Forschung & Innovation

Ein Update für das Patentrecht

Geplante Gesetzesänderung schließt den Unterlassungsanspruchs des Patentinhabers aus

08.12.2020 - Bremst die geplante Modernisierung des Patentrechts den Innovationsmotor in Deutschland?

In einer Welt, in der durch alle Industrien wirtschaftliche Prozesse über viele Kontinente vernetzt sind und in Abhängigkeit zueinanderstehen, wird eine Änderung des Patentrechts heiß diskutiert. Obwohl das Patentgesetz bereits im Jahr 2017 angepasst wurde, steht unter den Schlagworten „Vereinfachung“ und „Modernisierung“ eine Transformation des Patentgesetztes an, das zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit der beteiligten Kreise führen wird. Es ist zu befürchten, dass das schärfste Schwert des Patentgesetzes stumpf wird, weil der Unterlassungsanspruch des Patentinhabers ausgeschlossen werden kann.

Historisch basiert die Rechtfertigung der Erteilung eines Patents auf der Überlegung, den industriellen Fortschritt und die industrielle Verwertung zu fördern, indem die Erfinder bzw. Inhaber des Patents die Kosten für ihre Entwicklung durch das ausnahmsweise erteilte Monopol monetarisieren können. Dieses ausnahmsweise gewährte Monopol wurde zunehmend durch sog. „Patenttrolle“ (eine Form der non-practicing entity, NPE) ausgenutzt, um an der industriellen Verwertung Dritter zu partizipieren. Diese Praxis läuft der ursprünglichen Rechtfertigung für die Erteilung des zeitlich begrenzten Monopols zuwider. Nun soll durch die Änderung des Patentgesetzes, der dem Patentinhaber gewährte Unterlassungsanspruch gegen den Verletzer zu Gunsten des Verletzers in bestimmten Konstellationen nicht mehr durchsetzbar sein. Dies führt zu einer weitreichenden Neujustierung der Interessenlage der unterschiedlichen Wirtschaftszweige.

Aber auch die Interessenlage einiger internationaler Konzerne hat sich verändert, und so schlagen in mancher Brust von Konzernen aufgrund der zunehmenden Komplexität der Produkte unterschiedliche Herzen. Beispielsweise das Herz eines innovativen, forschenden Unternehmens mit eigenen Patenten auf bestimmte Produktmerkmale sowie zugleich ein Herz für nicht innovative Produktmerkmale, die vielleicht in zu Unrecht erteilte Patente eingreifen. So ist für ein forschendes Unternehmen mit hohen Forschungsausgaben eine wirksame Durchsetzung der eigenen Patente auch mit einem Unterlassungsanspruch notwendig. Gleichzeitig sehen sich Unternehmen in jüngster Zeit auf eigenen langjährigen Forschungsgebieten Patenten Dritter ausgesetzt. 

Ausgangspunkt für die nun diskutierte Anpassung des Unterlassungsanspruchs im Patentgesetz war eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHs) im Automobilbereich, die jedoch lediglich die Gewährung einer Aufbrauchfrist für das patentverletzende Produkt oder maximal die zeitweise Aussetzung der Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs diskutiert.

Der „Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts“ der Bundesregierung vom 28. Oktober 2020 geht weit über die zeitliche Aussetzung hinaus und formuliert: „Der Anspruch ist ausgeschlossen, soweit die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles für den Verletzer oder Dritte zu unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde. In diesem Fall kann der Verletzte einen Ausgleich in Geld verlangen, soweit dies angemessen erscheint. Der Schadensersatzanspruch nach Absatz 2 bleibt hiervon unberührt.“

Die komplexe Patentlandschaft fordert spezifische Regelungsbereiche

Bereits jetzt besteht jedoch die Möglichkeit für den Verletzer bei Gericht einen Schutzantrag gegen die Vollstreckung bis zur rechtskräftigen Verurteilung zu stellen. Im Rahmen dieses Antrags könnten die Gerichte ihren Ermessenspielraums ausüben, um in Härtefällen im Sinne des Verletzers zu entscheiden. Ein Ausgleich an den Patent­inhaber „in Geld“ ist aktuell in dem Verfahren des Schutzantrages nicht verankert.

