Forschung & Innovation

Clean Meat

FoodTech-Start-up Peace of Meat bringt kultiviertes Fleisch vom Bioreaktor auf den Teller

15.09.2021 - Fleischkonsum ist in vielen Kulturen rund um den Globus tief verwurzelt. Ob artgerecht oder konventionell: Laut einer Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), beansprucht die Tierhaltung weltweit mittlerweile 78 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche.

Hoher Flächen- und Wasserverbrauch, belastete Böden und Gewässer, Treibhausgasemissionen, Antibiotikaresistenzen, Zoonosen und Pandemien – enorme Herausforderungen, für die es bei stetigem Bevölkerungswachstum Lösungen braucht.
Intensivierte Nutztierhaltung und hoher Fleischkonsum – mit anderen Worten unser Appetit auf tierisches Eiweiß – stehen in direktem Zusammenhang mit dem Klimawandel. Dementsprechend fordert das UN-Umweltprogramm eine verstärkt pflanzenbasierte Ernährung sowie die Umstellung der Lebensmittelproduktion. Der Blick in die Supermarktregale macht deutlich, dass sich der Lebensmittelmarkt bereits in hohem Tempo in diese Richtung bewegt.


Landwirtschaft im Laborkittel
Das statistische Bundesamt meldete für 2020 einen Anstieg in der Herstellung von Fleischersatzprodukten um 39 %. Noch nicht im Regal, sondern hinter Labortüren, ebnen FoodTech-Start-ups und moderne Biotechnologieunternehmen den Weg für eine weitere Alternative: kultiviertes Fleisch, sogenanntes Clean Meat, das aus tierischen Zellen gezüchtet wird, ohne dass dafür ein Tier aufgezogen und geschlachtet werden muss.

 

Kultiviertes Fleisch und Hybridprodukte
sind mehr als Zukunftsfantasien einiger
weniger Idealisten im Laborkittel.

 

Das Good Food Institute (GFI), eine gemeinnützige Organisation, die sich dem Wachstum des Kulturfleischsektors verschrieben hat, spricht für 2020 von einem Rekordjahr hinsichtlich der Anzahl an Firmenneugründungen. Zu den europäischen Pionieren unter den mehr als 75 Unternehmen weltweit gehört das 2019 in Antwerpen gegründete B2B-Start-up Peace of Meat. Das deutsch-belgisch-österreichische Gründerteam um David Brandes, Dirk von Heinrichshorst und Eva Sommer hat eine Technologie perfektioniert, bei der tierische Fette mithilfe von Stammzellen ohne Gentechnik und Einsatz von Antibiotika in Bioreaktoren vermehrt werden. Die Verkostung eines Fleischhybriden aus 15 % kultiviertem Entenfett und extrudiertem Erbsenprotein im Berliner Edeka FoodTech Campus, markierte im Frühjahr 2020 den Proof-of-Concept von Peace of Meat und zugleich eine Premiere in Kontinentaleuropa. Die Herstellungskosten für 20 g Entenfett beliefen sich zu diesem Zeitpunkt auf rund 300 EUR.

Hohe Entwicklungskosten
Damit kultiviertes Fleisch langfristig eine Alternative zu konventionellem Fleisch darstellen kann, muss staatliche Förderungen in ähnlichem Maße stattfinden, wie sie im Fall anderer klimafreundlicher Innovationen ermöglicht wurde. Die flämische Regierung ist mit gutem Beispiel vorangegangen und bewilligte dem Konsortium um Peace of Meat einen Forschungszuschuss in Höhe von 3,6 Mio. EUR.
“Der unkomplizierte Zugang und die Offenheit für Gespräche zwischen Industriepartnern, Wissenseinrichtungen und der Regierung, gepaart mit einer beeindruckenden Innovationskraft innerhalb der flämischen Nahrungsmittelindustrie, haben die Entscheidung für Antwerpen als Forschungs- und Unternehmensstandort maßgeblich bestimmt”, sagt Geschäftsführer David Brandes. Gleich zwei Labore betreibt das Unternehmen in Europas erstem Inkubator für nachhaltige Chemie BlueChem.

Der Spitzencluster Flanders’ Food koordiniert das Forschungskonsortium, in dem Peace of Meat mit der Katholischen Universität Löwen und der Bio Base Europe Pilot Plant bis 2024 an der Differenzierung von Entenstammzellen in Leberzellen arbeitet, mit dem Ziel Fettleberzellen zu mästen und diese anschließend mit den Industriepartnern Solina Belgium und Nauta’s Vleeswaren zu kultivierter Gänseleberpastete zu verarbeiten.

Laut CEO Dirk von Heinrichshorst ist das Geschmackserlebnis von pflanzlichem Fleisch für Fleischesser in der Regel enttäuschend - und die Liste der Inhaltsstoffe oft fragwürdig. Der Ansatz von Peace of Meat, Hybridprodukte auf der Basis von wohlschmeckenden Kulturfetten zu entwickeln, hat Anfang des Jahres zur Übernahme durch MeaTech 3D geführt. 15 Mio. EUR investiert das israelische Unternehmen in Peace of Meat, mit dem Ziel, die Erfolgsgeschichte von Kulturfleisch durch die Gründung eines europäischen Hubs in Flandern voranzutreiben. Gemeinsam hoffen Peace of Meat und MeaTech 3D, mit amerikanischen Multimillionen-Dollar-Unternehmen wie Beyond Meat und Impossible Foods konkurrieren zu können.

Zelluläre Landwirtschaft vorantreiben
Dass kultiviertes Fleisch und Hybridprodukte mehr als Zukunftsfantasien einiger weniger Idealisten im Laborkittel sind, zeigen auch Kooperationen zwischen Merck und Tyson, Pfizer und JBS Foods, sowie der kürzlich angekündigte Einstieg des Lebensmittelgiganten Nestlé in die Kulturfleischindustrie. Es braucht diese Signale sowie Investitionen des öffentlichen und privaten Sektors, um die zelluläre Landwirtschaft voranzutreiben.

Im Rahmen von Horizon 2020 flossen 2,7 Mio. EUR in ein Forschungsprogramm für kultiviertes Fleisch. Es trägt den ehrgeizigen Namen Meat4All. Nicht für alle zugänglich, aber behördlich zugelassen, kommen in Singapur bereits die ersten Chicken Nuggets aus dem Labor der US-Firma Eat Just auf den Teller. Wer einen Tisch ergattert, kann die Luxus-Nuggets in einem Restaurant verköstigen. In Europa hat noch keine Firma ihr Produkt unter der Novel Food-Verordnung auf Sicherheit und Verträglichkeit prüfen lassen. “Die ersten Anträge wird es in diesem Jahr geben”, erwartet David Brandes.

Ausgehend von einem Prüfungszeitraum von 18 Monaten, könnten die ersten Produkte Ende 2023 auf den Markt kommen. Die breite Masse wird sich jedoch noch länger gedulden müssen, bis sie an der Frischetheke im Supermarkt ein Pfund Hybrides bestellen kann. Großtechnische Produktionsanlagen und vegane Wachstumsseren sind die nächsten großen Herausforderungen. Doch wie sagte schon der späte Vegetarier Albert Einstein: „Wenn eine Idee am Anfang nicht absurd klingt, dann gibt es keine Hoffnung für sie.“

Autorin: Jessica Manthey, Investitions­beratung, Wirtschafts- und Handelsvertretung der Region Flandern, Belgische Botschaft, Berlin

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