Standorte & Services

Vorteil Chemiepark

Favorit bei Standortentscheidungen ist oft das Gemeinschaftskonzept

13.04.2010 -

Für die Notwendigkeit einer Standortentscheidung durch ein Chemieunternehmen gibt es unterschiedliche Gründe: die technische Kapazitätserweiterung, eine Markterschließung, die Veränderung der Wertschöpfungskette oder die Neugründung eines Unternehmens. Zur Unterstützung dieser Standortplanung existieren Instrumente, welche eine sachliche Entscheidung zwischen verschiedenen Standortalternativen ermöglichen - z.B. die Standort-Nutzwertanalyse oder die -Break-Even-Analyse. In der Praxis dienen diese Instrumente dazu, eine Entscheidung zwischen verschiedenen Standorten zu quantifizieren und zu qualifizieren. Vor einem Jahrzehnt war diese Entscheidung auf Grund mangelnder Alternativen nur eingeschränkt möglich, da Chemieunternehmen ihre Standorte für ihre eigene Produktion, Forschung und Entwicklung, Logistik genutzt haben. Seit der Entstehung von wettbewerbsfähigen Chemiestandorten besteht für Unternehmen aus chemienahen Branchen neben der Grüne-Wiese-Ansiedlung auch die Möglichkeit, sich in einem Chemiepark anzusiedeln.

Standortwahlinstrumente

Die Anwendung der Standortwahlinstrumente zeigt deutliche Vorteile für die Ansiedlung in einem Chemiepark. Diese identifizierten Vorteile hängen von den Rahmenbedingungen der Entscheidung und den einzelnen Entscheidungskriterien ab, die zur Standortwahl herangezogen werden. Rahmenbedingungen für die Standortwahl sind die unternehmensindividuellen Interessen (Unternehmenszweck), das Ergebnis der Normstrategie aus dem Standortportfolio, die Größe des Beschaffungs- und Absatzmarktes, ggf. der fest vorgegebene topologische Aufbau des Supply Chain-Netzwerkes und der Einfluss von Umwelt- und Entsorgungsverpflichtungen. Die Bewertung der einzelnen, auf Basis dieser Rahmenbedingungen in Frage kommenden Standorte, erfolgt anhand der Folgenden Kriterien:

  • Supply Chain Management: Nähe zu Partnern auf der Absatz- und Beschaffungsseite
  • Beschaffung und Entsorgung: Verfügbarkeit von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen, Entwässerung, Abfallbeseitigung
  • Infrastruktur: Gebäudeverfügbarkeit (allgemeine und spezifische wie Laborgebäude), Wohnraum/ soziales Umfeld, medizinische Versorgung
  • Know How: Bildungseinrichtungen, Forschungseinrichtungen, Netzwerk von F&E-Einrichtungen, Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte, Lohnniveau
  • Wirtschaftliches und politisches Umfeld: Wechselkurse, Subventionen
  • Logistik: Straßen- und Schienennetz, Flughäfen, Wasserwege, Hubs
  • Kosten: Betriebs- und Transportkosten

Diese Kriterien dienen erst dann zur Bewertung, wenn eine Maßzahl pro Kriterium definiert ist und eine Quantifizierung der einzelnen Kriterien möglich ist. Dabei sind Kosten oder Zeiten sehr einfach im Kontext zu bewerten, andere qualitative Kriterien werden mit subjektiven Einschätzungen objektiviert.
In der Wertschöpfungskette der chemischen Industrie können diese Kriterien unterschiedlich gewichtet sein. So sind für einen Verarbeiter von Massenchemikalien die Kriterien der günstigen Rohstoffversorgung ausschlaggebender als das innovative Umfeld mit einer hochwertigen Labor- und Entwicklungslandschaft. Daher ist es entscheidend, die Kernerfolgsfaktoren (KEF´s) für das jeweilige Geschäft und die einzelne Standortwahl herauszuarbeiten (Abb. 1).

