Märkte & Unternehmen

Innovativ und nachhaltig im Verbund

Das Darmstädter Unternehmen Röhm entstand vor 5 Jahren durch die Ausgliederung des Methycrylat-Geschäfts aus dem Evonik-Konzern

16.10.2024 - Röhm strebt weltweite Technologieführerschaft als Methacrylat-Spezialist an.

Im Jahr 2019 entstand durch den Verkauf des Methacrylat-Verbunds von ­Evonik Industries an Advent International das Unternehmen Röhm. Erklärtes Ziel des Investors: Das eigenständige Unternehmen zum globalen Markt- und Technologieführer der Methacrylat-Chemie zu entwickeln. Heute produziert das Darmstädter Unternehmen, dessen Wurzeln auf die Gründung von Röhm & Haas im Jahr 1907 zurückgehen, über 1 Mio. t chemische Produkte an neun Standorten in Deutschland, China sowie den USA und erzielte 2023 mit weltweit 2.850 Beschäftigten einen Umsatz von 1,6 Mrd. EUR. Andrea Gruß sprach mit Hans Bohnen, CEO von Röhm, über die Wachstums- und Nachhaltigkeitsstrategie des jungen und zugleich traditionsreichen Unternehmens.

CHEManager: Herr Bohnen, der Neustart von Röhm liegt fünf Jahre zurück. Welche Entwicklung hat Röhm seitdem durchlaufen?

Hans Bohnen: Ich selbst habe nur die vergangenen neun Monate diese Entwicklung begleitet, aber meine Kollegen berichteten, dass sie 2019 nach der Übernahme mit großer Euphorie gestartet sind. Unabhängig von den Strukturen eines Großkonzerns, die Gründung eines kleineren, eigenständigen Unternehmens mit der starken Marke Plexiglas im Gepäck und die Rückkehr zum Namen Röhm, der für Qualität und Pioniergeist steht – all das beflügelte die Belegschaft. Doch dann folgten schon bald die Coronakrise und der Ukrainekrieg. Die Pandemie hielt uns zunächst nicht auf. Zwar war sie mit einer hohen Belastung für unsere Mitarbeiter verbunden und auch wir hatten mit Lieferengpässen zu kämpfen, doch die Nachfrage nach Plexiglas für Schutzscheiben boomte und wir konnten die Anlagenerweiterung in China trotz der dortigen strengen Isolationsvorschriften umsetzen. Anders verhielt es sich nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine. Die hohen Energie- und Gaskosten schwächten den Markt und die Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Industrien in Europa von heute auf morgen massiv. Das hatte – und hat auch noch heute – einen starken Einfluss auf unser Geschäft.

Wie reagierte Ihr Investor auf diese Entwicklung?

H. Bohnen: Advent International hat trotz der schwierigen Rahmenbedingungen am Investitionsprogramm festgehalten – wie es zum Zeitpunkt der Ausgliederung geplant war – eine sehr mutige Entscheidung unseres Eigentümers. Insgesamt flossen in den vergangenen vier Jahren 1,5 Mrd. EUR in die Entwicklung der Anlagen und Forschung von Röhm – eine Summe, die in etwa unserem Jahresumsatz entspricht.

Welche Maßnahmen umfasst das Investitionsprogramm?

H. Bohnen: Die Maßnahmen verteilen sich über alle Regionen und an Standorte in Deutschland, in den USA und in China. In Worms und Shanghai haben wir unsere Produktionskapazitäten für Polymethylmethacrylat, kurz PMMA, deutlich ausgebaut. In Wesseling wurde der Perlpolymerisations-Reaktor für die Produktion von Meth­acrylat-Bindemitteln ausgetauscht und dabei die Kapazität erweitert. Und in den USA investieren wir derzeit am Standort Bay City in Texas in eine neue Produktionsanlage für Methylmethacrylat, MMA. Dort wird zum ersten Mal die von Röhm entwickelte LiMA-Technologie, ein vollkommen neuer Weg zur Herstellung von MMA, zum Einsatz kommen. Die Anlage wird über eine Kapazität von 250.000 t/a MMA verfügen und soll noch im Jahr 2024 in Betrieb gehen.

Was verbirgt sich hinter der ­LiMA-Technologie?

H. Bohnen: LiMA steht für Leading in Methacrylates. Die Technologie wurde von Röhm entwickelt und wird uns zum weltweiten Technologieführer bei der MMA-Produktion machen, dem Vorprodukt von Plexiglas. Es gibt derzeit zwei etablierte Verfahren, um MMA herzustellen: den sogenannten C4-Prozess ausgehend von Methyl-tert-butylether oder Isobuten, den wir in China einsetzen, und den C3-Prozess mit Aceton und Cyanwasserstoff als Ausgangsstoffe, den wir unter anderem in Worms und Wesseling nutzen. Die LiMA-Technologie ist eine C2-Technologie. Es handelt sich um einen zweistufigen Prozess, der bei sehr niedrigen Drücken und Temperaturen Ethylen-basiertes Propion­aldehyd, Formalin und Me­thanol zu Methylmethacrylat umsetzt. Das umweltschonende Verfahren benötigt weniger Energie und Wasser und reduziert den CO2 -Ausstoß um etwa 26 % im Vergleich zur C3- und um über 50 % zur C4-Technologie. Perspektivisch ist mit dem neuen Prozess auch eine klimaneu­trale Produktion möglich, wenn ausreichend grünes Ethylen und Methanol zu wirtschaftlichen Bedingungen zur Verfügung steht. 

