Strategie & Management

Resilienz für die Supply Chain

Erfolgreiche Risikominimierung fokussiert auf das langfristige, vorausschauende Absichern der Lieferkette

19.10.2022 - Lieferengpässe, Produktionsstillstände und Kostensteigerungen für Rohstoffe und Transport belasten die Lieferketten. Eine resilienten Supply Chain entwickelt daher zunehmend zum Wettbewerbsvorteil für Unternehmen.

Das Thema der resilienten Supply Chain hat an Aktualität kein bisschen verloren. Im Gegenteil, es gewinnt weiter an Bedeutung. Rohstoffknappheiten in vielen Industriesektoren, die noch nicht überstandene Covid-19-Pandemie und weitere Vorkommnisse, wie die Containerschiff-Havarie im Suezkanal im Frühjahr 2021, haben zu Lieferengpässen sowie Kostensteigerungen für Rohstoffe und Transport geführt. Der Ukrainekrieg und die damit verbundene Energiekrise haben diese zuletzt weiter verstärkt. Nachhaltigkeit und Klimaneu­tralität stellen zusätzlich hohe Anforderungen an die Unternehmen.

All dies stört das über Jahrzehnte aufgebaute System von kostenoptimierten, globalisierten Lieferketten und die damit verknüpfte geografische Konzentration von Rohstoffzulieferern. Lieferengpässe, Produk­tionsstillstände und Kostensteigerungen für Rohstoffe und Transport sowie die geringe Planbarkeit der fragil gewordenen Lieferketten sind aktuelle Folgen für Unternehmen jeder Größe – und werden es auch zukünftig bleiben.

Vielschichtige Lösungsansätze 
Lösungsansätze sind bereits weitgehend in den letzten Jahren erarbeitet und diskutiert worden. Dazu gehören Themen, wie Multiple Sourc­ing, höhere Sicherheitsbestände, Local-to-Local-Lieferstrukturen, überarbeitete In- und Outsourc­ing-Strategien, Regionalisierung, eine reduzierte Portfoliokomplexität sowie die Flexibilisierung der Produktion und Dezentralisierung der Distribution. Dabei bleibt die Herausforderung für jedes Unternehmen bestehen, diese Hebel entsprechend interner Strukturen, der Position in der Lieferkette und natürlich der zugehörigen Industrie zu nutzen und dementsprechend Risiken zu analysieren und zu bewerten sowie Maßnahmen einzuleiten. Auch die Bedeutung der Kostenoptimierung in den Lieferketten bleibt weiterhin bestehen und wird sich nach Abklingen der Krisen wohl wieder verstärken.

„Datentransparenz und -analyse sind von hoher Bedeutung für ein erfolgreiches Risikomanagement.“


Herausforderung Risikomanagement 
Nun ist Risikomanagement nichts Neues in der Industrie. Doch der Anspruch daran ist in der heutigen Zeit deutlich höher. Egal, ob diese Zeit, wie in den vergangenen Jahren als VUCA (volatil‚ unsicher‚ komplex, mehrdeutig) oder mittlerweile als BANI (brüchig, ängstlich, nicht-linear, unbegreiflich) beschrieben wird. 
Die meisten Risikomanagement­ansätze werden den heutigen komplexen Herausforderungen im Supply-Chain-Umfeld nicht gerecht. Unternehmen müssen Strukturen schaffen, die Risiken kontinuierlich und datenbasiert bewerten, systematisch strapazierfähige Lieferketten aufbauen und schnell auf sich anbahnende oder bereits eingetretene Krisen reagieren können. 
Datentransparenz und -analyse sind von hoher Bedeutung für ein erfolgreiches Risikomanagement und stellen ein umfangreiches Handlungsfeld dar, welches branchen- und unternehmensspezifisch angegangen werden muss. Dies wurde bereits im Rahmen der Digitalisierung bzw. Industrie 4.0 thematisiert. Notwendig ist eine dauerhafte Transparenz – unternehmensintern, zu Zulieferern und Kunden sowie in Bezug auf unternehmensexterne Faktoren. 
Unternehmensintern ist die Basis hierfür noch immer ein modernes ERP-System zur Steuerung und Überwachung von Produktions- und Logistikprozessen. Für die Schnittstelle zu Kunden und Zulieferern sind automatisierte, Echtzeit-Datenschnittstellen über Bedarfe und Verfügbarkeiten anzustreben. Doch dies ist aktuell nicht durchgehend umsetzbar. Eine regelmäßige, systemgestützte Kommunikation ist daher weiterhin in vielen Fällen eine notwendige „Übergangslösung“.
Das Überwachen unternehmensexterner Faktoren hat an Bedeutung gewonnen. Um diese zu erkennen, sind bereits Softwarelösungen von diversen Anbietern und Kollaborationen, wie z. B. Catena-X, verfügbar bzw. in Arbeit. 
Datentransparenz und -analyse zielen auf die schnellstmögliche Erkennung von Risiken ab. Das Bewerten von identifizierten Risiken und das Ableiten von Gegenmaßnahmen sind die wirkliche Herausforderung für ein Unternehmen. Identifizierte Risiken sind hinsichtlich Tragweite und Eintrittswahrscheinlichkeit im eigenen Kontext zu evaluieren. Maßnahmen zur Risikovermeidung und -verminderung müssen dann in Bezug auf Kosten und Nutzen bewertet, beschlossen und umgesetzt werden – kein leichtes Unterfangen, insbesondere in der aktuellen, komplexen Situation.

