Kalt, kälter, zwei Kelvin
Profibus-Technologie ermöglicht eine vorbeugende Instandhaltung beim Deutschen Elektronen-Synchrotron
CITplus: Zur Steuerung und Überwachung der MSR Technik setzt das Deutschn Elektronen-Synchrotron (Desy) auf Profibus DP und PA und Komponenten von Pepperl+Fuchs.
Zur Steuerung und Überwachung der MSR Technik vertraut man beim Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) seit Jahren auf Profibus DP und PA. Eine Herausforderung der besonderen Art für die komplexen, im Forschungszentrum betriebenen Kälteanlagen stellt dabei das Kontrollsystem mit Komponenten von Pepperl+Fuchs dar.
In den Kälteanlagen wird das superfluide Helium 2 erzeugt, das die supraleitenden Cavities (Hohlraumresonatoren) und Magnete der Beschleuniger auf zwei Kelvin kühlt. Für den Betrieb des im Bau befindlichen Linearbeschleunigers XFEL (X-Ray Free-Electron Laser) ist dies unerlässlich.
European XFEL - Ein Projekt der Superlative
Mit dem Projekt European XFEL begann bei Desy der Bau einer Forschungsanlage der Superlative. Gemeinsam mit internationalen Partnern entwickelte man hier die Technologie dieses supraleitenden Linearbeschleunigers für Elektronen. Der Röntgenlaser soll in einem 3,4 km langen Tunnel vom Desy-Gelände in Hamburg bis nach Schenefeld reichen. Der European XFEL wird ultrakurze Laserlichtblitze im Röntgenbereich erzeugen, mit einer Leuchtstärke die milliardenfach energiereicher ist als bei Röntgenstrahlungsquellen herkömmlicher Art. Die weltweit einzigartigen Eigenschaften dieser Anlage werden der Wissenschaft völlig neue Forschungsmöglichkeiten eröffnen. Erstmals können hier Vorgänge im Nanokosmos in Realzeit beobachtet werden. Darüber hinaus wird es möglich sein, atomare Details von Viren und Zellen zu entschlüsseln und Vorgänge unter Extrembedingungen zu untersuchen, wie sie zum Beispiel im Inneren von Planeten vorherrschen. Der Beginn der Inbetriebnahme des European XFEL ist für Ende 2014 geplant.
Betrieb bei zwei Kelvin
In Teilchenbeschleunigern werden geladene Teilchen durch elektromagnetische Felder auf hohe Energien (die hohen Geschwindigkeiten erreichen sie schon nach wenigen Metern) beschleunigt. Um die supraleitenden Cavities und Magnete, die dabei zum Einsatz kommen optimal nutzen zu können, müssen diese bei einer Temperatur von 2,0 Kelvin (-271º C) betrieben werden. Dazu werden sie mit flüssigem Helium 2 (superfluides Helium) gekühlt, das die Cavities und Magnete in einer Badkühlung umspült. Um dieses flüssige Helium in ausreichenden Mengen zu erzeugen, betreibt das Forschungszentrum Desy große und hoch leistungsfähige Helium-Kälteanlagen. In der Anlage wird das Helium über zwei Stufen verdichtet. Zunächst auf 4 bar in drei parallelen Niederdruckstufen und dann in einer Hochdruckstufe auf bis zu 18 bar. Bei der Erzeugung von flüssigem Helium kommt der sogenannte Claude-Prozess zur Anwendung. Dabei handelt es sich um eine Kombination von Expansionsturbinen und Gegenstrom-Wärmetauschern. Sowohl die geleistete Arbeit des Heliums an den Expansionsturbinen als auch der Wärmeaustausch mit kälterem, vom Verbraucher zurück strömendem Helium führt zu einer Abkühlung des warmen Hochdruck-Heliums. In einer letzten Stufe wird das Helium dann an den sogenannten Joule Thomson Ventilen auf einen Druck von 30 mbar entspannt. In Abhängigkeit an die Bedingungen am Eingang des Joule-Thomson-Ventils kann sich das Helium durch die Entspannung so stark abkühlen, dass ein Teil des Heliums dadurch verflüssigt wird. Unterhalb einer Temperatur von 2,17 Kelvin ändert Helium seine Phase. Es entsteht Helium 2 (superfluides Helium). Helium 2 hat im Vergleich zu Helium 1 unter anderem eine um 1000-fach höhere Temperaturleitfähigkeit. Diese Eigenschaft des Heliums ist für den Betrieb des XFEL erforderlich. Bei einem Druck von 30 mbar hat die Flüssigkeit eine entsprechende Temperatur von 2 Kelvin.
Die Kälteanlage des Forschungszentrums besteht aus drei baugleichen Teilanlagen. Diese lassen sich unabhängig voneinander betrieben. Zu jeder Teilanlage gehören jeweils vier Schrauben-Kompressoren (eine Hoch- und drei Niederdruckschrauben), eine Coldbox und diverse Gas-Reinigungseinheiten. Weiterhin stehen redundante Kompressoren und Reinigungseinheiten für alle drei Teilanlagen zur Verfügung. Die Steuerung und Regelung dieser Komponenten erfolgt über eine Vielzahl ferngesteuerter und stufenlos zu betätigender Ventile. Für den Bau des European XFEL werden zwei der drei Teilanlagen derzeit umgerüstet und erweitert. Zur Bereitstellung der notwendigen Kühlleistung für den XFEL muss unter anderem eine zusätzliche, neue 2K-Cold-Box installiert werden, in der das vom Beschleuniger rückströmende 2 K Gas kalt verdichtet wird. In Abhängigkeit der erforderlichen Kälteleistung können beide Teilanlagen symmetrisch betrieben werden, um künftig das kalte Helium für den XFEL-Linear Accelerator (Linac) zur Verfügung zu stellen. Die dritte Teilanlage hingegen versorgt den Forschungsbeschleuniger Flash, die CMTB (Cryo Module Test Bench), den XMTS (XFEL Magnet Teststand), sowie die eigens für den XFEL errichtete Testanlage AMTF (Accelerator Module Test Facility), in der die Cavities und die über 100 Beschleunigermodule vor dem Einbau in den XFEL getestet werden.
