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Wettbewerb um kluge Köpfe

Chaos bei der Hochschulzulassung verschärft Fachkräftemangel

27.04.2011 -

Das Chaos bei der Hochschulzulassung geht weiter. Wieder konnten in diesem Winter tausende Studienplätze in begehrten Mangelfächern nicht besetzt werden. Wegen jahrelanger Zulassungsprobleme an den Hochschulen sind auch im Wintersemester 2010/2011 fast 17 000 Studienplätze in begehrten Numerus-Clausus (NC)-Fächern unbesetzt geblieben. Das sind fast 7 % aller Plätze in Studienfächern mit örtlichen Zulassungsbeschränkungen. Dies geht aus einer internen Erhebung der Kultusministerkonferenz (KMK) hervor. Betroffen sind vor allem die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, aber auch Ingenieur- und Naturwissenschaften sowie Mathematik. Also Fächer, in denen bereits heute ein Mangel herrscht, den auch die Industrie zu spüren bekommt.
Ein zentrales Bewerbungssystem via Internet sollte ab dem kommenden Wintersemester 2011/2012 Abhilfe schaffen und die Vergabe der Studienplätze in NC-Fächern regeln. Doch der Start ist von den 16 Wissenschaftsministern der Länder und den Vertretern der Hochschulen auf unbestimmte Zeit verschoben. Das Chaos bei der Studieneinschreibung geht damit weiter.

Hochschulanfänger-Rekordjahr 2011
Auf Drängen der Hochschulen hatten die Länder mit Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge seit 2003 immer mehr Mangel-Studienfächer aus dem alten Computer-Verteilungssystem der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) herausgenommen. Heute werden nur noch die Plätze Medizin und Pharmazie mit Hilfe dieses ZVS-Systems vergeben - was weitgehend reibungslos läuft.
Andere Studieninteressenten müssen sich direkt bei ihrer Wunschhochschule vor Ort bewerben. Da Mehrfachbewerbungen möglich sind, führt dies häufig zu Mehrfachzulassungen - und damit zur Blockade der begehrten NC-Studienplätze. Sie sind dann häufig auch mit mehreren Nachrückverfahren nicht mehr fristgerecht im laufenden Semester zu besetzen.
In diesem Herbst gilt die Zulassungssituation an den Hochschulen als besonders schwierig. Im Westen werden geburtenstarke Abiturientenjahrgänge erwartet, Bayern und Niedersachsen entlassen zudem wegen der Schulzeitverkürzung doppelte Abiturientenjahrgänge. Auch wird wegen der Wehrpflichtaussetzung mit einem weiteren Bewerberandrang gerechnet.
Kritisiert wird auch die mit den unbesetzten NC-Studienplätzen verbundene Ressourcen-Verschwendung. Im Interesse der Ausbildung junger Menschen bestehe ein Interesse daran, dass die zur Verfügung gestellten Mittel „zielgerichtet eingesetzt und keine Kapazitäten ins Leere laufen, weil es technische Probleme gab, die Studienplätze zu vergeben".

Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte
Die Situation erscheint paradox, wenn dem durch den demografischen Faktor ausgelösten Fachkräftemangel auf der einen Seite unbesetzte Studienplätze auf der anderen Seite gegenüberstehen. Sowohl die Spitzenforschung als auch die chemische Industrie insgesamt sind auf ausreichend qualifizierte Fachkräfte angewiesen. Darum spricht sich z.B. der VAA - Führungskräfteverband Chemie deutlich gegen eine Einschränkung der Zugangsmöglichkeiten zu weiterführenden Studiengängen aus. Eine Quotierung beim Übergang von Bachelor- zu Masterstudiengängen in den naturwissenschaftlichen Fächern stellt aus Sicht des VAA eine unnötige Beschränkung des Nachwuchses an hochqualifizierten Absolventen dar und verschärft den ohnehin wachsenden Fachkräftemangel weiter.
Bereits 2008 warnte der VDI, dass es höchste Qualitätsstandards und innovative Technologien „Made in Germany" in ihrer heutigen Form in zehn Jahren nicht mehr geben wird, wenn der Fachkräftemangel weiter zunimmt. Kaum eine Branche klagt so über Fachkräfte- und Nachwuchsmangel wie die Hightech-Industrie. Bereits 2006 erlitt die deutsche Volkswirtschaft laut einer VDI-Studie, erstellt vom Institut der Deutschen Wirtschaft, einen Wertschöpfungsverlust von 3,5 Mrd. €, weil 73.000 Stellen für Ingenieur- und Naturwissenschaftler unbesetzt blieben. Bleibt die Gesamterwerbstätigkeit in etwa auf dem gleichen Stand, können vor allem angesichts des demografischen Wandels 2014 voraussichtlich 60.000 Stellen nicht besetzt werden. Dass das für Deutschland als weltweit angesehenen Standort für Technik und Innovation einen enormen Rückschritt bedeuten würde, bedarf - so der VDI - keiner weiteren Erklärung.

Gezielte Personalentwicklung
Inzwischen haben nahezu alle Industrie- und Wirtschaftsverbände und die Unternehmen Initiativen gestartet, um dem Mangel an qualifizierten Mitarbeitern entgegenzuwirken: von Programmen zur Weiterqualifizierung älterer Beschäftigter über Talent oder Skill Management-Konzepte bis zu Hochschulprojekten und Schulpartnerschaften, um den Nachwuchs frühzeitig für bestimmte Berufe und Karrieren zu begeistern.
In der Prozess- und Fertigungsindustrie nimmt die Nachfrage nach externen Industrieservices kontinuierlich zu. Entsprechend steigt auch bei den Anbietern industrieller Dienstleistungen der Bedarf an hoch qualifiziertem Personal und lässt einen wachsenden Mangel an Fachkräften befürchten. Dem begegnen z.B. viele Mitgliedsunternehmen des Wirtschaftsverbands für Industrieservice (WVIS) mit weitreichenden Aus- und Weiterbildungsprogrammen sowie einer konsequenten und gezielten Personalentwicklung. Das Defizit an hoch qualifizierten Fachkräften wird auch weiterhin eine der größten Herausforderungen der deutschen Wirtschaft sein. Neben dem Hochschulbildungsnetzwerk baut der WVIS zudem über die verstärkte Zusammenarbeit mit Handwerkskammern, IHKs, Verbänden und Unternehmen ein Facharbeiterbildungsnetzwerk auf. Zurzeit liegt der Anteil der gewerblichen Berufe im Industrieservice je nach Aufstellung der einzelnen Unternehmen bei rund 90 %. Daher ist der Bedarf an Perspektiven bei Weiterbildung und Spezialisierung nach Beendigung einer Ausbildung in den zahlreichen Basisberufen besonders groß. Dies zeigt nicht zuletzt die aktuelle Diskussion in Politik und Wirtschaft über den Fachkräftemangel in Deutschland und die verstärkte Anwerbung ausländischer Experten. Anhaltendes Wachstum, so der WVIS, könne nur mit fachlich hervorragend ausgebildeten Mitarbeitern sichergestellt werden. Politik und Unternehmen stünden gleichermaßen in der Pflicht, hierfür die richtigen Weichen zu stellen und die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Anwerbung von ausländischen Fachkräften sei dabei eine Bereicherung der Ist-Situation, auf die auch in Zukunft aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland nicht verzichtet werden darf. Gerade aber die Qualifikation von in Deutschland lebenden potentiellen Nachwuchskräften müsse deutlich intensiviert werden.