Anlagenbau & Prozesstechnik

Power-to-X-Technologien und die Sektorenkopplung

VDI Richtlinienreihe definiert und standardisiert technische Parameter der PtX-Kette

26.01.2022 - Aufgrund der Volatilität im Angebot der erneuerbaren Energien steigen die Flexibilitätsanforderungen insbesondere im Bereich der Stromerzeugung und -nutzung enorm.

Im Rahmen der Energiewende werden zunehmend erneuerbare Energiequellen zur Bereitstellung von Strom und Wärme eingesetzt. Aufgrund der Volatilität im Angebot der erneuerbaren Energien steigen die Flexibilitätsanforderungen insbesondere im Bereich der Stromerzeugung und -nutzung enorm. Im Vordergrund steht dabei immer die Anpassung von Erzeugereinheiten an die unterschiedlichen Bedarfe. Wasserstoff wird eine wichtige Rolle dabei spielen. Die gute Nachricht: Unsere Gasleitungen sind für Wasserstoffbetrieb geeignet.

Kaum habe ich die Kaffeemaschine eingeschaltet, schiebt sich eine Wolke vor die Sonne und die Leistung meiner frisch installierten Solaranlage geht schlagartig zurück – die bestellte Speicherbatterie ist wegen Lieferproblemen noch nicht installiert. Mein Kaffee wird trotzdem zubereitet, da mein freundlicher Energieversorger sofort einspringt und mir die benötigte Energie zur Verfügung stellt; nicht anders hatte ich es erwartet. Was für mich und meine Kaffeezubereitung wichtig ist, nämlich die Versorgungssicherheit mit elektrischer Energie, gilt in viel größerem Maße natürlich auch für die Sektoren Industrie, Verkehr sowie Gewerbe, Handel und Dienstleistungen. Sinnvoll ist es, bei der Versorgung über alle Sektorengrenzen hinweg zu denken und zu handeln. Der Kopplungseffekt kann sich auf die gemeinsame Bereitstellung von Energieformen (z.B. Strom, Wärme, mechanische Energie) und/oder Produkten (z.B. Kraftstoffe, Brennstoffe, Chemikalien) oder auf die Handhabung dieser Energieformen/Produkte (Speichern, Management, Markt­regulierung etc.) beziehen.

Um gemeinsame Begrifflichkeiten zu definieren und Doppelarbeit und vor allem Widersprüche in technischen Regelwerken zu vermeiden, arbeitet der VDI an der Richtlinienreihe VDI 4635 „Power-to-X“ (PtX) und hat dazu auch den Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW), die Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie (Dechema) und die Arbeitsgemeinschaft Fernwärme (AGFW) eingebunden. Auch Vertreter von TÜV Süd Industrie Service und TÜV Rheinland Industrie Service unterstützen die Richtlinienarbeit mit ihrer Expertise im Bereich Genehmigungen, Sicherheit und Inbetriebnahme. Die jetzt erschienene VDI-Agenda „Power-to-X-Technologien für die Sektorenkopplung“ informiert über die umfangreichen Aktivitäten im Rahmen der Richtlinienreihe PtX.

Power-to-X-Technologien

Durch die Interdisziplinarität des Fachgebiets und die teils noch jungen Technologien existiert noch kein einheitliches System zur Vergleichbarkeit bezüglich Mess- und Nachweismethoden oder der Angabe und Bezeichnung von Systemparametern.
Darum betrachtet der Richtlinien­ausschuss VDI 4635 PtX alle Einzelprozesse und alle Prozessketten von PtX, um Anlagen und einzelne Prozesse miteinander vergleichen zu können. Damit werden insbesondere auch Aspekte der Planung, Auslegung, Inbetriebnahme und Betrieb, Genehmigungs- und Sicherheitsfragen sowie systemische Aspekte adressiert. Die Richtlinienreihe Power-­to-X ist als Baukastensystem mit mehreren Teilen vorgesehen, wobei X für die Komponenten Gas, Liquid, Solids oder Heat steht. Dabei werden nicht nur die eigentlichen Umwandlungspfade (PtX) behandelt, sondern auch die jeweils relevanten Technologien sowie die erforderlichen Komponenten. Martin Thema, Inhaber des Ingenieurbüro Thema, betont: „Die Regelsetzung im Themenfeld Power-to-X bringt beteiligte Fachdisziplinen, Unternehmen und Institutionen an einen Tisch, erzeugt dadurch Synergieeffekte, bündelt und strukturiert bestehendes Know-how. Durch den Normungsprozess wird Transparenz und Klarheit geschaffen, welche den PtX-Technologien nicht zuletzt auch mehr politisches Gewicht verleihen und so ihre Anwendung als wichtige Bausteine der Energiewende fördern werden.“ Derzeit werden die Einzelprozesse Wasserstofferzeugung durch Elektrolyse, Bereitstellung von Kohlenstoffoxiden, Methanisierung, Erzeugung flüssiger Kohlenwasserstoffe, Ammoniaksynthese und systemische Aspekte von PtX-Anlagen im Detail betrachtet.

