Forschung & Innovation

Brücken schlagen zum Markterfolg

Biotechnologie zahlt sich langfristig aus

27.04.2010 -

In der Grundlagenforschung hat die deutsche Biotech-Branche viel zu bieten. Doch wenn es um die öffentliche Akzeptanz und die Fähigkeit zum Technologietransfer geht, sind andere Länder weiter. Umso mehr müssen die heimischen Unternehmen mit Ausdauer, Tempo und überzeugenden Argumenten agieren, wenn es darum geht, tragfähige Brücken zum Markterfolg zu schlagen.
„Quo vadis, Biotechnologie?" Unter dieser Fragestellung stand das dritte gemeinsame Symposium „Markterfolg durch Spitzentechnologie der Unternehmensberatung Management Engineers und der Technischen Universität München. Die Veranstaltung war Treffpunkt für hochkarätige Experten, die, moderiert von Prof. Dr. Utz-Hellmuth Felcht, Chancen und Herausforderungen einer - gleichermaßen viel versprechenden wie viel umstrittenen - Zukunftstechnologie diskutierten.

Gemessen am technologischen Potenzial gibt es kaum Zweifel am erfolgreichen Fortkommen der Biotechnologie, zeigte sich Prof. Dr. Thomas Hofmann, Vizepräsident der TU München, in seinen Begrüßungsworten überzeugt. Entscheidend wird es vielmehr sein, eine tragfähige Brücke zum Markterfolg zu schlagen - nicht nur über einen effizienten Technologietransfer, sondern vor allem auch über eine deutlich verbesserte Akzeptanz in Politik und breiter Öffentlichkeit. Hierzu Dr. Hanno Brandes, Geschäftsführer von Management Engineers: „Es muss anschaulich erklärt werden, welchen konkreten Nutzen die Biotechnologie heute, morgen und übermorgen für die Menschheit leisten kann. Diese Erfolge gilt es, gleichermaßen rational wie emotional, zu kommunizieren. Denn Angst ist stets ein irrationales Phänomen, dem man mit rationalen Argumenten allein nur schwer begegnen kann."

Akzeptanz erhöhen mit emotionalen Argumenten

Dies gilt insbesondere für die sogenannte grüne Biotechnologie mit der Gentechnik. Starker Argwohn und eine oftmals sogar konsequente Abwehrhaltung prägen hier das öffentliche Meinungsbild. Die herausragenden Potenziale und Chancen hingegen werden kaum thematisiert. Dr. Stefan Marcinowski, Mitglied des Vorstands der BASF, verweist hierzu auf das wohl auch in emotionaler Hinsicht stärkste Argument für die grüne Biotechnologie, nämlich den Kampf gegen den weltweiten Hunger. Dieser ist bei einer weiterhin rasant wachsenden Bevölkerungszahl nur dann zu gewinnen, wenn die Agrarproduktion in den nächsten 20 bis 30 Jahren verdoppelt werden kann - und dies auf einer annähernd konstanten Anbaufläche.
Eine hohe Resistenz von Pflanzen gegen Insekten und Pilze, eine Toleranz gegen Herbizide und Trockenheit, eine effiziente Stickstoffnutzung sowie eine Nährwertoptimierung von Pflanzeninhaltsstoffen - all dies soll die grüne Biotechnologie künftig leisten. Doch es gibt auch schon jetzt messbare Erfolge: Weltweit bauen bereits 14 Mio. Landwirte gentechnisch veränderte Pflanzen an und es wurden in den letzten zwölf Jahren - für den gleichen Ertrag - 356.000 Tonnen weniger Pflanzenschutzmittel und 63 Mio. ha weniger Ackerfläche benötigt. Damit nicht genug: Allein im Jahr 2008 wurde eine Reduktion von Treibhausgasen erzielt, die dem CO2-Äquivalent von 7 Mio. Autos entspricht. Neben diesen Erfolgsstorys müssen aber auch die extrem hohen Sicherheitsstandards, denen die Gentechnik heute unterliegt, vertrauensfördernd kommuniziert werden. Denn diese Standards sind beispielsweise deutlich höher als bei klassischen Pflanzenzüchtungen, wo es ja ebenfalls zu einer Veränderung von Genen kommt, so Stefan Marcinowski.
Weniger ein Akzeptanz- als eher ein Wahrnehmungsdefizit hat die weiße Biotechnologie. Und dies, obwohl sich dieser industriell geprägte Zweig mit hohem Wachstum zu einem starken Innovationstreiber der chemischen Industrie entwickelt hat. Dr. Günter Wich, Director R&D Biotechnology bei Wacker Chemie, sieht hier das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht. Bioraffinerien, die eine kosten- und energieeffiziente Verwertung von Biomaterial ermöglichen, sind für ihn das Zukunftsmodell - und zwar in erster Linie für die Produktion von Chemikalien. Schon heute kommt die weiße Biotechnologie im Bereich der hochwertigen Spezial- und Feinchemie zum Einsatz. Angesichts weltweit begrenzter Erdölreserven sollte sie die klassische Petrochemie langfristig aber auch im Bereich der großvolumigen Grundchemikalien ergänzen oder sogar ersetzen können. Sie würde dadurch einen enormen Beitrag zu Ressourceneinsparung und Klimaschutz leisten und hierdurch sicherlich an Bekanntheit und Akzeptanz gewinnen.
Die rote Biotechnologie hat in dieser Hinsicht schon jetzt kaum ein Problem. Denn Antibiotika oder gentechnisch produzierte Wirkstoffe wie Insulin, Vakzine und Fibrinolytika gehören heute zum medizinischen Standardprogramm; an weiteren viel versprechenden Zukunftsprodukten wird intensiv geforscht. Dr. Oliver Pein, Senior Manager Competitive Intelligence Biopharmaceuticals bei Boehringer Ingelheim, sieht insbesondere in der differenziellen Genom- und Proteomanalyse hervorragende Ansatzpunkte für die rationelle Entwicklung von Biopharmazeutika. Der Einsatz monoklonaler Antikörper oder gentherapeutischer Verfahren - so seine Einschätzung - wird vielen Patienten auf lange Sicht großen Nutzen stiften können. Dies wird dem Markt Wachstumsimpulse liefern und die rote Biotechnologie auch im öffentlichen Ansehen nochmals voranbringen.

