Strategie & Management

Nachhaltigkeitswende in der Kunststoffindustrie

Geschäftsmodelle für die Kunststoffkreislaufwirtschaft

14.09.2022 - Mit dem Green Deal für Europa entwickelt sich ein Geschwindigkeitswettbewerb in der Kunststoffindustrie in allen Wertschöpfungsstufen und Anwendungsbranchen rund um die Kreislaufwirtschaft.

Ohne Kunststoffe werden die Nachhaltigkeitswende in der Industrie und nachhaltiger Konsum nicht funktionieren. Außerdem ist Plastik als Rohstoff zu wertvoll, um entsorgt oder vornehmlich energetisch verwertet zu werden. Das Thema Kreislaufwirtschaft ist daher für die Kunststoffindustrie nicht neu. Neu sind Geschwindigkeit und Vielfalt, mit der sich die Kreislaufwirtschaft in industriellen Lösungen und neuen, innovativen Geschäftsmodellen durchsetzt. 

Mit dem Green Deal für Europa entwickelt sich ein Geschwindigkeitswettbewerb in der Kunststoffindustrie in allen Wertschöpfungsstufen und Anwendungsbranchen rund um die Kreislaufwirtschaft. Gewachsene Industriestrukturen werden durch neue Marktteilnehmer, Technologie- und Rohstoffanbieter und neue, vernetzte Wertschöpfungsstrukturen aufgebrochen. Für jedes Unternehmen in der Kunststoffindustrie stellt sich die Frage nach der künftigen Positionierung im Markt: Will man „Rule Maker“ oder „Rule Taker“ sein? 
Abwarten in dieser Phase der fundamentalen Transformation? Keine gute Idee. Schließlich waren fehlende Branchenlösungen, Normen oder uneinheitliche regulatorische Vorgaben noch nie ein Hinderungsgrund für erfolgreiche Familienunternehmen und Mittelständler in der Chemie- und Kunststoffindustrie, innovative und langfristig erfolgreiche Geschäftsmodelle umzusetzen. Zusätzlich zeigt der Blick in die ESG (Environmental, Social, Governance)­-Ziele von Kunststoffunternehmen im Rahmen einer aktuellen Peer­group-Studie von Dr. Wieselhuber & Partner: Deutschlandweit werden die nachhaltigsten Kunststoffunternehmen im Schnitt bereits 2027 ihren Treibhausgasfußabdruck um 50+1 % reduzieren und somit überwiegend nachhaltig wirtschaften. 

„Mit dem Green Deal für Europa entwickelt sich ein Geschwindigkeitswettbewerb in der Kunststoffindustrie in allen Wertschöpfungsstufen und Anwendungsbranchen rund um die Kreislaufwirtschaft.“


Ziele der Kreislaufwirtschaft
Die Kreislaufwirtschaft ist gerade für Unternehmen in der Kunststoffindustrie das zentrale Instrument, um den eigenen Ambitionsgrad in der Nachhaltigkeitswende schnell umzusetzen und zugleich die Zukunftsfähigkeit und Robustheit des eigenen Unternehmens zu stärken. Dies ergibt sich aus folgenden übergeordneten Zielen: 
Reduktion des Verbrauchs von Roh-/Hilfs-/Betriebsstoffen, von Energie-, Wasser- und Landverbrauch sowie Verringerung von Abfall, Verschwendung und Verschmutzung.
Einsatz von nachwachsenden und Sekundärrohstoffen sowie erneuerbare Energien maximieren.

Positive Nebeneffekte aus der Umsetzung der Kreislaufwirtschaft sind dann reduzierte oder vermiedene Emissionskosten für Treibhausgase sowie gesenkte Energie- und Rohstoffbedarfe bzw. neue Quellen, die erschlossen werden. 

Geschäftsmodelle für die Kreislaufwirtschaft
Für die Umstellung auf ein zirkuläres Wirtschaften haben sich mit den Schlagworten „Reduce – Reus­e – Recycle“ drei grundlegende Geschäftsmodelle etabliert, die in verschiedensten Ausprägungen die Art der Wertschöpfung und Erlösmechanik in Unternehmen verändern. 
Der Reduce-Ansatz hat die Minimierung des Einsatzes von Frisch­material, finiter Rohstoffe und notwendiger Ressourcen in der Wertschöpfung zum Ziel. Der Einsatz von Rec-Material in Kunststoffprodukten ist die naheliegendste Lösung, aber bei Weitem nicht die Einzige. Mit dem Blick in die Produktion, das Produktdesign und auf Verpackungen finden sich weitere Möglichkeiten zur Reduktion des Ressourcenverbrauchs. Damit einher gehen dann aber auch Veränderungen in den Kundengruppen und Marktzugängen. 

