Strategie & Management

Grünes Geld – ESG ist der neue Goldstandard

Anleger bevorzugen Investments in nachhaltige Unternehmen

16.11.2022 - Im Jahr 2021 haben private Anleger mit 131 Mrd. EUR siebenmal so viel Geld in nachhaltige Fonds gesteckt wie 2009.

Kein Unternehmen ist dazu gezwungen, nachhaltiger zu wirtschaften, als die geltenden Umwelt- und Sozialgesetze, vor allem das 2023 in Kraft tretende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), es vorgeben. Inwieweit es die steigende CO2-Bepreisung zu tragen bereit ist, liegt ebenfalls in seinem Ermessen. Unternehmen, die jedoch auf Geld von Investoren spekulieren, sollten sich bewusst sein: Grünes Geld gilt es nicht zum Nulltarif.

„Wenn wir erwägen, in ein Unternehmen zu investieren, überlegen wir von Beginn an, was dessen Superkräfte bezüglich ESG sein werden“, sagt Jean Rogers, ESG-Leiterin des Privat-Equity-Hauses Blackstone. Sie meint die Kräfte, die den Markt bewegen. Im Jahr 2021 haben private Anleger mit 131 Mrd. EUR siebenmal so viel Geld in nachhaltige Fonds gesteckt wie 2009. Bei institutionellen Investoren stieg die Summe um gut ein Viertel auf 232 Mrd. EUR. Marktteilnehmer gehen davon aus, dass die Emissionen von ESG-Anleihen in Europa bis 2026 auf 1,4 – 2,6 Bio. EUR steigen und dann nahezu die Hälfte der Anleiheemissionen sein werden.

 

"Im Jahr 2021 haben private Anleger mit 131 Mrd. EUR
siebenmal so viel Geld innachhaltige Fonds
gesteckt wie 2009."

 



Für Banken und Fonds sind Nachhaltigkeitsfinanzierungen ein attraktives, schnell wachsendes Geschäftsfeld. Gleiches gilt für Wagniskapitalgeber. Privat-Equity-Gesellschaften, die ESG-Kriterien nicht ausreichend berücksichtigten, hätten es in Zukunft schwer, Investoren anzuziehen, sagt Thomas Frey, Leiter des Produkt-Bereichs bei Lunis Vermögensmanagement. Bereits Ende 2021 hat Lanxess mit Unterstützung der DZ Bank seinen ersten Sustainability Bond begeben. Die Anleihe mit einem Volumen von 600 Mio. EUR hat eine Laufzeit von acht Jahren und einen Kupon von 0,625 %. Das Unternehmen hat sich verpflichtet, seine CO2-Emissionen bis 2025 im Vergleich zum Basisjahr 2018 um 600.000 t auf 2,6 Mio. t zu reduzieren. Wird dieses Ziel nicht erreicht, erhöht sich der Zinssatz für die nachfolgenden Zinsperioden bis zur Fälligkeit um 0,250 Prozentpunkte pro Jahr. Im August 2022 brachte Clariant seinen ersten Green Bond auf den Markt.

Die Anleihe hat ein Volumen von 175 Mio. CHF, einen Coupon von 2,717 % und eine Fälligkeit im Jahr 2027. Der Platzierungserlös wird für die Finanzierung oder Refinanzierung von Investitionen in nachhaltige Vermögenswerte verwendet und die Erträge aus diesen Anlagen werden u. a. in die Forschung und Entwicklung nachhaltiger Produkte und Prozesse gesteckt. Bei Krediten etablieren sich sog. Sustainability Linked Loans (SLL). Dabei ist der Zinssatz an allgemeine Nachhaltigkeitsziele eines Unternehmens und die Erreichung bestimmter Kennzahlen gebunden. Auch die Banken selbst positionieren sich. Die Commerzbank will den CO2-Ausstoß ihres Portfolios bis spätestens 2050 auf netto null reduzieren. „Das Portfolio umfasst natürlich auch alle Kredite, die wir an Firmenkunden vergeben“, so Martin Seimetz, Leiter finanzielle Ressourcen und verantwortlich für Sustainability.

 

 

"Für Banken und Fonds sind
Nachhaltigkeitsfinanzierungen ein attraktives,
schnell wachsendes Geschäftsfeld."

 