Die Patentlandschaft, die Produkte und die Marktbegleiter sind indes in den letzten Jahren so komplex geworden, dass ein sachgerechter Interessenausgleich aller beteiligten Kreise vermutlich in einem einzigen Gesetz nicht gelingen kann, wenn nicht zugleich eine abschließende Definition „der besonderen Umstände des Einzelfalles“ aufgenommen wird. Alternativ kann es sachgerechter sein, sehr spezielle Bereiche wie „standardessenzielle Patente“, die in der Regel in Pools verwaltet und auslizensiert werden, einen eigenen Regelungsbereich innerhalb oder außerhalb des Patentgesetzes zu geben. Auch für „komplexe mechanische Produkte“, wie im Automobilbereich, könnte eine abweichende Regelung über Lizenz­analogien gefunden werden, ohne zugleich bspw. innovative Chemie-, Pharmazie- und Biotechnologieunternehmen schutzlos zu stellen, denn ein Verletzer wird zu seiner Verteidigung immer „besondere Umstände“ darlegen. Auch bei Arzneimitteln besteht zur Wahrung des öffentlichen Interesses die Möglichkeit eine „Zwangslizenz“ zu erteilen. Da von dieser Möglichkeit bereits Gebrauch gemacht wurde, könnte auch bei der aktuellen Pandemie das Verfahren der Zwangslizenz zur Anwendung kommen, um ein Arzneimittel für die betroffenen Bürger verfügbar zu machen.

Die geplante Gesetzesänderung schwächt den Schutz von Innovationen in Deutschland 

Eine generelle Regelung für alle Anwendungsbereiche, die den Anspruch auf Unterlassung ausschließt, konterkariert jedoch das Ziel Deutschland als Innovations­standort zu erhalten und zu fördern und zukunftsfähig zu machen. Diese vorstehend vorgeschlagenen Regelungen für spezielle Anwendungsfälle, die an die Gesamtumstände anlehnen, könnten den Unterlassungsanspruch als Herzstück des durch das Patent vermittelten Schutzes erhalten. Andernfalls wird der Anreiz für innovative Unternehmen und Forschungseinheiten, die entweder industriell verwerten oder Lizenzeinnahmen beziehen, ihre Entwicklungen durch Patentanmeldungen zu schützen erheblich in Frage gestellt. Auch ist bei der im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Kodifizierung einer grundsätzlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung in allen innovativen Bereichen zu befürchten, dass das Verletzungsverfahren zukünftig als Mittel zur Erlangung vernünftiger Lizenzsätze missbraucht wird. In einem solchen Umfeld könnten sich nur die finanziell Stärksten behaupten. 

Unter der geplanten Gesetzesänderung würde der patentrechtliche Unterlassungsanspruch zu einem stumpfen Schwert verkommen. Als Folge müsste der Patentinhaber zukünftig rechtsverletzende Eingriffe in sein immaterielles Eigentum tolerieren. Dadurch wird der Schutz von Innovationen durch Patente inländischer und internationaler Patentinhaber am Industriestandort Deutschland erodiert.

Eine differenziertere Regelung könnte Sondertatbestände unterschiedlicher Industriezweige und Interessenverbände berücksichtigen sowie eine angemessene Rechtssicherheit für getätigte Investitionen in Innovationen bieten. Zusätzlich besteht durch die Enforcement-Richtlinie der EU aus dem Jahr 2004, die Verpflichtung u. a. faire und gerechte, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Maßnahmen zu ergreifen und ein angemessenes Verhältnis zwischen der Schwere der Verletzung und der angeordneten Unterlassungsverfügung zu berücksichtigen.

Die Vielzahl an Stellungnahmen interessierter Kreise an das Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zum Gesetzes­entwurf zeigt das erhebliche Inter­esse und zugleich die Komplexität der Interessen alle Beteiligten, die eine differenzierte Regelung einfordern. Für den 18. Dezember 2020 ist der erste Durchgang im Bundesrat angesetzt und der zweite Durchgang für den 7. Mai 2021 geplant, sodass diese kritischen Änderungen im Patentrecht im kommenden Jahr verabschiedet werden könnten.

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