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Schnelles Screening allein reicht nicht für mehr Effizienz in der Katalyseforschung

HTE – The High Throughput Experimentation Company macht Materialforschung produktiver

21.02.2024 - Schnelles Screening allein reicht nicht für mehr Effizienz in der Katalyseforschung. Es gilt, den gesamten Forschungsprozess zu optimieren. Hier liegt das besondere Know-how des Heidelberger Unternehmens HTE.

Das vor 25 Jahren gegründete Unternehmen beschäftigt heute 350 Mitarbeitende, ist Teil der weltweiten Forschung von BASF und zugleich Weltmarktführer auf dem Gebiet der Katalyseforschung mit Hochdurchsatzmethoden. Andrea Gruß sprach mit CEO Wolfram Stichert über den Weg von HTE – The High Throughput Experimentation Company vom Start-up zum Hidden Champion.

CHEManager: Herr Stichert, Sie gehören zum Gründerteam von HTE. Wie kam es zur Gründung des Unternehmens vor 25 Jahren?

Wolfram Stichert: Die Idee zur Gründung einer Firma für Hochdurchsatz-Katalyseforschung entstand bereits Mitte der 1990er Jahre bei einer Promotionsfeier an der Universität Frankfurt im Arbeitskreis von Ferdi Schüth, Ideengeber und Mitgründer von HTE sowie heutiger Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden neue Katalysatoren im Grunde genauso erforscht wie 100 Jahre zuvor: Der Katalysator wurde hergestellt und zum Beispiel zwei Wochen lang in großen Rohren getestet. Nach Adam Riese lassen sich in diesem Fall gerade einmal 26 Materialien pro Jahr testen. Das war hochgradig ineffizient, wenn man neue Katalysatormaterialien finden möchte. Denn insgesamt bilden allein 53 Elemente stabile Oxide. Kombiniert man diese miteinander, lassen sich mannigfaltige Katalysatoren herstellen. Bereits wenige Monate später hatten meine Kollegen Armin Brenner, Stephan A. Schunk und ich den Prototyp eines Parallel­reaktors entwickelt, mit dem wir 16 heterogene Katalysatoren für die Umsetzung von Kohlenmonoxid zu Kohlendioxid gleichzeitig testen konnten. Auf dieser Entwicklung basierte die Gründung von HTE – The High Through­put Experimentation Company im März 1999.

Die Hürden für erfolgreiche Technologiegründungen in der Chemie liegen hoch. In welchem Umfeld ging HTE an den Start?

W. Stichert: Unsere Dienstleistung richtet sich an einen eher konservativen Markt mit entsprechend denkenden Unternehmen. Doch der Zeitpunkt der Gründung in der Dotcom-Blase war günstig. Es gab eine hohe Technologieoffenheit. Ideen, die neue Technologien mit Software kombinierten, hatten plötzlich völlig neue Chancen am Markt. Das 1994 in den USA gegründete Unternehmen Symyx schloss Ende der 1990er Multimillionen-Verträge mit Bayer und Hoechst im Bereich der Hochdurchsatzanalyse ab.

Das ließ den Markt aufhorchen und kam auch uns zugute. Wenige Monate nach der Gründung schlossen wir im Juli 1999 eine Kooperation mit BASF über fünf Jahre. Der Konzern beauftragte uns mit der Ausarbeitung geeigneter Verfahren, um die Entwicklung von neuen Katalysatoren zu beschleunigen. Im Jahr 2000 starteten weitere Fünfjahresverträge mit Chevron und Solvay. So benötigten wir nahezu kein Startkapital zur Gründung – ein Sechser im Lotto.
Schwieriger war dagegen das Umfeld für die Finanzierung unseres Entwicklungsbedarfs Anfang der 2000er Jahre, nach dem Platzen der Dotcom-Blase und Nine Eleven. Im Jahr 2003 konnten wir 3i als Investor gewinnen. Es war das erste Investment für den größten europäischen Venture Capital Investor nach 18 Monaten. Darüber hinaus investierte BASF Venture Capital und die L-Bank in HTE.

