Anlagenbau & Prozesstechnik

Eine Anforderung an das Projektmanagement

Komplexe Industrieprojekte methodisch absichern

05.09.2017 -

Methoden wie Anforderungs- und Risikomanagement, Target Costing oder der Problemlösungsprozess werden beim Management von Investitionsprojekten nur selten angewendet.

Speziell die Anforderungen an das Projektergebnis sollten eine hohe Bedeutung bekommen. Sie beschreiben eindeutig, was der Investor vom Projekt fordert, sind die Basis für die Vergabe von Unteraufträgen an Herstellern, Lieferanten und technische Dienstleister und sind somit auch zwangsläufig das Fundament für die Abnahme der Projektergebnisse. Werden bereits Fehler in der Anforderungsdefinition (Lastenheft) gemacht, ist das Projekt bereits vor dem Start zum Scheitern verurteilt. Klassische Fehler sind hier fehlende oder missverständliche Anforderungen, die später mittels dem Nachforderungsmanagement („Claim-Management“) seitens der Lieferanten gnadenlos ausgenutzt werden und somit die Projektkosten ins Unermessliche treiben können. Aber auch eine gute Transparenz über die Kosten- und Budgetstruktur komplexer Projekte sind zwingend notwendig. Hier können Zielkostenansätze, wie sie in der Indus­trie bei der Entwicklung komplexer Produkte schon lange Standard sind, effizient angewendet werden. Zielbudgets können einfach auf die Teilprojekte runtergebrochen werden und mit den geplanten und realisierten Kosten dieser Bereiche verglichen werden.
So gibt es viele innovative Methoden, die das Projektmanagement maßgeblich verbessern und absichern können. Aufgabe ist, ein Methodenmanagement für die Unterstützung aller internen und externen Projektmitarbeiter und ein projektbezogenes modulares Weiterbildungsprogramm zu etablieren.

Klare Anforderungen sind Voraussetzung
Bereits vor dem Projektstart stellt sich die Frage nach den Anforderungen an die Projektergebnisse. Wie kann das Projektteam sicherstellen, alle Anforderungen richtig aufzunehmen und alle notwendigen Personen identifiziert und integriert zu haben. Dabei sollen zum einen keine Anforderungen vergessen werden. Zum anderen kosten unnötig gestellte Anforderungen zusätzliches Geld. Fatal wäre es auch, falsche Anforderungen gestellt zu haben. Eine methodisch unterstützte Aufnahme dieser Anforderungen führt zu den höchsten Kosten- und Zeiteinsparungen über den gesamten Projektablauf hinweg betrachtet. Voraussetzung hierfür ist die unternehmensspezifische Kombination von geeigneten Methoden aus einem Pool von Methodenbausteinen. Auch die Tiefe der Methodenanwendung wird an die unternehmensspezifischen Gegebenheiten angepasst. So können z. B. mit der Portfolioanalyse oder Paretoanalyse die richtigen Zielsetzungen des Projektes identifiziert und entwickelt werden. Mit dem Einsatz der Funktionenanalyse werden die eigentlichen Funktionen klar herausgearbeitet, die das Logistiksystem bzw. die einzelnen Subsysteme erfüllen soll. Die so dargestellten Funktionen bieten eine fundierte Basis, aus der im folgenden Schritt Anforderungen an das Projektergebnis abgeleitet werden.
In jedem Unternehmen gibt es natürlich eine irgendwie geartete Art der Aufnahme und Verwaltung von Anforderungen. Allerdings sind in den meisten Fällen die Anforderungen bzw. Lastenhefte in Fließtexten verfasst. Über Seiten hinweg sind in Texten Anforderungen enthalten, die als solche nicht eindeutig erkennbar sind. Eine Strukturierung der Anforderungen selbst ist nur auf Kapitelebene, nicht aber auf Anforderungsebene gegeben. Die Zuordnung von Kommentaren zu einzelnen Anforderungen gestaltet sich als schwierig. Aus diesem Grund ist eine Hauptforderung des Anforderungsmanagements bzw. Requirements Engineering (RE) die Indizierung jeder einzelnen Anforderung. Die Vorteile liegen dabei auf der Hand. Kommentare von Dokumenten-Reviewern können bis auf die Anforderungsebene genau, schnell und eindeutig zugeordnet werden. Zeitintensives Suchen entfällt. Eine Änderung der Arbeitsweise bringt bereits nach kurzer Zeit Kosten- und Zeitersparnisse. Dabei ist durch eine Analyse des spezifischen Projektes zu entscheiden, wie detailliert der RE-Ansatz anzuwenden ist und welche individuelle Methodenkombination die vorgefundene Situation am besten unterstützt. Ergebnis ist eine strukturierte, vollständige Projektbeschreibung.