Organisationsstrukturen sind entscheidend 
Für diese Herausforderung ist, unabhängig von Datenverfügbarkeit und Analysefähigkeiten eines Unternehmens, eine fachlich und entscheidungsbefähigte sowie flexible und interdisziplinäre Organisation essenziell. Um den unterschiedlichen Anforderungen an das Risikomanagement gerecht zu werden, bedarf es zudem einer permanenten Risikoanalyse, präventiver, langfristiger Risikominimierung kombiniert mit akuter Problemlösung. 
Die Risikoanalyse sollte dauerhaft in der Linienorganisation installiert werden. In der Regel empfiehlt es sich, die Tätigkeiten einer zentralen Einheit zuzuordnen und mit einer fest zugeordneten, dezentralen Unterstützung zu verbinden. Der primäre Aufgabenbereich liegt in der Überwachung spezifischer Kennzahlen und externen Faktoren zur Identifikation potenzieller Risiken. Eine weitere Aufgabe ist die Initiierung von Folgeschritten zur präventiven und reaktiven Risikobehandlung. Die Risikoanalyse bedarf ausgeprägter analytischer Kompetenzen, unterstützender Methoden und Tools sowie klar definierter Übergabeprozesse.

Braid-Strukturen zum Aufbau einer resilienten Supply Chain
Die präventive Risikominimierung fokussiert auf das langfristige, vor­ausschauende Absichern, also das Ausbilden einer Resilienz der Supply Chain. Die Aufgaben sind in der Regel geprägt durch hohe Komplexität, systematische Kosten/Nutzen-Bewertungen und strategische Entscheidungen. Sie sollten daher von interdisziplinären Teams bestehend aus Fachexperten, Con­trollern und Top-Management-Vertretern übernommen werden. Da diese Teams sich temporär für spezifische Probleme bilden und Ressourcen aus vielen Teilen der Organisation benötigen, ist eine klassische Linien- oder Projektstruktur nicht empfehlenswert. Sinnvoller ist es, neben einem definierten, entscheidungsbefähigten Kernteam, Netzwerkstrukturen aus Experten mit allen benötigten Expertisen zu schaffen. Das Netzwerk sollte ein informelles, sich kontinuierlich weiter ausbildendes Geflecht (Braid) aus Experten sein. Da es über bestehende Organisationsstrukturen hinaus besteht und agiert, können Themen schnell und direkt adressiert sowie interdisziplinär gelöst werden. Eine Braid-Struktur muss dabei hierarchie- und funktionsunabhängig agieren können und die Kommunikation und Projektabwicklung ist idealerweise IT-unterstützt.
Dennoch ist auch zukünftig davon auszugehen, dass trotz präventiver Mitigierung von Risiken, Probleme auftreten, die nur kurzfristig und reaktiv zu bewältigen sind. Für das allseits bekannte Firefighting müssen interdisziplinäre, gerne als Taskforce bezeichnete Teams sehr schnell formiert werden. Die Teammitglieder sollten sich in der Regel in Vollzeit mit der Problembewältigung befassen. Und um schnell zu agieren, müssen sie weitreichende operative Entscheidungen treffen dürfen. Eine direkte Einbindung des Top-Managements ist daher unumgänglich. Zudem empfiehlt es sich, agile Arbeitsweisen zu nutzen. Dabei sollte es sich jedoch um einfache Arbeitsstrukturen handeln, denn in der Regel bleibt keine Zeit, komplexere Arbeitsweisen in den neu formierten Teams zu etablieren. Darüber hinaus unterstützt eine Braid-Struktur die Taskforces bei Teambildung und Lösungsfindung.
Eine solche Organisationstruktur bestehend aus Linienorganisation, präventiv agierenden Expertenteams, wachsenden Expertennetzwerken sowie reaktiven Einsatztruppen in Verbindung mit Datentransparenz und IT-unterstützter Analyse, ermöglicht es, eine dauerhaft resiliente Supply Chain aufzubauen.


Christian Gutsche, Partner; 
Matthias Adelt, Berater; 
Julian Schupp, Berater; 
Maexpartners GmbH, Düsseldorf

Christian Gutsche ist seit 2015 Partner bei der Unternehmensberatung Maexpartners. Der Experte für Supply-Chain- und Change-Management startete seine Beratertätigkeit 2001 bei Management Engineers und setze seitdem internationale Transformationsprojekte in der Chemie- und Life-Sciences-Industrie um. Zuvor hatte er Führungspositionen in den Bereichen Beschaffung, Produktion und Entwicklung in der Industrie inne. Gutsche studierte an der TU Berlin Produktionstechnologie und promovierte 1992 in Produktionsstrategie.

Matthias Adelt ist seit 2014 als Berater für Maexpartners tätig und bearbeitet seitdem zunehmend Optimierungsprojekte im Bereich Supply Chain. Seine Kompetenz liegt in der Geschäftsprozessoptimierung, Organisationentwicklung und ganzheitlichen Ergebnisverbesserungsprogrammen. Adelt ist studierte Maschinenbau an der Ruhr-Universität Bochum und absolvierte seinen MBA an der Rotterdam School of Management.

Julian Schupp ist seit 2022 als Berater für Maexpartners tätig. Zuvor realisierte er Projekte im Operationsumfeld in der Industrie und leitete einen Werkbereich. Zu seinen Kompetenzen zählen die Realisierung von Kostensenkungsmaßnahmen sowie Prozess- und Organisationsentwicklungen. Schupp studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Hochschule Mittelhessen und machte zusätzlich seinen MBA. 

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