Hidden Champion mit 200 Jahren Tradition
Baerlocher treibt mit innovativen Additiven die Transformation zur zirkulären Wirtschaft voran
Seit 200 Jahren dreht sich bei Baerlocher alles um Chemie. Chemie bedeutet für den Unterschleißheimer Familienkonzern nicht nur eine Wissenschaft, sondern auch die Kunst, etwas zusammenzufügen und etwas Neues zu erschaffen. Übertragen auf das Produktportfolio an Additiven für alle Polymer- sowie zahlreiche Nonpolymer-Anwendungen heißt das: neue Strukturen, Formen und Eigenschaften, um die unterschiedlichen und zunehmenden Anforderungen der Kunden an nachhaltige Produkte zu bedienen. Mit rund 500 Mio. EUR Jahresumsatz und 1.150 Beschäftigten gehört Baerlocher zum gehobenen Mittelstand und weist dessen typische Merkmale wie Kontinuität und Innovationsfreude auf. Michael Reubold befragte Arne Schulle, CEO der Baerlocher-Gruppe, zur Geschichte des Unternehmens und zur Positionierung und Weiterentwicklung des Konzerns bei Themen wie Nachhaltigkeit, zirkuläre Wirtschaft und Digitalisierung.
CHEManager: Herr Schulle, Sie haben 2010 als familienexterner Manager die CEO-Rolle bei Baerlocher übernommen. Was waren die wichtigsten Veränderungen beim Übergang von einem inhaber- hin zu einem managementgeführten Familienunternehmen und wie hat sich dadurch die Unternehmenskultur verändert?
Arne Schulle: Als inhabergeführtes Unternehmen waren viele Entscheidungen unternehmerisch und zentral geprägt. Wir haben versucht, die unternehmerische Komponente zu erhalten und diese durch die klassische Management Toolbox zu ergänzen. Mittels dreier Schlüsselbereiche haben wir die Wandlung von einer zentralen zu einer dezentralen Struktur vollzogen. Diese sind die weltweite Einführung einer wertebasierten Unternehmensführung, die kollaborative Entscheidungsfindung und die Delegation von Verantwortung.
„Unsere Innovationsaktivitäten sind immer am Kunden ausgerichtet.“
Seit vielen Jahren hat Baerlocher zudem eine Beiratsstruktur, welche die Zusammenarbeit von Gesellschaftern, Management und Mitarbeitern sehr positiv ergänzt. Nachfolgethemen in der Familie wurden mit viel Weitblick und Fachkompetenz gelöst. Letztendlich sind und bleiben wir ein Familienunternehmen.
Baerlocher ist ein führender Anbieter von Polymeradditiven. Im Gründungsjahr 1823 waren Polymere noch Zukunftsmusik. Wie begann die Firmengeschichte und wie hat sich das Unternehmen mit dem Beginn des Kunststoffzeitalters auf das heutige Kerngeschäft fokussiert?
A. Schulle: 1823 erfolgte die Gründung der ersten bayerischen Schwefelsäurefabrik. Die nachfolgenden 123 Jahre waren geprägt vom Wandel der chemischen Industrie und zahlreichen Eigentümerwechseln. Christian Rosenthal legte 1946 den Grundstein für das heutige Unternehmen, indem er das Metallseifengeschäft ausbaute und in das Kunststoffadditivgeschäft einstieg. 1980 übernahm Michael Rosenthal in zweiter Generation die Unternehmensführung. Er konzentrierte die Geschäftsfelder, erschloss Märkte jenseits von PVC und gestaltete die Internationalisierung. Seine Durchsetzungsfähigkeit und Kundenorientierung sind bis heute wegweisend.
Mit Übernahme des Beiratsvorsitzes durch die dritte Eigentümergeneration, Tobias Rosenthal, 2023 sind die strategischen Weichen klar in Richtung Bekenntnis zu Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft, intentionaler Diversität und langfristigem unternehmerischen Handeln gestellt.
