweist sich dabei als eine einfache, genaue und effektive Methode der Prozessanalyse für die Echtzeitüberwachung und -steuerung einer Polymerisation im Teilfließbetrieb. Die Raman-Daten werden hierbei für die Regelung des Prozesses in Echtzeit verwendet, um ideale Prozessbedingungen in einem geschlossenen Reaktionssystem zu gewährleisten. So wird über die verschiedenen Chargen eine konstante Produktqualität und damit eine gleichbleibende Qualität hochempfindlicher Hochleistungsmaterialien erzielt.

Anwendungsbeispiel Biopharmazie

In der Biopharmazie wurde die Raman-Spektroskopie zunächst in wissenschaftlichen Laboren eingesetzt zur Beobachtung von Kristallisationsprozessen und der Endpunkte von Reaktionsprozessen. Mit der Weiterentwicklung der Technologie und benutzerfreundlicheren Bedienoberflächen wurden industrielle Anwendungen möglich.

Zur Entwicklung makromolekularer Therapeutika gehört die spezifische Anpassung der proteinerzeugenden Maschinerie in lebenden Wirtszellen. Vorrangiges Ziel sind monoklonale Antikörper (mAK), die in Säugetier-Zellen produziert werden. Makromolekulare Biopharmazeutika zielen auf bestimmte Bevölkerungsgruppen und werden meist zur Behandlung spezieller Krankheiten eingesetzt. Viele immanente Herausforderungen biopharmazeutischer Herstellungsprozesse kann die Raman-Spektroskopie überwinden, indem sie Inline- und Echtzeit-Messungen ermöglicht und den Weg frei macht für PAT und die Anwendung von QbD-Prinzipien. Die Skalierbarkeit von Raman-Lösungen erleichtert es den Herstellern von Biopharmazeutika, ihre Produkte vom Laborstadium bis zum Herstellungsprozess schneller zu entwickeln und die Qualitätskontrolle ihrer Produkte zu verbessern. Hier orientiert sich die Weiterentwicklung der Raman-Spektroskopie eng an den Erfordernissen des biopharmazeutischen Marktes. Biopharmazeutische Unternehmen benötigen bspw. Raman-Systeme, die gezielt für einen reibungslosen Übergang von Laborbedingungen in verfahrenstechnische Anlagen entwickelt wurden. Diese Fähigkeiten sind bereits in den biotechnischen Produktportfolios von Endress+Hauser
verfügbar. Somit ist es als wahrscheinlich anzusehen, dass Raman-­Spektroskopie zukünftig vermehrt in biotechnischen Messverfahren zum Einsatz kommt.

 

Fazit

Die Raman-Spektroskopie bietet enorme Chancen für die Prozessanalytik. Raman-Analysegeräte liefern verlässliche und präzise Messdaten, um kritische Vorgänge kontinuierlich zu überwachen und deren Effizienz zu steigern. Die Systeme sind in der Lage, Chemikalien und Zusammensetzungen mit hoher Genauigkeit zu analysieren und liefern Echtzeit- und In-situ-Daten, die im Labor und im Prozess benötigt werden. Darüber hinaus können sie durch ihre einfache Skalierbarkeit um an jede Produktionsumgebung angepasst werden. Durch die Bündelung der Kompetenzen auf dem Gebiet der laserbasierten Analysetechnik kann Endress+Hauser die Anforderungen der Anwender noch besser lösen. Weiteres Potenzial für moderne Analyseverfahren ergibt sich aus dem Konzept, die Raman-Spektroskopie und TDLAS mit anderen Technologien wie bspw. UV-VIS und NIR zu kombinieren.

Autor: Antonella Colucci, Produktmanagerin Analyse, Endress+Hauser Deutschland, Weil am Rhein

 

„Laserbasierte Messtechnologien begleiten industrielle Anwender von der Produktentwicklung bis zum Produktionsprozess.“

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