Lieferanten effizient auswählen
Eine immense Erleichterung ergibt sich z.B. bei der Auswahl von geeigneten Herstellern, Dienstleistern und Lieferanten. Bei einem Projektpartner wurden nicht selten Spezifikationen von mehreren hundert Seiten verfasst und diese dann verschiedenen potentiellen Zulieferern übergeben. Ingenieure waren über Wochen damit beschäftigt, die auf verschiedene Art und Weise zurückgeschickten Antworten der übermittelten Lastenhefte genau zuzuordnen. Auch war der Vergleich der potentiellen Lieferanten nahezu unmöglich. Und es ließen sich lediglich qualitative Aussagen vornehmen. Eine rationale Beurteilung der einzelnen Lieferanten aufgrund von Auswertungen und direkten Vergleichen war nicht effizient durchzuführen. Entscheidungen in der Lieferantenauswahl waren nur schwer nachvollziehbar und meist nur preislich getrieben.
Mit Hilfe des RE-Ansatzes können sich die potentiellen Lieferanten nicht mehr mit allgemeinen Phrasen um das Erlangen des Auftrages bemühen. Sie erhalten Anforderungen mit der Aufforderung zur Beantwortung. So müssen sie sich von Anfang an zu jeder Anforderung individuell äußern. Die Antworten der potentiellen Subsystem-Lieferanten können nun kategorisiert und bewertet werden. So werden dann schnell Unzulänglichkeiten der Spezifikation sichtbar gemacht. Die Bewertung der gegebenen Antworten auf Basis der einzelnen Anforderungen bietet daher eine Basis für die rationale Auswahl des Lieferanten. Sie wird so transparent. Die Ergebnisse werden vergleichbar und Schwachstellen in der Kompetenz des Zulieferers werden schnell und zielgenau identifiziert.
Geeignete Datenbanklösungen erhöhen die erreichten Zeitersparnisse noch um ein Weiteres. Hier werden die Anforderungen in einer zentralen Datenbank zur Verfügung gestellt. Besonders bei räumlich verteilten Projekt-Teams wird so sichergestellt, dass alle Projektmitglieder auf den gleichen Stand der Projektbeschreibung zugreifen können. Ebenso besteht die Möglichkeit, alle Antworten der potentiellen Lieferanten automatisch den einzelnen Anforderungen zuzuordnen. In kürzester Zeit kann mit der eigentlich wichtigen Arbeit, der inhaltlichen Bewertung der verschiedenen Antworten und der Weiterentwicklung der Spezifikationen begonnen werden. Tagelange Sortier- und Zuordnungs­arbeiten entfallen so komplett.

Ableitung von Aktivitäten
Aus den Anforderungen lassen sich nun leicht Aktivitäten ableiten, die zu Teilprojekten zusammengefasst werden können. Durch eine Zuordnung (Verlinkung) der Aktivitäten kann nun leicht ermittelt werden, ob jede Projektanforderung eine zugehörige Aktivität besitzt (Vollständigkeitsprüfung) und jede Aktivität auch aus einer Kundenforderung korrekt abgeleitet wurde (Richtigkeitsprüfung). Dieses sind Validierungsschritte, die dringend vor dem Projektstart durchgeführt werden müssen, um sicherzustellen, dass der Projektplan korrekt und vollständig abgeleitet wurde. Gerade bei komplexen Projekten wird dieses sehr unübersichtlich und sollte daher durch EDV-Tools unterstützt werden. Hier gibt es eine Reihe von geeigneten Anforderungsmanagement-Tools auf dem Markt.

