Strategie & Management

Anlagensicherheit und Umweltschutz berücksichtigen

Weil Fluorpolymere de facto unverzichtbar sind, ist ein differenzierter Umgang mit PFAS erforderlich

14.11.2023 - Die Interessengemeinschaft Regelwerke Technik (IGR) fordert Ausnahmen für unbedenkliche und alternativlose PFAS

In der Europäischen Union soll der Einsatz von per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) beschränkt werden. Ein Pauschalverbot könnte ganze Industrien ins Abseits drängen und zur Abwanderung weiterer Produktions- und Fertigungsverfahren ins außereuropäische Ausland führen. Die Interessengemeinschaft Regelwerke Technik (IGR) fordert daher Ausnahmen für unbedenkliche und alternativlose PFAS.

PFAS sind Chemikalien, die mindestens ein vollständig fluoriertes Methyl- (–CF3) oder Methylen- (–CF2–) Kohlenstoffatom enthalten. In Summe sind das mehr als 10.000 Substanzen, zu denen auch Fluorpolymere wie Polytetrafluorethylen (PTFE) gehören. Das Umweltbundesamt und Behörden mehrerer europäischer Staaten haben im Februar 2023 einen Vorschlag zur weitreichenden Beschränkung von PFAS bei der Europäischen Chemikalienagentur ECHA eingereicht. Ein mögliches Verbot könnte bereits ab 2025 in Kraft treten. Damit wären die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung von PFAS in der EU nicht mehr möglich. Die Einspruchsfrist endete am 25. September 2023. Der ECHA liegen zu dem Verbot mehr als 5.600 Einsprüche bzw. Stellungnahmen von 4.400 Firmen, Organisationen und Einzelpersonen vor. Die Einsprüche werden zurzeit von zwei wissenschaftlichen Ausschüssen geprüft und dabei einer Risikoanalyse (RAC) und einer sozio­ökonomischen Bewertung (SEAC) unterzogen.

 

„Der PFAS-Beschränkungsvorschlag in der aktuellen Fassung hätte für die chemische Industrie weitreichende negative Folgen.“

 

Breites Einsatzspektrum

Von einem PFAS-Verbot wären die prozesstechnischen Industrien hochgradig betroffen. Hier sind es insbesondere die Fluorpolymere, die u.a. in Dichtungssystemen, aber auch bei Auskleidungen von Rohrleitungen oder Armaturen sowie Apparaten und Behältern eine entscheidende Rolle spielen. Hauptgründe für den Einsatz von Fluorpolymeren sind die ausgeprägte Chemikalien- und Korrosionsbeständigkeit und die herausragenden mechanischen Eigenschaften, wie bspw. die hohe Reißdehnung und Biegewechselfähigkeit, sowie die geringe Haftreibung. Außerdem sind Fluorpolymere in einem großen Temperatur- und Druckbereich langlebig einsetzbar. Fluorpolymere sind physiologisch unbedenklich (FDA-Zulassung/USP-Class). Deshalb ist deren Anwendung in Anlagen der Lebensmittel- und Arzneimittelherstellung zulässig. Der Einsatz von Fluorpolymeren in anderen prozesstechnischen Anlagen wäre allerdings bereits eineinhalb Jahre nach einem pauschalen PFAS-Verbot nicht mehr möglich, da hierfür keine Ausnahmeregelungen vorgesehen sind. Die Suche nach potenziellen Alternativen wäre zeitaufwändig und kostenintensiv. Auch andere Industriezweige wären vom PFAS-Verbot betroffen: Bestimmte Anwendungen in der Medizintechnik, der E-Mobilität und bei Wasserstofftechnologien sind ohne Fluorpolymere nicht realisierbar. Das Verbot würde damit sogar die Entwicklung neuer Technologien massiv einschränken.

Betreiber von chemischen, pharmazeutischen und petrochemischen Anlagen müssen stets alle rechtlichen Vorgaben im Blick haben und regulatorische Vorschriften einhalten. Die Anlagen durchlaufen dafür aufwendige Genehmigungsverfahren, die den sicheren Betrieb gewährleisten. Änderungen sind oftmals ad hoc nicht möglich. Erneut notwendige Genehmigungsverfahren erfordern unter Umständen viel Zeit und produzieren hohe Kosten. Außerdem müssen die Anlagen nicht nur sicherheitstechnische, sondern auch umweltrelevante Vorschriften erfüllen. Und hier kommen wieder die Fluorpolymere ins Spiel. Denn nur unter Verwendung von fluorpolymerhaltigen Bauteilen wie bspw. Dichtungen und ausgekleideten Rohrleitungen sind in einer Vielzahl von Anlagen die Anforderungen zu erfüllen, die sich aus den Vorgaben der Luftreinhaltung (TA Luft) oder des Explosionsschutzes ergeben. Aus Mangel an adäquaten Alternativen würde die vorgeschlagene PFAS-Beschränkung zu höheren Emissionen führen, was zur Folge hätte, dass gesetzliche Vorgaben nicht mehr einzuhalten wären.

