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Mehr Mut zu MINT

Frauen fehlt es an Vorbildern in Wissenschaft und Technik

17.05.2023 - Mädchen können kein Mathe – Stereotype wie diese und ein Mangel an Vorbildern tragen dazu bei, dass sich nur wenige Frauen für eine Karriere in MINT-Berufen entscheiden.

Mädchen können kein Mathe, Jungs sind besser in Physik – Stereotype wie diese tragen dazu bei, dass sich nur wenige Frauen in Deutschland für eine Karriere in den Berufsfeldern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) entscheiden. Unter den MINT-Auszubildenden liegt ihr Anteil sogar nur bei 11 %. Dabei gilt es gerade in diesen Berufen, viele offene Stellen zu besetzen und die Diversität von Teams zu erhöhen, um großen Herausforderungen wie dem Klimawandel zu begegnen. Andrea Gruß sprach mit Camila Cruz Durlacher, Vice President R&D Operations EMEA bei 3M, über Hindernisse für Frauen in diesen Berufsfeldern und Chancen für Unternehmen, die auf mehr Vielfalt setzen. 

CHEManager: Warum ist es wichtig, dass wir die Vielfalt in den MINT-Berufsfeldern erhöhen?

Camila Cruz Durlacher: Wenn wir die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bewältigen möchten, zum Beispiel den Kampf gegen zukünftige Pandemien oder den Klimawandel, dann brauchen wir diverse Perspektiven auf diese Themen, damit wir neue Ideen, Kreativität und Innovationen fördern. Denn wissenschaftlicher Fortschritt hängt davon ab, dass Menschen bestehende Konzepte hinterfragen und neue Erkenntnisse gewinnen. Das klappt umso besser, je diverser Teams zusammengesetzt sind: Unterschiedliche Menschen berücksichtigen verschiedene Blickwinkel, bringen andere Erfahrungen sowie Interessen ein, werfen mehr Fragen auf und erzielen letztendlich bessere Ergebnisse. Eine Studienreihe der Unternehmensberatung McKinsey zeigt eindrucksvoll, dass vielfältige Teams bessere Entscheidungen treffen, innovativer sind und erfolgreicher arbeiten. 

Können Sie uns ein konkretes Beispiel dafür nennen, was ein Mangel an Diversität bewirken kann?

C. Cruz Durlacher: Gerne. Einer unserer Kunden hatte ein neues Auto entwickelt und festgestellt, dass nur Männer es kauften. Durch Recherchen und Interviews mit Frauen fanden sie den Grund dafür heraus: Frauen mochten das Modell nicht, weil sie sich am Feuerlöscher unter dem Fahrersitz ihre Strumpfhosen zerrissen. Das Designteam, dem nur Männer angehörten, hatte dies übersehen. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Grundsätzlich gilt, wenn Unternehmen alle ihre Kunden besser verstehen und besser mit ihnen kommunizieren möchten, müssen sie die Vielfalt am Markt auch innerhalb des Unternehmens widerspiegeln.

„Frauen fehlt es an Vorbildern in Wissenschaft und Technik“
 

Wie ist es um die Vielfalt in MINT-Berufen in Deutschland bestellt?

C. Cruz Durlacher: In Deutschland ist der Anteil von Frauen in MINT-Berufen mit rund 16 % sehr niedrig. Das hat mich überrascht. Ich komme aus Brasilien. Dort sind bereits 25 % der MINT-Arbeitskräfte Frauen und die Brasilianer sind nicht zufrieden damit. Ich hatte erwartet, in Deutschland viel mehr Frauen in Führungspositionen in den MINT-Berufen zu finden, unter anderem auch, weil Deutschland lange eine Physikerin als Bundeskanzlerin hatte. Allerdings sind Frauen in Brasilien früher in die Arbeitswelt eingetreten als in Deutschland, wo Männer noch bis in der 1970er Jahre die Anstellung ihrer Ehefrauen kündigen konnten. Das könnte ein Grund für den unterschiedlichen Frauenanteil sein.

Es besteht also Handlungsbedarf, was den Frauenanteil in Deutschland betrifft…

C. Cruz Durlacher: Ja. Das bestätigt auch der aktuelle State of Science Index von 3M, eine Studie, bei der bereits im sechsten Jahr in Folge Menschen aus 17 Ländern dazu befragt werden, was sie über Wissenschaft oder wissenschaftliche Themen denken. In der aktuellen Studie gaben acht von zehn Befragten aus Deutschland an, Frauen seien eine Quelle ungenutzten Potenzials für MINT-Berufe und 84 % sind der Meinung, dass mehr getan werden muss, um Frauen und Mädchen zu ermutigen, sich in diesen Bereichen stärker zu engagieren. 