Das spricht für Ihr Geschäftsmodell. Was unterscheidet High Through­put Experimentation von anderen Hochdurchsatztechnologien?

W. Stichert: High Throughput Experimentation steht für die Gesamtheit der Effizienzsteigerung von Forschung, und zwar über den gesamten Forschungszyklus hinweg – angefangen von der Planung der Experimente, der Materialsynthese über das Testen, die Probenlogistik und Datenanalyse bis hin zum Reporting. Dieser Gesamtkreislauf wird High Through­put Experimentation genannt. Während Hochdurchsatz-Screening nur einen Schritt, das Testen, umfasst.

 

„Unser Anspruch ist es, den gesamten Forschungsprozess zu beschleunigen.“

 


Unser Ziel sind Experimente mit hoher Qualität und Präzision. Dadurch sind wir zwar langsamer als es mit anderen Ansätzen möglich wäre, aber erfolgreicher. Durch schnelles, oberflächliches Screening lassen sich zwar in kurzer Zeit 1.000 Hits generieren, aber dann dauert es eventuell fünf Jahre, um diese aufzuarbeiten. Deshalb hat sich der Ansatz am Markt auch langfristig nicht durchgesetzt. Unser Anspruch ist es, den gesamten Forschungsprozess zu beschleunigen. Dazu müssen wir alle Prozessschritte betrachten. Das De-Bottlenecking nur eines Prozessschrittes reicht nicht aus, da es andere geben könnte, die für den Gesamtprozess einen vergleichbaren Engpass darstellen könnten.

Wo liegt die besondere Kompetenz von HTE?

W. Stichert: Wir bieten unseren Kunden eine vergleichbare Informationstiefe, die sie auch bei ihren eigenen Versuchen auf Laborebene und im großtechnischen Maßstab erhalten, nur schneller und parallelisiert. Um dies zu erreichen, muss man in der Lage sein, einen chemischen Prozess komplett zu verstehen und im kleinen Maßstab verlässlich nachzustellen. Das heißt, die Reaktion wird zum Beispiel in einem Rohr mit wenigen Millimeter Durchmesser mit den gleichen Ergebnissen gefahren wie in einem großen Reaktor.

 

 

„Hochdurchsatzforschung ist vor allem auch Digitalisierung.“

 

 

Gelingt dies, folgt in einem weiteren Schritt die Parallelisierung. Hierbei müssen zum Beispiel Druck- oder Temperaturunterschiede und Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Reaktoren eliminiert werden. Bei den parallelen Versuchen entstehen riesige Datenmengen, die verwaltet und ausgewertet werden müssen. Die Herausforderung dabei ist, die relevanten experimentellen Parameter in eine Datenbank zu überführen. Hochdurchsatzforschung ist vor allem auch Digitalisierung.

Wie unterstützen Sie Ihre Kunden?

W. Stichert: Wir bieten ihnen ein breites Angebot an Labor R&D Workflows für die Katalysator- und Materialforschung sowie die Prozessentwicklung. Viele unserer Kunden stellen ihre Katalysatoren selbst her oder nutzen verfügbare kommerzielle Materialien. Wir vereinbaren dann vertraglich, dass wir uns die Zusammensetzung nicht ansehen und erhalten Proben anonymisiert als A, B, C, D und E. Oft ist auch ein Benchmark dabei, das heißt, Probe C ist zum Beispiel identisch zu E. Unser Auftrag ist zu testen, welcher Katalysator am besten wirkt, und wir liefern den Datensatz mit unseren Ergebnissen an den Kunden zurück. Natürlich beraten wir auch zur Umsetzung der Tests. Das ist ein mögliches Geschäftsmodell. Als Technologieanbieter konstruieren und bauen wir aber auch Testanlagen und implementieren diese weltweit bei unseren Kunden. Oder unsere Kunden betreiben diese Anlagen gemeinsam mit uns hier am Standort, wie zum Beispiel der SABIC-Konzern, der über viele Jahre eine ganze Etage bei HTE nutzte.