Warum haben Sie sich für die USA als Standort für die erste LiMA-Anlage entschieden?

H. Bohnen: Unsere bisherige MMA-Anlage in den USA ist veraltet und nicht mehr nachhaltig zu betreiben. Für uns stellte sich daher die Frage, ob wir in die bestehende Anlage signifikant investieren oder sie abschalten. Außerdem sind die USA ein wichtiger Markt für Röhm, in dem wir unsere Kapazität mittelfristig erweitern wollen, um Marktführer zu werden. Eine Investition in China war aufgrund der aktuellen Überkapazitäten am dortigen Markt keine Option und in Deutschland verfügen wir über moderne Anlagen in Worms und Wesseling, mit denen wir den europäischen Markt bedienen können. Zudem ist die C2-Technologie, wie eben beschrieben, keine Drop-in-Technologie, mit der sie bestehende Anlagen erweitern können. In den USA haben wir die Anlage an einem ganz neuen Standort aufgebaut, an dem wir künftig MMA produzieren werden. Durch unsere gezielten Investitionen sind wir künftig weltweit der einzige Hersteller, der in Nordamerika, Europa und China MMA und PMMA lokal vor Ort und im Verbund produziert. Das ist wesentlich für unsere Strategie, der globale Marktführer zu werden.

Röhm investiert nicht nur in die Effizienz und den Ausbau seiner Anlagen, sondern auch in die Forschung beziehungsweise sein künftiges Portfolio. Welche Maßnahmen wurden hier bereits umgesetzt?

H. Bohnen: Wir haben in allen Regionen neue Forschungs- und Entwicklungszentren errichtet. Im Jahr 2023 wurde unser Innovationszentrum in Worms eröffnet, in das wir etwa 100 Mio. EUR investiert haben. In dem modernen Gebäudekomplex, der aus einem Laborgebäude und einem Technikum mit mehreren Pilot­anlagen besteht, bündeln wir unsere europäischen Forschungsaktivitäten. Wir haben das Innovationszentrum bewusst an unserem größten Standort mit 1.200 Mitarbeitern angesiedelt, sodass Forschung und Produk­tion eng verzahnt zusammenarbeiten. Insgesamt sind damit in Worms rund 100 neue Arbeitsplätze entstanden. Weitere Entwicklungszentren entstanden in den vergangenen Jahren in Wallingford in den USA und in Shanghai in China. Mitarbeitende aus Forschung, Entwicklung und Anwendungstechnik arbeiten in unseren weltweiten Innovationszentren an der Entwicklung und Optimierung von innovativen Produkten, Verfahren und Anwendungen. Durch die regionale Präsenz arbeiten wir eng zusammen mit unseren Kunden, zum Beispiel an Innovationen im Bereich Medical und Automotive, und können lokale Trends für Materialentwicklungen schnell aufgreifen.

Welches Innovationspotenzial steckt im wichtigsten Produkt von Röhm, dem Plexiglas? 

H. Bohnen: PMMA ist als Werkstoff in etlichen Industriezweigen, zum Beispiel der Automobilindustrie oder der Medizintechnik, aufgrund seiner hohen Wärmeform- und Witterungsbeständigkeit sowie seiner Lichtdurchlässigkeit unverzichtbar. Ein Treiber ist dabei die E-Mobilität und die damit verbundenen Veränderungen im Fahrzeugbau und Design. 
Ein hohes Zukunftspotenzial – nicht nur für unsere PMMA-Produkte – sehen wir zudem in der Entwicklung von nachhaltigen Produkten mit reduziertem CO2-Fußabdruck im Rahmen unseres ProTerra-Portfolios. Bei Plexiglas bieten wir unseren Kunden zwei unterschiedliche Wege, ihren Product Carbon Footprint bei identischen Produkteigenschaften zu reduzieren und so ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen: zum einen durch PMMA mit einem Anteil von bis zu 30 % an mechanisch recyceltem PMMA, zum anderen durch PMMA für dessen Produktion fossile Rohstoffe durch ISCC-Plus-zertifizierte Rohstoffe ersetzt und über eine Massenbilanzierung zugeordnet werden. Neben dem reduzierten Einsatz von fossilen Rohstoffen, werden die ProTerra-Produkte auch mit einem geringeren Einsatz von Energie und Wasser produziert. 
Mittel- und langfristig setzen wir auch auf den Einsatz von Biomasse, die nicht für die Nahrungsmittelproduktion geeignet ist, und auf die stoffliche Nutzung von CO2 als Rohstoff, zur weiteren Defossilisierung unserer Produkte.

