Anlagenbau & Prozesstechnik

Wissen wie der Wind weht

Luftströmungen im Reinraum richtig messen

23.07.2014 -

Die Geschwindigkeitsmessung von laminaren Luftströmungen in Rein­räumen stellt an die Sensoren höchste Ansprüche. Die Auswahl eines geeigneten Messverfahrens zur präzisen Messung kleinster Strömungs­geschwindigkeiten stellt nur die erste Hürde dar. Konstruktive Aspekte wie ein leicht zu reinigen­des, verschleiß- und driftfreies Design sind genau so wichtig wie ein präzises, applikationsnahes Abgleichverfahren. Dementsprechend erfordert die Applikation und der Betrieb derart spezialisierter Sensorik auch ein umfassendes Know-how seitens des Betreibers.
ür die Messung von Luftströmungen eignen sich grundsätzlich viele physikalische Prinzipien, deren technische Umsetzung aufgrund der jeweiligen applikationsspezifischen Randbedingungen zu einer enormen Vielfalt an Messgeräten führt. Allerdings erfüllen nur wenige dieser Verfahren oder Systeme die speziellen Anforderungen, die die Strömungsmessung in einem Reinraum stellt.

Herausforderungen
Als wohl größte Herausforderung ist der niedrige Strömungsgeschwindigkeitsbereich anzusehen, in dem die Sonden messen sollen. Im Falle der Laminarflow-Überwachung und -Regelung unter einer sogenannten Filterfanunit (FFU), der als Hauptanwendungsfall für Strömungssensoren im Reinraum gelten kann, liegt die typische Strömungsgeschwindigkeit bei 0,45 m/s. Dies entspricht einer Luftbewegung, die ein gemächlich einherschlendernder Spaziergänger bei Windstille aufgrund seiner Eigengeschwindigkeit von etwa 1,5 km/h fühlt. Es ist demnach also unabdingbar ein Verfahren zu wählen, das derart geringe Geschwindigkeiten nicht nur messen, sondern auch hinreichend genau und reproduzierbar auflösen kann. Hierfür bietet sich speziell das thermische Verfahren an (kalorimetrisches Verfahren, Messung der Abkühlung eines beheizten Gegenstands), da dessen maximale Sensitivität gerade im niedrigen Geschwindigkeitsbereich liegt. Alternative Messverfahren wie z. B. Differenzdruck- oder Vortexsensoren scheitern von vornherein an einem zu hohen Messbereichsanfang, düsenbasierte Systeme weisen dagegen ihre höchste Empfindlichkeit erst bei hohen Geschwindigkeiten auf.
Ein weiterer, nicht minder wichtiger Vorteil eines thermischen Anemometers liegt in der Tatsache, dass es komplett ohne bewegte Teile auskommt. Das bedeutet, es kann keine Querkontamination der Reinluft durch Abrieb oder auch Schmiermitteleintrag erfolgen. Die Verschleißfreiheit ermöglicht einen driftfreien Betrieb und garantiert so für lange Zeiträume eine hohe und zuverlässige Reproduzierbarkeit der Messergebnisse. Last but not least lässt sich ein GMP-gerechtes, leicht zu reinigendes und sterilisierbares Design ohne Hinterschneidungen realisieren, ein essentielles Kriterium, wenn man sich den primären Aspekt eines Reinraums ins Gedächtnis zurück ruft. Mechanisch basierte Verfahren wie z. B. Flügelradsonden sind aus den o. g. Gründen als Festinstallation in Reinräumen gänzlich ungeeignet, aber auch die vorstehend genannten, alternativen Messverfahren sind gerade im Hinblick auf die Hinterschneidungsfreiheit nicht unproblematisch.