Welche Unternehmen zählen zu Ihren Kunden?

W. Stichert: Kunden unseres Kerngeschäfts sind Öl- und Gasunternehmen, Raffinerien, Chemiekonzerne und Hersteller von Katalysatoren. Auf der Liste der größten Öl- und Gasunternehmen müssen Sie weit heruntergehen, um auf einen Nicht-Kunden von HTE zu stoßen. In diesem Markt sind wir sehr gut aufgestellt, ebenso wie bei den Raffinerien. Das liegt daran, dass unsere Hochdurchsatztechnologie für Hochdruckprozesse wie Hydrierung, Hydrocracken oder Hydro­treating besonders gut geeignet ist. Benchmark-Tests kommerzieller Raffineriekatalysatoren können zu höheren Ausbeuten beitragen – bereits weniger als 1 % mehr an Produkt führt in Raffinerien zu höheren Einnahmen im Millionen-Euro-Bereich.

Wie ist HTE heute aufgestellt?

W. Stichert: Wir sind seit dem Jahr 2008 ein 100 %iges Tochterunternehmen von BASF. Mit unseren 350 Mitarbeitenden repräsentieren wir 10 % der Zentralforschung des Konzerns. Dabei agieren wir als eigenständiges, mittelständisches Unternehmen. Wir haben zum Beispiel ein eigenes ERP-System, eine eigene Webseite und ein eigenes Recruiting. Unsere IT ist durch eine Firewall von der des Mutterkonzerns getrennt. Das erhöht zum einen die Glaubwürdigkeit gegenüber unseren Kunden. Die mittelständischen Strukturen sind aber auch Voraussetzung, dass wir in unseren Märkten der Auftragsforschung und im Anlagenbau erfolgreich agieren können.

Wo liegen die Wachstumstreiber Ihres Geschäfts?

W. Stichert: Neben den Themen Carbon Management, Kreislaufwirtschaft und erneuerbare Einsatzstoffe zählen hierzu vor allem unsere neuen Geschäftsfelder für Batteriematerialien und Elektrokatalyse. Wir testen die Vorläufer von Kathodenmaterialien, fällen und kalzinieren sie und testen die fertigen Kathodenmaterialien in einer Batterie.

 

"Mit unseren Lösungen leisten wir einen Beitrag zur effizienteren F&E von Technologien für eine Net-Zero-Zukunft."

 

Die Leistungsfähigkeit von Batteriematerialien in einer Zelle wird durch das Zusammenspiel zahlreicher voneinander abhängiger Parameter bestimmt. Mit unseren Lösungen leisten wir einen Beitrag zur effizienteren Forschung und Entwicklung von Technologien für eine Net-Zero-Zukunft. Ein weiteres wichtiges Feld ist die Elektrokatalyse. Die elektrolytische Herstellung grünen Wasserstoffs durch Solar­energie ist ein großes Thema. Aber es gibt auch andere elektrochemische Prozesse, wie die elektrolytische Umsetzung von CO2 oder die Herstellung von Chemikalien, die früher betriebswirtschaftlich aufgrund der Stromkosten nicht relevant waren, aber künftig wegen der höheren und dezentralen Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien an Bedeutung gewinnen.

Welche wirtschaftliche Bedeutung haben Katalysatoren?

