Strategie & Management

Ein Blick in die Märkte der Lack- und Farbenindustrie

Auf der Suche nach Produkten mit vielfarbigem Mehrwert

10.03.2017 -

Jeder sieht sie, und keiner beachtet sie: Lacke und Farben. Ein englischer Kollege hat die Lack- und Farbenindustrie und ihre Produkte einmal als die am häufigsten gesehene, aber am seltensten wahrgenommene Branche bezeichnet. Ein bisschen ist es schon so, wie in dem berühmten entwendeten Brief von Edgar Allen Poe: „Das Offensichtliche sieht man nicht.“

Die moderne Umgebung des Menschen besteht im Wesentlichen aus von Menschen gemachten Artefakten. Gleichgültig ob wir über Möbel und Haushaltsgeräte, Autos, Züge oder Fahrräder sprechen, ob wir Computer, Fernsehgeräte, Mobiltelefone oder all die anderen kleinen Helferlein in Haushalt und Büro betrachten, sie alle sind mit einer farbig gestalteten Oberfläche versehen – und meistens ist diese Oberfläche lackiert. Zudem gibt es die funktionellen Beschichtungen, die man entweder gar nicht sieht, weil sie wie Elektroisolierlacke, Photoresiste oder Elektroleitlacke im Inneren der Geräte verbaut sind; oder weil sie eher unauffällig daher kommen, wie viele Korrosionsschutzbeschichtungen oder andere Industrielacke.

Die Vielfalt der Verwendungszwecke spiegelt sich auch in der Marktentwicklung der Lack- und Farbenindustrie in Deutschland wider. Im Jahr 2016 wurden insgesamt 2,08 Mio. t Lacke und Farben erzeugt; 1,46 Mio. t davon wurden im Inland verarbeitet. Der Gesamtumsatz der Lack- und Farbenproduktion beläuft sich damit auf 6,55 Mrd. EUR, das Exportvolumen beträgt 2,68 Mrd. EUR. Dem stehen 785 Mio. EUR an Importen gegenüber.

Größter Teilmarkt: Bautenanstrichmittel

Der mit Abstand größte Teilmarkt ist der Markt für Bautenanstrichmittel. 2016 wurden 880 t Wandfarben, Fassadenfarben und Putze, Lacke, Lasuren, Spachtel und Grundierungen für insgesamt 1,7 Mrd. EUR in Deutschland verkauft.

Die Produktgruppe der Bautenanstrichmittel ist dem privaten Endverbrauch am Ehesten vertraut – aus dem Baumarkt. Der Do-it-yourself-Bereich trägt etwa 770 Mio. EUR zum Gesamtgeschäft mit Bautenanstrichmitteln bei. Mit dem Malerhandwerk werden insgesamt 940 Mio. EUR an Umsatz erzielt. Beide Bereiche haben sich im vergangenen Jahr kaum gegenüber dem Jahr 2015 verändert, die Umsätze stiegen ganz leicht um knapp 1%.

Diese schwache Entwicklung mag angesichts der durchaus positiven Zahlen aus dem Baugewerbe verwundern. Das Bauhauptgewerbe meldete 2016 insgesamt Umsatzzuwächse um 5,7%, und der Wohnungsbau – traditionell eine Stütze für den Absatz von Farben und Lacken – wuchs sogar überproportional um 8,2%. Für den Absatz von Bautenfarben und Bautenlacken, Putzen und anderen Bauprodukten ist allerdings nicht der Neubau, sondern vor allem die Renovierung entscheidend. Zwei Drittel des Geschäfts mit Bautenfarben und anderen Bautenanstrichmitteln entfällt auf den Renovierungsbereich. Und gerade hier ist im vergangenen Jahr weitere Zurückhaltung spürbar gewesen. Insbesondere die immer noch anhaltende Verunsicherung der privaten Hausbesitzer beim Thema Wärmedämmung wirkt sich deutlich negativ auf den Absatz von Fassadenfarben und Putzen aus. Die Kampagnen gegen Wärmedämmverbundsysteme (WDVS) zeigen also ihre Wirkung. Auch im Neubaubereich zeigen sich Strukturveränderungen, die dazu führen, dass immer weniger Lacke und Farben auf der Baustelle eingesetzt werden. Viele Bauteile, die früher von Hand nach dem Einbau lackiert werden mussten, werden jetzt vorbeschichtet aus der Fabrik an der Baustelle angeliefert und eingebaut. Und im Wirtschaftsbau, vor allem im Bereich der repräsentativen Bürogebäude, setzen die Architekten sehr oft auf vermeintlich authentische Materialien wie Glas, Stein oder Metall und verzichten auf Farbe und Putz an der Fassade. Der Verband der deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie hat es sich übrigens zum Ziel gesetzt, diesen architektonischen Trends „weg von der Farbe“ entgegenzuwirken. Schon bei der Ausbildung sollen angehende Architekten und Bauingenieure wieder mit den Vorzügen und vielfältigen Gestaltungsoptionen von Farben, Lacken und Putzen gerade für die Repräsentationsarchitektur vertraut gemacht werden. Insgesamt ist das Umfeld für das Marktsegment der Bautenanstrichmittel durchaus positiv: Für 2017 wird mit einer weiteren deutlichen Erholung der Bauwirtschaft gerechnet, das Bauhauptgewerbe hofft auf weitere Umsatzzuwächse von bis zu 5%. Dabei werden spürbare Impulse aus dem Wohnungsbau und dem öffentlichen Bau erwartet.

