Forschung & Innovation

Schnee sichert Sauberkeit bei Raumfahrtmissionen

QuattroClean-Technologie für die ­Reinigung von CFK-Leichtbau­strukturen

07.02.2023 - Geht es um die Performance von Satelliten und ihren erfolgreichen Einsatz im All, können kleinste Staubteilchen oder partikuläre Fertigungsrück­stände entscheidend sein.

Ein Global Player der internationalen Raumfahrt nutzt mit der Quattro­Clean-Schneestrahltechnologie eine Lösung für
die Innenreinigung beschichteter Baffle- und CFK-Strukturen mit und ohne integriertem ­Kabelbaum, mit der sich ein gleichzeitiger Nachweis des ­Reinigungsergebnisses realisieren lässt.

Der familiengeführte, börsennotierte Raumfahrt- und Technologiekonzern OHB ist einer der Top 3 Akteure der europäischen Raumfahrt. Gegliedert in die Geschäftsbereiche Space Systems, Aerospace und Digital beschäftigt der Konzern rund 2.800 Mitarbeitende. Als größtes Tochterunternehmen verfügt die OHB System mit Hauptsitz in Bremen und einem weiteren Standort in Oberpfaffenhofen über mehr als vier Jahrzehnte Erfahrung in der Entwicklung von Hightech-Lösungen für die Raumfahrt und andere Anwendungsfelder, wobei Composite-Materialien wie CFK eine wichtige Rolle spielen. Zum Produkt- und Dienstleistungsportfolio des Unternehmens zählen die Realisierung kompletter Satellitensysteme für die Erdbeobachtung, Navigation, Telekommunikation, Wissenschaft und Aufklärung ebenso wie die Ausarbeitung und Umsetzung von Missionen zur Erforschung des Weltalls sowie die Entwicklung von Systemen für die astronautische Raumfahrt. Als Systemhaus kooperiert OHB System mit führenden nationalen und internationalen Unternehmen, um Technologien zu neuen Lösungen zusammenzuführen.

Hohe Sauberkeitsspezifikationen erfüllen und nachweisen

Dies ist auch im Bereich von Reinigungstechnologien der Fall. Denn an der falschen Stelle können bereits minimale partikuläre Fertigungsrückstände die Performance einer Mission beeinträchtigen, für die das Unternehmen die Verantwortung trägt. „Wir haben deshalb vor elf Jahren den Bereich Cleanliness und Kontaminationskontrolle aufgebaut. Inzwischen beschäftigen sich elf Experten mit Sauberkeit entlang der Prozesskette und Kontaminationsengineering, dem Nachweis der Sauberkeit, der Simulation von Phänomenen der Kontaminationsübertragung sowie der Reinigung im Highend-Sektor“, berichtet Axel Müller, Lead Expert Contamination Control bei OHB System. 2016 wurde damit begonnen, die CO2-Schneestrahltechnologie als Reinigungsverfahren für die Raumfahrt unternehmensintern zu qualifizieren. Dabei ging es um die Reinigung von Kabelbäumen und CFK-Strukturbauteilen mit zirka 2.000 x 2.000 mm Durchmesser, die mit einer speziellen, lichtabsorbierenden schwarzen Beschichtung ausgestattet sind. Dieses so genannte Baffle ermöglicht, dass nur das zu detektierende Licht bzw. die gewünschte Bildinformationen zu optischen Komponenten wie Spiegel, Linsen und Detektoren geleitet werden. „Gelangen bspw. durch die Vibrationen beim Start nur einzelne Partikel auf den Spiegel, entstehen Lichtreflexe, die das Bild verfälschen und damit ein Scheitern der Mission bedeuten können“, erklärt Axel Müller. „Für uns besteht die Herausforderung aber nicht nur darin, das Baffle innen beschädigungsfrei so sauber zu bekommen, dass keine Partikel größer zehn Mikrometer mehr vorhanden sind, sondern dies auch nachzuweisen. Und dieser Nachweis ist üblicherweise extrem arbeits-, zeit- und kostenintensiv.“ Basierend auf der skalierbaren QuattroClean-Schneestrahltechnologie der ACP systems wurde gemeinsam eine entsprechende Reinigungslösung konzipiert und in einen Reinraum ISO 3 integriert.

 

Vier Effekte für hochsaubere Oberflächen

Das trockene QuattroClean-Verfahren nutzt flüssiges, klimaneutrales Kohlendioxid als Reinigungsmedium, das durch eine verschleißfreie Zweistoff-Ringdüse geleitet wird. Beim Austritt aus der Düse entspannt das Kohlendioxid zu feinem CO2-Schnee, der von einem separaten, ringförmigen Druckluftmantelstrahl gebündelt und auf Überschallgeschwindigkeit beschleunigt wird. Der gut fokussierbare Schneedruckluftstrahl entwickelt beim Auftreffen auf die zu reinigende Oberfläche eine Kombination aus thermischem, mechanischem, Lösemittel- und Sublimationseffekt. Durch das Zusammenspiel dieser vier Wirkmechanismen werden partikuläre Verunreinigungen bis in den Submikrometerbereich und filmische Kontaminationen prozesssicher und reproduzierbar entfernt. Das kristalline Kohlendioxid sublimiert während des Prozesses vollständig, so dass die gereinigten Flächen trocken sind.