Ein Erfolgsfaktor von Unternehmen, die 200 Jahre überdauert haben, ist ihre Innovationskraft. Welche Innovationen würden Sie als Meilensteine der Firmengeschichte bezeichnen und welche Rolle spielt Forschung bei Baerlocher heute?
A. Schulle: Unsere Innovationsaktivitäten sind immer am Kunden ausgerichtet. Diese beziehen sich nicht nur auf produktbezogene Innovationsaktivitäten, sondern auch auf unser Geschäftsmodell und das unserer Kunden. Den Kern bilden die weltweite Einführung von Compounds oder die Umstellung auf nachhaltige Additivierungssysteme. Bestimmende Bausteine sind konsequente Internationalisierung, globaler Austausch von Kundenerfahrungen und weltweite Lösungskompetenz.
„Die Ansätze der Regionen Europa, USA, China oder Indien zur Nachhaltigkeit unterscheiden sich erheblich.“
Wir betreiben international vernetzte Labore und Anwendungstechnik in Deutschland, Italien, der Türkei, Malaysia, Indien, China, Brasilien und in den USA. Wir wollen der Trusted Advisor für unsere Kunden mit individuellen Kunden- und marktspezifischen Lösungen sein.
Bleiben wir beim Thema Innovation. Welche neuen Lösungen werden für zukünftige Polymeranwendungen und für den Übergang von der linearen in die zirkuläre Wirtschaft benötigt?
A. Schulle: Beispiele hierfür sind nachhaltigere Additivsysteme für Polymere oder Lösungen in der Wertschöpfungskette des mechanischen Recyclings, welches – neben dem chemischen – eine herausragende Stellung einnehmen wird. Hierbei sind hohe Anteile an nachwachsenden Rohstoffen und ein verträglicher CO2-Fußabdruck nachzuweisen. In Zukunft werden übergreifende Lösungen von Marktteilnehmern gefragt sein, die unter Umständen heute noch gar keine Geschäftsbeziehung zueinander aufweisen. Das kann sich vom Brand Owner, über den Verarbeiter, den Additivhersteller, bis hin zum Recycler erstrecken. Gleichzeitig gilt es, Additivsysteme weiterzuentwickeln, die auch bei der ursprünglichen Produktion oder Verarbeitung von Polymeren Recycling oder Upcycling ermöglichen beziehungsweise. vereinfachen. Gleiches gilt für die Polymere.
Die Nachfrage nach Polymeren wird auch in Zukunft weltweit steigen, nur wird der Anteil an Neuware sukzessive ab- und der an Rezyklaten zunehmen. Welche Anforderungen an neue Produkte stellt das Additivieren von Rezyklaten?
A. Schulle: Es ist ein erheblicher Unterschied, ob ein kurzlebiges Polymer Nahrungsmittelkontakt aufweist oder ob langlebige energieeffiziente Kunststofffensterprofile ihren Nutzen entfalten. Sortenreinheit, Verarbeitungsfähigkeit, Preis, Kundenakzeptanz sowie postindustrielle und Konsumentenkreisläufe erhöhen die Komplexität erheblich. Die meisten Polymere werden nur für den einmaligen Gebrauch stabilisiert, somit ist das zu rezyklierende Material möglichst früh im Prozess zu restabilisieren.
„Ich würde mir wünschen, dass sich die Industrie und die Politik transparenter und pragmatischer aufeinander zubewegen.“
Temperatur und mechanische Scherung schädigen das Material während der Recompoundierung und Schmelzefiltration. Folglich sollte bereits nach der Sortierung und dem Waschen mit Additiven nachstabilisiert werden. Der Abbau des Materials wird minimiert und in vielen Fällen eine Wiederverwendung in der ursprünglichen Nutzungsweise ermöglicht. Wichtig ist zum Beispiel eine Reduzierung der Schwankung der Schmelzeviskosität oder das Verhindern von Gels in Folienanwendungen.
