Strategie & Management

Vom Branntwein zur Spezialchemie

Erfolgreich in der Nische: L. Brüggemann feiert 150-jähriges Firmenjubiläum

07.08.2018 -

Seit der Gründung vor 150 Jahren befindet sich das Heilbronner Unternehmen L. Brüggemann in Familienbesitz. Heute beschäftigt die Gruppe über 200 Mitarbeiter und erzielt weltweit einen Umsatz von 130 Mio. EUR mit der Produktion von hochreinen Alkoholen und Spezialchemikalien, wie Reduktionsmitteln, Zinkderivaten und Kunststoffadditiven. Andrea Gruß sprach mit den Brüggemann-Geschäftsführern Joachim Hofmann und Josef Berghofer über die Geschichte und Zukunftspläne des Unternehmens.

CHEManager: Wo liegen die Wurzeln der Brüggemann-Gruppe?

J. Hofmann: Die Firma Brüggemann wurde 1868 in Heilbronn gegründet. Keimzelle des Unternehmens war die Produktion von Alkohol. Louis Brüggemann, Sohn eines Müllers aus Hessen und Firmengründer, hatte eine Methode entwickelt, um aus Melasse-Rückständen von Zuckerfabriken Rohspiritus herzustellen, der gereinigt als „Feinsprit“ verkauft werden konnte. Nach Wegfall des Reichsmonopols für Branntwein gab das Unternehmen die Melasse-Brennerei auf, spezialisierte sich auf die Reinigung von Rohspriten und stellte Alkohole für pharmazeutische, kosmetische und technische Anwendungen her, eines von drei Standbeinen unseres heutigen Geschäfts.

Wann erfolgte der Einstieg ins Chemiegeschäft?

J. Berghofer: Ab den 1920er Jahren visierte Brüggemann die chemische Industrie als Markt an. Der Durchbruch gelang 1926 als das Patent für Natriumhydroxymethansulfinat auslief, ein Reduktionsmittel, das damals in der Textilindustrie zur Verarbeitung synthetischer Farbstoffe stark gefragt war. Brüggemann begann mit der Produktion des Sulfinsäurederivats und vermarktete es unter dem Namen Brüggolit – ein Nischenprodukt mit dem wir noch heute erfolgreich sind. Wir sind heute der einzige westliche Hersteller dieser Chemikalie.

Weil dieses Produkt auf der Basis von Zink hergestellt wird, wurde damals zusätzlich eine Produktion für Zinkderivate aufgebaut. Noch heute sind hochaktive Zinkderivate und Reduktionsmittel die Basis für unser Industriechemikaliengeschäft. Die Reduktionsmittel werden jedoch weniger in der Textilindustrie, sondern vor allem als Polymerisationsstarter bei der Herstellung von Emulsionspolymeren, zum Beispiel für wasserbasierte Klebstoffe, eingesetzt.

Neben Alkoholen und Industriechemikalien bildet das Geschäft mit Kunststoffadditiven heute die dritte Säule der Brüggemann-Gruppe. Wie kam es dazu?

J. Berghofer: Ähnlich wie synthetische Farbstoffe um 1900 gewannen Kunststoffe ab Mitte des vergangenen Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung. Initiator für den Einstieg in das Kunststoffgeschäft bei Brüggemann in den 1970er Jahren waren neue Additive eines Chemikers, dessen Ideen in der Großchemie nicht aufgegriffen wurden, und der einen Partner suchte. Brüggemann investierte in die Herstellung dieser Additive und startete mit der Produktion von Polyamid-Additiven in Heilbronn. Aus der Lohnfertigung für den ersten Kunden entwickelte sich unser heutiges drittes Geschäftsfeld: die Herstellung von Additiven für Hochleistungskunststoffe. Eine weitere Marktnische, die aufgrund kleiner Volumina sowie hoher Spezialisierung sehr gut zu uns passt. Denn sobald ein Markt zu groß wird, steht der Mittelstand im Wettbewerb mit Großunternehmen und kann nur schwer bestehen.

Können Sie ein Beispiel für einen Markt nennen, der zu groß für Sie ist?