Wie lässt sich das Potenzial heben?

C. Cruz Durlacher: Die Herausforderungen in Bezug auf Chancengleichheit beginnen für Frauen schon sehr früh. Und sie verstärken sich für diejenigen, die sich dennoch für einen MINT-Beruf entscheiden. Zu den größten Hindernissen zählen nach Meinung der deutschen Studienteilnehmer zu wenig MINT-Unterricht und Lehrermangel in den Schulen und keine Verbindung zur Gemeinschaft an der Universität oder Hochschule. Aber auch die geringe gesellschaftliche Relevanz einer MINT-Beschäftigung und der Mangel an Vorbildern halten Frauen davon ab, in diesen Berufsfeldern zu arbeiten. Die Ergebnisse der Studie zeigen, wie wichtig es ist, Identifikationsflächen für junge Menschen zu schaffen. Bildungseinrichtungen, Politik, Medien und auch wir als Unternehmen sind in der Pflicht, Vorbilder zu fördern und sichtbar zu machen.

Welchen Beitrag leistet 3M hierzu?

C. Cruz Durlacher: Um ein Beispiel zu nennen: 3M hat im Jahr 2021 die Dokumentation „Not the science type“ produziert, in der vier Wissenschaftlerinnen auf ihrem Weg an die Spitze ihres Fachgebiets begleitet wurden. Der Film zeigt, wie sie gegen weit verbreitete Stereotypen – wie der mathematisch-naturwissenschaftlich unbegabten Frau – sowie die Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Alter und Rasse kämpfen. Er räumt mit überholten Vorstellungen auf, wie ein Wissenschaftler aussieht und arbeitet und soll die nächste Generation von MINT-Führungskräften inspirieren. Wir haben die Dokumentation vor zwei Jahren auf der Berlin Science Week vorgestellt und in einem Panel über Klischees über Wissenschaftler und Einstiegshürden für Frauen in die Wissenschaft diskutiert. 
Übrigens, die Frauenquoten im Bereich Forschung und Entwicklung bei 3M in Deutschland liegt bei 29 %, also fast doppelt so hoch wie der Durchschnitt in Deutschland. Doch wir geben uns damit nicht zufrieden und wollen zum einen noch mehr Frauen und Mädchen für eine Karriere im MINT-Beruf begeistern und zum anderen Frauen, die in diesem Beruf schon tätig sind, bei ihrer Karriere unterstützen. 

Wie gehen Sie dabei vor?

C. Cruz Durlacher: Wir haben zum einen das Workshop-Format „Science is Fun“ entwickelt. Dabei gehen Mitarbeitende von 3M in Schulen und begeistern Kinder im Alter von sieben bis elf Jahren mit tollen Experimenten für Wissenschaft. Für Gymnasien bieten wir sogenannte Tech Talks, um auch Jugendliche zu erreichen. Darüber hinaus nutzen wir unsere Kanäle auf Instagram und andere Plattformen, um inspirierende Beispiele zu zeigen oder spannende neue Technologien zu präsentieren. Das hilft, Wissenschaft und Technik zugänglicher zu machen und zu zeigen, dass sie nicht nur etwas für Genies oder hochbegabte Menschen ist. 

Welche Strategie verfolgt 3M, um Frauen während ihrer beruflichen Laufbahn zu fördern? 

C. Cruz Durlacher: Unsere interne Förderung bei 3M basiert im Wesentlichen auf zwei Programmen. Eines davon ist das Technical Women’s Leadership Forum, bei dem Frauen aus technischen Berufen zusammenkommen, um über ihre Themen zu diskutieren und darüber, wie sie sich gegenseitig unterstützen können. Dieses Netzwerk bietet auch Mentoring an. Das zweite sind sogenannte Lean-In-Circles, eine Plattform für Frauen bei 3M. Jeder Circle besteht aus zehn bis zwölf Frauen, die zusammenkommen, um ihre Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig dabei unterstützen, Karrierehürden zu überwinden. 

Welche Karrierewege bietet Ihr Unternehmen?

C. Cruz Durlacher: Erfolg bedeutet für jeden Menschen etwas anderes, unabhängig vom Geschlecht. Gerade in der Wissenschaft gibt es vielfältige Karrieremöglichkeiten. Für die eine ist es eine Karriere als Führungskraft, wie in meinem Fall, für den anderen kann Karriere bedeuten, als Wissenschaftler dutzende von Patenten zu veröffentlichen. Bei 3M kann man wählen, ob man den Weg zur Führungskraft einschlägt oder eine wissenschaftliche Karriere anstrebt. In beiden Fällen kann man das Niveau eines Direktors oder einer Direktorin erreichen. 