Reinigung im Reinraum mit ­direktem Sauberkeitsnachweis

Im Gegensatz zum CO2, das nach der Reinigung im gasförmigen Zustand vorliegt, lösen sich die entfernten Fertigungsrückstände und Stäube nicht auf. Dieser Umstand brachte die Cleanliness-Experten auf den Gedanken, den Sauberkeitsnachweis parallel zur Reinigung durchzuführen. „Dafür umströmen wir das Bauteil während der Reinigung mit einem Reinstluftstrom, der die entfernten Kontaminationen gezielt vom Bauteil wegfördert hin zur Absaugung. In diesen Luftstrom haben wir einen Partikelzähler integriert, der live anzeigt, wie viele Partikel in welcher Größe vorhanden sind“, berichtet Axel Müller. Die Reinraumklasse wird durch die Aktivität messbar verschlechtert. Anhand der Messung der Partikelanzahl pro Volumen lässt sich bei einer Unterbrechung der CO2-Reinigung nachweisen, dass die Reinraum-Reinheit schnell wiederhergestellt ist. Danach beginnt der nächste Reinigungsschritt. Dabei werden die verbliebenen Kontaminationen in Anzahl und Größenverteilung durch die Reinigungswirkung kontinuierlich reduziert und dies gleichzeitig dokumentiert. Diese Reinigungs- und Regenerierungszyklen werden so oft wiederholt, bis das Baffle die geforderte Sauberkeitsspezifikation hinsichtlich akzeptabler Restverschmutzung bzw. Partikelgrößenverteilung erfüllt. „Meines Wissens ist die QuattroClean-Schneestrahltechnologie das einzige Reinigungsverfahren, bei dem sich das Reinigungsergebnis live anzeigen lässt“, merkt Axel Müller an.

 

Komplexer Reinigungsautomat

Basierend auf diesen Ergebnissen und der inzwischen erfolgten Qualifizierung der Reinigungslösung für Raumfahrtanwendungen, konzipierte ACP für die Innenreinigung der großen, bereits komplett montierten, semi-geschlossenen CFK-Strukturen dreier unterschiedlicher Baffle einen Reinigungsautomaten in High Purity-Ausführung. Diese beinhaltet unter anderem eine Medienaufbereitung für das flüssige Kohlendioxid, die eine Reinheit von 99,995 % sicherstellt, die Druckluftqualität liegt bei 1.2.1.

Die bis zu 125 kg schweren Baffle in Form eines oben abgerundeten Pyramidenstumpfs werden auf einer Interfaceplatte befestigt und mit einem Kran auf der Gabel der Anlage platziert. Diese lässt sich in X-, Y- und Z-Richtung bewegen. Damit sämtliche Innenflächen der maximal 1.600 x 1.600 x 2.000 mm großen Bauteile erreicht werden, fährt die Düse mit schwenkbarem Strahlbereich auf einer Lanze in das Baffle hinein, scannt dieses mäanderförmig ab und rotiert dabei. Während des Reinigungsprozesses wird die Innenluft im Baffle abgesaugt und die enthaltenen Partikel ort- und zeitaufgelöst nach Größe und Anzahl hinsichtlich Reinigungserfolg ausgewertet.  

Kollisionskontrolle über digitalen Zwilling

Kollisionen, die zu Beschädigungen an den CFK-Strukturen führen können, müssen bei der Reinigung sicher ausgeschlossen werden. Gleichzeitig ist zu gewährleisten, dass jeder Bereich anforderungsrecht gereinigt wird. Die Bewegungssequenzen sind daher für jedes Baffle individuell zu definieren. „Dies erfolgt über einen digitalen Zwilling, der die Anlage, das Bauteil und den Reinigungsprozess sowie den Reinigungserfolg abbildet“, erklärt Axel Müller. Für die Abstandsmessungen ist der Düsenkopf mit einem Ultraschallsensor und zwei Laserpointern ausgestattet. Durch ein ebenfalls integriertes Kamerasystem stehen während der Reinigung jederzeit Livebilder zur Verfügung. Der Sauberkeitsnachweis erfolgt durch Partikelzähler, die in den Abluftstrom integriert sind. „Mit dieser Anlage, die vermutlich weltweit einzigartig ist, gelingt es uns, die Komponenten um einen Faktor 10.000 sauberer zu reinigen, als das vorher möglich war. Und das mit einer enormen Zeitersparnis sowie einer deutlich höheren Prozesssicherheit und Reproduzierbarkeit“, fügt Axel Müller abschließend an.

Autoren: Axel Müller, OHB System AG, Wessling
Günther Schmauz, acp systems AG, Ditzingen

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