 

Rolf Bank © MAN  Rolf Bank, Head of Process Development, MAN Energy Solutions

„Durch die Standardisierung der Schnittstellen lassen sich Lösungsvorschläge kostengünstig und transparent optimieren.“

 

Technologien der Sektorenkopplung

Zur Umsetzung und Realisierung der Sektorenkopplung werden verschiedene Technologien eingesetzt wie die Kraft-Wärme-Kopplung, Power-to-Mobility (z.B. batteriebetriebene Fahrzeuge) und insbesondere Power-to-Gas/Liquid/Solid/Fuel/Heat/Chemicals. Deutschland ist ein Vorreiter im Bereich „Power-­to-X“, insbesondere in Bezug auf Wasserstoff und Methan.

Mittelfristig ist die Nutzung dieser Technologien insbesondere von den Kostendegressionen der Anlagen, vom CO2-Preis und der Nutzung alternativer Flexibilitätsoptionen (Netzausbau, Batteriespeicher, Lastmanagement) abhängig. Langfristig ist Power-to-X als fester Bestandteil des Energiesystems einzuordnen. Rolf Bank, Deputy Site Manager und Head of Process Development bei MAN Energy Solutions äußert sich dazu: „PtX ermöglicht den Abgleich zwischen Energieangebot und –bedarf in allen Lebensbereichen. Nur durch eine Standardisierung der Schnittstellen lassen sich Lösungsvorschläge kostengünstig, schnell und transparent optimieren und vergleichen.“

Um die globale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu sichern, müssen weitere Entwicklungen zur Bewertung, Integration und Umsetzung von PtX-Anlagen zielorientiert geführt und gebündelt werden. In diesem Kontext ist es wichtig, die positiven Effekte der Normung in den Prozess einzubeziehen und voll auszuschöpfen. Das Aufstellen von Regeln, die Standardisierung von Prozessen und Abläufen erleichtern Arbeit und Verständigung in Unternehmen, Wissenschaft und Genehmigungsbehörden. Normen sind die Sprache der Technik und dienen der Vereinheitlichung von Anforderungen an materielle und immaterielle Güter. Damit schaffen sie Vergleichbarkeit und erleichtern die Marktdurchdringung, da ein Waren- und Dienstleistungsverkehr im globalen Handelsnetzwerk nur mit Festlegungen funktioniert.

Power-to-X in der VDI-Regelsetzung

PtX-Anlagen stellen eine lastseitige Flexibilitätsoption dar, die umso wichtiger wird, je höher der Anteil der volatilen regenerativen Energien in der Energieversorgung ist. Durch die Interdisziplinarität des Fachgebiets und die teils noch jungen Technologien existiert noch kein einheitliches System zur Vergleichbarkeit bezüglich Mess- und Nachweismethoden oder der Angabe und Bezeichnung von Systemparametern.

Ausgehend von diesen Überlegungen entschied der Richtlinienausschuss VDI 4635, alle Einzelprozesse und alle Prozessketten von PtX zu betrachten. In der Richtlinienreihe VDI 4635 werden daher insbesondere die technischen Parameter der verschiedenen Prozesse der PtX-Kette definiert und standardisiert, damit Anlagen und einzelne Prozesse miteinander verglichen werden können. Außerdem werden Aspekte der Planung, Auslegung, Inbetriebnahme und Betrieb, Genehmigungs- und Sicherheitsfragen sowie systemische Aspekte adressiert. Die Richtlinienreihe ist als Baukastensystem mit mehreren Teilen vorgesehen; bei „Systemische Aspekte“ werden besonders die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Prozessen von PtX-Anlagen (Methanisierung, Wasserstofferzeugung, CO2-Bereitstellung etc.) verdeutlicht und vereinheitlicht, sodass die Prozesse zueinander passen. Wichtig sind dabei die jeweiligen Systemgrenzen und -parameter aus den einzelnen Modulen sowie die Übergabeparameter an den Schnittstellen.

