Anlagenbau & Prozesstechnik

Zeitenwende auch für Operational Excellence

Evolutionäre Prozessoptimierung genügt nicht mehr, um Unternehmen im Wettbewerb zu halten

15.08.2023 - Die Chemieindustrie in Europa steht vor enormen Herausforderungen wie Energiekrise und Dekarbonisierung. Warten auf bessere Zeiten ist dieses Mal keine Option – Führung ist gefragt.

In der Chemieindustrie trübt sich die Stimmung weiter ein: Hatte der Chemieverband VCI im ersten Quartal 2023 nach einem schwachen Vorjahr über weiter sinkende Produktions- und Umsatzzahlen berichtet, bleiben die Folgen der Energiekrise auch im Sommer weiterhin sichtbar. Und nicht nur die Chemie sieht sich einer multiplen Krise gegenüber – immer mehr Bereiche der Wirtschaft sind vom Abschwung betroffen. So schlagen höhere Preise für Vorprodukte und deren sinkende Verfügbarkeit längst auch auf die pharmazeutische Industrie durch.

Die erste Reaktion in solchen Situationen sind Sparprogramme. Durch diese war es bislang oft möglich, kurzfristigen Konjunkturflauten zu begegnen. Doch die Natur der multiplen Krise legt nahe, dass es diesmal nicht mit Aussitzen getan ist. Denn an der Ursache – dem Wegfall russischen Erdgases als kostengünstigem Energieträger für die Wirtschaft allgemein und als Rohstoff für die Chemie im Besonderen – wird sich in Deutschland und Europa in absehbarer Zeit nichts ändern. Dazu kommen finanzielle Belastungen durch den Umbau der Industrie in Europa mit dem Ziel der Dekarbonisierung. Und noch eine weitere Entwicklung verschärft die Problemlage: Die stark gestiegene Inflation, die inzwischen bereits zu Tarifabschlüssen im zweistelligen Prozentbereich geführt hat. Die gestiegenen Kosten bei einem sich gleichzeitig abschwächenden oder sogar negativen Wachstum schränken die Möglichkeiten für Investitionen stark ein.

Welche Produktion kann noch im Wettbewerb bestehen?

Was bedeutet das strategisch für die Chemie? Antworten auf diese Frage findet man u.a. in Ludwigshafen: Dort rechnet der Chemiekonzern BASF damit, dass die Erdgaspreise in Europa auf Dauer deutlich über dem Niveau der Jahre vor dem russischen Überfall auf die Ukraine verharren werden. Das Unternehmen reagierte im Februar des Jahres mit drastischen Maßnahmen: Die BASF legt am Stammwerk Großanlagen in erheblichem Umfang still – insgesamt 10 % des Wiederbeschaffungswerts aller Anlagen sind betroffen; darunter auch die 2018 in Betrieb genommene TDI-Anlage, die bis dato größte Einzelinvestition in der Geschichte des Unternehmens.

Das Beispiel zeigt: Evolutionäre Prozessoptimierung, um die Produktivität zu verteidigen, genügt nicht mehr, um Unternehmen im Wettbewerb zu halten – Führungskräfte müssen sich die Frage stellen, welche Produktion für welche Märkte im Wettbewerb bestehen kann – sie sind gezwungen, ihre Organisation neu zu denken!

Vereinzelt ist in diesem Zusammenhang zu hören, dass klassische Prozessoptimierung out ist und Digitalisierung und künstliche Intelligenz helfen werden, die Wirtschaftlichkeit der Anlagen deutlich zu verbessern. Als Beratungsunternehmen, das seit 25 Jahren Projekte zur Operational Excellence in der Chemie umsetzt, wissen wir: diese Annahme ist naiv. ChatGPT kann vielleicht dabei helfen, die Pressemeldung für das Konkursverfahren eines Unternehmens, das sich nicht anpasst, zu formulieren – echter Wertbeitrag entsteht durch eine dynamische Anpassung von Portfolio und Organisation an die Gesamtziele des Unternehmens unter Berücksichtigung der regionalen Realitäten – und der Schlüssel dazu sind die Mitarbeiter und Führungskräfte.

 

© Conor Troy
Leadership ist das Top-Thema: Ein Ergebnis des OpEx-Index sagt aus, dass Veränderungen im Verhalten von Führungskräften der wichtigste Faktor für Leistungsverbesserung in der Zukunft sind. © Conor Troy

 

Führen statt Managen gefragt

Die oben beschriebenen aktuellen Entwicklungen machen deutlich: es geht nicht mehr um Optimierungsprojekte für Einsparungen im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Bei Conor Troy Consulting (CTC) sind wir der Ansicht, dass die Antwort auf die aktuellen Herausforderungen sein muss, Organisationen komplett neu zu denken. Denn wenn fehlendes Wachstum es nicht mehr erlaubt, den Anlagenbestand über Neuinvestitionen zu modernisieren, muss die Strategie darauf ausgerichtet werden, in Altanlagen wettbewerbsfähig zu produzieren. Der Fokus verschiebt sich: Die Chemie wird ihr Anlagenvermögen künftig mehr denn je hüten und pflegen müssen: Eine effiziente und wirksame Instandhaltungsstrategie wird der Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit sein.