Kernerfolgsfaktoren

Für die Geschäfte Petrochemie, Massenkunststoffe und Basischemikalien sind es die Kernerfolgsfaktoren Rohstoffkosten und Anlagenintensität, für die Geschäfte Polymere und Spezialchemie sind es große Kundennähe, Produktionskosten und Serviceorientierung und für die Geschäfte Agrochemie, Biotechnologie und Pharma das innovative Potenzial und die Marketingexpertise. Diese Erfolgsfaktoren finden sich als Bewertungskriterien in der Standortplanung wieder. Zwischenformen wie z.B. eine Quasi-Commodity vereinen verschiedene Erfolgsfaktoren miteinander. Der Chemiestandort als neues wichtiges Geschäftsmodell in der chemischen Industrie hat, um erfolgreich zu sein, den Faktor Vertrauen in Form von Kundennähe und Zuverlässigkeit bei seiner Unternehmensentwicklung zu berücksichtigen.
Für innovationsintensive Chemiegeschäfte sind laut einer Studie die folgenden Standortfaktoren von besonderer Bedeutung:

  • Verfügbares Humankapital (Hoch-/ Fachhochschulabsolventen und sonstige Fachkräfte, Ausbildungsniveau) 
  • Netzwerke, Agglomerationsvorteile
  • Standortnähe der Wissenschaft 
  • Gewerbe- und Inkubatorflächen (Verfügbarkeit von und Preise für Gewerbe-/ Laborflächen) 
  • Verkehrsanbindung der Region 
  • Zugang zu Risiko-/ Beteiligungskapital 
  • Kultur- und Freizeitangebote 
  • Gründungs- und Ansiedlungsförderung

Bei der Standortplanung für ein Basischemikalienunternehmen sind der Produktionsverbund (Kosten für Rohstoff- und Vorproduktversorgung), die Nähe zum Absatzmarkt, das Angebot von Fachpersonal und die Verfügbarkeit essentieller Services wie Versorgung (Dampf, Wasser, etc.), Entsorgung, technischer Services und Logistik ausschlaggebend.

Auswahlmöglichkeiten

Die für ein Chemieunternehmen möglichen Standorte sind grundsätzlich auf der grünen Wiese oder in Form von Industrie-/Technologieparks oder in Chemieparks zu finden. Der Industrie-/Technologiepark unterscheidet sich vom Chemiepark insbesondere durch seine geringere, sicherheitstechnische Abgegrenztheit von der Außenwelt und die weniger umfangreichen Kapazitäten im Ver- und Entsorgungsbereich sowie in der Logistik. Für Chemieunternehmen gelten diese Auswahlmöglichkeiten nur, soweit gesetzliche Genehmigungen für die Produktion des jeweiligen Gefahrstoffes auf der grünen Wiese erlangt werden können.

Ansiedlungsfallbeispiele

Als Vergleich für die beiden Beispielunternehmen „Innovations GmbH" und „Basic-Chemicals AG" dienen drei Standorte: eine klassische Grüne-Wiese-Überlegung, ein bestehender Zonen-Standort und ein bestehender Main-User-Standort. Bei der Grünen-Wiese Planung ist das Unternehmen bei der Planung seines Standortes völlig frei. Der Zonen-Standort ist ein Technologie-/Chemiepark mit unterschiedlichen Ansiedlungszonen (Basischemie, Pharma, Forschung, Logistik). Der Main-User-Standort setzt einen Schwerpunkt auf einen Teil der Wertschöpfungskette (Petro-, Spezialchemie- oder Pharma-Orientierung) und ist oft auch im Eigentum des Hauptproduzenten.
Aktuelle praktische Beispiele für Ansiedlung sind insbesondere im Zonen-Standort oder im Main-User-Standort zu finden:
Ein Beispiel für eine erfolgreiche Ansiedlung in einem Multi-User-Standort ist der Bau der Ionenaustauscher-Anlage durch Lanxess in Bitterfeld. „Bitterfeld hat sich durchgesetzt - u.a. gegen internatonale Mitbewerber wie Singapur oder Spanien ... . Hohes Bildungsniveau, hoch qualifizierte Mitarbeiter, beste Infrastruktur, zentrale Lage in einem der wichtigsten Märkte der Welt und hohes Niveau in Forschung und Entwicklung sind die Kriterien, die den Ausschlag für Bitterfeld gaben ...".
Die Ansiedlung an einem eigenen Main-User-Standort ist z.B. die Genehmigung der neuen Anlage zur Herstellung von organischen Chemikalien in Pirna für Schill & Seilacher. In Deutschland gibt es zahlreiche Mittel- und Kleinststandorte. Grüne-Wiese-Investitionen sind in der deutschen chemischen Industrie seltener. Diese sind in asiatischen Regionen oder Middle East zu finden und als Ergebnis unserer Bewertung auch nicht so vorteilhaft wie die Ansiedlungen an existierenden Standorten.
Die Kriterien für die „Innovations GmbH" sind Humankapital, Infrastruktur, Verkehrsanbindung, Netzwerk und Image der Region. Die Kriterien für die „Basic-Chemicals AG" sind Rohstoffversorgung, Produktionsverbund, Fachpersonal, Services und Verkehrsanbindung. Die Bewertung der drei Standorte durch diese beiden unterschiedlichen Unternehmen ist in Abb. 2 dargestellt.