Welche Rolle spielt chemisches Recycling von PMMA?

H. Bohnen: Grundsätzlich kann PMMA mehrfach und ohne nennenswerten Eigenschaftsverlust chemisch recycelt werden. Die Pyrolyse von PMMA zum Monomer gelingt im Vergleich zu anderen Kunststoffen bereits bei niedrigeren Temperaturen und das hergestellte Material wird problemlos zertifiziert. Chemisches Recycling kann daher mechanischen Recycling von PMMA sinnvoll ergänzen und ein weiterer wichtiger Baustein zur Erreichung von Kreislauf- und Klimaschutzzielen darstellen.
Herausfordernd ist aktuell jedoch noch die Infrastruktur für Post-Consumer-Abfälle bei PMMA, da es hier kein etabliertes Sammelsystem gibt, wie zum Beispiel für PET-Flaschen. Doch um chemisches Recycling von PMMA wirtschaftlich zu betreiben, benötigen wir sehr große Mengen des Kunststoffs, der im Bereich der Commodities eher eine Nische darstellt.

Mit welchen Maßnahmen lässt sich die Transformationen zur Kreislaufwirtschaft beschleunigen?

H. Bohnen: Kreislaufwirtschaft kann nur funktionieren, wenn alle Beteiligten der Wertschöpfungskette zusammenwirken. Produkte müssen vom Ende gedacht werden. Sie sollten einfach und schnell zu demontieren sein. Wir brauchen mehr Monomaterialien statt Verbundsysteme und langlebige Materialien, die am Ende ihres Produktlebenszyklus auch noch rezyklierbar sind. Auch klare regulatorische Vorgaben, wie zum Beispiel Recyclingquoten tragen zu einem schnellen Auf- und Ausbau der Kreislaufwirtschaft bei Kunststoffen bei. Elementar sind glaubwürdige und nachvollziehbare Zertifizierungen, wie die International Sustainable Carbon Certification (ISCC). Denn nur entsprechend zertifizierte Rohstoffe lassen sich bis zur Quelle lückenlos zurückverfolgen.
Grundsätzlich gibt es technologisch einige geeignete Ansätze, um die notwendige Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft umzusetzen. Trotzdem sind die Herausforderungen nach wie vor groß. Denn es fehlt unter anderem die Infrastruktur für grünen Wasserstoff und die heutigen Industriestrompreise und Rohstoffpreise sind absolut nicht geeignet, um eine wettbewerbsfähige Transformation zu schaffen.

Herr Bohnen, Sie haben bereits zahlreiche Transformationsprozesse in der Chemieindustrie begleitet. Wie Sie eingangs erwähnten, sind Sie erst seit Februar 2024 als CEO für Röhm tätig. Was reizte Sie, diese neue Aufgabe zu übernehmen?

H. Bohnen: Ich hatte zuvor ausschließlich für börsennotierte Unternehmen gearbeitet. Mit meiner neuen Aufgabe bei Röhm bin ich nun zum ersten Mal für ein Private-Equity-­investiertes Unternehmen tätig. Die Investitionslogik und die Strategie des profitablen, nachhaltigen Wachstums von Advent International für Röhm hat mich bereits im ersten Gespräch überzeugt und bisher nicht enttäuscht. Unser Investor verfügt über umfassende Expertise in unserem Markt und entwickelt das Unternehmen Röhm langfristig und konsequent weiter. Wie bereits erwähnt, haben sie seit der Übernahme 1,5 Mrd. EUR nicht nur in Anlagen, sondern auch in Forschung investiert. Das ist ungewöhnlich für eine Beteiligungsgesellschaft, denn der Return on Invest im Bereich Innovation ist mit höheren Risiken verbunden und es dauert länger, bis er realisiert werden kann. Aus meiner Sicht ist dies aber essenziell, um die Wettbewerbsfähigkeit eines Chemieunternehmens zu sichern und auszubauen. 
Die Anlagen für die Umsetzung unserer Wachstumsstrategie stehen bis zum Ende des Jahres, nun müssen wir sie mit Leben, sprich mit den richtigen Produkten, füllen – eine spannende Aufgabe, dies als CEO begleiten und umsetzen zu dürfen. Mit Advent International haben wir dabei einen mutigen Investor und Eigentümer mit langem Atem an der Seite – etwas, was man sich in der aktuellen Situation für die gesamte Chemieindustrie wünschen würde. 

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Zur Person

Hans Bohnen wurde im Februar 2024 zum CEO von Röhm berufen. Er folgt Michael Pack, der in den Ruhestand trat. Bis 2023 war Bohnen für Clariant tätig, zuletzt als Mitglied der Geschäftsleitung. Bevor er 2009 zu dem Schweizer Unternehmen stieß, hatte er verschiedene Führungspositionen in Europa und Nordamerika bei der SGL Group, Celanese und Hoechst inne und arbeitete in der strategischen Managementberatung bei Booz Allen Hamilton. Bohnen studierte Chemie an der Universität Duisburg-Essen, promovierte an der Universität Tübingen in Chemie und hält einen MBA der Aston Business School.

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