Doch zuvor sollte der Fokus der Chemieunternehmen darauf liegen, ihr Portfolio und ihre Organisationsstruktur auf die neuen Gegebenheiten auszurichten: Welche Produkte werden in Zukunft im globalen Wettbewerb bestehen können? Wie viele Hierarchiestufen sind notwendig, um das Unternehmen in der neuen Realität führen zu können? Zumeist wurden Chemieunternehmen in den Wachstumsphasen so ausgerichtet, dass diese sich bietende Marktgelegenheiten nutzen konnten. Künftig wird die Frage lauten: Welche Produkte dürfen wir noch produzieren, um effizient zu überleben, und welche Organisation können wir uns leisten?

Hier ist es wichtig, den Unterschied zwischen Führen und Managen zu verstehen: In Zeiten des Wachstums ist das Managen von Budgets, Verwaltung und Geschäftsprozessen gefragt. In Zeiten der Krise braucht es Führung, die trotz Risiken und Turbulenzen Richtung und Perspektiven gibt. Und oft sind Manager keine guten Führungskräfte. Führungskräfte treffen auch unpopuläre Entscheidungen und haben das Rückgrat, deren Folgen aushalten.

 

„Die weiterhin gültigen Ursachen der multiplen Krise der Chemieindustrie legen nahe, dass es diesmal nicht mit aussitzen getan ist.“

 

Chemie braucht Weltklasse-Asset-Management

Wenn sich nun der Fokus von Opportunitäten auf den Bestand verschiebt, braucht die Chemie ein Weltklasse-Asset-Management – und um dieses zu erreichen, ist ein multidisziplinärer Ansatz notwendig: Den Ausgangspunkt bildet die Analyse der eigenen Stärken und Schwächen und das Benchmarking mit anderen. Ein Vergleich mit dem Spitzensport verdeutlicht, worum es geht: Spitzensportler messen sich in Wettkämpfen mit anderen und analysieren ihre Leistung mit der Hilfe ihres Coaches: Technik, Taktik, mentale Stärke sind nur einige der Parameter. Und Spitzensportler holen sich den Rat von Experten, um ihre Leistung zu steigern: Kraft- und Konditionstrainer, Mental Coaches, Ernährungsberater, Physiotherapeuten etc.

CTC hat diese Denkweise übernommen, um Unternehmen in der Prozessindustrie zu helfen, sich für den Wettbewerb fit zu machen. Wir vergleichen uns dabei mit Sportmedizinern, die sich zum Ziel gesetzt haben, ihre Athleten leistungsfähiger zu machen. In einem Rapid Assessment analysieren wir in wenigen Tagen, wo ein Kunde steht, was er an einem bestimmten Produktionsstandort erreichen könnte und was ihn davon abhält, dieses Ziel zu erreichen. Doch der eigentliche Mehrwert liegt anschließend in der Umsetzungsberatung. Meist starten wir mit technischen Aspekten, aber letztlich geht es immer auch um Organisation, Kultur und Führung. Dazu beziehen wir Führungskräfte und Mitarbeiter eng ein. Und wir stellen uns auch selbst dem Benchmark: Bereits mehrfach wurden wir mit unserem Ansatz unter die besten Consultants Deutschland gewählt.

 

„Die Chemie wird ihr Anlagenvermögen mehr denn je hüten und pflegen müssen.“

 

Fazit

Die europäische Chemieindustrie steht vor mehreren Herausforderungen wie Energiekrise, Inflation und Dekarbonisierung. Traditionelle Methoden der evolutionären Prozessoptimierung sind unzureichend; vielmehr müssen Führungskräfte ihre Unternehmen neu ausrichten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. In der neuen Realität wird Führung statt Management benötigt – und effizientes Asset Management wird zum Schlüssel für die Wettbewerbsfähigkeit. Unternehmen sollten dabei einen multidisziplinären Ansatz verfolgen, ähnlich wie Spitzensportler, die sich ständig selbst analysieren und mit der Hilfe von Coaching-Spezialisten verbessern.

Autor: Conor Troy, Geschäftsführer, Conor Troy Consulting, Mannheim

 

„In Zeiten der Krise braucht es Führung, die trotz Unsicherheit Richtung und Zuversicht gibt.“

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OpEx: Benchmark und Austausch

Über 70 % der Unternehmen in der Prozessindustrie sind der Meinung, dass ihre Verbesserungsprogramme nicht den gewünschten Erfolg zeigen. Mit dem OpEx-Index hat Conor Troy Consulting ein Benchmarking-Tool entwickelt, mit dem Unternehmen den Erfolg ihrer Operational-Excellence-Maßnahmen messen können. Das Barometer basiert auf der Net Promoter Score-Logik und liefert jährlich ein Stimmungsbild der OpEx-Community und zeigt Leistungstrends auf. Diese werden auf dem OpEx-Forum (26.10.2023, Schwetzingen) diskutiert.

Der OpEx-Index von 2022 zeigte bspw., dass Kosteneinsparungen sowie Verbesserungen bei Qualität und Arbeitssicherheit zu den wichtigsten Zielen der Verbesserungsprogramme gehören. Aber auch andere Schlüsselfaktoren für den Erfolg der Programme werden vom Benchmark erfasst. Der Index wird auch in diesem Jahr in einer großflächigen Befragung zwischen September und November 2023 wieder erhoben. Die Teilnehmer erhalten die anonymisiert ausgewerteten Ergebnisse.

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