Chemie 2025: Kein Wachstum, aber Hoffnung
Die deutsche chemisch-pharmazeutische Industrie hat im ersten Halbjahr 2025 laut aktuellen Zahlen des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) die rasante Talfahrt der vergangenen Jahre gestoppt – trotz des geopolitischen und konjunkturellen Gegenwinds.
Die wirtschaftliche Lage bleibe dennoch herausfordernd, erklärten VCI-Präsident Markus Steilemann und VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup bei der Halbjahrespressekonferenz in Frankfurt. Die Unternehmen rechnen erst im kommenden Jahr mit einem Aufschwung. Die Produktion der Branche lag im Vorjahresvergleich leicht im Minus. Der genaue Blick zeigt: Pharma schreitet voran (+ 2%), die Chemie (- 3%) hinkt deutlich hinterher. Auch beim Umsatz liegt der Pharmabereich vorn (+ 5%), während die Chemiesparte schwächelt (- 2%). Zusammengefasst weist der Branchenumsatz im ersten Halbjahr ein kleines Minus (- 0,5%) auf. Die Beschäftigtenzahlen sind bislang stabil. Problematisch: Eine signifikante Zahl von Unternehmen hat bereits Anlagenschließungen und personelle Einschnitte angekündigt.
VCI-Präsident Markus Steilemann kommentierte die Lage: „Die Lage bleibt angespannt. Unsere Branche produzierte im ersten Halbjahr rund 15% weniger als im Vorkrisenjahr 2018. Auch in anderen bedeutenden Wirtschaftszweigen sehen wir zweistellige Rückgänge. Für 2025 zeichnet sich in unserer Industrie keine Trendwende ab.“
Ein großes Problem der chemisch-pharmazeutischen Industrie bleibt der Auftragsmangel: Gut 40% der VCI-Mitgliedsunternehmen klagen laut einer aktuellen Verbandsumfrage darüber. Die Auslastung der Produktionsanlagen liegt bei 80% und damit unter der Rentabilitätsschwelle – und das bereits im dritten Jahr infolge. Wettbewerbsfähig zu produzieren, wird immer schwieriger. Das spiegelt auch die Handelsbilanz der Branche: Chemieexporte liegen unter Vorjahr, Importe sind hingegen um 2% gestiegen.

„Wir müssen jetzt im Schulterschluss schnell handeln und mutig vorangehen“, sagt Markus Steilemann und betont: „Der Standort Deutschland ist im internationalen Vergleich zu teuer.“ Das bestätigen die VCI-Mitgliedsunternehmen, die dafür überbordende Bürokratie, zu hohe Steuern, nicht wettbewerbsfähige Energiepreise, immense Arbeitskosten und hohe Rohstoffpreise verantwortlich machen. Dementsprechend schieben die Unternehmen mehrheitlich auch dringend nötige Investitionen auf.
Mittelfristig ist keine Besserung in Sicht. Deutschland ringt mit der dritten Rezession in Folge. Weder die Wirtschaftsinstitute noch die Mehrheit der VCI-Mitgliedsunternehmen erwarten in der zweiten Jahreshälfte 2025 einen konjunkturellen Aufschwung. Produktionsstilllegungen sowie die Verlagerung von Investitionen ins Ausland sind bereits Realität. Zudem steigt die Zahl der Insolvenzen in der Branche.

Für Zuversicht sorgt beim Chemieverband auch, dass zwei von drei Unternehmen aus der chemisch-pharmazeutischen Industrie bereit sind, wieder zu investieren, wenn sich die Standortbedingungen in Deutschland und Europa bessern. „Die Industrie ist bereit, die Politik muss liefern“, fasste Steilemann zusammen. Denn "Ausgabendisziplin allein wird weder den Investitions- noch den Innovationsmotor anwerfen."
Ein Umdenken sei in Berlin und Brüssel zu spüren. „Wettbewerbsfähigkeit, Resilienz und Bürokratieabbau stehen wieder oben auf der politischen Agenda“, sagte der VCI-Präsident. Die junge Regierungskoalition hat dazu mit ihrem Sofortprogramm einen ersten wichtigen Schritt gemacht, der die Konjunkturhemmnisse anpackt. Im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung das Ziel gesetzt, Deutschland zum führenden Standort für Chemie, Pharma und Biotechnologie zu machen. Das begrüßt Markus Steilemann: „Arbeiten wir zusammen an einer kraftvollen Chemieagenda. Einem Masterplan, der zur Blaupause für eine industriepolitische Gesamtstrategie werden könnte.“
Aus VCI-Sicht sind dafür fünf Handlungsfelder entscheidend:
1. Ein konsequenter Bürokratieabbau: Laut Ifo-Institut verliert die deutsche Volkswirtschaft jährlich 146 Mrd. EUR durch ausufernde Bürokratie. Für 88% der VCI-Unternehmen ist der Bürokratiedschungel das mit Abstand größte Standortproblem in Deutschland– vor Steuern oder etwa dem Fachkräftemangel.
2. Die Modernisierung der Schuldenbremse und Vorfahrt für Investitionen: Um eine fiskale Nachhaltigkeitslücke zu vermeiden, dürfen öffentliche Ausgaben nicht über das Maß der Generationengerechtigkeit hinausgehen. Zukunftsinvestitionen müssen Vorrang vor Gegenwartskonsum haben. Die Wirtschaftswende kann nur gelingen, wenn das Sondervermögen in nachhaltiges Wachstum überführt wird.
3. Die Energiewende erfolgreich gestalten: Sie darf nicht am eigenen Anspruch scheitern. Der angekündigte Monitoringbericht des Wirtschaftsministeriums muss die Basis für eine Kursbestimmung sein. Energiepolitik muss Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Bezahlbarkeit wieder ins Gleichgewicht bringen. Im Zentrum muss die Optimierung der Stromgesamtkosten stehen.
4. Resilienz und Innovationen stärken: Den Fokus auf industriepolitische Förderung von Zukunftstechnologien richten. Resilienz entsteht durch Diversifizierung: Bausteine sind das Abkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten sowie eine Grundsatzvereinbarung mit den USA. Zugleich braucht es Schutzmechanismen gegen unfairen Wettbewerb.
5. Die Chancen der EU nutzen: Eine Kapitalmarkt- und Bankenunion könnte wirtschaftliche Kräfte bündeln, Investitionen mobilisieren und Europa als globalen Finanzplatz positionieren. Die Ausgangslage stimmt: 450 Mio. EU-Bürger und mehr als 15 Bio. EUR an jährlicher Wirtschaftsleistung.
