Märkte & Unternehmen

Familienunternehmen: Flexibel und handlungsfähig in der Krise

Der Familienunternehmer Reinhold von Eben-Worlée führt die Worlée-Gruppe in fünfter Generation

07.12.2022 - Energiekrise und Fachkräftemangel belasten Familienunternehmer und ihre potenziellen Nachfolger.

Die Worlée-Gruppe besteht seit 1851 und produziert mit ihren Tochterunternehmen Rohstoffe für die Lack-, Kosmetik- und Nahrungsmittel­industrie. Das Familienunternehmen beschäftigt rund 660 Mitarbeiter an drei Standorten in Norddeutschland und wird in fünfter Generation von der Gründerfamilie geführt. Andrea Gruß sprach mit Reinhold von Eben-Worlée, geschäftsführender Gesellschafter der Worlée-Chemie und Präsident des Wirtschaftsverbands „Die Familienunternehmer“, darüber, welchen Beitrag inhabergeführte Unternehmen für die Gesellschaft leisten und welche Themen sie derzeit am meisten fordern.

CHEManager: Herr von Eben-Worlée, was machen Familienunternehmen anders, was zeichnet sie aus?

Reinhold von Eben-Worlée: Bei Familienunternehmen liegen Haftung und Eigentum in einer Hand. Der Unternehmer haftet mit seinem privaten Vermögen für das, was er geschäftlich macht – und nicht die Allgemeinheit oder ein Kreis unbekannter Aktionäre. Wir arbeiten mit unserem eigenen Geld und mit dem der Banken, die uns Kredite geben. Das unterscheidet uns von Managern, die nicht mit ihrem Privatvermögen für die Aktivitäten des Unternehmens haften. Es sei denn, sie werden straffällig, was jedoch selten nachweisbar ist.
Familienunternehmen denken langfristig und nachhaltig – nicht nur ökonomisch, sondern auch sozial und ökologisch – denn auch die nächste Generation soll noch erfolgreich wirtschaften können. Wir setzen nicht auf schnellen Profit, sondern auf langfristiges, meist organisches Wachstum.

Welche wirtschaftliche Bedeutung haben Familienunternehmen?

 

„Familienunternehmen erweisen sich in schwierigen Zeiten
als stabilisierender Faktor
auf dem Arbeitsmarkt.“

 

 

R. von Eben-Worlée: Mehr als 90 % der Unternehmen in Deutschland sind Familienunternehmen. Sie stellen fast 60 % aller Arbeitsplätze und im dualen Ausbildungssystem neun von zehn Auszubildenden. In Deutschland und speziell in der chemischen Industrie gibt es viele große und international tätige Familienunternehmen mit über 250 Mitarbeitern. Sie erweisen sich in konjunkturell schwierigen Zeiten als stabilisierender Faktor auf dem Arbeitsmarkt. Denn sie sind stärker an die heimische Scholle gebunden und weniger flexibel als kapitalgestützte Unternehmen beim Verlagern von Standorten und Investitionen ins Ausland. Was schnelle Entscheidungen in der Krise angeht, sind Familienunternehmen jedoch deutlich flexibler und schneller handlungsfähig als managementgetriebene Unternehmen. Denn sie müssen hierfür meist keine Gremien oder Aufsichtsräte einberufen. Ein Familienunternehmer kann binnen weniger Tage notwendige finanzielle Mittel über eine Bank beschaffen; bei einer Aktiengesellschaft kann sich die Kapitalaufnahme über mehrere Monate hinziehen.

Und dennoch sind gerade mittelständische Familienunternehmen in der Chemie von der aktuellen Energiekrise besonders betroffen…

R. von Eben-Worlée: Ja, die Energiekrise ist für viele Familienunternehmen eine immense Herausforderung. Einige Unternehmen in der Chemiebranche müssten zum Jahresende große Teile ihrer Produktion schließen, wenn der Strompreis nicht sinkt, weil sie international nicht mehr konkurrenzfähig sind. Es ist bitter, zu sehen, wie die Politik dieses Land in die Krise gebracht hat, denn die Krise selbst ist politikverschuldet – nicht durch Putin. Putin hat die Symptome einer völlig verfehlten Energiepolitik von mehreren Bundesregierungen in den vergangenen 30 Jahren nur früher offengelegt.
Wir haben frühzeitig darauf hingewiesen, dass ein Industrieland wie Deutschland nicht in dem angedachten Zeitraum ausfallsicher und verlässlich allein durch erneuerbare Energien versorgt werden kann. Doch die Politik ist diesem Irrglauben hinterhergelaufen. Die Quittung bekommen wir jetzt. Und auf dem Quittungszettel stehen 200 Mrd. EUR, die wir in den kommenden 1,5 Jahre benötigen, um unsere Energieversorgung zu finanzieren und zu vermeiden, dass wir 30 % bis 50 % unserer wertschöpfenden Betriebe in der Chemie und anderen Industrien verlieren.