Temperatur und mechanische Scherung schädigen das Material während der Recompoundierung und Schmelzefiltration. Folglich sollte bereits nach der Sortierung und dem Waschen mit Additiven nachstabilisiert werden. Der Abbau des Materials wird minimiert und in vielen Fällen eine Wiederverwendung in der ursprünglichen Nutzungsweise ermöglicht. Wichtig ist zum Beispiel eine Reduzierung der Schwankung der Schmelzeviskosität oder das Verhindern von Gels in Folienanwendungen.
Nie zuvor hat die Kunststoffindustrie so tiefgreifende Veränderungen erlebt wie heute. Wie ist Baerlocher auf die Herausforderungen seiner wichtigsten Abnehmerbranche vorbereitet?
A. Schulle: Die Transformation betrifft jeden Markteilnehmer im Hinblick auf Markt-, Produkt- und Innovationsportfolio. Unweigerlich führt dies auch zu einer Transformation der Unternehmenskulturen und Organisationen. Die entscheidende Frage ist, wie Unternehmen die Transformation vorantreiben.
Für Baerlocher ist das nicht wirklich neu. Bereits in der Vergangenheit waren wir federführend bei der Etablierung nachhaltiger Marktlösungen. Ich denke da an die sehr erfolgreiche freiwillige Selbstverpflichtung der europäischen PVC-Industrie aus dem Jahr 2000, die Initiative VinylPlus oder das Vinyl Supplier Ceritificate. Damals wie heute haben wir uns Ziele im Dialog mit NGOs gesetzt, diese erfüllt und extern auditieren lassen.
Mit unseren 15 über den Erdball verteilten Produktionsstätten haben wir weltweit Zugang zu allen für uns relevanten Märkten und Ressourcen der Wertschöpfungskette. Das konnten wir eindringlich während der Pandemie unter Beweis stellen; Marktteilnehmer und Mitarbeitende konnten sich jederzeit auf uns verlassen!
Die Ansätze der Regionen Europa, USA, China oder Indien zur Nachhaltigkeit unterscheiden sich erheblich. Baerlocher wird davon profitieren, indem wir weiterhin auf den Austausch zwischen den Regionen und Kulturen setzen. Dies zeigt sich auch in unserem Code of Conduct und Code of Ethics sowie in den vielfältigen Nachhaltigkeitsinitiativen oder Nachhaltigkeitsratings, an denen wir uns beteiligen. Natürlich hilft es uns, einen langfristigen strategischen Ansatz eines solide finanzierten Familienunternehmens vorzuweisen. Wir haben gute Voraussetzungen geschaffen und blicken zuversichtlich in die Zukunft.
Wo sehen Sie und wie definieren Sie die Rolle von Baerlocher in der künftigen Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe?
A. Schulle: Wir sind und wir wollen weiterhin das Perfect Match und der Trusted Advisor für alle Marktteilnehmer sein und unsere Industrie auch weiterhin aktiv in Richtung Nachhaltigkeit vorantreiben. Unsere direkten Anknüpfungspunkte sind die Polymerhersteller und -verarbeiter, die Recycler und Compoundierer. Wir haben verstanden, dass es bei Nachhaltigkeit um einen ganzheitlichen Ansatz geht und sich das Unternehmen sowie viele seiner Stakeholder einer Veränderung stellen müssen.
Baerlocher ist weltweit tätig. Welche Auswirkungen auf Ihr Geschäft und Ihre Strategie hat die zunehmende Anzahl und Kompetenz von Additivherstellern aus Asien, vor allem China, Indien und Korea? Und wie sehen Ihre eigenen Expansions- und Wachstumspläne aus?
A. Schulle: Seit Jahren folgen wir dem Ansatz „Baerlocher is local in presence and thought“. Unsere neueren Werke in China, der Türkei oder das in diesem Jahr fertiggestellte Werk in Indien unterstreichen unser Bekenntnis. Besonders stolz sind wir für dieses Werk auf das Platinum Green Factory-Rating des Indian Green Building Council (IGBC). Als Technologietreiber in den genannten Regionen positionieren wir uns ausschließlich mit nachhaltigeren Additivsystemen. Das hebt uns ab von der Konkurrenz. So sind wir eher eine zusätzliche Wettbewerbskomponente für den lokalen Wettbewerb als umgekehrt. Wir werden weiter international wachsen und auch neue Märkte abseits unserer traditionellen Schwerpunkte erschließen.
