Märkte & Unternehmen

Wasserstoff – Rohstoff für Transformation

Für viele Industrien ist Wasserstoff Hoffnungsträger auf dem Weg in die Klimaneutralität

07.12.2021 - Wasserstoff hat sich zum Hoffnungsträger für alle Industriesektoren entwickelt, die allein über eine höhere Energieeffizienz und grünen Strom das Ziel der Klimaneutralität nicht erreichen werden.

Was macht Wasserstoff so besonders? Das Gas ist nicht nur für zahlreiche chemische und industrielle Prozesse verwendbar, sondern auch für viele energetische Anwendungen. Damit hat es sich zum Hoffnungsträger für alle Industriesektoren entwickelt, die allein über eine höhere Energieeffizienz und grünen Strom das Ziel der Klimaneutralität nicht erreichen werden. Andrea Gruß sprach mit Gilles Le Van, Vice President Large Industries and Energy Transition Central Europe bei Air Liquide, über das Potenzial von Wasserstoff beim industriellen Klimaschutz und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen.

CHEManager: Herr Le Van, welche Bedeutung hat Wasserstoff für das Geschäft von Air Liquide?

Gilles Le Van: Als Industriegasehersteller sind wir seit über 60 Jahren im Bereich Wasserstoff aktiv. Heute fallen etwa 10% unseres weltweiten Umsatzes auf das Geschäft mit Wasserstoff. Es umfasst vielfältige industrielle Anwendungen. Große Mengen des Gases werden zum Beispiel in Raffinerien zur Entschwefelung von Treibstoffen eingesetzt. In der Lebensmittelindustrie dient es zum Hydrieren von Fettsäuren und in der Metallindustrie wird es als Schutzgas bei Wärmebehandlungen genutzt. Hohe Bedeutung hat das Gas auch als Raketentreibstoff in der Raumfahrt. Air Liquide ist daher seit über fünf Jahrzehnten Partner des Ariane-Programms. Viele Entwicklungen aus der Raumfahrt, zum Beispiel die Verflüssigung von Wasserstoff, sind der Ursprung für Zukunftsprojekte mit Wasserstoff.

Welche Rolle wird Wasserstoff in Zukunft spielen?

G. Le Van: Durch das Pariser Klimaabkommen und den Green Deal gewinnt Wasserstoff für die Industrie nochmals an Bedeutung. Die gemeinsame Verpflichtung zu den Klimazielen bewirkt, dass jede Industrie – also auch die chemische Industrie – losgelöst von Fragen der Wirtschaftlichkeit überlegt: Was können wir dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen? Was ist technisch möglich? Wasserstoff kann in vielen Sektoren maßgeblich zur Reduktion der CO2-Emissionen beitragen. In der Stahlherstellung könnten zum Beispiel kohle- und koksbasierte Reduktionsprozesse durch Direktreduktion mit Wasserstoff ersetzt und so Emissionen bis zu 95% reduziert werden. Auch die Produktion von Glas und Zement gelingt mit Wasserstoff deutlich emissionsärmer. Viele der Technologien wurden schon in der Vergangenheit diskutiert, doch erst durch die Klimaziele sind sie wieder prioritär.

Gibt es genügend emissionsarmen Wasserstoff für die Umsetzung dieser Technologien?

G. Le Van: Herkömmlicher, sogenannter grauer Wasserstoff, wird durch Dampfreformierung fossiler Brennstoffe hergestellt und hat einen Carbon Footprint von etwa zehn Kilogramm pro Kilogramm Wasserstoff. Für die Defossilisierung nutzt man idealerweise grünen Wasserstoff, hergestellt aus erneuerbaren Energien, mit einem Footprint von nahezu null. Doch der ist viermal teurer als grauer Wasserstoff. Zwischen den Extremen gibt es eine Vielzahl an Farben beziehungsweise Herstellmöglichkeiten, die kontrovers, teilweise emotional diskutiert werden. Für die Defossilisierung der Industrie brauchen wir sehr große Mengen an Wasserstoff, mit einem möglichst kleinen CO2-Footprint und zu bezahlbaren Preisen. Wenn wir nur den Königsweg mit grünem Wasserstoff gehen, verlieren wir wertvolle Zeit. Wichtige Anwendungen kommen nicht zur Geltung und die Wasserstoffwirtschaft nicht in Gang.

Auf welche Herstellverfahren setzt Air Liquide?

G. Le Van: Grundsätzlich sind wir technologieoffen und setzen auf verschiedene Pfade: Auf grünen Wasserstoff, ganz klar, aber wir sind auch überzeugt, dass an einigen Stellen blauer Wasserstoff Sinn macht, der aus fossilem Erdgas hergestellt wird. Dabei entstehendes CO2 wird gespeichert oder wiederverwertet.

In Oberhausen produzieren wir Wasserstoff über die sogenannte partielle Oxidation von Erdgas. Eine Recyclinganlage fängt das CO2 komplett auf. Es wird zum Beispiel in der Lebensmittelindustrie genutzt. So vermeiden wir 30.000 t an CO2-Emissionen, da wir an anderer Stelle diese Menge an bisheriger CO2-Produktion einstellen.

On top haben wir ein Großprojekt für grünen Wasserstoff in Oberhausen gestartet. Mit unserem Partner Siemens Energy implementieren wir einen 30-MW-PEM-Elektrolyseur zur Wasserstoffherstellung. Die Anlage werden wir direkt an unsere Wasserstoffpipeline anbinden, sodass wir unsere bestehenden Kunden künftig mit grünem Wasserstoff versorgen können. Dieses Projekt erhielt im Übrigen bundesweit als erstes einen Förderbescheid im Rahmen der nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung.

Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit grüner Wasserstoff wirtschaftlich wird?

G. Le Van: Der Preis für grauen Wasserstoff wird aufgrund seines hohen CO2-Fußabdrucks steigen. Wir gehen davon aus, dass er sich in den kommenden zehn Jahren verdoppeln könnte. Die Frage ist, wie erreichen wir, dass grüner Wasserstoff günstiger wird? Vor allem über die ausreichende Verfügbarkeit von kostengünstigem erneuerbaren Strom. Bis diese wichtige Voraussetzung geschaffen wird, brauchen wir Zwischenlösungen, um das Hochskalieren von grünem Wasserstoff zu ermöglichen. Hier könnten Carbon Contracts for Difference eine Brücke schlagen.

Sie können für einen begrenzten Zeitraum einen Ausgleich schaffen, damit Käufer grünen Wasserstoffs nicht schlechter gestellt werden als Konsumenten des grauen Wasserstoffs. Es handelt sich um eine OpEx-Förderung, also die Förderung laufender Kosten.

Die nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung sieht Carbon Contracts for Difference vor. Bislang ist es aber nur ein Vorhaben. Leider gibt es noch keine Konzeption für ein Pilotprojekt in Deutschland wie zum Beispiel in den Benelux-Staaten. Unabhängig davon benötigt die Industrie CapEx-Förderungen, zum Beispiel für Investitionen in Anlagen, zum Aufbau einer funktionierenden Wasserstoffwirtschaft.

Förderungen könnten das Problem der Wirtschaftlichkeit erneuerbaren Wasserstoffs lösen. Tragen sie auch dazu bei, dass wir künftig ausreichend Wasserstoff in Deutschland produzieren können?

G. Le Van: Wenn alle Sektoren die möglichen Wasserstofftechnologien implementieren, wird die heimische Produktion bei Weitem nicht ausreichen. Wir werden den größten Teil des Wasserstoffs, etwa 70%, importieren müssen. Aber Deutschland ist auch heute schon ein Importeur von Primärenergie.

Woher können wir unseren Wasserstoff beziehen?

G. Le Van: Vereinfacht gesagt, gibt es vier Routen. Die von Süden. In Südeuropa oder Nordafrika kann erneuerbare Energie günstig hergestellt, in Wasserstoff umgewandelt und über Pipelines nach Deutschland importiert werden. Eine zweite Route kommt von Westen: Belgien und die Niederlande sind sehr aktiv und technologieoffen im Bereich Wasserstoff und haben Ambitionen, grünen und blauen Wasserstoff nach Deutschland zu exportieren. Über die Ostroute könnte, rein theo­retisch, über bestehende Pipelines grüner, blauer oder türkisener Wasserstoff aus Russland oder osteuropäischen Ländern importiert werden. Und wenn Sie so wollen, gibt es noch eine vierte Route aus dem Norden: Der Import grünen Wasserstoffs aus Ländern wie Norwegen, die große Mengen an erneuerbaren Energien haben. Ausgehend von dort ist auch ein Import über Terminals aus Australien oder Chile denkbar.

Was bedarf es, damit die nationale Wasserstoffstrategie ihre Wirkung entfalten kann?

G. Le Van: Auch wenn es langweilig klingen mag: Zuerst brauchen wir genügend erneuerbare Energien zu einem akzeptablen Preis. Das ist die wichtigste Voraussetzung. Als Zweites benötigen wir in einer Übergangsphase – vielleicht die nächsten zehn Jahre – öffentliche Fördermittel. Die Industrie ist bereit einen Beitrag zu leisten, aber es muss sich auch lohnen. Und hierfür benötigen wir die bereits genannten Überbrückungsmittel, um frühzeitig in Technologien und Infrastruktur investieren zu können. Davon profitiert auch die Volkswirtschaft. Und der dritte Punkt: Wir brauchen ein einheitliches Zertifizierungssystem für den CO2-Fußabdruck von Wasserstoff. Nur wenn wir hier Transparenz schaffen, kann der Verbraucher bewusst wählen, welches Produkt er kauft.

Welche Investitionen plant Air Liquide in sein Geschäft mit Wasserstoff?

G. Le Van: Das Hydrogen Council, sozusagen der weltweite Wasserstoffrat, geht davon aus, dass sich die globale Nachfrage nach Wasserstoff bis 2050 ungefähr verzehnfachen wird. Ausgehend von dieser Prämisse plant Air Liquide, bis zum Jahr 2030 weltweit etwa 8 Mrd. EUR in Wasserstoff-Projekte zu investieren und 3 GW an grünem Wasserstoff zu produzieren. Zum Vergleich: Deutschland hat als Volkswirtschaft das Ziel, bis 2030 5 GW herzustellen. Das verdeutlicht unsere Ambitionen im Bereich des grünen Wasserstoffs.

ZUR PERSON

Gilles Le Van ist seit 1995 für die Air-Liquide-Gruppe tätig. Nach ersten Stationen trat er als Director Operations & Strategic Control 2003 in die Geschäftsleitung bei Air Liquide Deutschland (ALD) ein. Von 2017 bis September 2021 war er Vorsitzender der Geschäftsführung, bevor er zum Vice President Large Industries and Energy Transition Central Europe berufen wurde. Zeitgleich übernahm er den Vorsitz des Aufsichtsrates der ALD.

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