W. Stichert: 90 % aller relevanten chemischen Erzeugnisse durchlaufen irgendwann in ihrer Wertschöpfung einen katalytischen Prozess. Der Weltmarkt für Katalysatoren hat ein Volumen von 30 bis 40 Mrd. USD. Die Wertschöpfung, die mit Katalysatoren erzeugt wird, liegt jedoch um ein Vielfaches höher und wird auf größer 1 % des weltweiten GDP geschätzt. Nicht zu unterschätzen ist auch der gesellschaftliche Beitrag der Katalyse im Klimaschutz. Das American Enterprise Institute hat im Jahr 2021 geschätzt, dass 50% der Emissionseinsparungen, die wir benötigen, um unser Klimaziel im Jahr 2050 zu erreichen, durch Technologien erzielt werden müssen, die es heute kommerziell noch gar nicht gibt. Unter diesen neuen Technologien sind auch viele neue Prozesse. Hier können wir bei HTE mit unseren Leistungen, zum Beispiel beim Thema Carbon Management, einen großen gesellschaftlichen Beitrag leisten.

Den Prozess der Gründung haben wir bereits beleuchtet. Wenn Sie auf den weiteren Verlauf der 25-jährigen Firmengeschichte blicken, was waren wichtige Meilensteine in der Entwicklung von HTE?

W. Stichert: Der Einstieg des Venture Capital Investors im Jahr 2003 hat unser Unternehmen verändert und wesentlich zu unserer Professionalisierung beigetragen. Ein ähnlicher Einschnitt war der Verkauf an BASF im Jahr 2008, der nicht nur unsere Finanzkraft gestärkt hat. Die Nominierung zum Zukunftspreis im Jahr 2010 hat uns eine hohe Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit, aber auch bei unseren Kunden, gebracht. Einen wichtigen Beitrag zu unserem Wachstum brachte das bereits genannte SABIC-Projekt. Weitere Weichen für künftiges Wachstum haben wir in den vergangenen Jahren durch die neuen Geschäftsfelder Batterien und Elektrokatalyse gestellt.

Worauf sind Sie stolz?

W. Stichert: Auf unsere Resilienz. Ob Nine Eleven, die Finanzkrise 2008/2009 oder die Coronakrise – HTE war in jeder dieser Phasen stabil aufgestellt und ging gestärkt aus der Krise hervor. Dabei hatten wir gerade in den vergangenen Jahren mit einer Dreifachbelastung zu kämpfen. Während Corona waren Kundenbesuche nicht und Auftragsforschung aufgrund gekürzter Forschungsbudgets kaum möglich. Der negative Ölpreis belastete unser Geschäft mit der Öl- und Gasindustrie. Hinzu kam die Strategieänderung eines Großkunden. Wir haben die Krise genutzt, um uns neu zu erfinden. Heute sind wir kunden- und anwendungsseitig breiter aufgestellt und haben neue Wachstumsfelder, wie das Batteriegeschäft, erschlossen. Auf diesen Erfolgen wollen wir aufbauen und weiter wachsen.

An Ihrem Standort in Heidelberg?

W. Stichert: Ja, Heidelberg ist ein attraktiver Standort. Hier haben wir 1999 mit zwölf Mitarbeitenden begonnen; heute beschäftigen wir rund 350 Personen am Standort. Im Jahr 2004 konnten wir zu günstigen Konditionen und mit Unterstützung unserer Investoren das Kerngrundstück unseres Standorts erwerben, ein weiteres Grundstück kam 2010 dazu. Ein Glücksfall: Die insgesamt 20.000 m2 Grund bieten Potenzial für Büros für bis zu 700 Mitarbeitende sowie weitere große Laborgebäude.

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ZUR PERSON
Wolfram Stichert gehört zum Gründungsteam von HTE. Er war zwischen 2003 und 2012 Finanzvorstand und ist seit 2013 Geschäftsführer (CEO) des Unternehmens. Stichert studierte Chemie und Wirtschaftswissenschaften und promovierte im Jahr 1999 an der Universität Frankfurt. 2001 wurde er mit dem Wissenschaftspreis des Stiftungsverbands der deutschen Wissenschaft und Wirtschaft für die erfolgreiche Symbiose von Wissenschaft und Wirtschaft ausgezeichnet. Seit Dezember 2019 ist er Vorstandsmitglied und Schatzmeister der Dechema.

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