Mit Ihren Produkten helfen Sie Kunden, deren Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Welche Nachhaltigkeitsstrategie hinsichtlich Energie- und Rohstoffeinsatz haben Sie für das eigene Unternehmen?
A. Schulle: Neben der Entwicklung einer nachhaltigen Unternehmenskultur, welche auch Corporate-Social-Responsibility-Merkmale berücksichtigt, legen wir den Fokus zunächst auf CO2-Neutralität, welche dann schrittweise um weitere Lebenszyklusbestandteile ergänzt wird. Konzernziel ist es, bis 2045 CO2-Neutralität zu erreichen. Wir haben in den letzten Jahren bereits eigene Emissionen gesenkt, etwa durch Investitionen in Biomassebrenner oder in Solarstrom weltweit. Unser erster Standort wird voraussichtlich 2025 hinsichtlich Scope 2 CO2-neutral sein. Für ein produzierendes Unternehmen der Chemieindustrie ist dies nicht alltäglich.
„Der Mittelstand bildet die Grundlage für viele andere Industrien und Innovationen.“
Bereits heute können wir erhebliche Anteile an nachwachsenden Rohstoffen aufweisen. Dennoch wird im Rohstoffbereich langfristig ein weiterer Schwerpunkt unserer Innovationsaktivitäten und unserer operativen Hausaufgaben liegen, zum Beispiel bezüglich des Austauschs von Rohstofftypen oder deren Verfügbarkeit.
Der Europäische Green Deal wird zu einer der größten Transformationen der europäischen Industrie seit der industriellen Revolution führen. Wie beurteilen Sie die damit einhergehenden Herausforderungen aus der Sicht eines mittelständischen Unternehmens?
A. Schulle: Wir nehmen den Green Deal mit einer sehr positiven Einstellung an. Ich bin überzeugt, dass sich dadurch viele Möglichkeiten für flexible, schnell agierende Mittelständler ergeben, die sich in den neu entwickelnden Märkten zu bewegen wissen. Trotzdem sollte man nicht verhehlen, dass Teile keinem einheitlichen strategischen Guss folgen. Der Green Deal zielt unter anderem auf ein Non-Tox-Umfeld ab und schnürt unter Umständen die Möglichkeiten des Recyclings erheblich ein, obgleich dies gegebenenfalls einen weitaus höheren ökologischen Nutzen aufweist.
Auch führen Eingriffe des Regulators häufig zu Marktversagen und auch zu Wettbewerbsnachteilen. Zudem bedeuten die regulatorischen Anforderungen einen extremen Aufwand. Ich würde mir wünschen, dass sich in diesen Bereichen die Industrie und die Politik transparenter und pragmatischer aufeinander zubewegen.
Abgesehen von ausufernder Bürokratie und einer immer strengeren Regulierung – bei welchen industriepolitischen Themen drückt Sie der Schuh am meisten?
A. Schulle: Es ist Tatsache, dass erhebliche Wettbewerbsnachteile durch zu hohe Energiekosten vorliegen. Es wird häufig ausgeblendet, dass sich in allen Fertigprodukten Energiekostenanteile befinden. Mithin sind alle Unternehmen betroffen, nicht nur energieintensive. Der Mittelstand bildet die Grundlage für viele andere Industrien und Innovationen und ist hiervon besonders betroffen. Er ist das Rückgrat der Beschäftigung und Industrievielfalt in Deutschland und findet dennoch viel zu wenig Berücksichtigung.
Wagen Sie einen Ausblick: Wo und wie sehen Sie Baerlocher und die Kunststoffindustrie in 50 Jahren?
A. Schulle: Die Nachfolgegenerationen unserer Gesellschafter werden eine wunderbare 250-Jahr-Feier auf die Beine stellen und wir viel Spaß dabei haben.
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