Technologietransfer: Schnelligkeit gefragt

Zum Markterfolg bedarf es allerdings - auf allen Feldern der Biotechnologie - weiterer Verbesserungen beim Technologietransfer. Im Rennen um eine marktorientierte Umsetzung gewinnt "der Schnellste". Dabei könnten durch die Politik auch die Rahmenbedingungen verbessert werden, so die Einschätzung von Prof. Dr. Christian Wandrey, langjähriger Direktor am Institut für Biotechnologie am Forschungszentrum Jülich. Seine konkreten Vorschläge lauten: weniger Subventionen für "alte" Industrien, mehr Kredite für "neue" Industrien; Aufwertung von Patenten im Vergleich zu Publikationen sowie Abschaffung der Besteuerung für Arbeitnehmererfindervergütungen. Große Chancen für die Industrie sieht er z. B. im Einsatz von "maßgeschneiderten Mikroorganismen" zur Stoffproduktion auf der Basis nachwachsender Rohstoffe. Hier gelingt es, mit Hilfe der Gentechnik aus Stoffwechselwegen gleichsam "Stoffwechselautobahnen" zu bauen und "Abfahrten für Nebenprodukte" zu sperren, so dass die Zielprodukte mit hoher Ausbeute erhalten werden.
Erfolgreich in der Umsetzung sind dabei vor allem solche Unternehmen, die eigene Ideen und Entwicklungen „im Tank haben" und bei der Umsetzung stärker auf eigene Netzwerke als auf staatliche Technologiebeauftragte setzen. Oftmals ist es auch leichter, in einen gänzlich neuen Markt einzutreten, als neue Produkte in bestehenden Märkten anzubieten, so Christian Wandrey. Wenn es dabei noch gelingt, frühzeitig „echte" Verkäufe zu realisieren, ist dies für ihn der beste Weg, um das Konzept der Firma am Markt zu demonstrieren. Ein langer Atem ist dabei trotzdem gefragt, denn nicht selten vergehen sieben bis zehn Jahre von der ersten Idee bis zum marktfähigen Produkt.

Biotech zahlt sich langfristig aus

Zu dieser Einschätzung kommen auch Management Engineers auf der Grundlage von drei Business Cases, die beispielhaft für die rote, weiße und grüne Biotechnologie mit dem Langfristhorizont 2030 berechnet wurden. Für jede dieser Disziplinen wurden jeweils zwei fiktive Unternehmen betrachtet: eines, das weiterhin ausschließlich auf herkömmliche Verfahren oder Produkte setzt und ein anderes, das zusätzlich auch mit biotechnologischen Methoden agiert. Die Berechnungen im Hinblick auf Unternehmensergebnis und -wert im Jahr 2030 zeigen, dass auf allen drei Feldern diejenigen Firmen besser performen, die auch auf den Einsatz von Biotechnologie setzen. Dies entweder, weil sie wie im Fall der roten und grünen Biotechnologie mit innovativen Produkten eine höhere Preisqualität im Markt erzielen oder aber, weil sie sich durch den Einsatz der weißen Technologie unabhängiger von steigenden Rohstoffpreisen machen. Für alle Disziplinen gilt aber auch: Es ist zwischenzeitlich eine Durststrecke zu überwinden, weil erhebliche Investitionen in neue Anlagen und Technologien ebenso notwendig sind wie erhöhte Marketingkosten zur Verbesserung der öffentlichen Meinung. Hierzu Helmut Lodzik, Partner bei Management Engineers: „Ein Kapitalrückfluss aus diesen Investitionen ist in der Regel frühestens nach zehn Jahren zu erwarten. Es ist damit auch in dieser Hinsicht eine neue Nachhaltigkeit gefragt, wenn es für die Unternehmen der Biotechnologie darum geht, tragfähige Brücken zum Markterfolg zu schlagen."