Wie reagieren Sie bei Worlée-Chemie auf die aktuelle Situation?

R. von Eben-Worlée: Wir haben vom Vollkonti-Betrieb wieder auf wochen­endfreien Schichtbetrieb umgestellt. Das geht, weil wir eine Batch-Produktion betreiben. Unser Auftragsvolumen ist so stark gesunken, wie zuletzt 2008 bei der Weltwirtschaftskrise. Anders als damals rechnen wir aber mit einem deutlich längeren Abschwung. Die aktuelle konjunkturelle Entwicklung ist für Familienunternehmen, die nicht darauf angewiesen sind, Gewinne auszuweisen, und die auch sehr schnell Investitionen zurückfahren können, grundsätzlich einfacher zu bewältigen als für Kapitalunternehmen. Aber, wie schon erwähnt, Familienunternehmen, die viel Energie benötigen, wird nichts anderes übrigbleiben, als zum Jahresende ihre Tore zu schließen.

Neben den hohen Energiepreisen belastet aktuell auch der Fachkräfte­mangel deutsche Unternehmen. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation?

R. von Eben-Worlée: Der Fachkräftemangel wird einen negativen Einfluss auf die ökonomische Entwicklung in Deutschland haben, weil viele Unternehmen, die händeringend Facharbeiter suchen und keine finden, Aufträge ablehnen müssen. Dass wir in Deutschland aufgrund der Bevölkerungspyramide auf einen Fachkräftemangel zusteuern, wissen wir schon lange. Das habe ich bereits in der Schule gelernt. Hinzu kommt, dass insbesondere junge Leute, die Generation Y, sich immer weniger für Naturwissenschaften interessieren. Bildungspolitiker im Land haben die Notwendigkeit von naturwissenschaftlicher Bildung über Jahrzehnte hinweg deutlich unterschätzt. Auch das Bewusstsein, dass wir Fachkräfte nicht nur für die konsumtive Industrie, sondern auch für die produktive Industrie benötigen, wächst erst langsam in der Politik. Der Fachkräftemangel betrifft das Handwerk genauso wie die Industrie, die gut ausgebildete Mitarbeiter braucht, um ihre Produkte herstellen zu können.
Als Familienunternehmen haben wir uns frühzeitig auf den Fachkräftemangel eingestellt und selbst in die Ausbildung investiert. Leider werden die Mitarbeiter zum Teil von großen Unternehmen der Branche abgeworben, die weniger ausbilden, aber höhere Gehälter zahlen.

Was kann die Politik gegen den Fachkräftemangel tun?

R. von Eben-Worlée: Wir benötigen ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz für Nicht-EU-Bürger nach kanadischem Vorbild. Die Bundesregierung hat Ende Oktober die „Eckpunkte zur Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten“ vorgelegt. Darin enthalten ist auch das von den Familienunternehmern seit langem geforderte „Punktesystem“ für die Fachkräftezuwanderung. Dieser Schritt war überfällig und wird die Fachkräftezuwanderung hoffentlich transparenter und besser steuerbar machen. Auch will die Bundesregierung mit den Eckpunkten Vieles richtig machen. Zum Beispiel ein besseres Angebot zur Sprachvermittlung bereits im Herkunftsland, die Beschleunigung der Anerkennungsverfahren von ausländischen Qualifikationen. Jetzt müssen den Ankündigungen auch Taten folgen.

Eine weitere Herausforderung für Familienunternehmen ist die Regelung der Nachfolge. Hat die junge Generation Interesse an Unternehmertum?

R. von Eben-Worlée: Viele Unternehmerkinder sind gut befähigt, betrachten Unternehmertum durchaus als eine attraktive Lebensform und haben Interesse, die Nachfolge ihrer Eltern anzutreten. Gerade in der jüngeren Generation schätzen viele die Freiheitsgrade, die man als Unternehmer im Vergleich zu einer angestellten Führungskraft hat. Insbesondere für Frauen, die Familienplanung und Beruf vereinbaren wollen, ist es attraktiv, im eigenen Unternehmen zu arbeiten. Ich kenne viele Unternehmen, in denen die Kinder mitarbeiten oder in denen sich die Eltern bereits freiwillig zurückgezogen und die Verantwortung an ihre Kinder übergeben haben.