Lieferketten im Fokus

Laut EU-Taxonomie gilt eine Wirtschaftstätigkeit als nachhaltig, wenn sie einen Beitrag zu definierten Umweltzielen leistet und Mindeststandards in Bezug auf Soziales und unternehmerische Verantwortung erfüllt. Damit steht die Lieferkette im Fokus. Über sie wird der größte Teil der Emissionen eingekauft und erwächst eine Mitverantwortung für zweifelhafte Geschäftspraktiken, Gesetzesverstöße, Umweltsünden oder unfairen Umgang mit Arbeitnehmern auf Lieferantenseite.
Nach dem LkSG müssen Unternehmen ohnehin aktiv werden. „Wer sich strategisch auf ESG ausrichtet, wird seine menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten besonders ernst nehmen“, sagt Verena Deller, Principal bei Inverto, der auf Einkauf und Supply-Chain spezialisierten Tochtergesellschaft der Boston Consulting Group. Neben seinen obligatorischen Ausgaben- und Leistungsanalysen müsse der Einkauf künftig auch die Risiken von LkSG-Verletzungen bewerten. Dafür gelte es, praxistaugliche Verfahren zu etablieren. Anhand von Scoring-Modellen könnten bspw. der Einfluss von Lieferanten sowie deren Zuverlässigkeit bei der Umsetzung von Vereinbarungen gemessen werden. Auf dieser Grundlage könnten Unternehmen bei Bedarf Abhilfe- und Präventionsmaßnahmen ergreifen, etwa vertragliche Anpassungen, Audits oder Lieferantenworkshops.

Als potenziell ESG-kritisch gelten lange Transportwege aus Lieferregionen in Übersee. Sie bestehen insbesondere bei Rohstoffen wie Titan und Speciality Chemicals wie z. B. Nitriden. Commodity Chemicals werden eher regional bezogen. Durch die Nutzung von Transportkapazität mit nachhaltigen Antriebsarten sowie einer verbesserten Logistikplanung lässt sich der CO2-Footprint deutlich verbessern. Mittel- bis langfristig können Produkte durch Substitute aus europäischer Produktion ersetzt werden. Die EU will ohnehin viele der sog. „berüchtigten Chemikalien“, die seit Jahren von der Umwelt- und Gesundheitspolitik angeprangert werden, schrittweise verbieten. Deller: „Substitute müssen womöglich zu höheren Preisen beschafft werden und die Umstellung kann negative Auswirkungen auf die Qualität der Endprodukte haben.“ Der Umstellungsprozess chemischer Rohstoffe dauere Monate bis mehrere Jahre und könne nur in enger, bereichsübergreifender Zusammenarbeit von Einkauf, Forschung & Entwicklung, Verkauf und Qualitätsmanagement bewältigt werden. Die Umsetzung einer ESG-Agenda ist damit auch eine Frage der Unternehmenskultur.

Transparenz ist die Basis

Nach dem Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU vom 22. Juni 2022 müssen Unternehmen nachweisen, ob und inwieweit sie nachhaltig sind, wenn sie mind. zwei von drei Kriterien erfüllen: mehr als 250 Mitarbeitende, Bilanzsumme > 20 Mio. EUR, Nettoumsatz > 40 Mio. EUR. Unternehmen, die bereits heute einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen, sind ab 2024 in der Pflicht. Anfang 2026 sind auch börsennotierte Mittelständler sowie kleine und nicht komplexe Kreditinstitute sowie firmeneigene Versicherungen in der Verantwortung. Für KMU sieht der Zeitplan noch eine Übergangsfrist bis 2028 vor.

„Um den Anforderungen nachhaltigkeitsorientierter Investoren Rechnung zu tragen, muss ein Unternehmen über eine wissenschaftlich begründete Nachhaltigkeitsstrategie verfügen“, so Tim Buchholz vom Sustainable Bonds and Financing Team der DZ Bank. Idealerweise sei diese an internationalen Initiativen wie den UN Sustainable Development Goals, dem Pariser Klimaabkommen oder, falls vorhanden, an sektorspezifischen Zielsetzungen ausgerichtet. Eine sog. „Materialitätsanalyse“ könne helfen, die relevanten Nachhaltigkeitsthemen zu ermitteln. Bei Sustainability Linked Bonds sollte das Unternehmen zudem jährlich über die Entwicklung seiner nachhaltigen Aktivitäten berichten, seine Nachhaltigkeitsberichte extern prüfen lassen und öffentlich zugänglich machen.

Höhere Renditen

Laut einer Veröffentlichung der Universitäten Hamburg, Reading (­Malaysia), Liechtenstein und Hongkong von Juni 2022 erzielen auf Taxonomie ausgerichtete Unternehmen höhere monatliche Aktienrenditen, seitdem die EU das Thema auf ihre Fahnen geschrieben hat. Bei einer Befragung durch die Reporting-Plattform Workiva berichteten sieben von zehn Unternehmen von einer positiven Auswirkung auf die Kundenbindung (72 %), auf Versicherungen und Auskunfteien (71 %). Über zwei Drittel gaben zudem an, dass die ESG-Berichterstattung die Mitarbeitermoral, die Personalrekrutierung und die Beziehungen zu Stakeholdern und Investoren verbessert habe.

Bei ESG gehe es um Transforma­tion, nicht um partielle Veränderung. „Unsere Einschätzung ist, dass viele Unternehmen noch großen Nachholbedarf haben. Neue Marktpositionierungsmerkmale werden relevant: niedrige Emissionen, geringer Energieverbrauch, höchste Umwelt- und Sozial-Standards. Nachhaltigkeit wird bei der Auswahl von Geschäftspartnern, insbesondere von Lieferanten, stark an Bedeutung gewinnen“, so Verena Deller von Inverto.


Autor: Manfred Godek, freier Finanzjournalist, Monheim

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