Sie sind selbst als Mentorin tätig. Welche Muster erkennen Sie in den Karrieren von Frauen? 

C. Cruz Durlacher: Es ist erstaunlich, wie viele Frauen an ihren eigenen Fähigkeiten zweifeln, sei es wegen des Hochstapler-Syndroms oder einfach, weil sie glauben, dass sie nicht die richtigen oder genügend Fähigkeiten für einen Job haben. Das begrenzt ihren Ehrgeiz. Dies spiegelt nicht nur meine persönliche Erfahrung aus vielen Mentorings wider, dies belegen auch zahlreiche Studien. Sie zeigen, dass Frauen sich nur dann für einen Job bewerben, wenn sie alle Qualifikationen vorweisen können. Werden zehn Qualifikationen genannt, von denen sie neun mitbringen, zweifeln sie immer noch, ob sie für diesen Job gut genug vorbereitet sind. Männer hingegen riskieren mehr. Sie sind weniger kritisch mit sich selbst. Was ich im Laufe der Jahre beobachtet habe: Es ist egal, wie oft Frauen dieses Thema schon in Women‘s Leadership Foren, in unseren Lean-In-Circles oder beim Mentoring diskutiert haben und ob sie sich dieses Problems bereits bewusst sind, sie zögern weiterhin einen Job anzustreben, wenn sie nicht 100 % der Qualifikation mitbringen. Dieses Verhalten verwundert mich.

Frau Durlacher, Sie sind selbst Chemikerin. Wer oder was hat Sie dazu inspiriert, Naturwissenschaftlerin zu werden?

C. Cruz Durlacher: Meine Eltern kommen aus dem sozialen Bereich und haben zu keiner Zeit versucht, mich zu beeinflussen, ihren Berufen zu folgen. Hierfür bin ich dankbar. Ich war schon als Kind sehr neugierig. Ich wollte verstehen, wie Dinge funktionieren, wie sie entstehen. In der Schule hatte ich wunderbare Lehrerinnen und Lehrer. Ich habe nie die Erfahrung gemacht, dass mir jemand gesagt hat, das kannst du nicht, weil du ein Mädchen bist. In der Grundschule hatte ich einen Lehrer, übrigens ein Deutscher, der uns mit Experimenten in Physik und Chemie regelrecht verzaubert hat. Das war wunderschön. Im Gymnasium hatte ich einen ausgezeichneten Chemielehrer, der mich wegen meines Interesses und meiner guten Ergebnisse ermutigte. Und schließlich hatte ich einen Mentor, der bei einem großen deutschen Chemieunternehmen gearbeitet hat. Er half mir zu verstehen, welche vielfältigen Möglichkeiten es in der Industrie für mich gibt, wenn ich mich für ein Studium in der Wissenschaft entscheide. Das waren meine Inspirationen. Deswegen habe ich Chemie studiert.

Keiner Ihrer Mentoren war eine Frau…

C. Cruz Durlacher: Ja, es waren Männer, die mich ermutigt und inspiriert haben, Chemie zu studieren und diese Karriere zu verfolgen. Für mich war der Mangel an weiblichen Vorbildern kein Hindernis. Und das ist auch mein Tipp für Mädchen, die noch zweifeln, ob sie eine Karriere in MINT verfolgen sollen: Lass dich nicht von einem Mangel an Vorbildern davon abhalten, deinen Träumen zu folgen. Glaube an deine Fähigkeiten und suche dir Mentoren und Mentorinnen, die dir auf deinem Weg helfen können.

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State of Science Index
Der 3M State of Science Index ist eine jährliche Studie, die im Auftrag des Unternehmens von einem globalen Forschungsunternehmen durchgeführt wird. Dabei werden weltweit etwa 17.000 Menschen in 17 Ländern befragt. Die Umfrage beleuchtet das öffentliche Bild der Wissenschaft und zeigt langfristige Trends auf, wie sehr die Menschen der Wissenschaft vertrauen, sie respektieren und schätzen und welche Rolle sie in ihrem Leben spielt. 
n  3M.de/stateofscience

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Zur Person

Camila Cruz Durlacher ist seit dem Jahr 2000 für den Technologiekonzern 3M tätig. Seit Mai 2021 verantwortet sie als Vice President die Forschung und Entwicklung des Technologiekonzerns in der Region EMEA. Die gebürtige Brasilianerin studierte Chemie und Kunststofftechnik und engagiert sich für Chancengleichheit und Diversität in naturwissenschaftlichen Berufen. 

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