J. Hofmann: Beim Bioethanol haben wir diese Erfahrung gemacht. Als vor etwa zehn Jahren der Biokraftstoff E85 in Deutschland aufkam, herrschte Goldgräberstimmung in der Branche. Brüggemann hat damals die erste E85-Tankstelle beliefert und auch ein mit Bioethanol betriebenes Rennauto auf dem Nürburgring unterstützt. Als ich jedoch das erste Mal eine Raffinerie besuchte und von Hektolitern sprach, während die Betreiber von Kilotonnen redeten, wurde mit klar: Das Geschäft passt nicht zu uns. Der Markt für Biokraftkraftstoffe hat sich zu dieser Zeit disruptiv verändert und ist heute in der Hand von großen Bioethanol-Produzenten. Wir betätigen uns daher nicht mehr im Energiebereich, sondern konzentrieren uns auf Alkohole als Rohstoffe.

Für welche Produkte dienen Ihre Alkohole als Rohstoff?

J. Hofmann: Alkohole von Brüggemann finden Sie zum Beispiel in Spirituosen, Aromen, Desinfektionsmitteln, Kosmetika und Medikamenten. Sie sind neutral und analytisch rein und deshalb die perfekte Basis für viele Anwendungen in der Lebensmittelindustrie. Wir liefern auch sortenreine Alkohole, zum Beispiel Weizen-, Roggen- oder Obstalkohol oder Alkohol, der aus kontrolliert biologisch angebauten Feldfrüchten hergestellt wird, für Bio-Produkte oder Naturkosmetika.

Wir sind GMP-zertifiziert und verpflichten uns zur Qualitätssicherung, durch Aufbau eines Reinraums zur Gebindeabfüllung und eine lückenlose Dokumentation des Herstellungsprozesses. Die Pharmaindustrie nutzt unser Ethanol unter anderem bei der Herstellung von Phytopharmaka.

Zudem liefern wir jede gewünschte Vergällung und dokumentieren sie so, dass der Kunde sie beim Zoll zuverlässig anwenden kann, um den Alkohol zu entsteuern. Die Branntweinsteuer liegt heute bei etwa 13 EUR pro Liter Alkohol, und das bei einem Warenwert von 1 EUR.

Mit beiden Sparten Ihres Chemiegeschäfts beliefern Sie die Kunststoffindustrie. Handelt es sich auch um die gleichen Kunden?

J. Berghofer: Wir sind zwar jeweils Partner der Großindustrie, bedienen jedoch verschiedene Segmente der Branche. Es handelt sich auch um unterschiedliche Technologien: Zum einen produzieren wir Reduktionsmittel für die Initiierung wasserbasierter Polymere. Die bewirken, dass eine Polymerisation möglichst gleichmäßig und vollständig abläuft. Das ist eine Kunst und führt zu sehr umweltfreundlichen Bindemitteln. Für diese Produkte gibt es nur wenige Hersteller.

Beim Kunststoffadditivgeschäft sind wir spezialisiert auf Additive für Hochleistungskunststoffe, Polyamide und Polyester, die zum Beispiel trotz sehr hoher Temperaturen ihre Eigenschaften behalten müssen. Diese Additive werden dem Polymer nachträglich zugesetzt. Hier bieten wir Produkte zur Verarbeitung der Kunststoffe, zur Stabilisierung gegen Licht und Hitze bis hin zum Flammschutz oder für eine bessere Recyclingfähigkeit.

J. Hofmann: Recyclingfähigkeit ist eine Anforderung, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. Wenn Sie heute zum Beispiel einen Rohstoff für den Automobilbau liefern, müssen Sie dessen Recyclierbarkeit nachweisen. Und es muss einen einfachen Weg für das Produktrecycling geben.

Welches Potenzial bieten Polyamide für die Kreislaufwirtschaft?

J. Berghofer: Polyamide sind sehr gut recyclebar und können nach einer entsprechenden Additivierung wieder für die gleichen Anwendungen oder zumindest für hohe Ansprüche eingesetzt werden – und das nicht nur als Parkbank. Zudem sind Hochleistungskunststoffe teurer als hochtonnagige Produkte wie Polyethylen oder Polypropylen. Der wirtschaftliche Nutzen des Recyclings ist höher. Das macht es leichter, sie einem Recyclingstrom zuzuführen. Unsere Kunden versuchen, ihre Stoffströme mit dem Recyclingstrom zu verbinden. Wir unterstützen Sie hierbei durch geschickte Additivierungen.

Können Sie uns ein Beispiel für die stoffliche Verwertung von Polyamiden nennen?