Messung und Kalibrierung
Über ein gutes Messergebnis entscheidet aber nicht allein die Wahl des richtigen Messverfahrens, ein weiterer Grundstein wird bei Abgleich und Kalibrierung der Sensoren gelegt. Es sind hochpräzise, speziell hierfür entwickelte Windkanäle erforderlich, um die Sensoren über ihren ganzen Lebenszyklus hinweg, beginnend bei der Fertigung, hinreichend genau charakterisieren und dokumentieren zu können. Im konkreten Anwendungsfall Laminarflow kommen hier zwei Aspekte zum tragen, die oft unterschätzt werden. So bedingen die niedrigen Strömungsgeschwindigkeiten einerseits eine äußerst ruhige Umgebung, um die geforderten Genauigkeiten erzielen zu können. Beispielsweise kann während eines Abgleichvorgangs in einer „offenen", von der Umwelt nicht isolierten Messstrecke bereits das Öffnen einer naheliegenden Labortüre oder gar ein simples „Vorbeigehen" an der Messstelle zu gravierenden Abweichungen führen. Es empfiehlt sich also darauf zu achten, dass der Hersteller über einen geschlossenen Windkanal verfügt, um solche Umwelteinflüsse zu minimieren. Andererseits liegt ein oftmals unterschätzter oder gar unbekannter Aspekt in der Anwendung selbst, es soll nämlich eine (abwärts gerichtete) Fallströmung unter der Filterdecke gemessen werden. Dabei muss beachtet werden, dass thermische, also mit Heizern arbeitende Systeme prinzipbedingt aufgrund der Eigenkonvektion eine nach oben steigende Strömung erzeugen, die von der Fallströmung kompensiert werden muss. Die hierdurch verursachte Messwertabweichung kann je nach Messgerät bis zu 10 % des Messwerts bei 0,45 m/s betragen. Einen Unterschied zwischen horizontaler und vertikaler Strömungsmessung sehen im Übrigen nicht nur thermische Sensoren, auch für Flügelradsensoren spielt es gerade im unteren Strömungsgeschwindigkeitsbereich eine entscheidende Rolle, in welcher Art das Lager des Flügelrades belastet wird (hängend oder liegend). Die meisten Hersteller verfügen allerdings nur über Windkanäle, in denen die Sensoren in horizontaler Strömung abgeglichen werden, der Einfluss der Eigenkonvektion findet hier keinerlei Beachtung. Fallströmungswindkanäle, in denen die Sensoren applikationsnah abgeglichen und kalibriert werden, finden sich nur bei äußerst wenigen Sensoranbietern.
Für eine saubere Referenzierung muss der Hersteller der Sensoren neben dem geeigneten Windkanal auch über adäquate Referenzmesstechnik verfügen, die die normkonforme Überprüfung der Strömungsmessung in regelmäßigen Abständen ermöglicht. Hierzu bietet sich letztendlich ausschließlich der Einsatz eines Laserdoppleranemometers an, mit dem auch Geschwindigkeiten unter 0,05 m/s mit hoher Genauigkeit und Auflösung gemessen werden können.
Wenn man sich klar macht, wie gering die Messgröße hier ist und wie leicht sie auch durch kleinste Umwelteinflüsse gestört werden kann, muss man ein Messergebnis im Reinraum grundsätzlich kritisch hinterfragen. So ist bei der Installation im Reinraum zu berücksichtigen, dass die Geschwindigkeitsverteilung unter einer Filterdeckeneinheit nie homogen ist, gerade im Randbereich des Filters ist sie durch den Rahmen deutlich gestört (siehe Abb. 1).
Es hat sich deshalb bewährt, den Messpunkt des Sensors mittig unter die Laminarfloweinheit zu montieren. Unabhängig von dem gewählten Montageort des Sensors ist im Hinblick auf eine bestmögliche Reproduzierbarkeit darauf zu achten, dass die Messposition über alle Manipulationen hinweg (z. B. durch Reinigungen oder bei Sensorwechsel) erhalten bleibt. So bleiben die Werte auch über längere Zeiträume vergleichbar. Ein Montage- und Installationssystem, das die Positionstreue garantiert oder zumindest erleichtert stellt ein weiteres Kriterium bei der Wahl des Sensorsystems dar (siehe Abb. 2).

