Chemie & Life Sciences

Das Problem mit dem DFB

Die Liste der Herausforderungen der deutschen Pharmaindustrie ist lang

15.05.2024 - Jasmina Kirchhoff ist Projektleiterin für die Forschungsstelle Pharmastandort am Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW).

Sie bescheinigt dem Pharmastandort Deutschland gewisse Stärken, sieht aber auch die Probleme (>Link zum Beitrag). Thorsten Schüller befragte sie insbesondere zu den Herausforderungen und Lösungsansätzen der Pharmaindustrie.

CHEManager: Frau Kirchhoff, klinische Studien, Patentanmeldungen, Finanzierung, Translation – die Liste der Herausforderungen der deutschen Pharmaindustrie ist lang. Wo drückt die Branche der Schuh besonders?

Jasmina Kirchhoff: Die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen stellen die Pharmaindustrie tatsächlich vor viele Aufgaben. Die Unsicherheit der letzten Jahre um die konjunkturelle und indus­triepolitische Entwicklung belastet alle Branchen. Das geht auch an Pharma nicht spurlos vorbei. Dazu zählen die gestiegenen Energiepreise, höhere Transportkosten und Erzeugerpreise. Zudem werden die globalen Wirtschaftsbeziehungen immer unsicherer, was für die global aufgestellten Pharmaunternehmen besonders herausfordernd ist. Diese müssen sich Gedanken machen, wie sie ihr Netzwerk in Forschung, Entwicklung und Produktion in Zukunft aufstellen und welche Auswirkungen das auf ihre Absatzmärkte hat. Daneben belastet auch der Dreiklang ‚DFB‘ den Pharmastandort zunehmend.

DFB?

J. Kirchhoff: DFB steht in diesem Zusammenhang für ‚Digitalisierung, Fachkräftemangel, Bürokratie‘. In der Digitalisierung hängen wir gegenüber anderen Ländern wie Dänemark oder Estland deutlich hinterher. Die digitale Infrastruktur im Gesundheitswesen ist immer noch nicht vernünftig aufgestellt, und auch die digitale Vernetzung der Akteure ist hier ausbaufähig. Das brauchen wir aber in diesem innovativen Bereich unbedingt. Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz und das Digital-Gesetz sind da erste wichtige Schritte.
Der Fachkräftemangel betrifft auch die Pharmabranche immer stärker. Mit Blick auf die Stärkung des Produktionsstandorts und angesichts des demografischen Wandels brauchen wir hier dringend Antworten.
Das Dritte ist die Bürokratie. Das ist etwas, das wir in Deutschland wirklich gut können. Die Menge und Unübersichtlichkeit der Verwaltungsprozesse und bürokratische Anforderungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette schränken den Handlungsspielraum der Unternehmen massiv ein und behindern zum Beispiel die Durchführung klinischer Studien.
Dieser Dreiklang ist um ein „R“ für regulatorische Rahmenbedingungen zu ergänzen, vor allem mit Blick auf Marktzugang, Erstattung und IP-Schutz, also geistiges Eigentum. Da fehlt es oft an Verlässlichkeit und genau die ist für die Pharmaindustrie wichtig. Diese Themen müssen dringend angegangen werden. Schließlich ist die Pharmabranche nicht nur versorgungsrelevant, sondern auch ökonomisch wichtig.

Wie gehen andere Länder mit diesen Themen um?

J. Kirchhoff: Das ist von Land zu Land unterschiedlich. Aber viele Länder haben die versorgungsrelevanten und ökonomischen Vorteile einer starken innovativen Pharmaindustrie erkannt und stellen sich entsprechend auf. Die USA pumpen zum Beispiel Milliarden in ihre biotechnologische Forschung und Produktion. China wird vor allem im Bereich der generischen Herstellung genannt. Aber da will China nicht bleiben, sondern zu einem globalen Innovationsmotor werden und hat dafür zum Beispiel in den letzten 15 Jahren seine wissenschaftliche Infrastruktur massiv ausgeweitet. Bei klinischen Studien ist das Land mittlerweile auf Platz zwei, auch bei den Patentanmeldungen geht es stark bergauf. Das sollte uns zu denken geben. Spanien hatte sich das Ziel gesetzt, ein führender Studienstandort zu werden; mittlerweile werden in keinem anderen europäischen Land mehr klinische Studien durchgeführt.
In Deutschland haben wir die Pharmaindustrie jetzt auch als Schlüsselindustrie erkannt und starten mit verschiedenen Gesetzen einen Aufholprozess. Das hilft zwar, den Anschluss nicht weiter zu verlieren. Damit wir aber wieder ganz oben mitspielen, müssen wir diesen Weg konsequent weiterverfolgen und umsetzen.

Tut die Bundesregierung genug in diese Richtung?

J. Kirchhoff: Da passiert in letzter Zeit wirklich viel: Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz und Digital-Gesetz, das geplante Medizinforschungsgesetz, das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz – kurz: ALBVVG: Die Politik hat erkannt, dass es die richtigen Rahmenbedingungen braucht, damit Pharmaforschung und -entwicklung aber auch die Produktion in Deutschland international wettbewerbsfähig sind. Und auch die Industriestrategie nennt die Pharmaindustrie als Schlüsselbranche. Zudem hat die Bundesregierung eine nationale Pharmastrategie aufgesetzt, die all diese Elemente zu einer mittel- bis langfristigen Strategie zusammenfügt. Nach den Belastungen für die Unternehmen durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz sind das wichtige positive Signale an die Branche.

Wird das ausreichen?

J. Kirchhoff: Ich halte es für äußerst wichtig, dass man strategisch vorgeht, um den Standort zu stärken. Wenn man sich jetzt konsequent darauf besinnt, Rahmenbedingungen für eine international wettbewerbsfähige Pharmaindustrie zu schaffen, kann das funktionieren und aufgehen – sofern die Maßnahmen aus der Pharmastrategie tatsächlich und vor allem schnell umgesetzt werden.

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ZUR PERSON
Jasmina Kirchhoff hat nach einem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Bielefeld promoviert. Seit 2009 ist sie am Institut der deutschen Wirtschaft Köln im Themencluster Staat, Steuern und Soziale Sicherung. Bis Januar 2021 war sie dort als Senior Economist an der Forschungsstelle Pharmastandort Deutschland und Gesundheitswirtschaft tätig. Seit Februar 2021 ist sie als Projektleiterin für die Forschungsstelle Pharmastandort Deutschland verantwortlich.

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