 

„Unbefristete Ausnahmen sollten dann greifen, wenn die Verwendung mit beherrschbaren Risiken alternativlos ist.“

 

Erweiterter Regelungsbedarf und Lebenszyklusbetrachtung

Der PFAS-Beschränkungsvorschlag sieht bestimmte Ausnahmen vor. Dazu gehört die bereits erwähnte Arzneimittelproduktion. Hier geht aber der Regelungsbedarf nicht weit genug: Es gibt bspw. keine Regelung für Edukte – also für die Ausgangstoffe chemischer Reaktionen – und für isolierte Zwischenprodukte. Um die Herstellung pharmazeutischer Produkte aber auch in Zukunft in der EU zu halten und auszubauen, wäre hier eine Regelung dringend erforderlich. Dies gilt auch für Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln und Biozidprodukten.

Klarheit muss auch bei der Beurteilung herrschen und bei der Frage, welche Stoffe tatsächlich bedenklich sind und welche nicht. Dazu sollte der gesamte Lebenszyklus betrachtet werden. Das beginnt bereits mit der Herstellung PFAS-haltiger Produkte, auch mit Blick auf die Vorsubstanzen, die teils kritisch zu bewerten sind. Die chemisch-pharmazeutische und petrochemische Indus­trie hat hier bereits ein sehr hohes Sicherheitsniveau erreicht, das immer den Schutz der Mitarbeitenden und der Umwelt in den Vordergrund stellt. Damit sind die Gefahren und Risiken bei der Herstellung von Fluorpolymeren als beherrschbar zu bewerten, ebenso wie die Verwendung in diesen Anlagen. Auch für das Recycling existieren bereits Verfahren, welche die Fluorpolymere in wiederverwertbare Bestandteile zerlegen. Eine weitere Option ist die thermische Verwertung mit anschließender Abgasreinigung.

 

„Die Gefahren und Risiken bei der Herstellung von Fluorpolymeren sind als beherrschbar zu bewerten.“

 

Fazit

Der PFAS-Beschränkungsvorschlag in der aktuellen Fassung hätte für die chemisch-pharmazeutische und petrochemische Industrie weitreichende negative Folgen. Da die Entwicklung von alternativen Materialien sehr zeitaufwändig und kostenintensiv ist, werden langfristige Übergangsregelungen benötigt. Unbefristete Ausnahmen sollten dann greifen, wenn die Verwendung mit beherrschbaren Risiken alternativlos ist. Der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor nicht kontrollierbaren und daher nicht annehmbaren Risiken, ist das Ziel der REACh-Verordnung. Deshalb sollten einerseits PFAS, deren schädliche Wirkung nachgewiesen ist, tatsächlich reguliert werden. Andererseits sollten unbedenkliche PFAS, wie die Fluorpolymere, von der Beschränkung ausgenommen und für industrielle Anwendungen weiterhin vorgesehen werden.

Die IGR plädiert dafür, die umfangreiche Stoffgruppe der PFAS differenziert zu betrachten, ebenso differenziert damit umzugehen und entsprechende regulatorische Vorgaben entlang dieser Vorgehensweise auszurichten.

Autorin: Susanne Winkler, Interessengemeinschaft Regelwerke Technik (IGR) e.V., Kompetenzcenter Mechanik & Verfahrenstechnik, Industriepark Höchst, Frankfurt am Main

 

„Bestimmte Anwendungen in der Medizintechnik, der E-Mobilität und bei Wasserstofftechnologien sind ohne Fluorpolymere nicht realisierbar.“

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Zur Person

Susanne Winkler leitet bei Siemens als Lead Consultant die Projektgruppe Codes & Standards. Darüber hinaus engagiert sich die promovierte Chemikerin ehrenamtlich bei der IGR im Kompetenzcenter Mechanik und Verfahrenstechnik. Ihr Fokus dort liegt bei den Themen ­TA-Luft, Druckgeräterichtlinie, Betriebssicherheits- und Maschinenverordnung. Zudem ist sie die Leiterin des IGR-Ad-hoc­-Arbeitskreises zum PFAS-Beschränkungsvorschlag und arbeitet für die IGR in verschiedenen externen Gremien mit, so z.B. beim DIN, im Ausschuss für Betriebssicherheit und beim VCI.

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