Weitere Fehlerquellen
Auch nach korrekter Wahl und Montage des Reinraumsensors kann man noch Fehler machen. Am häufigsten geschieht das bei Referenzvermessungen durch Handgeräte, die dem qualitativen und quantitativen Funktionsnachweis der verbauten Sensoren dienen sollen, entweder bei Inbetriebnahme der Anlage, aber auch periodisch während des Betriebs. Werden nun eventuelle prinzipbedingte Eigenheiten der verschiedenen Messsysteme nicht berücksichtigt kann es zu gravierenden Unterschieden zwischen kontrolliertem und kontrollierendem Sensor kommen. Handelt es sich bei dem Referenzsensor z. B. um ein Flügelradanemometer („Propeller"), wird damit die reale Molekülgeschwindigkeit wR der Luft gemessen, im Gegensatz zu den thermischen Anemometern, die eine (auf einen bestimmten Luftdruck pN und Temperatur TN) normierte Strömungsgeschwindigkeit wN messen. Um beide Sensortypen miteinander vergleichen zu können rechnet man am besten das normierte Geschwindigkeitssignal des thermischen Sensors auf Basis der aktuellen Umgebungsparameter (Lufttemperatur Tact und Luftdruck pact) in die reale Geschwindigkeit wR nach folgender Formel um:



Anhand der Formel lässt sich unschwer erkennen, dass sowohl der Luftdruck als auch die Temperatur einen Einfluss auf das Ergebnis der thermischen Anemometer haben. Im Reinraum kann der Einfluss der Temperatur aufgrund der stabilen Verhältnisse und des Betriebs in der Nähe zum (typischen) Normbezugswert von TN = 20 °C praktisch vernachlässigt werden, ganz anders verhält es sich dagegen mit dem aktuell herrschenden Luftdruck wie das folgende Beispiel zeigt. Ein thermischer Strömungssensor zur Laminarflowmessung unter einer FFU mit drehzahlgesteuertem Lüfter wurde auf eine Bezugsgröße von pN = 1013,25 hPa (Normaldruck auf Meereshöhe) abgeglichen. Wird diese Deckeneinheit in einem Reinraum auf Meereshöhe betrieben, entspricht der reale Druck in etwa dem Bezugsdruck, so dass der Sensor eine Normalgeschwindigkeit wN anzeigt, die dem Wert der Realgeschwindigkeit wR = 0,45 m/s gleicht. Wird diese Einheit aber im Schwarzwald auf 1000 m (ca. pact = 890 hPa) Höhe verbaut, drückt der Lüftermotor der FFU aufgrund der konstant gebliebenen Drehzahl zwar nach wie vor einen Luftstrom mit wR = 0,45 m/s durch den Filter, aber aufgrund der geringeren Luftdichte ergibt sich nun (unter Vernachlässigung der Temperatur) gemäß der o. g., nach wR umgestellten Formel eine Sensoranzeige von:



Im Vergleich zu einem Flügelradanemometer zeigt das thermische Anemometer unter diesen Bedingungen also einen Wert von nur 0,40 m/s an, ein Unterschied von mehr als 10 %. Sollte der Anwender also die Realgeschwindigkeit als Messgröße im Reinraum benötigen, so empfiehlt es sich die Ergebnisse der thermischen Sonde mit o. g. Formel umzurechnen. Dabei können Luftdruckschwankungen aufgrund von Wetter­änderungen (typisch < ±20 mbar) in erster Näherung außer Acht gelassen werden. Wirklich präzise Messungen ermöglicht der Einsatz eines Luftdrucksensors, der alle Einflüsse des vorherrschenden Luftdrucks erfasst, eventuell kann auch noch die Umgebungstemperatur gemessen und mit eingerechnet werden.

Fazit
Die Strömungsmessung im Reinraum ist also keine triviale Angelegenheit. Die Auswahl des richtigen Messsystems, die reproduzierbare Montageposition sowie die korrekte Interpretation der Messergebnisse sind zwingende Voraussetzungen, um einen zuverlässigen und belastbaren Messbetrieb zu erhalten. Und man muss sich immer darüber bewusst sein, was man misst: ein laues Lüftchen beim Frühlingsspaziergang. 

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