Lacke zum Schutz der Infrastruktur

Ein weiterer großer Einsatzbereich für Speziallacke ist ebenfalls sehr stark vom öffentlichen Sektor abhängig: der Schutz der Infrastruktur. Ein professioneller Korrosionsschutz ist von zentraler Bedeutung für den Werterhalt der Verkehrsinfrastruktur zu Beginn des 21. Jahrhunderts. In Deutschland verursacht Korrosion jährlich einen gesamtwirtschaftlichen Schaden von rund 90 Mrd. EUR. Der beste Schutz gegen Korrosion ist die Beschichtung mit korrosionshemmenden organischen Beschichtungssystemen. Im Jahr 2016 wurden in Deutschland 45.000 t Korrosionsschutzbeschichtungssysteme im Wert von 175 Mio. EUR verarbeitet. Die Umsätze stiegen dabei um 2%, während die Absatzmenge nur um 1% zunahm. Auch für das Jahr 2017 wird mit ähnlichen, eher geringen Wachstumsraten gerechnet. Die Gründe dafür liegen u.a. in der Zurückhaltung der Wirtschaftsunternehmen bei den Investitionen in neue Gebäude und Anlagen. Aber auch bei der Verkehrs- und Energieinfrastruktur baut sich ein Investitionsstau auf. Obwohl die Steuereinnahmen gegenwärtig sehr üppig fließen und sowohl Bund als auch Länder Finanzmittel für die Erneuerung der Infrastruktur zur Verfügung stellen, werden viele Aufträge nicht vergeben: In den zuständigen Verwaltungen wurde in den letzten Jahren das Fachpersonal abgebaut, das solche Bauvorhaben projektiert, ausschreibt und überwacht. Kurzfristig dürften die Personalengpässe zu weiteren Verzögerungen bei der Instandsetzung von Großprojekten führen.

Markt für Industrielacke

Der große Markt für Industrielacke wird getragen von der generell guten Konjunktur der deutschen Industrie. Automobile, Maschinenanlagen und Fahrzeuge aller Art sind weltweit begehrt und bescheren den heimischen Produzenten gute Absatzzahlen. Dies beflügelt auch den Absatz von Lacken zur Beschichtung dieser Güter. Insbesondere bei verbrauchernahen Industriegütern wird das Design – also die Gestaltung von Form und die dazu passende Farbe – immer aufwendiger und künstlerischer. Für manche Marktsegmente wird also die Entwicklung von Effektlacken immer wichtiger und auch immer aufwendiger. Der gesamte Industrielackmarkt (einschließlich Korrosionsschutz) erzielte im vergangenen Jahr 2,95 Mrd. EUR Umsatz, das waren 1,7% mehr als im Jahr davor. Besonders hohe Zuwächse entwickelten die Sektoren der Autoreparaturlacke, der Elektroindustrie, Blechemballagen und Metallerzeugnisse, die Bandbeschichtung und der sonstige Fahrzeugbau. Für den Fahrzeugbau und den Markt der Metallerzeugnisse erwarten die Industrielackhersteller auch im Jahr 2017 weitere überdurchschnittliche Umsatzzuwächse.

