Strategie & Management

Patentschutz auf künstliche Intelligenz?

KI-Erfindungen sind patentierbare „computerimplementierte Erfindungen“, sofern sie zu einer technischen Lösung beitragen

17.08.2022 - Künstliche Intelligenz ist kein Erfinder, entschied das Europäische Patentamt – aber KI-generierte Erfindungen sind patentierbar.

In den letzten Jahren hat die Bedeutung künstlicher Intelligenz (KI) und ihrer potenziellen Anwendungen in verschiedenen technischen Bereichen der Biowissenschaften und des Gesundheitswesens rasant zugenommen. Bei den KI-Erfindungen handelt es sich um patentierbare „computerimplementierte Erfindungen“, sofern sie zu einer technischen Lösung beitragen.

Die Anhäufung großer Datenmengen, die Entwicklung von Algorithmen und die Verbesserung der Rechenkapazität haben die Integration künstlicher Intelligenz in Chemie, Pharma, Biotechnologie und Medizintechnik ermöglicht. Einige Beispiele für KI-Anwendungsbereiche sind Bioinformatik, Biotechnik, Biomechanik, Arzneimittel-Screening, Genomik, medizinische Bildgebung, medizinische Informatik, Neurorobotik, Herstellungsprozesse, Überwachung physiologischer Parameter und das Gesundheitswesen. Die meisten KI-Funktionen in diesen Gebieten sind prädiktive Analytik, Kontrollverfahren und Robotik.
KI-Anwendungen verändern die Arbeitsweise in allen Industriezweigen und lassen interdiszipli­näre Produkte entstehen, für die ein Unternehmen ein Patentmonopol anstrebt. Ein patentiertes technisches Monopol kann es einem Unternehmen ermöglichen, eine marktbeherrschende Stellung einzunehmen und eine Investitionsrendite zu erzielen. Ein Patentmonopol unterliegt jedoch gesetzlichen Regelungen, die die Voraussetzungen für eine Patenterteilung sowie Ausschlusskriterien festlegen. Diese können von Land zu Land unterschiedlich sein. So kann dieselbe KI-basierte Erfindung vom Europäischen Patentamt (EPA) anders bewertet werden als in anderen Gerichtsbarkeiten, z. B. dem United States Patent and Trade­mark Office (USPTO). Unternehmen sollten dies bereits zu Beginn der Entwicklung einer geeigneten Patent-Produkt-Strategie und bei Ausarbeitung der ersten Patentanmeldung berücksichtigen.

Was ist künstliche Intelligenz?
Eine grundlegende Definition für künstliche Intelligenz stammt aus dem Jahr 2004. John McCarthy beschrieb KI als „the science and engineering of making intelligent machines, especially intelligent computer programs. It is related to the similar task of using computers to understand human intelligence, but AI does not have to confine it­self to methods that are biologically observable“. 
Bereits 1950 stellte Alan Turing die Frage, ob Maschinen denken können, und bot einen Test an, bei dem ein menschlicher Befrager versuchen sollte, zwischen der Antwort eines Computers und eines Menschen zu unterscheiden. Turings Aufsatz „Computing Machinery and Intelligence“ gilt als der Ursprung der Diskussion über künstliche Intelligenz.

Künstliche Intelligenz ist kein Erfinder
Infolgedessen wurde in vielen Gerichtsbarkeiten darüber diskutiert, ob eine KI-Maschine, die nicht rechtsfähig ist, als Erfinder benannt werden kann – denn die Benennung eines Erfinders ist eine notwendige Voraussetzung für die Anmeldung eines Patents. Letztlich bestätigte die Juristische Beschwerdekammer des EPA (Entscheidung J 8/20 vom 5. Juli 2022) die sog. „DABUS“-­Entscheidung dahingehend, dass nach dem Europäischen Patent­übereinkommen der Erfinder eine natürliche Person sein muss. Folglich wurde die zugrundeliegende Patentanmeldung zurückgewiesen, worin eine KI als Erfinder benannt war. Das EPA erkennt jedoch KI als einen Zweig der „computerimplementierten Erfindungen“ (CII) an und definiert KI als „die Fähigkeit von Computern und Maschinen, geistige Aufgaben auszuführen, die üblicherweise mit Menschen in Verbindung gebracht werden, wie Lernen, logisches Denken und das Lösen von Problemen“.
Grundsätzlich basiert KI auf einer Vielzahl von Rechenmodellen und Algorithmen abstrakter mathematischer Natur, die als solche von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind. Dieser Ausschluss gilt jedoch nicht, wenn die KI-implementierte Erfindung „technischen Charakter“ hat, d. h., wenn die der KI zugrunde­liegende mathematische Methode wesentlich zur Lösung technischer Probleme auf irgendeinem Gebiet der Technik beiträgt. Es ist zu bedenken, dass die Angabe der technischen Natur der Daten oder der Parameter des mathematischen Modells allein – z. B. der Blutzuckerkonzentration zur einfachen Berechnung der individuellen Insulindosis – nicht ausreicht, um das Erfordernis des „technischen Charakters“ zu erfüllen. 