J. Berghofer: In den USA, weniger in Deutschland, werden Teppichrücken mit Polyamid-Fasern verstärkt. Für die sortenreine Rückführung gebrauchter Teppiche gibt es Sammelstationen. Die Polyamid-Fasern können dann aus den Teppichrücken herausgelöst werden und sind nach Zusatz von Additiven wieder als Polyamid einsetzbar.

Polyamide werden auch sehr oft mit Glasfasern verstärkt. Auch aus diesem Verbundstoff lassen sie sich herauslösen und aufbereiten. Je nachdem, wie das Polymer weiterverarbeitet werden soll, können die Polymerketten dabei mittels Additiven gezielt verlängert oder verkürzt werden.

Das klingt nach einem Markt mit Zukunft. Sind Kunststoffadditive das wachstumsstärkste Geschäftsfeld des Unternehmens?

J. Hofmann: Zurzeit noch nicht, aber es ist das Gebiet, in dem wir in Zukunft am stärksten wachsen wollen. Schon heute sind unsere Kapazitäten bei den Additiven voll ausgelastet. Deshalb investieren wir derzeit 25 Mio. EUR in neue Produktionsanlagen für Kunststoffadditive am Standort Heilbronn – die größte Investition in der Firmengeschichte. Die Anlagen sollen im Jahr 2019 in Betrieb gehen.

Diese Investition erfolgte nicht nur zeitgleich zum 150-jährigen Firmenjubiläum, sondern auch kurz bevor der langjährige Gesellschafter Ludwig Brüggemann im Jahr 2017 seine Anteile an das Family Office Ayles verkaufte. Was bedeutet der Inhaberwechsel für die Zukunft des Unternehmens?

J. Hofmann: Ludwig Brüggemann führte das Unternehmen über 40 Jahre. Er hat keine Kinder und suchte schon lange nach einem geeigneten Nachfolger. Mit Ronald Ayles hat er im vergangenen Jahr einen Unternehmer mit langjähriger Expertise in der Chemiebranche gefunden, der das Unternehmen in der Tradition der Familie Brüggemann, das heißt mit den Werten, der Unternehmenskultur und mit dem langfristig ausgerichteten Engagement fortführt. Wir sehen uns auch nach diesem Übergang als Familienunternehmen: Die Familie Brüggemann war vier Generationen lang Eigentümer der Firma. Mit der fünften Generation kam die Familie Ayles.

Was ändert sich durch den Eintritt der „neuen Generation“?

J. Hofmann: Bis 2017 war unser Unternehmen eine Kommanditgesellschaft mit Ludwig Brüggemann als persönlich haftendem Komplementär. Heute firmieren wir als GmbH & Co. KG. Das ermöglicht es uns unter anderem, künftig stärker auch nicht organisch, also durch Zukäufe, zu wachsen – ein Gebiet auf dem Herr Ayles sehr viel Erfahrung mitbringt.

Intern haben wir uns eine Unternehmensverfassung gegeben und dabei viele Dinge dokumentiert, die bislang im Alltag gelebt wurden.

Darüber hinaus wurde ein Beirat für das Unternehmen installiert, der international ausgerichtet ist. Heute diskutieren wir unser Geschäft noch stärker als früher auf internationaler Ebene.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen, wo die größten Chancen für mittelständische Chemieunternehmen?

J. Hofmann: Die größte Herausforderung bei Brüggemann war sicher der Generationenwechsel. Den haben wir gemeistert. Herausfordernd ist auch die Flut an Regularien, die wir befolgen müssen. Im Prinzip müssen wir das Gleiche leisten wie ein Großunternehmen in der Chemie. Das nimmt viel Energie in Anspruch und erzeugt Kosten.

Die großen Vorteile des Mittelstands sind: Er ist flexibler und risikobereiter. Wir haben schlankere Strukturen und agieren schneller. Das ist letztendlich die Basis, warum es uns gibt.

J. Berghofer: Richtig. Die Märkte und die Geschäfte der großen Chemieunternehmen verändern sich. Wir verfolgen diese Entwicklung aufmerksam und suchen dabei nach Nischen für unser Geschäft. Eine Stärke von Brüggemann ist das Schließen von Lücken, die bei der Realisierung von Anwendungen entstehen. Das belegt die 150-jährige Geschichte unseres Unternehmens.

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