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Pharmaindustrie am Scheideweg

Das Zusammenwirken mehrerer Entwicklungen zwingt Pharmafirmen zum Überdenken ihrer Geschäftsmodelle

26.02.2013 -

Die internationalen Pharmaunternehmen sehen sich seit geraumer Zeit enormen Veränderungen ausgesetzt, die das Markt- sowie das Wettbewerbsumfeld in den nächsten Jahren weiter nachhaltig beeinflussen werden. Auslaufende Patente, abnehmende F&E-Produktivität sowie erhöhte Ausgabenbegrenzungen im Gesundheitswesen hinterlassen heute bereits erste Spuren. Insbesondere das Ende der erfolgreichen „Blockbuster-Ära" stellt die Branche dabei vor wesentliche Herausforderungen.

In den Hauptmärkten Westeuropas werden nach unseren Prognosen (KPMG, 2011, Future Pharma) Medikamente mit einem Wert von bis zu 120 Mrd. € bis 2015 ihren Patentschutz verlieren, ein Großteil des Umsatzes der Pharmaunternehmen.

Generika nehmen einen immer höheren Anteil am Gesamtmarkt ein. Schätzungen von The Economist (2011, World: Healthcare Outlook) gehen davon aus, dass ihr Anteil z.B. in den USA bereits 2014 bei rund 80 % liegen wird. Eine Entwicklung, die die Unternehmen unter enormen Kostendruck setzt. Dieser wird noch durch neue Zulassungsverfahren verstärkt, die deutlich höhere Anforderungen an die Kosteneffizienz von neuen Medikamenten stellen.


Weitere massive Marktveränderungen zieht die Verschiebung der wirtschaftlichen Gewichte in Richtung Asien sowie der Schwellenländer nach sich. Bereits 2011 lag der Anteil dieser Länder am weltweiten Pharmaumsatz erstmals über dem der westeuropäischen Länder. Die damit verbundene veränderte Nachfrage nach Medikamenten erfordert ein angepasstes Produktportfolio. Darüber hinaus muss sich die Pharmaindustrie aber auch den veränderten Bedürfnissen der entwickelten Märkte anpassen. Der demographische Wandel führt dort zu einer alternden Bevölkerung und damit zu einer veränderten Nachfrage nach Medikamenten. Zudem fördert das gestiegene Gesundheitsbewusstsein den Wunsch nach Lifestyle-Präparaten und einer höheren Wirksamkeit von Medikamenten. Die Adaption von Medikamenten an die individuelle DNA des Menschen stellt dabei ein wesentliches neues Produktgebiet für Pharmaunternehmen dar.

Geschäftsmodell auf dem Prüfstand

Die Vielzahl der dargestellten Entwicklungen führt in ihrer Kombination bei den etablierten Pharmaunternehmen sowohl umsatz- als auch kostenseitig dazu, dass diese ihr bisheriges Geschäftsmodell auf den Prüfstand stellen müssen. Bereits jetzt zeichnet sich bei der Betrachtung wesentlicher Kennzahlen ein großer Veränderungsbedarf ab. Gerade im Vergleich zu anderen Industrien wie Konsumgüter oder Hightech hinkt z.B. die Produktivität in der Pharmabranche noch weit hinterher. Während die genannten Industrien in den vergangenen Jahren gewaltige Effizienzfortschritte erzielen konnten, waren diese im Pharmabereich vergleichsweise marginal.

Während die Pharmaindustrie z.B. eine durchschnittliche Produktionsausauslastung von 30-60 % fährt, erreichen die Konsumgüter- und Hightech-Industrie Werte von 80-90 %. Jährliche Produktivitätsverbesserungen im operativen Bereich liegen bei den Medikamentenherstellern bei mageren 2-5 %, während die Konsumgüterindustrie durchaus jährliche Steigerungsraten von 10-12 % vorweisen kann. Kernfrage ist dabei, wie lange sich die etablierten Pharmaunternehmen im wandelnden Marktumfeld noch halten können. In naher Zukunft könnten dynamische neue „Player" bestehende Strukturen aufbrechen und die bisherigen Regeln in der Pharmaindustrie neu definieren. Ähnliche Entwicklungen waren bereits in anderen Industrien zu beobachten.

So konnte z.B. Apple mit seinem Fokus auf Design und Marketing sowie einer schlanken Wertschöpfungskette den Mobiltelefonmarkt revolutionieren.

Veränderungen setzen Pharmafirmen unter Druck

Die Pharmabranche steht am Scheideweg. Die beschriebenen Veränderungen setzen die Arzneimittelhersteller gewaltig unter Druck. Sie sollten die Chance ergreifen, von anderen Industrien zu lernen, in denen vergleichbare Veränderungen bereits stattgefunden haben. Das Management der Pharmaunternehmen sollte sich eingehend mit der Fragestellung auseinandersetzen, inwiefern das bisherige Geschäftsmodell langfristig tragfähig ist und welche Alternativen genutzt werden können, um Marge und Wachstum nachhaltig abzusichern. Dabei sollte sich die Unternehmensführung u.a. mit nachfolgenden Szenarien intensiv auseinandersetzen, um das bisherige Geschäftsmodell intelligent zu erweitern bzw. umzugestalten.