„Für die Umstellung auf ein zirkuläres Wirtschaften haben sich mit den Schlagworten Reduce – Reuse – Recycle drei grundlegende Geschäftsmodelle etabliert.“


Eine große Zahl von Unternehmen ist bereits einmal daran gescheitert, „nachhaltige“ Produkte mit einem kleinen Aufpreis in etablierte Märkte zu verkaufen. Der Grund: unzureichendes Innovationsmarketing. Wer aber Anwendungen und Zielgruppen identifiziert, die ihrerseits von nachhaltigen Lösungen profitieren, der profitiert von höheren Zahlungsbereitschaften, neuen Kundengruppen und der Verschiebung von Marktanteilen. 
Mit dem Reuse-Ansatz ist meist der Kerngedanke verbunden, die Nutzung von Produkten zu kapitalisieren. Dies funktioniert vor allem für „Stand-alone-Lösungen“, die ohne weitere Komponenten nutzbar sind – so z. B. viele Kunststoffprodukte in Miet- und Kreislaufsystemen der Transport- und Intralogistik. Anders als in linearen Wertschöpfungsmodellen, die eine Maximierung des Outputs und damit der Erlöse verfolgen, resultiert der größte Nutzen durch wiederkehrende Einnahmen aus maximaler Nutzung bei minimalem Ressourceneinsatz. Ein weiterer Vorteil: Wenn die eigenen Produkte oder die aus Branchenlösungen zurückgeführt werden, kann eine weitere Reduzierung der Frischmaterialbedarfe durch Recycling eigener Post-Consumer-Altware erreicht werden. 
Der Recycle-Ansatz hat die vollständige Vernetzung der Wertschö­pfungskette von der Sammlung, Aufbereitung und Verarbeitung, über die Nutzung bis zur Rückführung von Kunststoffprodukten zum Ziel. Der strategische Nutzen daraus: vollständig integrierte Wertschöpfungsketten. Zugleich sind damit aber die größten Anforderungen an Management, Kapitalressourcen und die organisatorische Reife von Unternehmen verbunden. Da die Vernetzung in einer zirkulären Wertschöpfung meist mehrere Unternehmen integriert, müssen diese neben einem hohen Maß an Kooperationsfähigkeit auch hochgradig performante Systeme und Prozesse haben, damit neben den Wertstoffen auch immer die zur Steuerung und Synchronisation notwendigen Informationen fließen. Ergebnis sind dann aber meist profitable, robuste und zukunftsfähige Geschäftsmodelle, in denen gerade die Pionierunternehmen zentrale Positionen besetzen und damit im Verbund auch die Erlösmodelle und das Value Capture kontrollieren.

Umsetzung im Unternehmen
Wer diese Ziele erreichen und attraktive Ansätze adaptieren will, muss notwendigerweise mit der Konkretisierung und Umsetzung im Unternehmen starten – pragmatischerweise entlang einer  Systematik, die der Wertschöpfung und den Gestaltungsfeldern des eigenen Unternehmens folgt. 
Gibt es Alternativen bei den Rohstoffen für Produkte? Verfügt der Einkauf über das notwendige Material-Know-how? Wie steht es um mögliche Bezugsquellen für nachwachsende und Sekundärrohstoffe und entsprechende Kontakte? Lässt die Produktionsinfrastruktur und Verfahrenstechnik eine Verarbeitung von alternativen Rohstoffen zu? Können diese gelagert und in der Produktion effizient bereitgestellt werden?  An identifizierten Schwachstellen setzen dann Maßnahmen an, um den Einstieg in die Kreislaufwirtschaft zu starten. 
Nach gleichem Muster sind dann auch Produktdesign, Mehrwertbeitrag in nachgelagerten Anwendungen bis zum End-of-Life, Herstellung und Verpackungs- und Transportlösungen kritisch zu hinterfragen. Ein letzter Showstopper für die Umsetzung im Tagesgeschäft kann dann noch die digitale Reife von Systemen und Prozessen sein. Auch hier gilt: Grundlegende Hürden beseitigen und dann mit Aufwand-Nutzen-Abwägung die nächsten Schritte umsetzen. Aus den Zielen, dem angestrebten Geschäftsmodell und den Gestaltungshebeln zur Umsetzung im Unternehmen resultiert dann ein individueller Transformationspfad für Unternehmen.
Die Nachhaltigkeitswende in der Kunststoffindustrie ist die fundamentale Transformation in der Wertschöpfung und dem Wirtschaften von Unternehmen in den nächsten Jahren. Die Herausforderung liegt darin, eine Balance zwischen dem heute erfolgreichen Geschäftsmodell, dem Aufbau von Kompetenzen sowie der kreativen und mutigen Gestaltung von neuen Geschäftsmodellen zu finden. Die künftige Positionierung in profitablen Wertschöpfungsstufen in sich verändernden Branchenstrukturen ist die große Chance, die sich für konsequente und innovative Unternehmen daraus ergibt. 

Stephan Hundertmark, Partner der Dr. Wieselhuber & Partner GmbH, München

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