Zwei Anlagen - zwei individuelle Lösungen
Überwacht wird die kryogenische Anlage des Forschungszentrums von einem zentralen Kontrollraum, der 24 Stunden am Tag besetzt ist. Hier kommen alle wichtigen Informationen zusammen, die für den sicheren Betrieb der Anlage benötigt werden. Um die MSR-Technik der Kälteanlage zu steuern, vertraut man bei Desy auf Profibus DP und PA. Die XFEL-Kälteanlage wird über das Kontrollsystem Epics (Experimental Physics and Industrial Control System - eine gemeinschaftliche Entwicklung internationaler Forschungsinstitute) gesteuert und überwacht. Die redundanten Epics IOCs (Input Output Controller) kommunizieren über Profibus DP mit den E/A Komponenten. Dazu gehören ebenfalls Ventile, Drucktransmitter, Flowtransmitter usw. welche in Profibus PA-Technik miteinander vernetzt sind. Über das Ethernet-Kontrollnetz sind die Anlagenteile mit dem Prozessleitsystem (PLS) verbunden. Dabei sind alle wichtigen Komponenten wie Stromversorgung und Segmentkoppler (SK3 von Pepperl+Fuchs) Optical Link Module und LWL (Doppelring) redundant ausgelegt. Die Profibus PA Feldgeräte sind über Segment Protektoren angeschlossen. Sie schützen die Datenübertragungen vor Störungen und ermöglichen so Arbeiten im laufenden Betrieb.
Die Kälteanlage des European XFEL wird kontinuierlich an 365 Tagen im Jahr für den XFEL betrieben. Um eine Verfügbarkeit von >99 % gewährleisten zu können, müssen Abschaltungen nach Möglichkeit vermieden werden. Fehler dürfen nicht dazu führen, dass die Anlage abgeschaltet werden muss. In einem solchen Fall, wäre der XFEL Betrieb für mehrere Stunden unterbrochen - mit fatalen Folgen für jedes auf diese Weise abgebrochene Experiment. Die Experimentierzeiten an den Beschleunigern bei Desy sind sehr gefragt und auf lange Sicht ausgebucht.
Der Betrieb der Testanlage AMTF erlaubt kurzzeitige Betriebsunterbrechungen. So konnte hier bei der Installation des Kontrollsystems, nach Abwägung der Vor- und Nachteile, auf redundante Komponenten und Segment Protektoren verzichtet werden. Wenn Arbeiten an Feldgeräten notwendig sind, hat dieses unmittelbare Auswirkungen auf einen Teil des Anlagenbetriebs. Durch ein umfangreiches Diagnosekonzept (preventative Maintenance) sollen Anlagenfehler frühzeitig erkannt und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden bevor ein Anlagenausfall eintritt.
Man hat sich im Fall der AMTF für den kompakten Segmentkoppler (Modell SK3 von Pepperl+Fuchs) und eine Busstruktur von Gerät zu Gerät entschieden. Die Vorteile einer einfachen und schnellen Installation und die damit verbundene schnelle Inbetriebnahme waren hierfür die wesentlichen Gründe. Die Kabellängen fallen in der Testanlage mit einer Segmentlänge von maximal 20 Metern und Strängen von maximal 50 m sehr gering aus.
Das Fazit
Der Einsatz von Profibus DP und PA bei der Überwachung und Steuerung der Desy-Kälteanlagen hat sich in den vergangenen Jahren auf vielfältige Weise bewährt. Schon die Anlagenplanung ist mit Profibus sehr einfach und ohne den Einsatz spezieller Werkzeuge möglich. Auch die Dokumentation erfolgt völlig unkompliziert zum Beispiel über Excel oder Visio. Ebenso einfach zu handhaben sind bei Profibus die Installation und die Inbetriebnahme. Zu schätzen weiß man bei Desy darüber hinaus die sehr guten Diagnosefähigkeiten die das Feldbus-Protokoll ermöglicht. Das größte Plus und für das Forschungsinstitut entscheidend ist jedoch die Zuverlässigkeit des Profibus. Bei korrekter Installation läuft das System robust und störungsfrei. Für den ursprünglichen Hera (Hadron-Elektronen-Ring-Anlage) Betrieb waren 2 der 3 Kälteanlagen erforderlich. Die 3. Kälteanlage stand als Redundanzanlage bereit. Mit dieser Anlagenredundanz konnte Desy, über einen Zeitraum von 16 Jahren, eine extrem hohe Verfügbarkeit der Kälteanlage von rund 99 % erreichen. Die Instrumentierung war in konventioneller 4-20mA Technik ausgeführt und mit einem zentralen Prozessrechner verbunden. Da nach dem Umbau keine direkte Anlagenredundanz mehr verfügbar ist, ist es notwendig, Anlagenfehler frühzeitig zu diagnostizieren (preventative Maintenance) und zu beseitigen bevor diese zu einer Unterbrechung der Helium-Versorgung führen. So soll mit der Profibus-Technologie eine vorbeugende Instandhaltung ermöglicht werden. Ziel ist es, die hohe Verfügbarkeit der Anlagen weiterhin zu gewährleisten und wenn möglich sogar zu steigern.