Gesicherte Abnahme ohne Wenn und Aber
Doch nicht nur in der Erstellung der Anforderungen, Auswahl des geeigneten Lieferanten und Ableiten von Aktivitäten aus den Anforderungen ist das Anforderungsmanagement eine hilfreiche Methode. Auch bei der Abnahme der gelieferten Projektergebnisse gibt es hohe Zeitersparnisse. Das Projektmanagement ist in der Pflicht, das realisierte Logistikprojekt auf „Herz und Nieren“ hin zu überprüfen. Nicht oder nur unvollständig erfüllte Anforderungen können genauso auftreten wie ungewünschte Abweichungen vom Sollmaß. Ist der Projektleiter nicht in der Lage, diese Mängel schnell und treffsicher zu identifizieren, so hat eine spätere Identifizierung erheblich schwerere Auswirkungen. Zum einen sind Garantieansprüche unter Umständen reduziert oder erloschen. Zum anderen kommt es zu erhöhten Kosten beim Auftreten der Mängel im Gesamtsystem. Stillstandzeiten, Nacharbeiten, Konventionalstrafen oder Regressansprüche können dann schnell erhebliche Kosten verursachen. Durch die Ableitung von z. B. Funktionstests aus den Anforderungen wird die Erstellung der Testdokumente auf ein Minimum an Aufwand reduziert. Denn faktisch sind diese bereits durch die lösungsneutrale Projektbeschreibung mit erstellt worden. Jede Anforderung kann einzeln oder in einer geschickt gewählten Gruppe zusammengefasst getestet und die Testergebnisse dokumentiert werden. Der einzig zusätzliche Aufwand in der Phase der Anforderungserstellung ist die Definition und Auswahl der Test­art (z. B. Labortest, Funktionstest, Besichtigung, …).
Bei nicht erfüllten Anforderungen kann klar und eindeutig dargestellt werden, wo die Mängel sich befinden. Auch ein klares Kommitment der Lieferanten zu diesen Anforderungen ist klar und einfach nachweisbar. Sind alle Anforderungen getestet und für erfüllt erklärt, kann das Projektergebnis abgenommen werden. Hier zeigt sich spätestens, wie wichtig ein vollständiger, richtiger Satz von Anforderungen ist!

Effizienzsteigerung über das eigentliche Projekt hinaus
Die lösungsneutrale Formulierung von Anforderungen und deren Attributen ermöglicht ebenfalls eine effizientere Durchführung von Folgeprojekten z.B. bei Herstellern komplexer Kransysteme oder Warenverteilzentren. Die Ersparnisse an Zeit und Kosten sind hier noch höher als schon bei der Durchführung des ersten Projektes. Denn bei der Durchführung inhaltlich ähnlicher Logistikprojekte können die Anforderungen einfach wiederverwendet werden.
Dank der lösungsneutralen Formulierung lassen sich Anforderungen zum Teil ohne Modifikationen übernehmen. Innovationen werden hier unterstützt, da die Lösung nicht vorgegeben wurde, die Anforderungen aber auf günstigere oder qualitätsverbesserte Art und Weise erfüllt werden können.
Erfahrungen aus laufenden Projekten zeigen einen Grad der Wiederverwendung von bis zu 90 %. Bei der wiederholten Durchführung von immer wiederkehrenden Teilprojekten ist es darüber hinaus ratsam, immer wieder auftretende Anforderungen in Vorlagen einzufügen. Jede danach angegangene Spezifikation startet bereits mit einen Satz an Anforderungen und es sind nur noch individuelle Anforderungen hinzuzufügen. Der Autor hat so die Sicherheit, keine nichtprojektspezifischen Anforderungen zu vergessen.