Entwicklung der Holz- und Möbellacke

Eine sehr interessante und erfreuliche Entwicklung zeichnet sich bei den Holz- und Möbellacken ab. Nach Jahren der Rückgänge ist hier gegenwärtig ein Aufschwung festzustellen. 2016 wuchsen die Umsätze mit Möbel- und Holzlacken um 1,5% und für das laufende Jahr werden weitere 2% Wachstum erwartet. Die privaten Haushalte investieren gegenwärtig in ihre Küchen, so die Erkenntnisse der Marktforschung. Gefragt sind hochwertige – und damit auch hochwertig lackierte – Küchenmöbel und die dazu passenden Küchengeräte. Dies korrespondiert auch mit einem Wachstum der weißen Lacke für Haushaltsgeräte. Hier kommen vorzugsweise sog. Coil Coatings Lacke, also Lacke für die Bandbeschichtung, zum Einsatz; aus den im Werk vorbeschichteten Blechen werden dann Küchengeräte hergestellt.

Spezielle Lacke für die Autoreparatur

Ein ganz besonderes Marktsegment stellen die Autoreparaturlacke dar. Anders als die Originallackierung in der Autofabrik müssen diese Materialien handwerklich verarbeitet werden. Zudem müssen sie so flexibel sein, dass Farbunterschiede zwischen dem originallackierten und dem ausgebesserten Bereich unsichtbar werden. Der Absatz von Autoreparaturlacken wird maßgeblich von der Zahl der Verkehrsunfälle beeinflusst. Ein harter Winter mit Schnee und Glatteis treibt die Unfallzahlen nach oben und sorgt damit für Aufträge in den Reparaturwerkstätten. Allerdings schlägt sich das nicht 1:1 in erhöhten Lackverkäufen nieder. Erstens werden vielfach Unfallwagen nicht mehr in Deutschland, sondern im benachbarten Ausland repariert, wo die Personalkosten deutlich niedriger sind. Zweitens hat die Lack- und Lackiertechnik deutliche Fortschritte gemacht. Durch computergestützte Mischsysteme kann heute auf wenige Gramm genau der exakte Lackbedarf für eine Reparatur ermittelt und angemischt werden. Moderne Autoreparaturlacke beinhalten zudem wesentlich mehr Festkörper als noch vor zehn oder 15 Jahren und die Auftragswirkungsrate wurde durch neue Spritzpistolen, die weniger Overspray erzeugen, verbessert. All diese technischen Neuerungen führen dazu, dass die Menge an Autoreparaturlacken in den letzten zwanzig Jahren tendenziell um jährlich 1-2% geschrumpft ist. Einzelne Jahre mit gegen den Trend laufenden Zuwächsen waren die Ausnahme. Auch für das Jahr 2017 wird der Autoreparaturlackmarkt wieder um 2% schrumpfen.

Preisentwicklung

Die letzten drei Jahre waren für die Farben- und Lackhersteller im Wesentlichen eher unspektakuläre Jahre. Die Absätze haben sich in den meisten Marktsegmenten – wie oben ausgeführt – nur moderat verändert, extreme Abweichungen waren auf einzelne Marktsegmente beschränkt. Auch die wirtschaftliche Situation der Lack- und Farbenhersteller ist entsprechen ruhig verlaufen. Seit einigen Monaten allerdings sind deutliche Anstiege bei den Rohstoffpreisen festzustellen. Die Kosten sind seit Sommer 2016 auf breiter Front gestiegen, mitunter zweistellig. Einige Rohstoffgruppen nähern sich preislich ihren historischen Höchstständen. Die Preise etwa für Bindemittel auf der Basis von Acrylaten, Epoxid- oder Alkydharzen liegen um rund 6% höher als noch im Sommer 2016. Die Lösemittel sind in dem Zeitraum sogar um 12% teurer geworden. Ein Kostentreiber der besonderen Art ist aber das Weißpigment Titandioxid, dessen Preis sich in den vergangenen Wochen und Monaten um rund 16% erhöht hat. Auch Zinkstaub, ein wichtiges Pigment für die Herstellung von Korrosionsschutzbeschichtungsstoffen, ist um mehr als 20% teurer geworden. Die Rohstoffkosten sind für die Lack- und Farbenindustrie entscheidend, da sie im Durchschnitt 52% der Produktionskosten ausmachen. Ein Ende dieser Preisdynamik scheint nicht in Sicht zu sein. Die Mehrkosten für die Lack- und Farbenherstellung werden mit rund 200 Mio. EUR seit Mitte 2016 beziffert. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Kostenentwicklung auf die einzelnen Teilmärkte von Lacken und Farben auswirken wird.

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