Was wäre, wenn

  • es einem Unternehmen gelingen würde, ein Standardmedikament zu entwickeln, das je nach Kundenwunsch bzw. Marktanforderung lokal angepasst werden könnte (Postponement), so dass sich Einführungszyklen und Bestände drastisch senken ließen?
  • sich spezialisierte Produktionsbetriebe in der Nähe von Krankenhäusern ansiedeln würden, um Medikamente entsprechend der aktuellen Nachfrage zu liefern?
  • ein Unternehmen ein Geschäftsmodell etablierte, das neben der Produktorientierung zusätzliche Dienstleistungen in den Vordergrund rücken würde, um die Kundenkommunikation, Vertriebswege oder auch den Behandlungserfolg zu verbessern?

Greift man den letzten Gedanken auf, so stellt sich die Frage, mit welchen komplementären Leistungen zusätzlicher Nutzen für den Patienten geschaffen werden kann. Die voranschreitende elektronische Vernetzung bietet für die Pharmabranche interessante Potenziale für Erweiterungen des Geschäftsmodells.

Denkbar wären z.B. die Übermittlung digitaler Rezepte sowie die Lieferung der Medikamente zum Patienten nach Hause durch enge Zusammenarbeit mit Apotheken und Ärzten, die automatische Wiederbevorratung von Medikamenten für den Patienten sowie der Aufbau und die Nutzung von innovativen „App"-Services (Erinnerungsfunktion, Kontrollservices für Familienangehörige, etc.) z.B. in Verbindung mit den neuen „Chip in a pill"-Technologien. Gleichzeitig können diese Daten genutzt werden, um für die Kunden ein verbessertes, personalisiertes Angebot zur Verfügung zu stellen (z.B. Angebot komplementärer Lifestyle-Produkte) sowie neue Erkenntnisse zu erlangen, um die Behandlung zu verbessern.

Produktionsmodelle optimieren

Die aufgezeigten Fragestellungen ziehen weitreichende Konsequenzen für alle Funktionsbereiche der Arzneimittelhersteller nach sich und verändern damit grundlegend deren organisatorische Aufstellung.

Vorreiter anderer Industrien haben bereits gezeigt, dass eine Abkehr vom zu starren Klammern an die eigene Produktion förderlich für die eigene Weiterentwicklung ist. So arbeitet ein führendes High-Tech-Unternehmen bereits seit Jahren mit externen Produktionspartnern zusammen und schafft es trotzdem, das geistige Eigentum im Unternehmen zu halten. Für Pharmaunternehmen, die zukünftig neben Produktinnovationen auch Dienstleistungen entwickeln wollen, ergeben sich hierbei wertvolle Anknüpfungspunkte.

Aber auch Pharmaunternehmen, die weiterhin im klassischen Sinne forschungsorientiert am Markt agieren, sollten sich mit Veränderungen im Produktionsbereich auseinandersetzen. Seit Jahren arbeiten die Konsumgüter- sowie Hightech-Industrie mit großem Erfolg daran, bestehende Produktionsmodelle zu optimieren und interne Abläufe zu verfeinern (Plattformstrategie, Six Sigma, etc.). Mit verstärktem Aufbau derartiger Kompetenz könnte die Pharmaindustrie ihre Produktivität überdurchschnittlich steigern.

Verwaltungsfunktionen verschlanken

Mit verwandten Fragestellungen wird man sich auch in den Verwaltungsbereichen beschäftigen müssen. Hier stellt sich die Frage, wie die zukünftige Verwaltungsorganisation noch schlanker und effektiver aufgestellt werden kann. Ein Kernelement wird sicherlich die Identifikation von Prozessen darstellen, die vereinheitlicht und gebündelt werden können.

Darüber hinaus ist auch zu prüfen, inwieweit ganze Funktionsbereiche an Dienstleister ausgelagert werden können. Erste Versuche in Richtung Verschlankung dezentraler Verwaltungsfunktionen wurden angestoßen. So sind Shared Service Center in den Bereichen Finanzen und IT heute schon etabliert. Als branchenübergreifender Vorreiter kann hier Procter & Gamble angesehen werden. Hier wurde bereits im Jahre 2003 begonnen die Verwaltungsfunktionen (Finanzen, IT, HR, Market Research, etc.) als eigenständigen Unternehmensteil zu führen. Eine Kombination aus Bündelung und Outsourcing an externe Dienstleister hat zu deutlichen Einsparungen geführt.

Erfolgsmodelle

Die Marktentwicklungen werden zu starken Veränderungen im Pharmabereich führen. In den nächsten Jahren wird es insbesondere darauf ankommen, dass es den Pharmaunternehmen besser gelingt, den Wert ihrer Arzneimittel und Serviceleistungen bei den Krankenversicherern und Patienten nachhaltig zu verankern und dabei ihr Unternehmensmodell umzustellen.

Zu den erfolgreichsten Pharmaunternehmen in den nächsten Jahren werden diejenigen gehören, die entweder ihr Geschäftsmodell weiter spezialisiert haben und sich auf bestimmte Behandlungsbereiche, Gesundheits(informations)leistungen sowie Kernkompetenzen konzentrieren oder breit diversifizierte Unternehmen, die in der Gesundheitswirtschaft ein höheres Gewicht einnehmen. Dabei spielt es eine entscheidende Rolle, sich schneller als der Wettbewerb mit den Marktumwälzungen auseinanderzusetzen, mit neuen Geschäftsmodellen zu experimentieren sowie die eigene Organisation auf den bevorstehenden Wandel einzuschwören. Unternehmen, die an ihrem traditionellen Geschäftsmodell (zu lange) festhalten, werden zu den Verlierern zählen.

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