Fazit

Das Ergebnis der Bewertung zeigt, dass existierende Zonen- oder Main-User-Standorte erhebliche Vorteile bieten. Für die Ansiedlung der „Innovations GmbH" ist eine innovative Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur von großer Bedeutung. Professionelle Standorte, welche in der Ansiedlung von innovativen Unternehmen einen Schwerpunkt sehen (wie eine Zone im Industriepark Höchst oder der Standort Behringwerke), stellen solchen Unternehmen skalierbare Forschungsumgebungen in einem frei wählbaren Facility Management-Angebot zur Verfügung. In vielen Fällen liegen die bestehenden Standorte verkehrstechnisch optimal und bieten innovationsorientierten Unternehmen eine zahlreiche Logistikvielfalt vom Kleinmengenversand über etablierte KEP (Kurier-/ Express- und Postdienste)-Prozesse bis zur anspruchsvollen Distribution von Produkten auf der Schiene oder im Flugzeug.
Die Ansiedlung der „Basic-Chemicals AG" hängt in erheblichem Maß von der benötigten Wertschöpfungskette ab. In vielen Fällen ist damit der Produktionsverbund, der von den Main-Usern des Standortes abhängt, ausschlaggebend für die Ansiedlung. Je näher das Basischemikalienunternehmen in der Wertschöpfungskette zu Erdöl und Erdgas produziert (also Massenkunststoffe oder sogar Petrochemie), desto notwendiger wird ein Cracker oder eine Chlorproduktion in unmittelbarer Nähe. Dann sind es Standorte mit Betreiberkonzepten von Infracor, Currenta, Infraserv oder Infraleuna, die zur Wahl stehen. Die Ansiedlung auf der grünen Wiese ist damit überwiegend ausgeschlossen.
Zusätzlich können Prozesse zur Genehmigung unterschiedlich langwierig sein. Darüber hinaus werden zahlreiche Services benötigt, die in einem Chemiepark in modularer Art und Weise vom Kunden ausgewählt werden können. Zusätzlich hilft der Chemiepark Unternehmen aus dem Ausland bei Genehmigungen, der Beschaffung von Arbeitskräften und behördlichen Prozessen. Damit ist für die „Basic-Chemicals AG" eine entsprechende Zone in einem Zonen-Park oder der Main-User-Chemiepark die richtige Wahl.
Zusammenfassend wird deutlich, dass von einem „Gemeinschaftskonzept" in Form eines Industrie-/Technologieparks oder Chemieparks erhebliche Vorteile ausgehen. Die Gemeinschaft an einem Standort ermöglicht zum einen Material- und Informationsflüsse miteinander zu verbinden und zum anderen, synergetische Effekte durch die Ausnutzung gemeinsamer Infrastrukturen und Ressourcen zu erzielen. Nicht immer müssen es die großen Standorte sein - bei der spezifischen Suche nach einer geeigneten Wertschöpfungskettenergänzung kann der Main-User eines Standortes über das Teilen von fixen Standortkosten mit einem neuem Ansiedler sehr glücklich sein. Es liegt an den Main-User-Standorten, Industrie-/Technologieparks und Chemieparks, sich mit professionellem Standortmanagement bei den suchenden Unternehmen erfolgreich zu positionieren.