Patente auf KI-generierte Erfindungen
In einem konkreten Beispiel wenden Blutzuckermessgeräte des Stands der Technik eine solche Formel an, um der Person die richtige Insulindosis für die manuelle Injektion vorzugeben oder durch eine implantierte Insulinpumpe die berechnete Insulindosis automatisch zu injizieren. Beide Verfahren verwenden die zu einem bestimmten Zeitpunkt gemessene Blutzuckerkonzentration zur Bestimmung der Insulindosis. Es wäre jedoch wünschenswert, die Blutzuckerkonzentration kontinuierlich zu messen und eine vorausschauende Blutzuckerkurve zu ermöglichen, um Insulinspitzen zu vermeiden. KI kann dazu beitragen, dieses technische Problem zu lösen. Mit ihr lässt sich die Freisetzung einer geeigneten Insulindosis zum idea­len Zeitpunkt steuern, um einen gesunden Insulinspiegel zu gewährleisten. In diesem Beispiel trägt die KI-gestützte prädiktive Analytik zu einer technischen Lösung bei, die eine patentierbare KI-gestützte „computerimplementierte Erfindung“ ist, sofern sie neu und nicht naheliegend ist. Darüber hinaus muss das Erfordernis eines klaren Wortlauts und einer ausreichenden Offenbarung erfüllt sein, die es dem Fachmann ermöglicht, die technische Lösung zu erkennen und die KI-Erfindung nachzuvollziehen. Diese Anforderung gelten für alle Bereiche der Technik.
Weitere Beispiele für technische Zwecke von KI-Funktionen sind die Verbesserung oder Analyse digitaler Audiodaten oder Bilder, z. B. die Rauschunterdrückung in einem Hörgerät oder die Erkennung von Krebszellen oder Tumoren in einem digitalen Bild, die Ver-/Entschlüsselung oder Signierung elektronischer Kommunikation, z. B. von sensoraufgezeichneten Daten in einem Implantat, die verschlüsselt und an den zuständigen Arzt übermittelt werden, oder die Erstellung einer Genotyp-Vorhersage und Diagnose auf der Grundlage einer Analyse von DNA-Proben. 
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Patente auf allen Gebieten der Technik erteilt werden, sofern technische Lösungen für technische Probleme beschrieben werden, z. B. Optimierung des Ressourceneinsatzes, Reduzierung von Abfallprodukten, Erhöhung der Produktausbeute, Verringerung von Nebenwirkungen oder Bereitstellung wirksamer Impfstoffe. 
Gleiches gilt für Erfindungen, die sich auf KI-gestützte Technologien beziehen, die zu einer breiten Palette unterschiedlicher Verbesserungen in allen Industriezweigen beitragen, sofern nicht nur eine Blackbox beansprucht wird. Wenn die Anwendung der künstlichen Intelligenz klar definiert und die verwendete künstliche Intelligenz hinreichend offenbart ist, wird Neuheit und erfinderische Tätigkeit des mit der künstlichen Intelligenz erzielten technischen Effekts anerkannt.


Anna Katharina Heide und Tanja Bendele, Patentanwältinnen, Ruhr-IP Patentanwälte, Essen

ZUR PERSON

Anna Katharina Heide leitet die Bereiche Life Sciences und Biotech der Kanzlei Ruhr-IP Patentanwälte. Sie ist zugelassene deutsche Patentanwältin sowie European Patent, Design and Trademark Attorney und vertritt etablierte Unternehmen der Life-Sciences-Branche. Einer ihrer Schwerpunkte sind interdisziplinäre Technologien. Die promovierte Biologin ist sowohl stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Biotechnologie der Deutschen Patentanwaltskammer sowie des Business-Netzwerks für Managerinnen in den Life Sciences der Vereinigung Deutsche Biotechnologie-Unternehmen (VBU).

ZUR PERSON

Tanja Bendele ist Gründungspartnerin der Kanzlei Ruhr-IP Patentanwälte und leitet die Bereiche Chemie und Pharmazie sowie die zugehörigen Bereiche Life Sciences, Medizintechnik, 3D-Technik und Verfahrenstechnik. Sie vertritt internationale Konzerne sowie deutsche, mittelständische Unternehmen. Die promovierte Chemikerin ist deutsche Patent­anwältin und European Patent Attorney und studiert E-Technik. Sie ist Vorstandsmitglied der Patentanwaltskammer, Vorsitzende des Ausschusses für Patent- und Gebrauchsmusterrechtgesetz der Patent­anwaltskammer sowie Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR), Bezirksgruppe West.

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