Projektkosten im Griff haben
Neben dem Managen der Projektinhalte ist es natürlich genauso wichtig, die Projektkosten im Griff zu haben. Es gibt zahlreiche Projekte, die sich während der Laufzeit deutlich verteuert haben. Das liegt zum einen an der fehlenden Kostentransparenz und zum anderen an dem fehlenden Link zu den Projektaktivitäten. Hier kann z. B. die Methode der Zielkostenrechnung (Target Costing) Abhilfe schaffen. Unter den Zielkosten ist das Projektbudget zu verstehen, das auf die einzelnen Teilprojekte aufzuteilen ist (Top-Down-Ansatz). Die Teilprojekte wiederum bestehen aus einzelnen Aktivitäten, die wiederum mit Plan- oder realisierten Kosten bewertet werden und zu den Teilprojektkosten aggregiert werden (Bottom-Up Ansatz). Auf dieser Ebene können nun einfach Budgetüberschreitungen identifiziert werden. Zusätzlich können Kostenschätzungen auch mit Risikosätzen behaftet werden, um kritische Bereiche sichtbar zu machen. Auch Kostentreiber lassen sich mit dieser Methode leicht visualisieren.

Projektaktivitäten managen
In der Projektdurchführung ist die termingerechte Abarbeitung der Aufgaben ein sehr wichtiger Erfolgsfaktor. Es treten jedoch immer wieder ungeplante Aktivitäten auf, die die reibungslose Abarbeitung gefährden können. Daher gilt es diese Aufgaben effizient zu managen, den richtigen Teilnehmern zuzuordnen und die Abarbeitung zu überprüfen. Standardsysteme wie Mailprogramme und tabellenbasierte Aktivitätenlisten reichen da meistens nicht aus. Wichtige Aktionen gehen meist in der Mailflut verloren.
Das Ziel ist daher die schnelle Erfassung und Abarbeitung von Aufgaben und Maßnahmen, d. h.

  • Einfache Erfassung von Aufgaben
  • Zuordnung zu Aktionshaltern
  • Weiterleitung an andere Abteilungen
  • Überwachung der Abarbeitung
  • Dokumentation aller Aktivitäten


Unter Verwendung des Task-Managers der GfU Gesellschaft für Unternehmenslogistik können die Aufgaben direkt vor Ort mit mobilen Geräten (Smartphone, Tablet) oder am PC/Notebook in einem integrierten Aufgabenmanagementsystem erfasst werden. Anschließend erfolgt die Weiterleitung der Aufträge an die verantwortliche Abteilung unter Zuhilfenahme der Warteschlangentheorie (Pawellek, Technica 64(2015)11). So hat jedes interne und externe Teilprojektteam seine eigene Aktivitätenliste, sortiert nach Prioritäten und Eskalationsstufen. Prozessbegleitend werden alle Aufgaben und Maßnahmen dokumentiert, bis diese abgeschlossen sind. So können keine Projektaktivitäten verloren gehen.

Fazit
Zusammenfassend zeigt das methodische Vorgehen im Projektmanagement bei komplexen Industrieanlagen sowohl kurz- wie auch mittel- und langfristig Einsparungspotenziale. Aus einer klar strukturierten Projektbeschreibung können leicht Aktivitäten abgeleitet werden sowie die Abnahmephase effizient und zielsicher durchgeführt werden. Klar definierte Anforderungen geben keinen Spielraum für Diskussionen und reduzieren somit maßgeblich das Projektrisiko. Wird zudem noch über den einzelnen Anwendungsfall hinweg in die Zukunft gesehen, so ergeben sich weitere Zeit- und Kosten­ersparnisse durch den hohen Grad der Wiederverwendbarkeit der Anforderungen für andere Projekte.

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