Wenn beide Parteien interessiert sind, wo liegen dann die Hürden bei der Nachfolge?

R. von Eben-Worlée: Ein Grund sind die schwierigen Übergangsbedingungen, die staatlicherseits geschaffen wurden. Vererbt man ein Unternehmen, ist der Nachfolger an viele Vorgaben gebunden. Erben dürfen das Unternehmen oder Unternehmensteile innerhalb von zehn Jahren nicht verkaufen. Sie müssen die Personalsumme sieben Jahre erhalten oder dürfen sie maximal 15 % abschmelzen. Verstoßen sie gegen das Erbrecht, haften sie mit ihrem gesamten Privatvermögen.

 

„Die Wirkungen des deutschen Erbrechts
sind gerade in Krisenzeiten für Familienunternehmen fatal.“

 

 


Geht ein Unternehmen beispielsweise ein Jahr nach der Übernahme aufgrund einer Krise in Konkurs oder kann die Jobgarantien nicht einhalten, muss der Erbe für die damit verbundenen Erbschafts- oder Schenkungssteuer mit seinem Privatvermögen aufkommen. Das sind bis zu 30 % Erbschaftssteuer zuzüglich des ohnehin vorhandenen Haftungsrisikos für Unternehmer. Das sind schon große Verpflichtungen und Risiken, die bei vielen potenziellen Nachfolgern Nachdenklichkeit auslösen. Bei den jungen Unternehmen sind die Themen kein Problem, aber bei etablierten Unternehmen und in der Krise sagen auch oft die Väter- oder Mütterunternehmer: ‚Nein, das Risiko ist zu hoch, wir verkaufen das Unternehmen, dann erbst du wenigstens das Geld – abzüglich der Erbschaftssteuer.‘ Die Wirkungen des deutschen Erb­rechts sind gerade in Krisenzeiten für Familienunternehmen fatal, da es schwer ist, die gegebenen Jobgarantien und Behaltensverpflichtungen zu leisten.

Sie führen Ihr Unternehmen in der fünften Generation und haben drei Töchter. Wird es eine sechste Generation bei Worlée-Chemie geben?

R. von Eben-Worlée: Meine älteste Tochter ist seit zweieinhalb Jahren im Unternehmen tätig. Die führt gerade ein neues ERP-System ein, beschäftigt sich mit unserem Leitbild sowie Fragen der Mitarbeiterentwicklung und dem Führungskräfteverhalten. Meine zweite Tochter ist Logistikerin und arbeitet gerade an ihrer Promotion. Die dritte Tochter studiert Wirtschaftswissenschaft.

Gute Voraussetzungen. Werden sie Ihre Nachfolge antreten?

R. von Eben-Worlée: Das steht noch nicht fest, aber ausgeschlossen haben sie es nicht. Heute ändern sich die Zeiten so schnell, dass man kaum zwei Jahre vorausplanen kann und entscheiden muss, wenn es so weit ist. Sobald mir meine Töchter – oder auch eine von ihnen – sagen, dass sie bereit ist zu übernehmen, werde ich mich aus dem Unternehmen zurückziehen.

Mit welchem Ziel?

R. von Eben-Worlée: Keinem konkreten. Ich habe mir während meiner Arbeit immer neue Aufgaben gesucht. Das ist üblich unter Unternehmern. Sie bringen Geschäfte auf den Weg und wenn diese nach einiger Zeit laufen, übergeben sie die Verantwortung an Menschen, die diese weiterentwickeln können, manchmal sogar besser als der Unternehmer selbst. Ich bin zuversichtlich, dass ich eine Aufgabe finden werde, die mich erfüllt. Vielleicht gründe ich nochmal ein Start-up. Geschäftsideen habe ich genug. Mir fehlt derzeit bloß die Zeit, diese auch umzusetzen.

Das Interview mit Reinhold von Eben-Worlée führte Andrea Gruß.

ZUR PERSON
Reinhold von Eben-Worlée ist geschäftsführender Gesellschafter der Worlée-Chemie und repräsentiert in fünfter Generation die gleichnamige Hamburger Unternehmerfamilie, die 1851 in der Hansestadt einen internationalen Rohstoffhandel gründete. Seit Anfang der 1990er Jahre engagiert sich der Indus­triekaufmann und Diplom-Ingenieur für Lebensmitteltechnik in der Verbandspolitik, aktuell u. a. in den Präsidien des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) und des AGA Unternehmensverbands. Seit 2017 ist er Präsident des Wirtschaftsverbands „Die Familienunternehmer“.

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