 

© IB Thema  Martin Thema, Ingenieurbüro Thema

„Die Regelsetzung im Themenfeld Power-to-X bringt beteiligte Fachdisziplinen, Unternehmen und Institutionen an einen Tisch.“

 

Wasserstoff und Methan

Die Produkte aus PtX-Anlagen können als Kurzzeitspeicher (z.B. Power-to-Heat) oder als Langzeitspeicher eingesetzt werden. Oft ist Wasserstoff die Basis für die PtX-Prozesskette. Der sog. grüne Wassersstoff wird hauptsächlich aus der Wasserelektrolyse gewonnen, welche mit regenerativ erzeugtem Strom betrieben wird. Aus einer anschließenden Reaktion von Wasserstoff mit Kohlenstoffdioxid oder Stickstoff entstehen im Anschluss bspw. Methan oder Ammoniak, die durch Nutzung verschiedener Pfade vielfältig eingesetzt werden können.

Die VDI-Richtlinie „Bereitstellung von Wasserstoff durch Elektrolyse“ beschreibt die Nutzung elektrischer Energie zur elektrolytischen Wasserspaltung und zeigt Systemgrenzen sowie System- und Kostenparameter auf, die für die Beschreibung von Wasserelektrolyseanlagen relevant sind. Die wichtigsten Grundlagen zum Verständnis der drei verfügbaren Technologien alkalische Elektrolyse, Polymer-Elek­trolyt-Membran(PEM)-Elektrolyse und Hochtemperaturelektrolyse werden erläutert.

Die Richtlinie „Methanisierung“ definiert Systemgrenzen sowie Prozess-, System- und Kostenparameter für Methanisierungsanlagen in den beiden energietechnisch relevanten Nutzungspfaden der biologische Methanisierung mittels methanogenen Archaeen und der chemischen Methanisierung (Sabatier-Prozess). Steffen Schirrmeister, Principal Engineer Technology Development bei Thyssenkrupp Industrial Solutions, erläutert dazu: „Normen und Regeln sind die Sprache der Technik und dienen der Vereinheitlichung und Standardisierung von Prozessen und Abläufen. Sie erleichtern die Arbeit und Verständigung in Unternehmen, Wissenschaft und Genehmigungsbehörden. Mit der Verabschiedung unseres Blattes zur Methanisierung in den Gründruck haben wir im Rahmen der Erstellung der VDI Richtlinie 4635 einen ersten Schritt in die Öffentlichkeit getan.“

Gasleitungen für Wasserstoff geeignet

Die gute Nachricht zum Beginn des Jahres 2022: In 16 europäischen Ländern sind 96 % der Gasleitungen materialseitig für die Umstellung auf Wasserstoff geeignet. Das zeigt ein Bericht des Projekts Ready4H2, an dem 90 europäische Gasversorger aus 16 Ländern sowie mehrere Europäische Verbände beteiligt sind. Die Zahlen der Gas-Wasser-Statistik des DVGW bestätigen dieses hohe Niveau auch für die deutschen Verteilnetzleitungen. Peter Kristensen, Vorsitzender von Ready4H2, sagt: „Die Leitungen sind fast vollständig wasserstofffähig. Wir werden die Gasverteilnetze in der Europäischen Union ohne größere Eingriffe zu einer Versorgungsinfrastruktur für klimaneutralen Wasserstoff transformieren können.“ Und Florian Feller, Leiter Klimastrategie & politische Arbeit bei Erdgas Schwaben und Vorsitzender von H2vorOrt, ergänzt: „Auch in Deutschland sind die über 522.000 Leitungskilometer der Gasverteilnetze eine tragende Säule für den Erfolg der Energiewende und den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft.“ Um die Gasverteilnetze auf Wasserstoff umzustellen, gibt es aber auch noch ein paar Hindernisse zu überwinden, zu denen neben wenigen technologischen Herausforderungen eine Reihe marktwirtschaftlicher und regulatorischer Hindernisse gehören.

 

(Bild: F.Feller)  Florian Feller, Leiter Klimastrategie, Erdgas Schwaben und VV von H2vorOrt

„Die deutschen Gasverteilnetze sind eine tragende Säule für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft.“

 

Autor: Volker Oestreich, CHEManager

 

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